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1877 – 1943
Unter den neueren in Berlin lebenden Malern ist Karl Walser einer der am leichtesten verständlichen. Seine Eigenart und sein Stil leuchten dem Betrachter ohne Anstrengung ein; man fühlt sich zum tieferen Nachdenken von dieser Kunst nicht aufgefordert. In einer Zeit, der nichts eigentlich selbstverständlich ist, haben Walsers Arbeiten eine gewisse naive Selbstverständlichkeit. Das unterscheidet sie von den meisten Werken anderer Maler und isoliert sie, so daß sie in einer besonderen Weise persönlich und originell erscheinen. Walser ist kein Künstler, der sich gewaltsam mit dem Lebensstoff auseinandersetzt, er gehört nicht zu jenen Malern, die menschlich tragisch ringen und ihr Talent benutzen, um diesen Kampf darzustellen; er hat kein System und kein Programm, er gehört keiner Gruppe und keiner Schule an, er ist ohne Probleme und Tendenzen. Er ist ein Talent schlechthin und nichts anderes. Ein Talent, das durch den Geist der Zeit auf eine Nebenlinie gedrängt ist und das darum nicht so beachtet wird, wie es beachtet zu werden verdient. Die malerisch-zeichnerische Darstellungsgabe ist hier einmal nicht an bestimmte Gedankenerregungen oder Spekulationen gebunden, sie steht nicht im Dienste einer Theorie oder eines fernhinschweifenden Wollens; Walser bildet seine Formen vielmehr, wie ein glückliches Musikertalent Melodien und Harmonien erfindet, sie werden ihm im wesentlichen geschenkt. Ihm gelingen klangvolle Dinge, ohne daß er zur Außenwelt in ein gespanntes Verhältnis gerät. Darum ist in Walsers Kunst nichts zu deuten, es ist zu ihrer Erklärung keine kritische Psychologie nötig. Diese Kunst erklärt sich selbst, wie sich melodiöse Musik erklärt; sie ist ganz musikalisch. Darum ist sie auch gleichmäßig und ohne den Schein der Anstrengung. Sie ist, mit einem Wort, nicht das Produkt einer unruhig in der Wirrnis der Zeit umhergetriebenen Persönlichkeit, sondern die Frucht einer in sich ruhenden Begabung.
Das Geheimnis dieser klaren und deutlichen Kunst ist damit freilich nicht gelüftet. Denn wenn sich in ihr naiv und unproblematisch das Talent gibt, wie es nicht anders kann, so entsteht um so nachdrücklicher die Frage, was Talent denn eigentlich sei. Da diese Frage ein für allemal nicht zu beantworten ist, so zeigt es sich, daß Walsers Eigenart, so leicht verständlich sie ist, mit Worten doch kaum zu schildern ist. Die Problematiker sind, so schwer ihre Art von seiten der Empfindung zu fassen ist, doch dem Verstande leichter verständlich aus den menschlichen Voraussetzungen ihres Schaffens und auf Grund ihrer beziehungsvollen Stoffe. Walsers zeichnende Malerkunst aber schwebt jenseits aller groben Realität, sie ist von vornherein auf eine imaginäre Bühne gehoben, wo Leben und Wirklichkeit nur gespielt werden. Sie ist ein Spiel. Aber ein Spiel ohne Leichtsinn und Oberflächlichkeit. Darum erscheint die Form in dieser Kunst glücklich und gesund; sie ist ohne jeden Zeitpessimismus, sie leidet nicht am Leben, sondern freut sich ihrer selbst. Sie klingt. Und das ist in unserer Zeit eines stöhnenden Kunstkampfes ein kleines Wunder.
Dieses Klanghafte hängt damit zusammen, daß Walser im wesentlichen aus dem Kopf arbeitet. Die Maler, die so schaffen, suchen alle mehr oder weniger das musikalisch Klingende der Form. Ludwig von Hoffmann und Stuck tun es zum Beispiel, und bei Böcklin oder Beardsley war es nicht anders. Doch zeigt es sich, daß in dieser bewußten Entfernung von der unmittelbaren Anschauung, in dem Arbeiten aus einer bestimmten Art von Phantasie Gefahren liegen, die nur selten überwunden werden. Es ergibt sich nämlich in jedem Fall, wo die Naturform frei behandelt, wo sie aus dem Gedächtnis nach- und umgeschaffen wird, die Notwendigkeit, auch Formen alter Kunst, schon historisch gewordene, bereits historisch legitimierte Stilformen irgendwie zu benutzen. Das ist wie ein Gesetz. Auf der einen Seite stehen die, die die Stilform leidend und kämpfend unmittelbar aus der Natur gewinnen wollen: sie sind immer mehr oder weniger revolutionär, sind in ihrem Naturalismus »neu« und treten als Pioniere hervor; und auf der anderen Seite stehen die, die die Kunstform genießen wollen, die mit ihrer Hilfe ihr Lebensglück, ihre Freude am Dasein ausdrücken wollen: sie benutzen stets auch die Kampfresultate, das heißt die Stilformen anderer. Aber da die Resultate, die neben ihnen entstehen, immer problematisch sind, weil die Zeit sie noch nicht gereinigt oder gefestigt hat, so müssen sie weiter zurück in die Vergangenheit greifen. Ihnen allen ergeht es in gewisser Weise, wie es Walser erging, als der junge Schweizer an der Kunstgewerbeschule in Straßburg landschafterte: geboren und von seinem Talent bestimmt, sein Inneres künstlerisch hinzuschreiben, wurde ihm die Natur unheimlich. Sie bedrängte ihn mit Ansprüchen, denen er nicht gewachsen war, ihre Fülle und Gewalt stellte ihn vor Probleme, die zu bewältigen er nicht gemacht war. Denn in unserer Zeit tut sich ja nicht die ganze Künstlerschaft zusammen, um den Kampf um einen neuen Stil mit der vielgestaltigen Natur einmütig auszutragen; jede Künstlerpersönlichkeit muß vielmehr für sich selbst diesen Kampf aufnehmen. Darum gibt es so viele Anfänge und so wenig Reife. Unter diesen Umständen bleibt Talenten, die zur Benutzung und zum Genuß des schon Reifen von der Natur bestimmt sind, nichts übrig, als mit Hilfe alter Formen ihr Einmaliges, ihre persönliche Empfindung darzustellen. Walser hat es getan, als er in Straßburg die Natur aufgab und zu den alten Meistern ging. Zu den alten deutschen Meistern, denen der Alemanne sich verwandt fühlte. Vor allem zu Altdorfer, der wie ein gesteigerter Walser des sechzehnten Jahrhunderts wirkt, dessen kostbarer, romantischer Manierismus durch die Hilfen, die die Zeit ihm darbot, klassisch geworden ist. Mit Hilfe der alten Meister, also auf dem Wege scheinbarer Unselbständigkeit, wurde Walser selbständig und lernte etwas Modernes, etwas in seiner Art ganz Neues originell darstellen. Die Gefahr dieses Vorgehens besteht nun darin, daß der Künstler, indem er sich von der Natur entfernt, zu sehr in den Bann der alten Stilformen gerät, die er benutzt. Dieser Gefahr sind viele aus dem Kopf arbeitende Maler denn auch erlegen. Walser hat die Gefahr vermieden. Er hat das Alte freier benutzt als die meisten; er hat immer darüber gestanden. Er hat auch mit dem Historischen stets in einer feinen überlegenen Weise gespielt. Das zeigt sich schon darin, daß er sich keineswegs – wie so viele andere »Phantasiekünstler« – an einen einzigen historischen Stil gehalten hat, sondern daß er die Vorbilder wechselte und viele nebeneinander frei benutzte. Er hat zuerst die alten oberdeutschen Meister gesucht, hat sich dann dem Rokoko zugewandt, hat das Empire benutzt und Japanisches verwandt. Erstarkt ist er dann wieder zum Naturstudium zurückgekehrt, hat den Impressionismus von fern auf sich wirken lassen und ist bei alledem nur um so mehr er selbst geworden. Er lehnte sich den alten Deutschen an und erschien dabei so modern wie ein Beardsley; und ebenso hat er das Rokoko mit Zügen unserer Zeit, unserer Empfindung belebt, hat er das Empire individualisiert und das Japanische durchaus germanisiert, ja alemannisiert. Alemannisiert! Denn so seltsam es scheinen mag: dieser in Berlin gewordene Künstler, der in einem neuen, selbstgeschaffenen Rokoko und Empire arbeitet, ist in jeder Faser seines Wesens Schweizer geblieben. Er ist ganz vollgesogen mit den Traditionen seines Landes und seiner Rasse. Man entdeckt in seiner eigenwilligen Phantasiekunst, in seiner akzentreichen Klangkunst von ferne den Geist Salomon Geßners, des Idyllikers zur Zeit der Aufklärung. Man entdeckt ferner eine Verwandtschaft mit Arnold Böcklin, so viel sich auch zwischen den in Florenz, nach antiken Vorbildern arbeitenden Maler-Dichter und den in Berlin, im Milieu des deutschen Impressionismus arbeitenden Zeichner geschoben hat. In der urwüchsigen Romantik, die bei beiden etwas gesund Spöttisches hat, in der Lust an einem Idyllischen, das nicht ohne Selbstironie ist, in einer heimlichen Wildheit der Seele, die in vielerlei Kostüme schlüpft, und in manchem anderen Zug noch entdeckt man diese Verwandtschaft. Selbst zu dem ins Unkünstlerische verirrten Welti weist ein Pfad, selbst zu der Eigenbrötelei dieses phantastischen Idyllikers sind in Walsers Kunst leise Beziehungen. Und endlich gibt es eine direkte Verbindungslinie zu Hodler. Der Leser wird hier in Gedanken anmerken: wie kann man Walser mit Hodler vergleichen, den gewerblich gebundenen Ornamentalisten mit dem großen Freskokünstler! Aber gemach! In wenigen Jahren wird sich die Waage mehr als jetzt zugunsten Walsers neigen. Dieser wird heute noch unterschätzt, Hodler wird überschätzt. Hodler leidet schwer an seiner Systematik; und Walser steigt, trotz seines viel kleineren Genres, Schritt um Schritt empor, um seiner Natürlichkeit und gesunden Originalität willen. Hodlers Freskotemperament, seine Kompositionstendenz voller Größe und Kraft hat uns alle für einige Jahre überwältigt; aber dieser Ruhm ist nicht auf einem Felsen gegründet, eben weil es sich um Tendenzen handelt. Die aber sind sterblich; sie werden verdrängt von anderen Tendenzen. Was bleibt, ist die Form, die natürlich der Empfindung entfließt. Hodler leidet an seinem Parallelismus; es wird von ihm nur bleiben, was elementarisch in ihm ist. Über die Gegensätze und Verschiedenheiten hinaus aber wird man die innere Verwandtschaft der beiden Schweizer immer deutlicher erkennen. Sie berühren sich nicht nur in den alten Meistern, sondern es hat ihre Kunstform, ebenso wie ihre Sprache, denselben Heimatsdialekt. Es leben noch viele andere Geistesverwandte Karl Walsers in der Schweiz. Am nächsten steht er dem Bruder, dem Dichter der seinem außerordentlichen Talent nach berufen gewesen wäre, die Kunst Gottfried Kellers fortzusetzen. Viele Eigenheiten wiederholen sich Zug um Zug in den beiden Brüdern, die nebeneinander sich entwickelt haben und bei denen dieselbe Talentkraft nur in verschiedene Künste geleitet erscheint. Beide gewinnen in ähnlicher Weise aus dem Wirklichen, aus dem Alltäglichen eine heitere, bitter-süße Romantik, beide bestreben sich, ihren künstlerischen Ernst gefällig erscheinen zu lassen, beide sind knorrig elegant im Stil, eigensinnig und objektiv zugleich. Beide haben sie jene Zartheit, die man so oft bei den Starken und Robusten findet. Ihre Anlage ist offenbar modern schweizerisch; denn auch bei dem talentreichen Novellisten Jakob Schaffner, der ebenfalls ein Nachkomme G. Kellers ist, findet man manches davon wieder. Auch bei ihm kann man das ursprüngliche barocke schweizerische Charakterelement erkennen. Daneben gibt es dann die Beziehungen der Walserschen Kunst zu den Wahlverwandten. Die frühen Arbeiten lassen an Beardsley denken, aber ohne die Unselbständigkeit der vielen Beardsleynachahmer. Und dann zeigt sich im Hintergrund die lange Reihe der Rokokomeister und der Empire-Ornamentiker, bis zu Schinkel, wenn man im besonderen die Verzierungskunst Walsers betrachtet. In der Malerei zeigt sich der Einfluß des Impressionismus; und auch die Bühne mit ihren Ansprüchen hat bestimmend mitgewirkt.
Als man zuerst Walsers Arbeiten sah – es war vor etwa fünfzehn Jahren –, glaubte man, es handle sich um eine feine, nur artistische, fast um eine pervers raffinierte Kunst. Ich erinnere mich noch der Überraschung, als mir Walser zuerst in einer Gesellschaft gezeigt wurde. Ich hatte einen schmalen Bläßling erwartet und sah eine vollblütige, starke Gestalt, eine jener Figuren, wie Hodler sie zeichnet und die damals im Frack noch etwas unwahrscheinlich aussah. Erst allmählich ist man zu der Einsicht gekommen, daß hinter den Zartheiten der Walserschen Kunst die Gesundheit steht, daß sie die Produktivität der Fülle hat und die Leichtigkeit der wahren Lebenskraft. Daß eine große Selbstsicherheit dazu gehört, um all der modernen Lebens- und Kunstprobleme lachen zu können, und daß die Lebenszuversicht, der vitale Optimismus, die das ermöglichen, notwendig auch in jede einzelne Form übergehen müssen.
Es ist ein rechter Instinkt gewesen, der Walser nach Berlin geführt hat. Dort kam er mit einem sehr lebendigen Kunstleben in Berührung; und das hat seiner eigenwilligen Natur gut getan. Er fand Vergleichsmöglichkeiten und konnte sich entwickeln wie er mußte, nicht wie er wollte. Der Zug zum Schrulligen, zum Sonderlichen, der auch in ihm und in seiner Kunst ist, hat in Berlin nicht aufkommen können. Um so weniger, als sein Talent in der Reichshauptstadt bald lebhaft in Anspruch genommen worden ist. Die moderne Grazie eines gesunden Menschen schmeckte den Berlinern, und sie haben nicht gezögert, sie nutzbar zu machen. Und damit ergab sich nun eine Situation, die für Walsers Entwicklung wiederum günstig war. Er sah sich gezwungen, sein Talent in gewisser Weise gewerblich zu machen, es praktischen Forderungen anzupassen. Und eben danach hungerte seine Begabung. Die praktische Arbeit hat diese Begabung im Laufe eines an Arbeit reichen Jahrzehnts ausgeweitet und bereichert. Als ihm dekorative Malereien übertragen wurden, sah man, daß die ganze Kunst Walsers eigentlich eine Art von dekorativer Malerei ist. Aber nicht in dem üblichen Sinne mit der halb verächtlichen Nebenbetonung, sondern in einer neuen Abwandlung des alten Begriffs. Als an Walser die Aufgabe herantrat, Bücher zu illustrieren, zeigte es sich – und es war dasselbe, wenn er Umschlagzeichnungen machte –, daß er über das rein Typographische, über das grundsätzlich Kunstgewerbliche, dem wir in dieser Zeit als neuer Konvention überall begegnen, hinausging, daß er persönlich und künstlerisch darüber hinausging und in seine Arbeiten viel von dem freien Charme des Buchkünstlers des achtzehnten Jahrhunderts zu bringen verstand, ohne dabei in einer Linie von seiner persönlichen Art abzuweichen und unmodern zu werden. Und als ihm Aufträge von seiten einiger Theater kamen, Bühnendekorationen zu entwerfen und auszuführen, als die ganze Fülle von Prospekten, Bühnenbildern und Figurinen entstand, die wir im Laufe der Zeit kennen gelernt haben, da zeigte es sich, daß Walser schon vorher eigentlich seine ganze Kunst auf die Bühne hinaufgehoben und sie zu einer Kostümkunst voller Beziehungen zur Realität gemacht hatte. In dem Theatermaler erkennt man viel von der Eigenart Walsers. Er hat dem Theater, während er als Maler-Regisseur tätig war, das Grobe, das optisch Beleidigende genommen. Als er auftrat, kämpfte man um eine Bühnenreform. Die einen wollten die naturalistische Illusionsbühne behalten, die anderen wollten die architektonisch abstrakte Bühne unter der Herrschaft des Lichtes. Walser steht ungefähr in der Mitte dieser beiden Forderungen. Seinen Dekorationen fehlt alles brutal Illusionistische, aber sie sind auch nichts weniger als abstrakt. Um die Forderungen nach plastischen Dekorationen, nach »Stil«, nach Drehbühnenwirkungen und einem neuartigen Licht hat er sich nie groß gekümmert. Er hat in Wahrheit mehr gearbeitet wie ein Theatermaler alten Stils. Aber er hat es mit all seiner kultivierten, temperamentvollen und phantasievollen Modernität getan. Seine farbig rauschenden, architektonisch nuancierenden Dekorationen sind stets nur Andeutungen; sie fußen darauf, daß alle Theaterwirkungen auf einer vom Zuschauer willig anerkannten Konvention beruhen. Seine Bühnenbilder sind wie Skizzen und sind insofern unwirklich; sie sind wie ein Spiel mit dem Spiel. Aber in der Andeutung ist soviel Phantasie, daß der Zuschauer darüber hinaus allgemeine Stimmungen empfindet. Sie passen innerlich zu der Musik der romantischen Oper, zur leichten Unwirklichkeit oder Überwirklichkeit der Operette oder des phantastischen Lustspiels. Diese Dekorationen sind voller Klang und Reim, sie sind voller Musik. Sie singen mit, sie sprechen mit, sie lachen mit und sind gegenständlich nur wie nebenher. Insofern hat Walser etwas ganz Neues gebracht, etwas, das an seine Persönlichkeit gebunden ist. Seine Figurinen sind nicht Schneidervorlagen, sondern malerische Nuancen, poetisch und musikalisch das Spiel erhöhende Nuancen, die ihre Träger der groben Realität entkleiden. Und daneben haben sie noch einen köstlichen malerischen Eigenwert. Alle Theaterdekorationen Walsers haben etwas Lächelndes und Freudiges; sie alle geben die Illusion einer Romantik, die selbst bei Donner, Blitz und Mord noch heiter bleibt.
Und diese Fähigkeit nun, den Dingen des Theaters das Grobe und Zudringliche zu nehmen durch positive neue malerische Klangwerte, ist auch für die ganze halb gewerbliche Tätigkeit Walsers charakteristisch. Er nimmt als Typograph den Büchern das handwerklich Schwere und Grundsätzliche und macht sie leicht, ohne sie unarchitektonisch zu machen. Er versteht es als Illustrator, sich vor der gegenständlichen Ausdeutung des Buchstoffes zu hüten und beziehungsvolle Paraphrasen voller ornamentalisch übersetzter Naturbeobachtung zu geben und witzig und objektiv, originell und plausibel zugleich zu sein. Er hat als gelegentlicher Maler auf Porzellan gezeigt, wie die Tradition dieser edlen Industrie modern fortgeführt werden könnte, und hat sich mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit zwischen der freien Kunst und dem Kunstgewerbe einen Platz gesucht, den ihm dort nun streitig zu machen niemand das Talent hat. Wäre Walser nicht zur gewerblichen Arbeit gekommen und ausschließlich Staffeleimaler geworden, so hätte er problematisch werden können. Seine rein malerische Begabung hat nicht genug Fülle. Er malt jetzt seine Bilder und Bildchen nur wie nebenbei; und das ist gerade recht. So gelingen ihm Gelegenheitsarbeiten von feinstem Reiz. Zuerst hat er konventionell naturalistisch die Natur zu kopieren gesucht. Das war während der Studienzeit in Straßburg. Von diesen Jugendarbeiten ist nichts bekannt. Dann hat er, angeleitet von den alten Meistern im Museum, mit trockener, hölzerner Anmut gegenständlich stilisierte Landschaften oder Figuren gemalt. In Berlin, in Berührung mit dem Impressionismus, hat er seine Malerei dann aufgelockert, hat sie leichter, heller, farbiger und bewegter gemacht. Das beste Zeugnis dieser Wandlung sind die Berliner Kanalbilder, die Schilderung aus dem alten Ballhaus oder ähnliche Motive. Wenn man diese Art der Malerei impressionistisch nennen will, so kann man doch in jedem Fall nur von einem Impressionismus des ornamental gemachten Gegenständlichen und von einem Impressionismus dekorativ isolierter Lokalfarben sprechen, nicht von einer atmosphärischen Auflösung der Formen. Dieser Impressionismus bleibt stets zeichnerisch, er hat immer etwas Graphisches. Das bringt in Walsers Malerei die so außerordentlich pikant wirkenden Widersprüche, das gibt ihr das anmutige Paradoxe. Es gibt dann noch Bilder aus einer mittleren Periode, vor denen man gezwungen ist, an Böcklin zu denken. Denn sie sind deutlich um einer symbolistischen Absicht willen gemalt worden. Natürlich hatte Böcklin als Persönlichkeit eine ganz andere Fülle; aber Walser ist ihm in all seiner mageren, eckigen Ephebenhaftigkeit in einem wesentlichen Punkte doch überlegen. Böcklin gestaltete seine Natursymbole zu naturalistisch ausführlich, zu greifbar illusionistisch; Walser gestaltet sie in spielerischen Anmerkungen, andeutend und gibt ihnen gewissermaßen von vornherein etwas Relatives. Es ist auch hier ein Impressionismus des malerisch gesehenen Gegenständlichen, des Einzelnen. Der Frühling mit all seinen Blütentupfen ist gemalt im Kontrast zu einer verfallenen Eremitenhütte, die Sinnlichkeit der Natur im Kontrast zur grauen Sorge des aus Büchern und Theorie Erkenntnisse Schöpfenden. Das Künstlerische darin ist, daß es so unaufdringlich geschehen ist, daß das Symbolische nur wie eine gelegentliche Anmerkung erscheint. Es hat sich wie von selbst ergeben aus der dekorativen Nuancierung eines Gegensatzes. In solchen Bildern ist etwas, das man ein fröhlich spottendes Nazarenertum nennen könnte. Zuweilen benutzt Walser auch Wirkungen der Perspektive zu seinen impressionistischen Bildparadoxen. Ein junger Mann steht in einer ganz menschenleeren Straße, die sich wie ein Bild der Unentrinnbarkeit perspektivisch tief in den Raum hineinbohrt. Oder Walser sucht, ein andermal, die Perspektivwirkung einer Landschaft überhaupt aufzuheben und mit raffiniertem Primitivismus alles in die Fläche zu zwingen; oder er schildert den fast phantastischen Eindruck der von oben gesehenen Dinge. Immer weiß er in die malerischen Darstellungsmittel schon die Einbildungskraft seines Geblüts zu legen. Er zeigt die einfachsten Naturausschnitte wie etwas kostbar Einzigartiges; indem er aus dem Kopf malt, gerät es wie von selbst in einen Impressionismus seiner verliebten Erinnerungen. Darum ist in seiner Malerei immer auch das Zaghafte und Sehnsüchtige einer schamhaft zugeschlossenen Seele.
Dadurch, daß es Walser gelingt, in allen seinen Malereien eine nur ihm eigentümliche Seelenschrift zu geben, hat er auch als Dekorationsmaler, als Maler von Plafonds, Wänden und Bühnendekorationen neue Bedeutung in Aufgaben gelegt, die an sich ohne große Bedeutung sind. Er hat dem verrufenen Begriff Dekorationsmalerei seine Würde zurückgegeben. Er hat den Übergang gefunden von der Dekorationsmalerei zu dem, was heute so gern mit starkem Pathos Freskokunst genannt wird. Den Beweis hat er in Hamburg erbracht, wo er in den Vorräumen eines neuen Geschäftshauses in einer Reihe von Wandfriesen Szenen aus dem Leben des Kaufmanns gemalt hat. Die rhythmisch sich gegen das Pult lehnenden Schreiber, die rhythmisch Kisten wälzenden Hafenarbeiter sind fast wie eine lustige Persiflage auf den tendenzvoll betonten Parallelismus Hodlers. Aber eben dieses Leichte der Anlage, dieses Lächelnde der Komposition berührt wohltätig. Die Friese wollen nur dekorieren, und sie sind doch viel mehr als nur dekorativ. Sie sind in ihrer aquarelldünnen Skizzistik, in ihrem heiteren Spiel mit dem Gegenstand im Grunde doch freskenhaft gefühlt. Andere Wandbilder, zum Teil großen Formats, sind in den letzten Jahren in Berlin, Wien und in der Schweiz entstanden. Walser hat sich darum als einer der ganz Wenigen erwiesen, denen solche Aufgaben heute überhaupt gelingen. Intimer noch erkennt man Walsers Talent vor seinen Zeichnungen und Aquarellen. So gut Worte, wie graziös, leicht, gefällig usw., vor den Zeichnungen passen, so wenig drücken sie die Grenzen dieser Zeichenkunst aus. Walser zeichnet neuerdings mehr nach der Natur; das ist bei ihm ein Zeichen gewonnener Sicherheit. Die Natur bedrängt ihn nicht mehr und verwirrt ihn nicht. Jedenfalls gibt es nicht viele moderne Künstler, die als Zeichner vor der Natur so unakademisch, so persönlich und unbefangen zeichnen, die so sehr innerhalb ihres natürlich gewachsenen Stils bleiben. Auch als Zeichner bleibt Walser stets fern von allem grob Naturalistischen, von allem gegenständlich Erschöpfenden. Er ist so wenig ein Fertigzeichner wie er ein Fertigmaler ist. Und wenn die aus dem Kopf gemachten Zeichnungen von Figurinen immer aussehen, als seien es poetisch übersetzte Naturstudien, so sehen die Naturstudien aus wie aus dem Kopf hinskizziert. Diese Leichtigkeit ist nicht ohne Anstrengung erreicht worden. Ihr ist eine strenge Genauigkeit in der Frühzeit vorausgegangen, und ihr liegt ein ernstes Naturstudium zugrunde, besonders in neuerer Zeit. Es gibt Blätter früherer Jahre, in denen eine gewisse sorglose Flüchtigkeit im Detail ist; diese Schwächen scheinen nun überwunden.
Walser zeigt uns in langen Reihen gezeichneter Gestalten, wie er das Leben immer und überall zu kostümieren liebt. Unerschöpflich ist er im Erfinden neuer Verkleidungen; die Menschheit seiner Zeichnungen ist ein Karnevalsvolk, das mit sich und dem Leben Theater spielt. Unter all dem wechselnden Kostüm aber erkennt man immer auch die richtigen Menschenproportionen und eine phrasenlose Psychologie. Man denkt vor dieser Welt zeichnerischer Romantik mehr als einmal an den Engländer Sterne, den Verfasser der berühmten »Empfindsamen Reise«, den Geistesverwandten Jean Pauls. Wie dieser in all seiner romantischen Empfindsamkeit immer auch voll eines spöttischen Realismus bleibt, der bis zur Drastik geht, so ist auch in Walsers sentimentaler Zeichenkunst immer etwas naturburschenhaft Realistisches und bengelhaft Unverblümtes. Diese Mischung hat Walser zu einem vielbegehrten Illustrator und Graphiker gemacht. Er ist der Freund aller Bibliophilen. Die ironische Anmut seines Biedermeier, die naturalisierte Fülle seines Rokoko sind außerordentlich geeignet, ins Illustrative übersetzt zu werden. Um so mehr, als bei Walser ein natürlicher Sinn für das Technische hinzukommt, als er der Radierung und vor allem der farbigen Lithographie ungewohnte neue Reize zu entlocken versteht. Es zeigen sich auch hier die Vorteile seiner unproblematischen Begabung und seiner gewerblichen Interessen. Die Radierungen zu »Ninon de l'Enclos«, zum »Don Quixote«, zu den Gedichten Robert Walsers, zu »Eine einzige Nacht« und zu »Faublas«, die Lithographien zu »Leonce und Lena«, zu »Mademoiselle Maupin«, zum »Prinzen von Homburg« und zu Hauffs Märchen – das alles hat in die deutsche Graphik eine neue Note gebracht, von der man schon heute sagen kann, daß sie historisch geworden ist. Sowohl als Radierer wie als Lithograph hat Walser es mit bewunderungswürdigem Takt, Geschmack und mit unerschöpflicher Erfindungskraft verstanden, das Frühlingshafte seines künstlerischen Stils ins Technische zu übersetzen. Da ihm von den Verlegern zuerst erotisch betonte Stoffe zur Illustrierung übergeben worden sind, schien das Illustrationstalent Walsers anfangs beschränkter, als es in Wahrheit ist. Dieses Talent ist auch einer gewissen Gewalt fähig, obwohl ihm die hingebungsvollen Frauen in Spitzen und in einer Atmosphäre von Puder und Parfüm, obwohl ihm die romantischen Stimmungen der Erotik so gut gelingen. Es reiht sich Walser den besten Illustratoren mit einer eigenen Note ebenbürtig an. Seinen Büchern ist schon jetzt die kleine Unsterblichkeit sicher.
Die ist seiner ganzen Kunst sicher. Nicht die große, die internationale Unsterblichkeit; aber die kleine, in nationaler Enge, die über das nächste Jahrhundert vorläufig nicht hinausblickt. Der Ruhm Walsers wird dem eines Wiener Walzerkomponisten etwa gleichen oder dem Flotows oder Lortzings. Dieser Ruhm geht von Berlin aus und sucht in die Schweiz den Weg wieder zurück. Der Lärm des Kunstkampfes ist Walser nicht günstig. Seine zarten Melodien werden übertönt vom Geräusch der Zeit. Es ist damit aber wie in der Wirklichkeit: je weiter man sich vom unharmonischen Lärm entfernt, desto schneller verstummt er, während die reine Musik dann wieder über alles Geräusch hinwegtönt. Heute wird Walser im reformierten Kunstgewerbe nicht recht für voll genommen, allzu Eifrige nennen ihn dort einen Reaktionär; und in der Kunst schätzt man ihn auch nicht, wie er es verdient – man nennt ihn sogar einen Dilettanten. Die Zeit ist aber nicht fern, wo man einsehen wird, daß im Gewerbe ebenso wie in der Kunst mit Tendenzen und Programmen gar nichts oder doch fast gar nichts getan ist, daß es letzten Endes immer auf das Können, auf das gestaltende Talent ankommt und daß es keineswegs Lästerung ist, wenn man eine Operette unter Umständen einem schweren tragischen Musikdrama vorzieht, wenn einem ein bescheidenes aber echtes Talent, wie das Walsers, lieber ist als ein Künstlertum, das nach dem Lorbeer Michelangelos langt, dem es aber an natürlicher Gestaltungskraft mangelt.