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Bei den Kopten

Auch Mechthildis und Katuscha waren zunächst in eins der Grabgewölbe geführt worden, die bei dem heutigen Dorfe Sakkâra am Rande der großen Libyschen Wüste liegen und jetzt, seit ihrer Wiederauffindung durch den berühmten Ägyptologen Mariette-Pascha, mit ihren zahlreichen, wohlerhaltenen Reliefdarstellungen eine Hauptsehenswürdigkeit von Unterägypten bilden.

Hier hieß man sie warten, während in dem benachbarten Serapeum, dem einst so berühmten Heiligtum, das jetzt tief unter dem Sande der Wüste lag, der schlichte Gottesdienst der kleinen Koptengemeinde abgehalten wurde.

In jener schweren Zeit muselmännischer Unterdrückung, in der all ihre Kirchen zu Moscheen umgewandelt waren und schon der bloße Verdacht geheimen Christentums den qualvollsten Tod brachte, sahen sich die unglücklichen Ureinwohner des Pharaonenlandes gezwungen, in die unter dem Wüstensande verborgenen Grüfte ihrer heidnischen Vorfahren zu flüchten, um ihrem Gotte zu dienen, von dem sie doch nicht lassen mochten.

In diesen unterirdischen Tempeln und Gräbern, von deren Vorhandensein die fremden Eroberer nichts ahnten, weil der Chamsin, der sandige Wüstenwind, jede Spur von ihnen verweht hatte, fristeten die koptischen Mönche und Priester ihr kümmerliches Dasein und versammelten in den dunklen Nächten um den Neumond die treuen Gemeinden um sich, die sich trotz aller Gefahren noch überall im Lande erhalten hatten. Viele Stunden weit schlichen sich dann die glaubenseifrigen Christen auf geheimen Pfaden herbei, um sich am Tische des Herrn zu erlaben und in gemeinsamen Gebeten die gequälten Herzen zu erleichtern.

Die schwergeprüfte Gemeinde von Kairo, die in unmittelbarer Nähe des Kalifen naturgemäß am meisten der Verfolgung ausgesetzt war, hatte sich das Totenfeld von Memphis zum Versammlungsort ausersehen und in der Gruft der Apisstiere eine vollkommene Kirche eingerichtet.

Im hintersten Teile dieser gewaltigsten aller Grabkammern, die, mehr als tausend Schuh lang, etwa zehn Schuh breit und zwanzig Schuh hoch aus dem Felsen ausgehöhlt worden ist, erhob sich ein Altar, auf dem all die mühsam geretteten Heiligtümer und zwei brennende Kerzen standen, die auf dem heiligen Grabe in Jerusalem selbst geweiht worden waren. Davor lag ein Teppich am Boden, auf dem der heilige Jakob Baradai, der Stifter der Jakobitischen Sekte selbst, beim Messelesen in Edessa gestanden hatte.

In der einen Ecke war, vom Schein geweihter Fackeln beleuchtet, ein uraltes Muttergottesbild aufgerichtet, das man aus der Marienkirche zu Alt-Kairo oder Fostât zu retten gewußt hatte, und von der Decke hingen sieben heilige Lampen herab, die mit geweihtem Öl aus der Grabeskirche gespeist wurden.

Hier erhoben die armen Kopten ihre Herzen in inbrünstigem Gebete zu dem Sohne Gottes, in dessen Opfertod sie Trost für die eigenen Leiden fanden. Hier sangen sie in ihrer alten Sprache, in der noch heute die koptische Liturgie in Ägypten abgehalten wird, ihre frommen Lieder. Und hier genossen sie nach altchristlicher Art im Liebesmahle in Brot und Wein den Leib und das Blut des Herrn, während ringsumher in den gewaltigen Steinsärgen die Mumien der schwarzen Stiere mit dem weißen Dreieck auf der Stirn schlummerten, denen noch ein Jahrtausend zuvor im nahen Memphis göttliche Verehrung gezollt worden war.

Nachdem der Gottesdienst beendet war, verließen die Gemeindemitglieder, etwa zweihundert an der Zahl, Männer und Frauen, den Totenraum der heidnischen Götzentiere wieder, um auf verschiedenen Wegen, einzeln oder in kleinen Gruppen, nach ihren Wohnstätten zurückzuschleichen.

Nur der Priester, die beiden Diakone, einige Mönche und die Ältesten blieben zurück, unter ihnen Zenab, der das Amt als Vorsteher der Gemeinde verwaltete und wegen seiner Klugheit und Entschlossenheit großes Ansehen und hohe Verehrung genoß.

Nun wurden die beiden Frauen herbeigeholt und mit verbundenen Augen in den heiligen Raum geführt. Hier wurden ihnen die Binden abgenommen, und während sie, von der Weihe des Ortes ergriffen, vor dem Altar niederknieten, sprach der Priester den Segen über sie. Dann trat Katuscha, mit Inbrunst die Tröstung der heiligen Stimmung genießend, die sie so lange hatte entbehren müssen, zurück und die Verhandlung begann.

»Ich weiß, daß du eine Lateinerin bist,« sagte der Priester, ein hagerer Greis mit halb erloschenen Fanatikeraugen und weißem Pharaonenbarte. »Aber ich weiß auch, daß du mit klugem Sinn erkannt hast, daß auch wir fromme Christen sind und uns nicht scheuen, unserem Herrn und Heiland nachzueifern und, wie er, das Kreuz auf uns zu nehmen. Deshalb wirst du uns nicht verachten und uns Vertrauen schenken.«

»Daß ich euch vertraue, zeigt, daß ich hier bin,« antwortete Mechthildis. »Und ich tue es, ohne mich durch so furchtbare Eide zu vergewissern, wie ihr sie für nötig befindet.«

»Du tust es, weil der Wunsch dich treibt, daß das Vertrauen, das du auf uns setzest, sich erfüllen möge, und daß wir dir helfen werden, in die Heimat zurückzugelangen, nach der dein Herz sich so mächtig sehnt. – Ich durchschaue dieses Herz, meine Tochter, und weiß, was ich von ihm zu erhoffen habe. – Es ist stolz, aber fest und treu, und deshalb will ich gerne darein willigen, daß unsere Brüder ihr Leben für deine Befreiung einsetzen, wenn du zuvor gelobst, ihre Dienste so zu lohnen, wie es in unserem Begehren und in deinen Kräften steht.«

»Ich werde euch nichts schuldig bleiben. Sagt, was ihr verlangt!«

»So höre denn: Während im heiligen Kriege das Zeichen des Kreuzes allen Christen Heil und Segen gebracht hat, den Lateinern wie den Byzantinern, ja selbst den Syriern und Nestorianern, die doch auch als Ketzer gelten, – während sie alle an dem Lichte sich erfreuen, das von dem befreiten Jerusalem ausstrahlt, schmachten wir allein in der Finsternis furchtbarster Unterdrückung. – Sie alle haben ihr Teil an den Früchten der Ruhmestaten, die tapfere Glaubensstreiter im Namen ihres Heilandes vollbrachten; – uns allein hat man vergessen! – Wo sonst Christen wohnen im Morgenlande, hat man sie befreit oder wenigstens durch Verträge beschützt; uns allein hat man der schmählichsten Willkür der Ungläubigen überantwortet! – Und doch: Haben wir nicht dasselbe Anrecht auf brüderliche Hilfe, wie sie alle? Haben wir uns dieses Anrecht nicht in hundertjährigem Ringen erkauft mit dem Blute unserer Märtyrer? – Fast kein Tag vergeht, an dem nicht einer von uns hingeopfert wird um seines Glaubens willen, und in die Gräber der Heiden müssen wir uns verkriechen, wenn wir nur den Namen unseres Heilandes aussprechen wollen, nach dem unsere Seele schmachtet! – O, meine Tochter! – Ihr tragt euer Christentum schon auf Erden wie eine Krone, – auf uns aber liegt es wie eine unerträgliche Last, unter deren Schwere wir zusammenbrechen. – Wirst auch du, die unser Elend mit eigenen Augen schaute, die am eigenen Leibe den giftigen Hauch verspürt hat, der in diesem Lande den Garten des Herrn verwüstet, wirst auch du dich abwenden von uns und uns versinken lassen in den Sumpf sarazenischen Hasses? – Wirst auch du uns vergessen? – Oder wirst du hingehen und deine Stimme erheben für deine unglücklichen Brüder?«

»Ich werde für euch tun, was ich vermag; des dürft ihr gewiß sein,« antwortete Mechthildis. »Aber ich fürchte nur, daß es nicht mehr sein wird, als was alle Christen wünschen. Glaubt ihr nicht, daß unsere Ritter auch dieses Land längst den Ungläubigen entrissen hätten, wenn sie die Macht dazu besäßen?«

»Sie hätten wohl die Macht dazu schon gehabt,« entgegnete der Greis, »und die Gelegenheit wird sich früher oder später sicher wieder finden.«

»Von diesen Dingen verstehe ich zu wenig, um euch darauf antworten zu können,« sagte Mechthildis mit vornehmer Bescheidenheit. »Wie dem aber auch sei, ich glaube euch versprechen zu dürfen, daß mein Vater nichts versäumen wird, um seinen Einfluß zu euren Gunsten geltend zu machen. – Seid ihr damit zufrieden?«

»Ja!« antwortete der Priester. »Dein Vater ist ein mächtiger Herr; wenn wir sicher sind, daß er für uns eintritt, dürfen wir auf bessere Zeiten hoffen.«

»Dessen dürft ihr sicher sein, wie ich glaube.«

»Beschwöre es!« rief jetzt einer der Diakone dazwischen.

»Ja! Beschwöre es!« stimmten mehrere andere ein.

»Wie kann ich etwas beschwören, was zu halten nicht in meiner Macht allein steht?« entgegnete Mechthildis.

»Du sollst nur beschwören, daß du deinen Vater darum angehen willst, mit allem Nachdruck, – soweit es in deinen Kräften steht.«

»Aber das habe ich euch doch schon versprochen. Wozu braucht es dazu noch des Schwures?«

»Schwöre dennoch! Wir sind Unglückliche. Das Unglück macht mißtrauisch. – Wenn es dir ernst ist um dein Versprechen, weshalb sträubst du dich, es vor Gott zu wiederholen?«

»Nun denn, so will ich es beschwören. – Gebt mir das Kruzifix! – Bei dem heiligen Leibe dessen, den es uns in seinem unschuldigen Leiden vor die Seele führt, bei dem guten Heiland, von dem ich Erlösung erhoffe, gelobe ich euch, nach bestem Wissen und Willen für euch zu wirken und nichts unversucht zu lassen, um meinen Vater für eure Sache zu gewinnen. So wahr mir Gott helfe!«

»Wir danken dir,« sagte der Priester, das Bild des Gekreuzigten wieder auf den Altar stellend. »Wir danken dir und wir hoffen auf dich. – Nun aber zum zweiten.«

»Genügt euch das noch nicht? Was begehrt ihr noch?«

»Etwas, was uns nicht minder am Herzen liegt und dir leichter fallen wird, uns zu verschaffen. – In der Kirche der heiligen Helena, die mit unserer Väter Hilfe wieder auferbaut wurde, nachdem die persischen Räuber sie verbrannt hatten, liegt dem heiligen Grabe gegenüber eine Kapelle, die von alters her den Kopten gehört. In ihr einmal beten zu können, ist das höchste Ziel unseres Lebens. Auf sie sind unsere sehnenden Blicke gerichtet, während wir unter dem Joch der Ungläubigen seufzen. Sie ist die letzte Hoffnung unserer unglücklichen Gemeinschaft! – Und nun kommen die falschen Byzantiner, nützen unsere Ohnmacht aus und wollen uns auch von diesem Platze verdrängen, an dem wir zu den Füßen unseres Heilands noch allein Trost finden können in unserem Jammer! – Schon seit Monden weigern sie unseren Pilgern den Eintritt, und wir haben keine Möglichkeit, es ihnen zu wehren. – Wohl haben wir Boten gesandt an den König. Aber die Stimme der Armen hat schwachen Klang: man hat sie nicht einmal vorgelassen, und die Griechen triumphieren. – Wenn du aber unsere Klage vorbringen willst, oder dein Vater, so wird der König sie anhören und uns unser Recht nicht versagen. – Willst du uns versprechen, auch das für uns zu tun?«

»Das will ich,« antwortete Mechthildis, »obwohl ich nicht begreifen kann, warum die Menschen sich immer befehden müssen, warum selbst die nicht Frieden untereinander halten können, die das Gebot der Nächstenliebe auf ihre Fahne geschrieben haben.«

»So beschwöre uns das auch!« rief wieder der Diakon. Und auch diesmal mußte Mechthildis ihr Versprechen mit einem Eide bekräftigen. Nachdem aber die Zeremonie vorüber war, sagte sie: »Nun wünschte ich aber endlich auch zu hören, was ihr für mich zu tun gedenkt. – Mich habt ihr durch Eide gebunden, – was bietet ihr mir nun dagegen?«

»Die Freiheit!« antwortete jetzt Zenab von Fostât, dem eben ein jüngerer Mann, der plötzlich aus dem Dunkel des vorderen Gewölbes aufgetaucht war, etwas zugeflüstert hatte. »Noch heute nacht wird dich ein sicheres Boot den Nil hinab nach Thamiatis führen, wo fränkische Galeeren genug vor Anker liegen, die dich aufnehmen und in die Heimat bringen werden. – Zehn unserer zuverlässigsten Brüder werden dich geleiten und dich nicht eher verlassen, als bis du in Sicherheit bist.«

»Du sprichst immer nur von mir allein!« sagte Mechthildis, ihm ins Wort fallend.

»Von dir und deiner Dienerin.«

»Und die beiden Franken, von denen ich dir sagte?«

»Für sie habe ich bisher keine Verpflichtung übernommen, als nach ihnen zu forschen und sie wenn möglich herbeizubringen. – Diese Verpflichtung habe ich erfüllt.«

»Du hast sie gefunden? – Sie haben mein Zeichen erkannt? – Sie sind hier?« rief Mechthildis in freudiger Aufregung.

»Ja, sie sind hier.«

»Warum führt ihr sie nicht her? Warum spannt ihr mich erst auf die Folter?«

»Wir kennen sie nicht.«

»Aber ich kenne sie; genügt auch das nicht?«

»Bürgst du für sie?«

»Ja, ich bürge für sie.«

»So gehe einer, sie herzuführen. Aber nicht in das Allerheiligste. Im vorderen Seitengang werden wir sie erwarten.«

Sofort verschwand einer von den Ältesten im Dunkel, während sich die beiden Frauen wieder die Augen verbinden lassen mußten.

»Folget mir nun!« sagte Zenab, indem er Mechthildis bei der Hand nahm, die, von Erwartung getrieben, so schnell über den sandigen Steinboden dahineilte, daß ihr Führer kaum folgen konnte.

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