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1868 – 1932
Slevogt bereitet schwachen Beurteilern einige Verlegenheit, weil in seiner Kunst gar nichts Programmatisches ist. Nur wer es vor Bildern nicht versteht, das Auge denken zu lassen, wagt diese Kunst mit einem Schlagwort zu etikettieren. Ein lebendiges Verhältnis zu Slevogt findet allein, wer Freude an der komplizierten Kraft hat, wer sich von einer glanzvollen Vitalität fortreißen lassen mag und wer Organe für beide Arten von Phantasie hat: für die Phantasie des Auges, die Liebermann immer meint, und für jene erfindende Phantasie, die es liebt, das Leben poetisch zu inszenieren. Slevogt hat diese doppelte Phantasie in hohem Maße: zwei Absichten, zwei Kräfte sind in ihm, die sich fortgesetzt verbinden und kreuzen, die nebeneinander hergehen, auseinanderstreben und wieder verschmelzen. Er ist ein leidenschaftlicher Romantiker, den es getrieben hat, sich mit der modernen Wirklichkeitsmalerei, mit dem Impressionismus und seiner voraussetzungslosen Anschauung auseinanderzusetzen; er ist der geborene Fabulierer, der sich zur malerischen Objektivität gezwungen hat, und der, durch all seine geistige Beweglichkeit, durch all seinen Vorstellungsreichtum hindurch, die wahre Natur sucht. Trübner und Liebermann, die beide auf Slevogt gewirkt haben, sind im Vergleich mit ihm klassische Einseitigkeiten; Slevogts Wesen ist weniger grundlegend, dafür aber reicher, glänzender, es hat eine Brillanz, die ihn aufs höchste liebenswürdig macht. Er hat eine neue Art von Romantik in die deutsche Malerei gebracht, oder, wie man auch sagen kann: er hat die deutsche Romantik in einer neuen Weise malerisch gemacht.
Wesentlich ist Slevogts süddeutsche Abstammung, sein bayerisches Naturell. In seinem Wesen ist das Draufgängerische der Bayern; etwas von dem Urwüchsigen, Unzähmbaren, ja Wilden dieses Stammes wird in seiner Kunst sichtbar. Auch ist seine vollblütige Sinnlichkeit, seine fleischige Phantasie durchaus süddeutsch. Aus dieser Anlage stammt der mächtige Impuls der Slevogtschen Kunst, ihr con brio-Tempo, ihr Elan, ihre unbändige Lust an der Aktivität und ihr Erlebnishunger. Diese Anlage nun kam in die Münchner Kunstlehre, sie geriet in eine Atelieratmosphäre und in den Umkreis der Alten Pinakothek. Sie hat den Beweis der Selbständigkeit schon dadurch erbracht, daß sie den Verführungen dieser Umwelt, den Verführungen zum Dekorationsmäßigen, zu einer falschen Altmeisterlichkeit, zu einer künstlichen Romantik nicht erlegen ist. Wo ein Lenbach doch unterlegen ist, und wo für Slevogt die Gefahr besonders groß war, weil der Karnevalsgeist der Münchner Kunst auf seine unablässig inszenierende Phantasie besonders lebhaft wirken mußte. Mit gesundem Instinkt hat er sich in München, als Jüngster, zu Trübner, Uhde und Corinth gesellt. Die künstlerischen Ergebnisse dieses Umgangs sind in seinen Jugendwerken niedergelegt. Als er dann fühlte, daß München ihm auf die Dauer gefährlich werden könne, ist er nach Berlin gegangen. Dort hat Liebermann ihn beschäftigt. Manet und die Impressionisten haben ihm neue Erkenntnisse vermittelt, und er hat sich, in einigen Punkten, Delacroix und Menzel genähert. Es liegt in seiner lebendig intelligenten Natur, alles wertvoll Neue aufzunehmen, es sogleich zu verarbeiten und durch jeden Einfluß nur um so mehr zu sich selbst zu kommen. Die ersten Jahre in Berlin waren aber voller Gefahren. Zeugnisse einer reifen Jugendmeisterschaft: der »Verlorene Sohn«, die »Schaubudentänzerin«, der »Totentanz«, die »Scheherezade« und andere schöne Werke lagen schon vor, als Slevogt es unternahm, den altmeisterlich dunklen Romantikerstil aufzugeben und sich einen impressionistisch hellen Realistenstil zu erwerben. Die neue anspruchsvolle Malweise hätte die innere Vorstellungskraft leicht lähmen oder verwirren können. Man kann im Freien, im plain air der Wirklichkeit, nicht Erdachtes malen. Slevogts ungemeines Talent half sich durch eine Bereicherung: neben dem Wirklichkeitsmaler wuchs ein Illustrator heran, wie wir ihn seit dem jungen Menzel nicht gehabt haben. Der Zeichner entlastete den Maler so lange, bis dieser in der neuen Anschauungsweise sicher geworden war, und, auch heute noch, so oft es Slevogt treibt, ein Stück Natur bildnishaft darzustellen. In dieser Weise ist der Künstler seines neumeisterlichen Handwerks so gewiß geworden, daß er damit jetzt ebenso sicher dichten kann wie früher in München mit dem altmeisterlichen Handwerk. Man möchte über das Lebenswerk Slevogts, wie es vor uns daliegt, den Titel »Dichtung und Wahrheit« setzen. Diese Kunst führt den Betrachter durch Wunder und Wirklichkeit, durch die Märchenreiche der Einbildungskraft und durch die nicht weniger wunderbaren Erscheinungen der Alltäglichkeit. Dieses Doppelgesicht läßt Slevogts Kunst so reich erscheinen. Sie ist es auch der Leichtigkeit der Produktion nach. Die Fülle des in kaum zwanzig Arbeitsjahren Geschaffenen ist nur schwer zu übersehen. Da alles einzelne aber seine Qualität hat, ist dieses ein Zeichen jener natürlichen inneren Fülle, die für genialische Menschen bezeichnend ist. Da sind die großen Bilder der Frühzeit, die eben erwähnt wurden, daneben Versuche, die noch unter dem Eindruck Böcklins standen, und heftig charakterisierte Bildnisse, dann folgten Freilichtstudien, Tierbilder aus dem Zoologischen Garten in Frankfurt, viele Männer- und Frauenbildnisse, die großen Don-Juan-Darstellungen, Reiterstudien, Stilleben, Landschaften, der »Ritter im Harem«, die »Marietta«, der große Rückenakt aus dem Jahre 1905, Selbstbildnisse, eine lange Reihe von Improvisationen mit Simson-, Don-Juan-, Don-Quixote- und Karnevalsmotiven, die »Kleopatra«, der »Hörselberg«, immer wieder Bildnisse und zuletzt die Folge der ägyptischen Bilder. Dann die Illustrationen zum »Ali Baba«, zum »Sindbad«, zu Coopers »Lederstrumpf-Erzählungen«, zur »Ilias«, zum »Rübezahl«, zum »Cellini«, zum »Cortez«, zu deutschen Märchen, Liedern und Fabeln, und viele einzelne graphische Blätter. In dieser Fülle scheinen sich Erfindung und Anschauung immer zu überbieten; Wahrheit und Dichtung tanzen eng umschlungen dahin. Dieses ist es, was Slevogts Kunst so anregend macht: er sieht und erlebt alles interessant und zwingt den Betrachter zu seiner Anschauung herüber. Er macht das Wahre geistreich und das Geistreiche wirklich. Vor allen Bildern erregt den Betrachter das suggestive Schreiben mit dem Pinsel, mit der Farbe, das Slevogt eigen ist, seine ganz verinnerlichte, Geist und Anschauung gewordene Virtuosität. Faszinierend ist die Beweglichkeit dieser Kunst, ihr schneller Puls, ihre Verwegenheit, selbst gegenüber der Wirklichkeit. Sie macht die Natur geistig und prächtig, aber sie bleibt, bei aller heimlichen und offenen Romantik, sachlich. Die Poetenlust Slevogts war nie literarisch, aber von Jahr zu Jahr ist sie malerischer geworden.
Slevogts Kunst ist Spiel im edelsten Sinn. Ein Spiel, das die Welt der Erscheinungen und Vorstellungen mit divinatorischem Instinkt durcheinandermischt. Und sie ist auch dieses: eine Naturalisierung heldenhafter Empfindungen. Das Ganze dieses Lebenswerks wirkt wie ein modernes Heldengedicht. In Slevogts Geblüt ist ein Tropfen vom Blut Albrecht Dürers. Er hat jene Kunst, die man nur »aus der Natur herauszureißen braucht«, und auch jenen Sinn, der »inwendig voller Gestalt ist«. Ein heller, freudiger Glanz liegt über dem Ganzen, weil alles hervorquillt, wie es muß. Diese Kunst dient nicht programmatisch der Zeit, sondern es dient ihr die Zeit mit ihren besten Kräften. Seht hin: ein genialischer Mensch! Und all sein Menschentum sitzt immer in der Spitze seines Pinsels und seines Zeichenstifts!