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1855 – 1928
Es ist ein dauernd schmerzlicher Konflikt für den Schriftsteller, den Anlage und Neigung bestimmen, Werke lebender Künstler zu Studienobjekten zu machen, daß er an die Wirkung seiner Worte auf den Künstler nicht denken darf, daß er Kunstwerke betrachten muß, wie der Forscher die Naturorganismen, wenn er auf Grund einzelner persönlicher Kunstwerke das Wesen der überpersönlichen Kunst als Ganzes zu erkennen sucht, daß er im Künstler also nur ein Werkzeug zu sehen hat, ein zulängliches oder unzulängliches. Der Künstler empfindet es als Kränkung seiner Würde, wenn er, der ganz Persönlichkeit ist, sachlich und relativ betrachtet wird; der Schriftsteller aber sinkt gleich auf die Stufe eines banalen Lobredners oder Tadlers herab, wenn er das Überpersönliche nicht wenigstens hinter dem Persönlichen sucht.
Am meisten fordert zu dieser exakten Untersuchungsweise die Gattung des Talents auf, die Leopold von Kalckreuth verkörpert. Denn man kann sich für das, was er und die seiner Art hervorbringen, wohl erwärmen, nicht aber begeistern, man kann sich nicht rückhaltlos hingeben, sondern muß versuchen, die Werke einzuordnen, man wird nicht überwältigt, sondern zur sachlichen Untersuchung angeregt. Sehr leicht schreibt man gerade über die Kunst Leopolds von Kalckreuth so, als sei der Künstler mehr ein Werkzeug der Kunst als eine lebendige, menschlich prächtige Persönlichkeit, wie es doch der Fall ist. Es bittet beim Schreiben darum eine innere Stimme leise gerade diesen Künstler um Entschuldigung wegen des Versuchs zu einer Objektivität, die der Imperativ der Pflicht doch fordert.
Es gibt verhältnismäßig viele Schauspieler, die Schauspielerkinder sind, die also von frühester Jugend an in der Atmosphäre der Bühne herangewachsen sind. Da ist es nun charakteristisch, daß erblich Begabte fast immer gute, ja vortreffliche Schauspieler werden, daß die eigentlich genialen Temperamente in ihren Reihen aber nicht gefunden werden. Die großen Ursprünglichen wachsen fast immer aus dem Laienelemente hervor. Ähnlich ist es innerhalb der Malerei. Man wird in der Kunstgeschichte unter den ganz ursprünglichen Malern nicht viele Malersöhne finden. Aber man wird unter diesen des öfteren die ruhige Tüchtigkeit finden, wie Kalckreuth, der Sohn des Schirmerschülers und späteren Weimarer Kunstschuldirektors Stanislaus von Kalckreuth, sie mit seiner Künstlerpersönlichkeit verkörpert. Ruhige Tüchtigkeit, das ist der Charakter von Kalckreuths Malerei. Wenn es im heutigen Deutschland eine Malerei gibt, die man, ohne jeden üblen Nebensinn, eine Kunst der mittleren Linie nennen darf, so ist es die Leopolds von Kalckreuth. Es ist in seiner Malerei die Lehre des Vaters und der Weimarer Kunstschule, es ist ein Einfluß von dem der belgisch-holländischen Kunstgrenze naheliegenden Düsseldorf darin, sie ist durch München, Karlsruhe, Stuttgart und wieder durch Weimar gegangen, hat sich mit Thoma und Liebermann, mit der Heimatkunst und dem Impressionismus zugleich auseinandergesetzt, hat von allen Seiten die Eindrücke aufgenommen, und Auseinanderstrebendes gelassen vereinigt. Aber sie ist dabei nicht physiognomielos geworden; im Gegenteil: das Resümieren ist ihr wesentlicher Zug. Kalckreuths Talent ist durch diesen, sein ganzes Leben beherrschenden Willen zu einem charaktervollen Kompromiß nicht entartet, sondern er hat sich an diesem Willen erst entfaltet, weil es die eingeborene Bestimmung dieses Künstlers ist, ein Mittlerer, ein Vermittler, ein Beruhiger von Gegensätzen zu sein. Seine Mission ist es gewesen und ist es noch, der modernen Kunst Vertrauen zu gewinnen, den Radikalismus sozusagen nationalliberal zu vertreten. Und diese Mission erfüllte er, wie kein anderer es könnte, durch seine ein größeres Publikum für die neuen Lebensideen gewinnende, populäre und doch gesinnungsstrenge Kunst, durch die Konzilianz und Würde seiner an führender Stelle stehenden Persönlichkeit, ja durch seine prachtvolle Erscheinung sogar und durch seine soziale Stellung. Was das Publikum den Radikalen, den neue Werte Prägenden nicht glaubt, das glaubt es seiner Malerei und seiner Person: ein lebendiges, phrasenloses Deutschtum. Darum war es eine glückliche Wahl, als dieser Maler zum ersten Vorsitzenden des Deutschen Künstlerbundes gemacht wurde. Er mag malen oder sprechen, handeln oder nur in seiner hünenhaften Größe und Männlichkeit dastehen: immer überzeugte er jene Schwankenden, die zu gewinnen das politische Ziel dieses Bundes war. Denn er hat nicht die Differenziertheit und genialische Problematik des ursprünglichen Talents, das sich scheinbar in Widersprüchen vorwärts bewegt, das den Laien ängstigt, verwirrt und ärgert. Es ist Verlaß auf ihn und auf seine Malerei.
Kalckreuth steht als Maler ungefähr zwischen Liebermann und Thoma, aber hinter beiden zurück. Nicht weit entfernt von Uhde. Seine Natur zieht ihn zu einer Heimatsliebe, wie Thoma sie bekundet, zur lyrischen Enge und zur gedankenseligen Beschaulichkeit; seine Intelligenz und Einsicht aber ließen ihn andererseits über die engen Horizonte hinausblicken und die eine ganze Welt bewegende Idee der neuen Malerei wahrnehmen. Dem Eigenbrötler kommt die klare Vorurteilslosigkeit des adeligen Weltmannes zugute. Drei Elemente sind in Kalckreuths Kunst in einer ganz persönlichen Weise verschmolzen: das bäuerlich Idyllische, das vornehm Weltliche und das international Moderne. Nicht Berechnung hat diese Teile verbunden, sondern die innere Natur des Künstlers hat es getan, weil sie es ihrem Wesen nach tun mußte. Man lernt, im Anblick dieser Künstlerpersönlichkeit, darauf zu merken, wie die Natur in ihren Geschöpfen verfährt und wie sie die Kräfte zu mischen imstande ist. Ihr Wille war in diesem Fall, aus einem Menschen, in dem eine starke Empfindungskraft und ein unendlich reiner Wille zur Kunst waren, der die Einsicht für das Echte hatte und starke Anlagen für das Handwerk der Malerei, das höchst Mögliche zu machen. Zu überwinden war dabei dieses: daß Kalckreuth wenig Phantasie hat. Wenig von jener Phantasie nämlich, die gestaltende Kraft ist, die darin besteht, gesehene Natur in eine ganz neue und doch allen verständliche Bilderschrift zu übersetzen, die Natur in der Malerei nicht abzuschildern, sondern sie nachzuschaffen und die Anschauung bis zur genialen Vision zu steigern. Liebermann hat von dieser Gabe viel, Thoma manches, Kalckreuth nur wenig. Um das zu regulieren, suchte der Künstler instinktiv nach Ersatz. Er fand ihn einerseits, indem er die fehlende Formphantasie durch eine reine Innigkeit für die Gegenstände ersetzte: das machte ihn zum Heimatskünstler und ländlichen Idylliker; er fand Ersatz andererseits in einer edlen Hingabe an die Resultate des Impressionismus, in seinem Willen zur Sachlichkeit und Phrasenlosigkeit, kurz in einer vornehmen Malergesinnung: das machte ihn zu einem modernen Künstler, der eine international verständliche Sprache spricht. Beide Kräfte seines Wesens, der Wille zur Enge und zur Weite, suchen sich beständig zu durchdringen. Einmal fördern sie sich gegenseitig, und es gelingt das wahrhaft schöne Werk; dann aber hindern sie sich auch wieder, und es entsteht etwas Neutrales. Man kann es auch so ausdrücken: es streiten in Kalckreuths Malerei Kontur und malerische Aufgelöstheit. Wir sehen einen Zeichner der Anlage nach, der sich zwingt gut zu malen. Einen Zeichner der Anlage nach, weil er die Dinge einzeln und in ihren Gruppierungen persönlich liebt, fast wie ein Illustrator, und weil es ihn treibt, sie der Natur zeichnend nachzumodellieren. Im rechten Moment aber denkt er immer auch an die Atmosphäre, die um die Dinge gebreitet ist; und so entsteht etwas wie gegenständliche Plastizität en plain air. Die geniale Kälte der Impressionisten, ihre Fähigkeit, das ganze Leben der Erscheinung relativ zu nehmen: dies fällt Kalckreuth am schwersten. Seine Malerei ist gewissermaßen wie eine vorurteilsfreie moderne Weltanschauung, die instinktiv vom altüberlieferten Christenglauben durchsetzt ist.
Aus diesem Zusammenhang ist es zu verstehen, daß das weitaus Beste, was Kalckreuth gelungen ist, die Bildnisse seiner Frau sind. Überhaupt die Bilder, bei denen sein Herz, sein gutes Menschengefühl am meisten beteiligt waren. Denn ihn ergreift nicht nur der Schein der Dinge, sondern auch, was sie bedeuten. Was sie ihm bedeuten. Darum gelingt es ihm am besten, was ihm am meisten bedeutet. Insofern gleicht er manchem alten primitiven Meister, der mehr ein außerordentlicher Handwerker als ein Künstler war, dem es aber mit dem exakt beherrschten Handwerk, mit einer gottergebenen Sachlichkeit, möchte man sagen, oft gelang, Darstellungen beseelter Menschlichkeit von einer Tiefe zu geben, daß wir wie vor Offenbarungen stehen. Es gibt Bildnisse der Gräfin Kalckreuth, die in ihrer stillen, phrasenlosen Unscheinbarkeit und Menschlichkeit, in der klaren Durchdringung des Charakters in diesem Sinne etwas Ergreifendes haben, etwas Altmeisterliches. An seiner Hingabe wächst der Künstler zu einer gewissen monumentalen Vertiefung empor. An derselben Eigenschaft, die ihn andererseits heimatskünstlerisch beengt. Also ist es doch wohl nicht so sehr die Art der Gefühlskraft, was zu einer starken Kunst führt oder davon zurückhält, sondern mehr der Grad. In demselben Maße wie Kalckreuth von seinem Modell im Innersten bewegt wird, bewegt er uns mit seiner Malerei. Das erklärt auch die Wirkung, die von der Gestalt der schwangeren Schnitterin etwa ausgeht, die mit schweren, müden Schritten durch das reife Korn dahinschreitet. Es ist der Zug des Herzens, der Kalckreuth in diesem Fall soziale Stimmungen und Millets Nähe hat suchen und finden lassen. Eben um eines solchen Empfindungsgehalts willen erinnert man sich immer wieder auch jener drei Bilder, auf denen dieselbe alte Dame auf der Veranda und im Zimmer dargestellt ist. Nach einer andern Richtung spürt man die innere Ergriffenheit dann wieder vor einer Landschaft wie »der Hamburger Hafen«. Die Impression ist in diesem Fall einmal ein ursprüngliches Erlebnis für Kalckreuth geworden, es ist der Hand gelungen, dem Ablauf der Erregung, der inneren Betroffenheit schnell und gewandt nachzueilen. Aber neben solchen Stunden des Gelingens stehen immer dann auch Tage, wo die Malerei mehr pflichtgemäß als temperamentvoll ausgeübt zu sein scheint. Die Pflicht ist immer vollständig getan, so gut der Künstler es gerade vermochte; aber Pflichtleistungen läßt man nur Gerechtigkeit widerfahren, man liebt sie nicht.
Bezeichnend ist für den Künstler seine ständig bekämpfte Neigung zum Genre. Der Instinkt treibt zum Genrehaften, wie er zum Heimatskünstlerischen lockt; aber der Verstand, die gute Kunstgesinnung gebieten auf bestimmten Punkten Einhalt. Man würde diese Neigung, wenn nicht sonst, schon aus einigen Bildertiteln ersehen können. Jene schwangere Schnitterin im reifen Korn hat Kalckreuth »Sommer« genannt. Das ist fast schon symbolisch. Und ein Titel wie »Fahrt ins Leben« (eine gebückte alte Frau, die einen Kinderwagen zieht) ist es ganz und gar. Hier ist ein Punkt, wo Kalckreuth sich mit einer Seite seines Wesens der Programmkunst nähert. Wie für dieses symbollüsterne Genre denn auch ein zu großes Format bezeichnend ist.
Die Mischung in seinem künstlerischen Wesen mußte Kalckreuth notwendig zu einem beliebten Porträtmaler machen. Als Porträtist hatte er vor allem die vom Publikum mit Recht geschätzte Tugend, ähnlich zu malen. Seine Bildnisse sind immer sachlich und stets vornehm. Sie sind nicht des Künstlers, nicht der Technik, der Virtuosität, der Farbe oder der Zeichnung wegen gemacht, sondern der dargestellten Personen wegen. Das heißt: sie sind ohne alle Eitelkeit gemacht. Das ist ihr Vorzug. Ihr Nachteil ist, daß es ihnen nicht selten an malerischer Phantasie fehlt. Zwischen den Bildnissen der Gräfin Kalckreuth und einigen der in der Hamburger Kunsthalle befindlichen mehr repräsentativen Porträts ist ein großer Abstand. Und doch hat der Maler in jedem Fall so gut gearbeitet wie er konnte. Diese Ungleichheit des inneren Vermögens: das eben ist bezeichnend für Kalckreuths resümierende Begabung.
Eine Künstlernatur alles in allem, die am besten vielleicht umschrieben ist, wenn man sagt, daß Kalckreuth ein ausgezeichneter Lehrer gewesen sein muß. Art und Entwickelung vieler seiner Schüler bezeugen es. Einer jener selbstlos wertvollen Menschen, die neidlos genug sind, dem Schüler Ziele zu weisen, die sie selbst nicht oder nur in Augenblicken erreichen konnten. Ein Edelmann, der das Noblesse oblige auch in die moderne Malerei hinübergetragen hat, ganz Geradheit, Zuverlässigkeit und Vornehmheit. Bedingt in allem, was Temperament und elementarische Gestaltungskraft betrifft; unbedingt aber in allem, was mit Ernst, Sachlichkeit, nobler Gesinnung und heller Einsicht zu leisten ist.