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Rudolf Großmann

1882 – 1941

siehe Bildunterschrift

Rudolf Großmann, Winterlandschaft.

Großmann hat manches Jahr vor dem Krieg in Paris gelebt. Er kam dahin aus München, wo er, wie es scheint, die übliche Malerlehre ohne sichtbaren Erfolg absolviert hat. Er war, als er in Paris anlangte, kaum noch Maler; denn er zweifelte stark an seiner Begabung und begann nach einer anderen Tätigkeit auszuschauen. Erst der lebhafte Zuspruch Pascins, der Zeichnungen von ihm sah und der sich in der Folge seiner freundschaftlich angenommen hat, gab ihm das Selbstvertrauen zurück. Der Zuspruch – aber auch das Beispiel Pascins. Ohne dieses Beispiel hätte Großmanns Zeichenkunst sich gewiß nicht entwickelt, wie sie es getan hat. Durch Pascin aber kam Großmann mit der französischen Kunst überhaupt wohl erst in näheren Kontakt. Vor allem natürlich mit jenem französischen Künstler, von dem Pascin selbst seine Art ableitet: mit Toulouse-Lautrec. Die Fähigkeiten des jungen Deutschen müssen sich damals schnell und schön entfaltet haben. Seine Begabung ist so geartet, daß sie viele Anregungen aufnehmen und verarbeiten kann, daß sie, wie im Vorübergehen, aus andern Kunstwerken Wesentliches zu lernen vermag; und andererseits versteht es Großmann, wie wenige andere Künstler, mit naivem Egoismus Kunst und Leben zu verbinden, aus der Arbeit einen Genuß zu gewinnen, und aus dem Genuß Impulse der Arbeit abzuleiten. Diese letzte Fähigkeit vor allem hat von je der flüchtigen Zeichenkunst Großmanns den Reiz gegeben. Freilich hat sie den Zeichnungen zugleich auch etwas allzu Gelegentliches gegeben. In seinen Schwarz-weiß-Arbeiten wirkt der Künstler immer mehr oder weniger wie ein junger Mann, der noch stark in den Bummeljahren ist, der nur wie im Vorübergehen, wie während des Promenierens zeichnet und dessen Talent sich darum sehr ungleich gibt. Beim Betrachten der Zeichnungen sieht man Großmann genießenden Auges durch Vorstädte schlendern, sich auf Rennplätzen, in Varietes, in Cafés und anderen zweifelhaften Orten aufhalten, man sieht, wie er sich die Romantik – eine tendenzlose soziale Romantik – der Rummelplätze, der rauchigen Vergnügungslokale, der Landschaften an der Großstadtperipherie entdeckt, wie er mit naivem Wahrheitssinn in proletarischen Erscheinungen den Formenzusammenhängen des Grotesken und des Schönen nachgeht und wie er es versteht, mit häßlichen Dingen wahrhaft künstlerisch zu spielen. Der Zeichner versteht es, eine bitter-süße Stimmung zu dichten, worin die Großstadterscheinungen reizvoll und selbst graziös anmuten, ohne daß sie an innerer Wirklichkeit verlieren. Dabei zeigt er stets einen schönen Sinn für das Räumliche; um die Dinge, die er darstellt, ist Luft, in ihnen ist Bewegung, und dahinter ist das ganze unendliche Leben. In dieser Weise ist der Zeichner Großmann ein eindringlicher Illustrator zuerst von Paris, dann von Berlin, endlich auch vom Münchner Leben geworden. Überall hat er sich schnell akklimatisiert; auch in Deutschland hat er von vielen Seiten Anregungen zu nutzen und zu verarbeiten verstanden, er hat sich leicht im Kreise der Sezessionisten bewegt und hat mit einem Blick oft Entscheidendes für sich gewonnen. Das Resultat ist ein Stil der Darstellung, woraufhin sowohl die Impressionisten wie die Expressionisten den Künstler für sich in Anspruch nehmen könnten. Auch seinem Alter nach gehört Großmann beiden Schulen an; und ebenso der künstlerischen Herkunft nach. Weder Pascin noch Toulouse-Lautrec sind reine Impressionisten; sie sind viel zu sehr Zeichner, um es sein zu können. Und Großmann hat begonnen, in ihrem Sinne zu arbeiten, er hat, wie sie, gezeichnet, um sich die verwirrende Fülle der Eindrücke geistig zu unterwerfen, um sie auf Grundbegriffe zurückzuführen.

In Paris gehörte Großmann dem Kreise des Café du dôme an. Von diesem Kreis neuerungslustiger Schüler der Klassiker des Impressionismus hat der selbst diesem Kreis angehörende Hamburger Maler Friedrich Ahlers-Hestermann einmal wunderhübsch in »Kunst und Künstler« erzählt Jahrgang XVI, Seite 369 und folgende. und dabei auch ein paar treffende Worte über Großmann gesagt. Er schreibt: »Das andere, das Böse, das Toulouse-Lautrechafte vergißt er (Pascin) oft ganz, wenn er malt. Nicht so Großmann, der seine Schärfe gegenüber der Häßlichkeit moderner Großstadt-Eckigkeiten immer behält und in dessen Werk das Gewimmel weiblicher Rundungen und der Hauch von zärtlicher Achtzehnter-Jahrhundert-Stimmung gänzlich fehlt. Großmann war nach Paris gekommen als einer, der nicht wußte, was er war, noch was er wollte. Pascin trug durch Beispiel und Wort, aber ohne die geringste Lehrmeister-Nuance dazu bei, daß Großmann zu seiner sehr eigenen Art kam, zu diesen nicht halb so sorgfältig wie Pascins gemachten Blättern, auf denen sich die grotesken Glieder der Bürger und zweifelhaften Subjekte bei den Fortifikationen oder in den öffentlichen Parks am Rande der Stadt ergehen. Großmann war damals natürlich noch völlig unbekannt in Deutschland, während es jetzt schon allerhand Leute gibt, die den Stil seiner glänzenden kleinen Sachen flott industrialisieren. Denn hier hatte man expressionistische Stilelemente, die der glückliche Erfinder gar nicht ausbeutete. Er war immer ohne Programm, durchaus Improvisator, und selbstironisierender Widerspruch gegen die Versuche der Bewunderer, ihn in den Zeitstil einzuspannen, klingt aus den Worten, die er vor einer frühen Landschaft von Renoir äußerte: »Eigentlich wundervoll, der Impressionismus, schade, daß man es jetzt nicht mehr darf.« Er hat herrliche kleine Landschaften gemacht, die freilich in dem Meere von Ölfarbe unserer alljährlichen Ausstellungen bedrohlich genug umbrandet werden. Aber wer ein Auge für Farbe hat, wird ihre Zartheit und Fülle entdecken. Und wiederum fällt einem Bonnard ein, nicht als ein Vorbild Großmanns, sondern als verwandtes Talent, ein Talent, das es sich leisten kann zu spielen, ohne oberflächlich zu werden.«

siehe Bildunterschrift

Rudolf Großmann, Im Tiergarten, farbige Zeichnung.

In Großmanns Bildern ist etwas ironisch Altmeisterliches. Vermischt mit einer eigenwilligen Ängstlichkeit und Zurückhaltung, die der Malerei eine biedermeierliche Note verleiht. Einige seiner Gebirgslandschaften haben etwas von der Naivität der Öldrucke, etwas Kindlich-Unbeholfenes – und zugleich immer doch auch viel Raffinement. Die Farbe ist dünn aufgetragen, zuweilen nur wie getuscht, doch erhebt sich die Malerei nicht selten zum Koloristischen. Immer spürt man, daß ein Zeichner malt. Doch hat der Zeichner viel Malertalent. Er ist zeitweise in Renoir verliebt gewesen. Auch als Maler ist Großmann Gelegenheitsarbeiter, Improvisator und Spaziergänger. Darum bleibt er immer auch beim kleinen, leicht transportabeln Format. Man merkt es jedem Bildchen an, daß es ihm Spaß gemacht hat, zu malen, und daß er gleich aufgehört hat, als es ihm nicht länger Spaß machte. Großmann ist keiner von denen, die mit der Form ringen. Er nimmt es sehr ernst. Aber sein Ernst ist in keiner Weise verbunden mit der »eisernen Selbstdisziplin«; der Ernst äußert sich darin, daß nie mehr und nie anderes gesagt wird, als das, was Großmann mit seinen Überzeugungen von guter, geschmackvoller Kunst vereinigen kann. Darum ist er auch sparsam in der Produktion (was in diesem Fall ein gutes Zeichen ist), er arbeitet nur, wenn er Lust hat. Das gilt auch für den Graphiker. Viel Umstände und Mühe macht er sich nicht mit der Radierplatte. Vorsichtig und anmutig, schmeichelnd und spottend zieht er die dünnen Umrißlinien der Körper und tuscht die Blätter dann leicht mit etwas süßen, etwas bunten, immer aber reizvollen Farben hauchartig leicht an. Auch hier schwankend zwischen dem Grotesken und dem Graziösen. Das Groteske glaubt man nicht so recht, das rücksichtslos Charakterisierte erscheint nicht selten übertrieben, absichtsvoll und absonderlicher, als es nötig wäre. Und das Graziöse, vor allem in den schlanken bekleideten und nackten, immer in reizender Weise erotisch betonten Mädchengestalten, nähert sich nicht selten dem rokokohaft Süßlichen. Dennoch ist die Mischung sehr persönlich, sehr fesselnd, und schließlich auch überzeugend. Am überzeugendsten ist Großmann als Graphiker und Zeichner vielleicht, wenn er ein wenig »kitschig« ist. Er fürchtet aber wohl diese Kitschigkeit und charakterisiert heftig, um ihr auszuweichen. Mit Unrecht; denn er gibt sein Bestes in einer schmeichelnd zärtlichen Verliebtheit. Junge Mädchen, deren verlegene Schönheit ihn gereizt hat, gelingen ihm besser als häßliche alte Frauen oder heftig zerfurchte Männerköpfe. Er ist nun einmal eine Genießernatur, ist es auch als Künstler. Genießend gelingen ihm hübsche kleine Melodien. Nichts ist er weniger als Revolutionär. Jeder Versuch, es zu scheinen, rächt sich durch eine gewisse Formlosigkeit. Nicht nur biographisch genommen ist er der Enkel eines alten Malerfamilie, er ist in jeder Weise ein Enkel, in ihm ist noch etwas deutsches achtzehntes Jahrhundert lebendig geblieben. Etwas zynisch, etwas sentimental, voller Ironie und Anmut, elegant, ohne jede Heroenpose, geistreich, drollig mit einer gewissen dekadenten Säure, sehr klug und naiv wie ein »enfant terrible«. Was er ist und wie er ist, das ist recht gut formuliert in einigen Sätzen, die er selbst einmal über sich geschrieben hat: »Die große Ewigkeitsgeste liegt mir nicht. Ich zeichne nicht um Ruhm, sondern weil meine Launen mich dazu zwingen, und ich hoffe, wenn auch nicht mehr, so doch immerhin den Deutschen das Schauspiel gegeben zu haben, wie menschliches Gebahren auf spielerische Weise und mit jener Eleganz, die nichts wichtig nimmt, aber dennoch Wesentliches und Letztes zu ergründen sucht, offenbart werden kann.«

siehe Bildunterschrift

Rudolf Großmann, Bildnisstudie.


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