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1847 – 1927
In Norddeutschland ist Adolf von Hildebrand wenig bekannt, trotzdem er der berühmteste ist unter den lebenden deutschen Bildhauern. Im denkmalreichen Berlin steht kein öffentliches Monument von seiner Hand; man muß schon Zutritt in Privatgärten erbitten, um Brunnenanlagen Hildebrands kennen zu lernen. Und in den Galerien moderner Kunst sagen einzelne Büsten und Statuen Erschöpfendes über den Künstler auch nicht aus. Nur wohlunterrichtete Kunstfreunde wissen eigentlich, wer Hildebrand ist und was seine plastischen Werke in dieser Zeit der Formunsicherheit bedeuten. Eine gewisse Unvolkstümlichkeit ist bezeichnend für den Stil Hildebrands, sie ist bezeichnend für die Wirkung einer klassizistisch strengen, wissenschaftlich reinen und formal geläuterten Kunst, die sich nie unmittelbar an das menschliche Gefühl wendet, sondern zuerst immer an die Einsicht und an das ästhetische Vergnügen, die alle Erregungen durch den Stoff oder durch wohlfeilen Glanz des Vortrags verachtet und die Sphäre einer überlegenen Ruhe nie verläßt. Populär ist Hildebrands Kunst bisher nur in München ein wenig geworden, weil er für diese Stadt eine Reihe schöner Brunnendenkmale geschaffen und den Münchnern damit ihren Wohnsitz in edler Weise repräsentativ gemacht hat. In München ist Hildebrand, getragen von der Bewunderung der Künstler, etwas wie ein Verherrlicher der Wittelsbacher geworden, ein Bildhauer großen Stils, wie man ihn den Hohenzollern und der Reichshauptstadt gewünscht hätte.
Nicht zufällig wurzelt Hildebrands Kunst vor allem im Boden Münchens. Diese Stadt ist wie ein Tor zum italienischen Süden, und Hildebrand ist ganz ein Zögling Italiens, ein Bürger des klaren und kühlen Kunstgeistes von Florenz. Er steht ebenbürtig da neben unseren großen Deutsch-Römern, neben Feuerbach und Marées. Wie diese ist er ein griechisch-italienischer Künstler deutscher Nation. In der Fremde hat er sich entwickelt, im selbstgewählten Exil ist er ein Meister geworden, und um einem hohen Formideal leben zu können, hat er die unmittelbare Beziehung zu seinem Volk lange Zeit aufgeopfert: Er ist aber insofern glücklicher als seine Genossen, als er alt genug geworden ist, um die langsame Wirkung seiner Kunst noch zu erleben, um seinen Ruf sich verbreiten und festigen zu sehen. Die Zeit gibt seinem ungemein sicheren Streben recht, sie weist ihm einen Platz über den Parteien und fällt vor seinem Lebenswerk das Urteil: eine Kunst ganz um der Kunst willen. In der Unruhe des modernen Lebens steht dieser Deutsch-Römer da mit der Unangreifbarkeit eines auf klassischem Boden Wandelnden, mit der Bestimmtheit einer ganz unproblematischen und unsentimentalen Natur und getragen vom Bewußtsein, im Besitz vollgültiger Überlieferungen zu sein. Er scheint wie ein später, durch die moderne Naturanschauung gegangener Genosse Gottfried Schadows, Christian Daniel Rauchs und anderer Bildhauer ihrer Art. Mit ihnen gemein hat Hildebrand die Liebe zur klaren, festen und ganz durchgeistigten Form, den Sinn für eine geistreiche Sauberkeit der Arbeit, der auf einen wohlgeordneten Geist schließen läßt, und die Fähigkeit, die Formen vom Modell ablesen zu können, wie sich »die plastische Natur das Bild dachte«. Nirgends ist in Hildebrands Werken ein Ungefähr. Er kann kühl und formalistisch sein, nie aber ist er verschwommen. Was immer man auch vermissen mag, es wird aufgewogen durch die phantasievolle Exaktheit der Form und durch die Lauterkeit des künstlerischen Wollens. Und diese Vorzüge bleiben, ob man nun vor Arbeiten des Bildhauers oder des Architekten Hildebrand steht, oder ob man sich mit den Schriften des Kunsttheoretikers beschäftigt. Auf allen Gebieten, die er betritt, ist dieser Mann souverän. Die renaissanceartige Vielseitigkeit aber hat sich aus dem Kunstgefühl wie von selbst ergeben. Kein anderer Bildhauer faßte die Skulptur gefühlsmäßig – nicht absichtsvoll – so architektonisch auf, keiner vermochte das Plastische so lebendig aus Bauformen zu entwickeln, und keiner hat sich dann auch so scharf Rechenschaft gegeben über jeden Schritt, über das Warum alles künstlerischen Arbeitens. Es war nur folgerichtig, daß der Bildhauer zum Architekten wurde, und daß aus der Praxis die Theorie lebendig hervorsprang. Diese Vielseitigkeit, die mit den Universalinstinkten des Dilettanten oder des literarisch empfindenden Künstlers in keinem Punkt zu tun hat, weist auf die Kraft hin, der Hildebrand, neben seinem eingeborenen Talent, seine Bedeutung verdankt: auf eine Bildung im höchsten Sinne des Wortes, auf eine produktive Bildung, die sich auf allen Punkten, wo sie das Konkrete schafft, in ein klassisch beherrschtes Handwerk umsetzt. Diese Bildung hat die Persönlichkeit harmonisch gemacht und hat sie Beschränkung gelehrt. Indem sie sich mit einem ursprünglichen Talent verband, entstand das Vorbildliche. Das zeigen die präzis gearbeiteten, aber immer groß angelegten Marmorbüsten, die monumental modellierten Bronzeköpfe und die Terrakottabüsten, die sich in einigen Fällen zur Höhe berühmter Renaissancewerke erheben; es zeigen die mit zwar eklektisch gebildetem, aber ganz reifem Raumgefühl gearbeiteten Reliefs und die mit unmittelbarem Leben erfüllten antikischen Statuen, es zeigen Denkmale wie der Bremer Bismarck, der mit edelstem Situationsgefühl in die Domtreppe hineingebaut ist, und die vielen Brunnenanlagen, Schmuckbänke, Mausoleen und Entwürfe für Gesamtarchitekturen. Es zeigt vor allem auch die kleine, aber gewichtige Schrift vom »Problem der Form«. In diesem Buch, worin Hildebrand Rechenschaft gibt über seine Art zu arbeiten, wird es deutlich, wie er den Dingen auf den Grund geht. Er hat mit diesem Bändchen den Deutschen eines jener Bücher geschenkt, die eine ganze Zeit orientieren. Wenn es ums letzte geht, kann keiner so fruchtbar über Kunst schreiben wie der Künstler selbst; denn er schreibt aus der Erfahrung und aus dem Handwerk heraus, er denkt ein Erlebnis und erlebt seine Lehre mit seinem Blute. Künstler, die sich der Führung dieses Buches vom »Problem der Form« anvertrauen, sind nie betrogen und können gar nicht irregeführt werden, denn sie lernen daraus, was in den großen Zeiten der Kunst von Hand zu Hand in den Werkstätten weitergegeben wurde und was heute verloren wäre, wenn nicht eben Männer wie Hildebrand es lebendig erhielten: das Arbeitsgesetz der Form.
Innerhalb seiner freigewählten Beschränkung ist Hildebrand ein Muster. Man kann nicht charaktervoller Lehre und Leben verbinden. Man kann als ein auf die Nachfrage angewiesener Künstler nicht unbeirrter ein richtig erkanntes Ziel verfolgen und unabhängiger dastehen in der Unruhe der Zeit. Selbst gegenüber dem größten Vertreter einer impressionistisch erregten Plastik, dem Franzosen Rodin, behauptete sich Hildebrand mit einer gewissen Überlegenheit, weil er die architektonische Ruhe für sich hat. Freilich bringt eben dieses Architekturprinzip in seine Plastik auch eine gewisse Unbewegtheit, dergestalt, daß es in dem Lebenswerk Hildebrands nicht eigentlich eine Jugend und ein Alter gibt und nicht eine Entwicklung durch Tiefen und über Höhen. Hildebrand war früh schon ein Fertiger, und es geht seine Kunst in stolzem Gleichschritt durch die Jahrzehnte dahin. Es ist die Kunst eines Kontrapunktisten von vielen Graden, es ist das Lebenswerk eines Weisen der Kunst; schweigend deutet dieses Lebenswerk auf das Wesentliche hin und kritisiert nur durch sein Dasein alle Unordnung und Willkür.
Von der Nachwelt wird Hildebrand wahrscheinlich nicht anders eingeschätzt werden wie von den Kennern unserer Tage – weder höher noch tiefer. Volkstümlich wird seine Kunst nie sein. Die feine klare Kälte darin wird stets die Vertraulichkeit und leidenschaftliche Teilnahme fernhalten, und immer wird zwischen Werk und Betrachter eine unüberbrückbare Distanz sein. Man wird von dem Künstler mehr mit Achtung als mit Liebe sprechen. Seine Werke werden in unseren Museen dauernd auf Ehrenplätzen stehen, die Menge wird achtlos daran vorübergehen, aber die wenigen, die bewundernd davor verweilen, werden die für die Kunst wesentlichen Menschen sein.