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1880 – 1966
Hans Purrmann ist nicht nur zufällig mit Matisse eng verbunden gewesen, er ist ihm in manchem Wesenszug innerlich verwandt. Zwar tritt der Pfälzer in keiner Weise lehrend hervor, doch gibt er sich ebenso wie der Franzose aufs strengste Rechenschaft über die Bedingungen und Möglichkeiten seiner Kunst, über Art und Grad der Kunstwerke, die auf ihn wirken. Trotzdem er die Öffentlichkeit mehr meidet als sucht, nimmt er in Deutschland eine Stellung ein, die sich mit der Stellung Matisses in Paris wohl vergleichen läßt. Er ist etwas wie das Haupt einer unsichtbaren Schule, etwas wie ein Vertreter derer, die nach Liebermann, Trübner, Corinth und Slevogt gekommen sind und die die reine Malerei, die von Weltanschauungstendenzen nicht verwirrte Form und die lebendige Tradition wollen. Er wird wie von selbst zu einem Anwalt auf Grund des charaktervollen Ernstes, womit erarbeitet, und eines Kunstverstandes, den er gründlicher als die meisten ausgebildet hat. Er sucht nicht eine Rolle zu spielen, der Einfluß fällt ihm von selbst zu; er ist, nach seiner Rückkehr von Paris nach Deutschland bei Kriegsausbruch, in kurzer Zeit zu dem Ruf gekommen, den er heute genießt. Dabei hat sein Deutschtum in den Jahren, wo er neben Matisse arbeitete, nicht gelitten; es zeigt sich einmal mehr, daß sich das Nationale von selbst erhält und ausbildet, wenn nur die Arbeit wahrhaft sachlich getan wird.
Der heute Vierzigjährige hat als Sohn eines Stubenmalers das Handwerk seines Vaters erlernt. In den Sommermonaten hat er während seiner Lehrzeit praktisch gearbeitet, in den Wintermonaten hat er kunsthandwerklichen Unterricht genossen. Er hat dann einige Malversuche zu Stuck nach München gesandt und ist von diesem daraufhin als Schüler angenommen worden. Doch konnte er bei Stuck nicht heimisch werden; er verstand es nicht, den Lehrer zufriedenzustellen, er machte diesen vielmehr mit seiner Malweise so ungeduldig, daß Stuck äußerte, Purrmann verdürbe ihm die ganze Klasse, und es wäre besser, wenn er wegginge. Diese Äußerung Stucks läßt darauf schließen, daß Purrmann schon damals auf die Kollegen einen starken Einfluß auszuüben verstand, ohne ihn eigentlich zu suchen, nur durch die kritische Klarheit und fast gewalttätige Unbedingtheit seines Wesens. Er entschloß sich, die Stuckklasse zu verlassen und malte den letzten Akt, ohne auf des Lehrers Rat zu hören, wie er wollte. Als Stuck die Arbeit dann sah, war er wieder überrascht und bat Purrmann, zu bleiben. Aber es wollte nicht gehen. Von seiner Heimat aus bewarb Purrmann sich zugleich mit Weißgerber, der ebenfalls Stuckschüler war, und mit Willy Geiger um den Schackpreis. Geiger erhielt den Preis. Am selben Tage aber, als Purrmann von diesem Mißerfolg in München erfuhr, kam der damals studierende Kunsthistoriker Rintelen zu ihm und erzählte, Karl Voll habe im Kolleg gesagt, er hätte heute in der Presse einem jungen Künstler ein Kränzlein gewunden auf Grund der ausgestellten Bewerbungsarbeiten und er habe dann Purrmanns Namen genannt. Daraufhin machte Purrmann einen Besuch bei Karl Voll und dieser riet, sich mit Paul Cassirer in Verbindung zu setzen. Der junge Maler sandte nun seine Arbeiten nach Berlin, und es wurden nach einiger Zeit ein paar Bilder in der Berliner Sezession ausgestellt und zum Teil auch verkauft. Mit den Mitteln dieser Verkäufe fuhr Purrmann nach Paris. Dort lernte er in einer amerikanischen Familie Matisse kennen und trat zu ihm in Beziehungen, bevor dieser schon Bilder von ihm gesehen hatte. Als Matisse dann in derselben Familie später Arbeiten Purrmanns kennen lernte, wurde eine engere Verbindung geschlossen, und die beiden Künstler arbeiteten bis zum Kriegsausbruch zusammen.
Was Purrmann zu Matisse hinzog, war wohl dessen edler und reiner Drang, sich Klarheit zu verschaffen und die freie Klugheit, womit es geschah. Auch der Deutsche hatte von vornherein eine tiefe Abneigung gegen alles Unklare, Unlautere und nur halb Begriffene, und er wünschte nichts sehnlicher, als diesen Instinkt für das künstlerisch Rechtschaffene in Arbeitsgrundsätze zu verwandeln. Geist und Gewissen, das sind die beiden Pole seiner Natur. Zudem wollte er empfindungsmäßig dahin, wo Matisse schon stand. Er war, so kann man sagen, ein Nachfolger Renoirs, bevor er dessen Malerei kannte, er war im Denken Kolorist, obwohl er in der Münchner Atelieratmosphäre herangewachsen war, ziemlich abgeschnitten vom Atem der modernen Kunst, so daß er selbst Bilder von Liebermann erst verhältnismäßig spät kennen lernte. Nicht zufällig ist er auch nach Paris gekommen. Es war ihm bestimmt, ein Schüler der Franzosen mehr als der Deutschen zu werden und den französischen Kolorismus so zu verarbeiten, wie andere vor ihm die Kunst Millets, Courbets, Manets verarbeitet und übertragen haben. Darum ist er notwendig auch einer der Begründer jenes Kreises deutscher Maler geworden, die in Paris im Café du dôme zusammenkamen. Diese Maler wollten fast alle Ähnliches; sie wollten gute Söhne der Tradition sein, es war in ihrem Kreis die große literarische Geste verpönt, dafür sprach man um so ernster vom Handwerk und vom Können. Man begegnete sich in der Verehrung für Renoir und Cézanne. Die Maler dieses Kreises, denen Ahlers-Hestermann in »Kunst und Künstler« in Kürze die Geschichte geschrieben hat, sind 1914 nach Deutschland zurückgekehrt und nehmen nun, soweit der Krieg sie verschont hat, im deutschen Kunstleben einen bestimmten Platz ein. An der Spitze dieser durch nichts als durch eine reinliche Kunstgesinnung verbundenen Gruppe steht Purrmann. Nicht durch die Wahl seiner Genossen oder weil er Führerehrgeiz hätte, sondern kraft seines Willens, seiner Unbedingtheit, weil er das, was die deutschen Künstler im Café du dôme zusammengeführt hat, am reinsten zum Ausdruck bringt, weil bei ihm zur kritischen Einsicht und zum kultivierten Geschmack am stärksten eine vorwärtsdrängende Kraft hinzukommt, und weil er der freieste und strengste Ordner der überlieferten Kunstwerte ist.
Purrmanns Malen ist ein angestrengter Kampf um die Verwirklichung seiner künstlerischen Intentionen. Er will, wie jeder rechte Maler, das Leben wiedergeben, so stark und unmittelbar, wie er es empfindet. Das Problem, das ihn beschäftigt, ist: wie kann ich meine Empfindung vom Leben in Kunstformen fassen, die die Kraft haben, dieselben Gefühle im Betrachter wieder zu erwecken, so daß er gar nicht ausweichen kann. Daß es ein Problem für ihn ist, merkt man jedem Bild an. Die Realisierung findet nicht mit instinktiver Sicherheit und Leichtigkeit statt, wie bei Manet oder Renoir; sie kostet vielmehr einen Kampf. Selbst die freie Leichtigkeit der Skizze ist wohl ein Kind der Sorge. Die Mühe ist um so größer, weil Purrmann von seinem Kunstgefühl bestimmt wird, als vornehmstes Ausdrucksmittel die Farbe zu wählen und weil im Koloristischen schlechterdings fast alles jedesmal neu gefunden werden muß, weil das Gelingen und Mißlingen hier mehr als anderswo eine Sache der persönlichen Gestaltungskraft ist. Es gehört viel Frische und Unbefangenheit dazu, die Natur so in Farbenwerten zu sehen, wie Purrmann sie sehen will; der Künstler darf nicht im geringsten müde sein und einem konventionell gegenständlichen Sehen verfallen, wenn es ihm gelingen soll, die Farben der Natur ständig wie etwas Absolutes zu sehen. Das Wissen um die Art der Gegenstände, um die Art des Lichts oder des Schattens, erschwert es ungemein, die Farben rein und richtig zu sehen; nur der koloristisch begabte Künstler bringt die Unbefangenheit auf, alle Farben gewissermaßen zu entgegenständlichen, sie zu entlichten und zu entschatten, so daß jene farbige Essenz zurückbleibt, die nicht Eigenfarbe, aber auch nicht atmosphärische Farbe ist, sondern Ergebnis einer Phantasietätigkeit, zugleich optisch, wesenhaft und dichterisch. Lebendigste Anschauungskraft und freieste Übertragungskraft müssen eng zusammengehen, um dieses Resultat zu erzielen, sie müssen sein wie das Ein- und Ausatmen des Lebensgefühls. Mit ungemeiner Folgerichtigkeit und malerischen Kühnheit vermeidet Purrmann, indem ihm alles zur Farbe wird, die Naturnachahmung, ohne dabei ins Ideenhafte und Abstrakte zu verfallen; er versteht, alles ins Musikalische zu wenden und weiß die Natur in Gleichnissen zu geben ohne den Boden der Wirklichkeit leichtsinnig zu verlassen. Wenige Maler seiner Generation vermögen präziser zu tun, was Stuck meinte, als er einst zu diesem Schüler sagte: »Sie verstehen, die Wirkung festzustellen.« Das schließt aber nicht aus, daß der Kampf um die Realisierung manches Mal nicht zu Ende geführt werden kann. Man ist vor Purrmanns Bildern versucht zu sagen, er wolle vielleicht zu sehr die reine Kunst, er fürchte sich zu sehr vor den Imitationen, er übersteigere die Farbe zuweilen und stilisiere sie mehr als die Zeichnung. Man kann seiner Kunst als Motto auf den Weg geben, was Flaubert einmal gesagt hat: »Warum besteht eine notwendige Beziehung zwischen dem richtigen und dem musikalischen Wort? Warum kommt man immer auf einen Vers hinaus, wenn man seine Gedanken zu sehr zusammendrängt? Das Gesetz des Wohlklanges regiert also die Gefühle und die Bilder? Und was als das Äußere erscheint, ist gerade das Innere?« – Empfindungen zusammendrängen, das ist eine herrliche Kunstregel, aber auch eine, die die allerhöchsten Forderungen in sich schließt. Purrmann stellt an sich selbst diese höchsten Forderungen und – fordert manchmal vielleicht zu viel. Damit hängt auch zusammen, daß er seine Bilder oft zu weit treiben, daß er sie zu gut machen will und dabei ins Konstruierte gerät. Und noch etwas hängt damit zusammen: bei solcher Arbeitsweise muß in dem Augenblick, wo das aus dem Vollen gestaltende Gefühl erlahmt, ein anderes Kriterium einsetzen; und das kann dann nur der Geschmack sein. Nichts ist Purrmann weniger als ein Geschmäckler, sein Geschmack ist ganz männlich und ausdrucksvoll, ist nicht eine Sache der Reizsamkeit, sondern etwas sehr Innerliches, es ist verhaltenes Gefühl darin, dieser Geschmack arrangiert nicht, sondern komponiert; dennoch wird das Geschmackliche bis zum Artistischen betont, wo das Gefühl müde geworden ist. Das Leben erscheint dann durch Kultur ersetzt. Man denke auch hier an Flaubert, und man wird verstehen, wie es gemeint ist. Die Folge ist dann, daß die Bilder ein wenig wie Experimente wirken. Hinter der leichten und gefälligen Ordnung, hinter der funkelnden Schönheit der Oberfläche sieht man die formale Absicht. Darum begegnet man so oft bei ihm auch dem Stilleben und dem Interieur, Motiven, die aufgebaut werden können, wie das koloristische Begehren es will. Es erhebt Purrmann über die meisten malenden Zeitgenossen, daß es ihm ziemlich gleichgültig ist, ob man in seinen Bildern geistigen Gehalt findet, daß er vertraut, seelische Bedeutung werde ganz von selbst dort sein, wo gute Form ist, daß ein Loch in der Bildfläche ihm abscheulicher erscheint als das, was andere Ideenarmut nennen, und daß der Sinn der Bildform ihm aufgegangen ist, weil er die wichtigste Fähigkeit des Malers sein eigen nennt: immer ein Ganzes der Natur zu sehen, immer dieses Ganze darzustellen und in jedem Stadium der Arbeit darum fertig zu sein. Doch spürt man auch, daß Purrmann mit dieser Gesinnung fast allein steht, daß er ganz auf sich selbst angewiesen ist, tasten muß und zuviel zu bewältigen hat. Dieses mag Schuld sein, daß es der Malerei Purrmanns zuweilen an Stabilität fehlt. Man vermißt etwas von jener Konsistenz, die selbst noch die aufgelöstesten Bilder Renoirs haben. Auch kann es Purrmann im Drange der koloristischen Differenzierung geschehen, daß er in einem Gesicht ein Auge anders sieht als einen Mund, und daß er harte dunkle Konturlinien benutzen muß, um unklare Stellen zu verdeutlichen. Diese Schwächen verraten zumeist die Photographien. Sie geben merkwürdig falsch die Einheitlichkeit und Schönheit der Oberflächen wieder. Zum Teil liegt es daran, daß sich Farben nicht photographieren lassen, zum Teil aber liegt es auch an einer gewissen Ungleichmäßigkeit der Anschauung und Darstellung.
Die Bilder Purrmanns leuchten wie Schmuckstücke. Aber es leuchtet immer auch die Natur aus ihnen. Es ist, als hätte jedes Bild sich zum Ziel gesetzt zu beweisen, daß Schönheit und Wahrheit nicht zweierlei sind. Diese Malerei ist freudig und reich, sie berührt zuweilen das Großartige und ist in keinem Zug schwächlich empfindsam. Das Heitere ist mit strengem Sinn gestaltet. Und es ist so sehr ein Äußerstes an Wirkung erstrebt, daß nicht immer der Punkt vermieden ist, wo die Farbigkeit zur Buntheit, wo der Kolorismus, paradox gesagt, unkoloristisch wird. Doch weiß Purrmann mit sicherem Gefühl jene Gefahr zu vermeiden, der ein anderer deutscher Matisseschüler verfallen ist: er gerät nicht ins Tapetenhafte. Weil es das Leben will, will er auch den Raum. Purrmanns Zeichnung erinnert ein wenig an Degas und durch diesen hindurch an Ingres. Er deutet die Erscheinungen am besten, wenn er andeutet; wenn er, wie in manchem Bildnis, zeichnend ausführlicher wird, so erinnert er an beste französische Akademie. Prachtvoll ist immer die Oberfläche, einerlei ob er nur wie aquarellierend andeutet, oder ob er seine Bilder bis zum letzten führt. Das geistreich gefällige und doch fest gefügte Gewebe von Pinselstrichen erinnert an das edle Handwerk alter Meister. Kein anderer deutscher Maler dieser Generation hat so viel Kultur der Technik.
Die Intelligenz ist beim Künstler in Verruf gekommen. Die jungen deutschen Maler meinen, alles sei mit dem Wollen und dem Instinkt getan, sie ahnen nicht die Weisheit der Meister und wissen nicht, wie genau diese sich Rechenschaft gegeben haben. Purrmann berichtigt durch seine Art zu arbeiten diesen wohlfeilen Irrtum. Er weist darauf hin, daß ein Kunstwerk ein Organismus ist, daß es Bildgesetze gibt, die nicht ungestraft vernachlässigt werden, und daß sich Gefühl gar nicht anders als durch reine Form ausdrücken läßt. Für Purrmann ist die Form eine Kraft. Und auf Kräfte allein kommt es an, sie sind an sich sittlich. Wie sehr die formenstrenge Arbeitsweise Purrmanns eine sittliche Tat ist, wird klar, wenn man die Stellung betrachtet, die dieser Maler in der neuen deutschen Kunst einnimmt. Es weist sein Stil auf die wie es scheint allein noch lebendige Bewegungsmöglichkeit unserer Malerei, und er hat diesen notwendigen Formenwandel der Malerei in einer sehr persönlichen Weise zur Schicksalsfrage seines Talents gemacht. Mit bewunderungswürdiger Folgerichtigkeit, Gewissenhaftigkeit und Darstellungskraft hat dieser klügste und – bei sich selbst beginnend – anspruchsvollste unserer neuen Maler die Verantwortung für die Entwicklung der Malerei auf sich genommen. Mit Meisterernst gleicht er in der Stille aus, was die Leichtfertigkeit begabter, doch niemals ausreifender Lehrlinge verdirbt.