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1883 – 1970
Unter den Maximalisten der neuen Kunst spricht man nicht mit höchster Wertschätzung von den Arbeiten Heckels. Denen um Nolde und Schmidt-Rottluff, um Kandinsky und Chagall ist er zu zahm, zu sehr gesättigt mit Überlieferung, zu wenig programmatisch. Sie wittern in Heckels Kunst noch etwas Bürgerliches. Die Bürger aber wollen von Erich Heckel auch nichts wissen; sie greifen sich an den Kopf und stöhnen: um Gottes willen! Beide Symptome beweisen an sich nichts, regen aber doch zu näherem Hinsehen an, ob hier, zwischen den Tendenzen, nicht eine Persönlichkeit heranwächst. Und so erweist es sich in der Tat. Beschäftigt man sich, wenn nicht liebevoll, so doch gewissenhaft, mit den Malereien und mit den Schwarz-weiß-Arbeiten Heckels, so entdeckt man einen Menschen, der es wert ist gekannt zu sein, der mehr ist als der Angehörige oder Führer einer Richtung, dem sein Menschentum in entscheidender Weise zum Quell der Form wird.
Am unmittelbarsten wirkt Heckel mit seinen Bildern. Er wirkt durch etwas stark Klanghaftes darin, durch die schöne menschliche Liebenswürdigkeit einer fast rauschhaft sich äußernden Lyrik, durch eine sinnlich reiche Feierlichkeit, die echt genug ist, um der Wahrheit nicht ausweichen zu müssen. Weniger unmittelbar wirkt der Zeichner und Graphiker, dieser erscheint abhängiger und weniger selbstsicher. Es ist, als bedürfe das Talent Heckels einer gewissen Größe des Formats, der Fülle, die ohne weiteres mit der Maltechnik verbunden ist, und des Glanzes, den die Farbe verleiht. Ohne daß man darum aber von einem starken Maltalent sprechen könnte. Heckel ergreift den Betrachter am stärksten und unmittelbarsten, wenn er seine Empfindungen dichterisch dahinströmen läßt, und dazu eben bedarf er der Farbe. Dann entstehen romantische Schönheiten, die sich der Erinnerung fest einprägen – was immer ein gutes Kriterium ist. Von Sehnsucht verklärte Schönheiten, gleichnishaft und mit Bedeutung beschwert.
Bezeichnend für das Künstlertum Heckels sind die in den Bildern, Zeichnungen und Graphiken immer wiederkehrenden Motive, die in wechselnder Form das Phänomen der Spiegelung behandeln. Eins der schönsten Bilder heißt »Gläserner Tag« und stellt dar, wie eine rosig erglühende Wolke sich mit dem ganzen lichterfüllten Himmel in einer felsigen Meeresbucht spiegelt. Ein anderes »Meerbild« zeigt die Spiegelung eines hohen, von Strahlengarben aufgeteilten, von blauen Wolkentönen und gelben Lichtern durchkämpften Himmels im grenzenlosen Meer. Zu den schönsten Werken gehören auch die Parkteiche, in denen eine ins Tropische übersteigerte Vegetation sich mit der ganzen Gewalt ihres klingenden Grün widerspiegelt. Ähnlichen Motiven begegnet man häufig bei Heckel, und nicht nur vor den Bildern, sondern auch vor den Zeichnungen, Holzschnitten und Radierungen. Der Künstler fühlt sich von dem Phänomen wohl darum so stark angezogen, weil das Optische in diesen Fällen schon raumbildend ist, und weil es ohne weiteres etwas geheimnisvoll Symbolisches hat. Die Spiegelung bringt einmal durch ihre Symmetrie etwas architektonisch Festes in das Bild, eine ungesuchte künstlerische Ordnung und zugleich etwas Magisches. Beides ist in der Perspektivpoesie sich spiegelnder Stämme, in dem leichten, freien Kubismus der in Flächen zerlegten, am Himmel nordlichthaft hervorbrechenden und im Meer sich abspiegelnden Lichtgewitter und in der kreisartigen Abrundung nach oben und unten gleichartig auslaufender Kompositionen. Diese Symbolik genügt dem Künstler aber nicht. Oft stellt er vor die hohen, lichtblitzenden Himmel oder vor die spiegelnden Wasserflächen kleine Menschenfiguren, die in sich versunken auf das Wunder hinblicken. Diese Figuren »sollen einmal, wie der Schulausdruck lautet, als »Repoussoir« für die lichte Ferne dienen, dann aber haben die Wanderer, die selbst in das Anschauen der landschaftlichen Schönheit versunken scheinen, die Aufgabe, den Gefühlen dessen, der das Bild betrachtet, gewissermaßen als Schrittmacher zu dienen.« Hugo von Tschudi hat diese Worte einmal vor Bildern Hans Thomas geäußert. Heckel will etwas ganz Ähnliches wie Thoma. Er ist nicht sowohl ein Maler von Eindrücken, als vielmehr mit Bewußtsein ein dichtender Deuter der Eindrücke. Thoma erscheint wie ein geistiger Stammvater dieses Radikalen. Heckel ist, so schroff er sich oft auch gibt, eine sentimentalische Natur, wie Thoma. Greift man im Vergleich weiter zurück, so begegnet man einem Geistesverwandten, dessen Art für Heckel vielleicht noch aufschlußreicher ist als der immerhin ursprünglich aus dem Courbet- und Manetkreis stammende Thoma: man trifft auf Caspar David Friedrich. Die kleinen Menschenfiguren auf Heckels »Meerbild« sind im Grunde Nachkommen der mönchartigen Gestalt auf dem »Seestück« Caspar Friedrichs, ebenso wie Heckels »Zustandsfiguren« unmittelbar an Thoma denken lassen. Man muß nur mit genügender Phantasie das verschiedene Zeitmilieu im Anfang des neunzehnten und des zwanzigsten Jahrhunderts in Rechnung stellen. Vor hundert Jahren malte jedermann nazarenisch glatt und bürgerlich geduldig; heute malt jedermann skizzistisch und bohèmehaft ungeduldig. Läßt man diese Zeitmoden, oder auch diese Zeitstile auf sich beruhen, so zeigt sich in Heckels Wesen mancher Caspar-Friedrich-Zug. Sogar der religiöse Einschlag fehlt nicht. Auch Heckel ist nazarenisch romantisch gesinnt, er hat die Lust am Übersinnlichen und ist doch ein enthusiastischer Augenmensch – er erstrebt, so möchte man sagen, einen jenseitigen Impressionismus. Und damit gerät er dann wie von selbst in die Nähe und Nachfolge eines Modernen, der diesem Wollen von neuem einen Weg gebahnt hat: er wird zum geistigen Schüler Münchs. Hier wird der Einfluß unmittelbar, die Anregung ist nachzuweisen bis ins Stoffliche und Technische, bis ins Handschriftliche. Mit Munch hat Heckel den psychologisch begründeten Dualismus gemein: auf der einen Seite ein Drang zum Verschönern, Erhöhen und Vergeistigen, ein Spiel mit Klängen und Reimen, und auf der andern Seite ein Trieb zu unbarmherzigen Konstatierungen und der Zug zum charakteristisch Grotesken. Die Empfindung pendelt hin und her zwischen dem Göttlichen und dem Tierischen; das Menschliche, in der Mitte, kommt zu kurz. Es ist ja immer so, daß die nach Erlösung Verlangenden im Menschen zumeist das Unzulängliche und Bedürftige wahrnehmen, daß ihnen die Erde eine Marterstätte ist. Der Erlösungsdrang betont naturgemäß das Erlösungsbedürftige. Dieses ist es, was auch in die Kunst Heckels das Element der Karikatur bringt. Es ist eine ganz unwitzige, eine nicht einmal pathetische, es ist die nachdenklich konstatierende Karikatur. Heckel zeichnet, vor allem als Graphiker, Gestalten aus der Welt eines bitteren Lebensleides, die nach Irrsinn und Selbstmord aussehen. Aber sie sind nicht bestimmt, soziale Tendenzen zu illustrieren, sondern es sind Menschen schlechthin, ohne besondere gesellschaftliche Merkmale. Naive, lebensfrohe Betrachter mögen seiner Gestaltenwelt mit einer Art von Grauen fliehen, weil sie in Versuchung geraten, die ganze Welt für ein Lazarett zu halten. Hart daneben aber singen Heckels Formen und Farben dann wieder schwärmerisch von Schönheiten, die gewisse Beziehungen haben zur Hesperidenromantik Ludwig von Hofmanns. Das Groteske wendet sich unversehens ins groß Dekorative, das Karikaturhafte ins Ornamentale, und das heftig Eckige rundet sich zur bedeutenden Arabeske. Ein Barbar betritt unbeholfen, schüchtern und doch leidenschaftlich bewegt die Gefilde Arkadiens. Nur eine mutvolle Jugend ist solcher Gegensätze fähig, nur sie kann ein solches Doppelspiel ertragen. Bei zunehmenden Jahren gleichen selbst die Munch-Naturen diesen Dualismus vom bedeutend Häßlichen und lyrisch Schönen mehr und mehr aus.
Man darf Heckel also nicht menschlich problematisch nennen. Dieser Dualismus ist bei ihm Anlage, ist Natur. Entscheidend ist nur die Frage nach dem Talent, nach der Kraft, die solche Naturanlage in Kunstformen ausprägt.
Es ist leicht einzusehen, daß in einem solchen Fall alles vom Subjekt abhängt, weil jedes objektive Erlebnis die Farben des persönlichen Empfindens annimmt. Da Heckel nur Deutungen gibt, kommt alles auf die Qualität des deutenden Geistes an. Es ist nicht schmälernd, wenn man nachweist, was dieser Künstler mit Thoma, Friedrich, Munch, mit van Gogh, alten deutschen Meistern, Gotikern und Primitiven gemein hat. Romantiker sind immer viel mehr als die reinen Maler auf Anregungen angewiesen. Heckel ist nicht unselbständiger als seine Genossen, auch wenn er mehr als sie mit überlieferten Formen arbeiten sollte – was noch nicht einmal entschieden ist. Aber er ist kein restlos überzeugender Künstler, weil er einmal nicht aufs höchste naiv ist und weil im entscheidenden Augenblick seine Form nie ganz ausreicht. Mir wenigstens erscheint er oft durch eine zu sehr philosophisch gerichtete Nachdenklichkeit gehemmt und in der Form nicht spontan. Über diesen Mangel ließe sich bequem hinweggleiten, wenn man der Zuversicht Ausdruck gäbe, der Künstler würde im Laufe seiner Entwicklung sich ja mehr und mehr vervollkommnen und die Mängel abstreifen. An dieses beliebte Argument glaube ich aber nicht. Die Geschichte der Kunst lehrt, daß es in jedem Lebenswerk eines Meisters Jugendarbeiten, Alterswerke und Arbeiten der mittlem Lebenszeit gibt, daß diese Werke untereinander sehr verschieden sind, auch verschieden in der Güte, daß jedes Werk aber doch in sich abgeschlossen ist, ein Organismus, und daß das Wesen des Meisters eben darin besteht, auf jeder Stufe »fertig« zu sein und Dinge hervorzubringen, die für sich leben können, ohne durch eine Nabelschnur mit dem Künstler verbunden zu sein. Betrachte ich mit dieser Überzeugung Heckels Kunst, so scheint mir: hier ist ein starkes Talent, ein wesentlicher Mensch, dem aber irgend etwas Entscheidendes fehlt. Darauf führe ich die Ungleichheiten seiner Arbeiten zurück, das häufige Erlahmen der Kraft zwischen den Augenblicken glänzender Konzentration. Es gibt Bilder, Zeichnungen und Graphiken von Heckel, die durchaus den Charakter des in sich Abgeschlossenen haben und die zweifellos in die deutsche Kunstgeschichte übergehen werden. Daneben aber gibt es viel Flüchtiges und Ungefähres, vieles nicht Verwirklichte. Der allgemeine Mal- und Zeichenstil unserer Zeit hat in manchem Punkte die Form gefördert. Ein leiser Kubismus, zum Beispiel, kommt der Raumgestaltung zugute, die Lehren der Zeit für eine gute Aufteilung der Fläche, für den Ausgleich von Hell und Dunkel, sind aufs beste genutzt und vertieft, und das Technische wird so beherrscht, daß der Künstler damit die beabsichtigten Klangfarben erzeugen kann. Zugleich aber hat auch Einfluß auf Heckels Form gewonnen, was im neuen Stil nur modisch ist. Es mischt sich in die Empfindung zu sehr der Begriff und damit eine formalistische Tendenz. Eine merkwürdige Mischung ist in des Sachsen künstlerischem Wesen von Naivität und Bewußtsein, von Natürlichkeit und Programmatik. Und was diesem jungen Deutschen zumeist noch fehlt, trotz der Tradition – ist Kultur, wennschon auch in den besten Arbeiten ein Element hohen künstlerischen Kulturgefühls enthalten ist. Selbstverständlich, überzeugend und ganz eindrucksvoll erscheint Heckels Kunst nur in ihren Hauptwerken.
Die Schlußfolgerung des Kunstrichters ergibt sich nach alledem fast von selbst. Wie alle Romantiker denkt und arbeitet Heckel in Höhepunkten. Das heißt, er konzentriert längere Zeit Erlebnisse und Eindrücke, um sie dann in Bildern und graphischen Arbeiten zu verdichten. Was dazwischen liegt an Studien und Nebenarbeiten, hat künstlerisch nicht den Wert des ausgetragenen Werkes. Heckel ist nicht eine Begabung von der Art Liebermanns oder Menzels, in deren Lebenswerken die vor der Natur gemalten Studien fast wertvoller sind als die im Atelier fertig gemalten Bilder. Heckel leistet mehr wie Thoma, wie Feuerbach, sein Bestes im Atelier, im Malen dichtend. Darum sollte er aber darauf auch die ganze Kraft konzentrieren. Es scheint mir gefährlich für dieses glühende aber empfindliche Talent, wenn es sich in einer leider zeitgemäßen Vielseitigkeit zersplittert, wenn es von Technik zu Technik eilt, jedes Blatt wichtig genug nimmt, um es auszustellen, und ein Niveau erstrebt, wo es offenbar darauf eingestellt ist, in Gipfeln zu empfinden und zu schaffen. Nur ein Dutzend Bilder und graphischer Blätter im Jahr, jedes einzelne aber ein Ereignis für den Künstler und darum auch für den Betrachter; was nebenbei entsteht, in den Mappen lassen, ohne auf die Lockrufe des Marktes zu hören: das scheint mir das Rechte für Heckel.
Möglich, daß ich irre. Jungen Künstlern gegenüber ist schwer richtig zu urteilen. Dieses aber ist das Ergebnis meiner Empfindung vor jenen Arbeiten Heckels, die mir bisher bekannt geworden sind. Es sind eine Anzahl Bilder und Blätter darunter, die ich liebe und die mir unvergeßlich sind, es sind sodann Arbeiten darunter, die mich gleichgültig lassen und einige sogar, die ich durchaus unzulänglich und eines solchen Talents nicht würdig finde. Die Arbeiten, die ich liebe, sind eben die, worin das geistige Erlebnis von Monaten verdichtet zu sein scheint, so momentan auch die Konzeption sein mag, wohinein auch der Künstler offenbar seine ganze Liebe gelegt hat. Die Liebe aber weist am sichersten den rechten Weg, dort zum Kunstwerk und hier zum Urteil.