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XII.

Es gibt einen Nachtzug von Rom, mit dem man morgens in Florenz ist. Was ich da wollte, wußte ich noch nicht; ich konnte nicht mehr bleiben, wo der Speerwerfer mit den Trümmern meines Lebens im Kehricht lag. Bis Arezzo war es kein Schnellzug und ich fuhr in der dritten Klasse; hinter meinem Elend tauchte immer deutlicher die Sorge auf: was ich besessen hatte, war durch die Affaire aufgebraucht, und wie ich mir neuen Boden unter die Füße bringen sollte, wußte ich noch nicht. Es hatte in den Zeitungen gestanden, ich hätte Wechsel gefälscht und sei darum im Zuchthaus; das ist kein Ruf, der einen Porträtmaler empfiehlt. Meine Radierungen wollte keiner und der Adorant war noch nicht fertig; ich war über Nacht auch noch ein Bettler geworden, einer, der auf die Almosen guter Menschen gestellt und gerade denen durch die Verdächtigung einer gemeinen Anklage nicht empfohlen war. Wie ich da durch die trübe Nacht hinfuhr – es saß ein altes Weibchen mit im Wagen, das immerzu seinen Rosenkranz betete, sowie es aus dem gestörten Schlaf aufschreckte – fiel mich ein paarmal die Sehnsucht an nach meiner Narrenstube in San Bonifacio, wo ich noch meiner Liebe gläubig wie die Alte mein knabenhaftes Wesen getrieben hatte.

Aber der Morgen läßt die Nacht nicht gelten; als wir im großen Bogen um Florenz in den Bahnhof einfuhren, hing seine blutrote Glut in dem schwärzlich bewölkten Nachthimmel. Es half mir nichts, den verträumten Narren zu spielen, die Wirklichkeit stand da mit ihren Notwendigkeiten und ich mußte sie auf meine Schultern nehmen. War ich als Bildhauer, Maler und Radierer unnütz, so blieb ich doch immer noch ein Kupferstecher, der sein Handwerk verstand wie einer. Es hatte mich schon früher gelockt, einmal das berühmte Papstporträt von Raffael zu stechen; nun schien es mir von allen Wegen, wieder zur Arbeit und Geltung zu kommen, der am wenigsten unsichere. Ich schlief ein paar Stunden im Hotel meine tote Müdigkeit aus und ging dann in die Gallerie – um etwas Schreckliches zu erfahren: Wo sich meine Augen bisher entzückt hatten, war alles leer und trüb geworden; das Bild schien mir so wenig ein Meisterwerk, wie das meiste, was da mit seiner angestaunten Berühmtheit herum hing. Jemehr ich meine Augen suchen ließ, je öder wurden mir all diese bemalten Leinwandflächen; in meinem Leben hatte ich nicht daran gedacht, daß mir die Malerei einmal ein so überflüssiges und verlogenes Handwerk scheinen könnte. Gequält durch die Erscheinung lief ich alle Säle ab und fand mich schließlich vor dem Dürerschen Bildnis seines Vaters in einer traurigen Befangenheit, wie wenn es unter all diesen schmalzigen goldbräunlichen Bildern die einzige reelle Arbeit wäre. Der Schrecken über den Unsinn einer solchen Entdeckung – daß auch Wahrheit darin sein könnte, wagte ich damals noch nicht zu denken – trieb mich bald aus der Gallerie hinaus.

So einfach, wie ich dachte, war es nicht; meine Hände konnten nichts machen, wo nicht irgendwo innen eine entzündete Leidenschaft den Antrieb gab. Als ein König ohne Reich ging ich nach San Francesco di Paola hinaus, wo ein Mächtiger im Überfluß seiner Herrschaft saß, nicht um ihn anzubetteln, nur um zu fühlen, ob ich nicht seines Stammes sei trotz allem. Ich fand ihn nicht zuhause, den immer Glücklichen, aber seine Frau nahm mich gütig auf, die treue Sorgerin meiner Nöte in mancher bösen Stunde vordem und nachher. Sie hatte die Handschellenmale an meinen Gelenken gesehen, sie war ein reifes, edles und schönes Menschenwesen, das mir auch jetzt den Mund zum sprechen brachte. Und wie sich endlich mein Charfreitagserlebnis in Rom zu Worten löste, wuchs in ihrem Schatten schon wieder die Hoffnung mit einem dünnen Stengel auf: Noch war es möglich, daß die Lydia über mein Schicksal falsch berichtet war; bevor ich sagen konnte, ob ich den Trümmerhaufen meines Speerwerfers allein wegbringen mußte, war mir noch bittere Gewißheit nötig.

So schrieb ich Samstag vor Ostern 1890 im Hotel Nardini zu Florenz den letzten meiner »Briefe an eine Frau«, wie sie damals in Rom das Buch benennen wollte. Er paßte freilich nicht zu den andern, weil für die Nöte meiner Kunst das Schicksal meines zerstörten Lebens als Thema eingesetzt war, aber daß er weder von einem Verbrecher noch von einem Narren kam, stand immerhin darin.

Als ich ihn abschicken wollte, erkannte ich zwar schon die Kluft, die zwischen uns indessen von besorgten Händen eingerichtet war; denn ich wußte nicht einmal die Adresse. Ich schrieb also ans Irrenhaus in Rom, erwartend, daß sie den Brief von da am sichersten erhalten würde. Obwohl ich nach den letzten Erfahrungen besorgen mußte, daß sie ihn trotzdem nicht selber zu lesen bekam, verlebte ich die Ostertage in der Pflege meiner dünnen Hoffnungspflanze zum wenigsten nicht stumpf hinbrütend wie den Charfreitag. Der Hildebrand war unterdessen auch zurück; die mannhafte Fröhlichkeit von seinem Wesen, die Heilkraft seines tiefblauen Auges, die herzliche Selbstverständlichkeit der Frau, die lachenden Kinder, das gackernde Federvieh in der blühenden Welt seines Landhauses nahm auch mich in diesen Ostertagen mit auf. Und ob ich mir wie ein aus dem Sturz der Verdammten versehentlich ins Paradies Gefallener vorkam: das störte nur mich selber, die andern waren derart von sich erfüllt, daß sie mein dunkles Wesen in ihre Helligkeit aufsogen.

So kam ich noch einmal leidlich über die Ostertage, und erst als nachher eine Woche lang keine Antwort kam, als es mir freistand anzunehmen, daß mein Brief im Manicomio zu Rom liegen geblieben wäre oder daß sie keine Antwort für nötig hielt: sank mir mein Hoffnungsbäumchen wieder um. Arbeiten konnte ich nicht mit meinen lahmen und verirrten Händen, so fuhr ich wieder nach Biel zurück, mein kaum noch ungewisses Schicksal abzuwarten. Nach einer Woche lief der Antwortbrief in ihrer eigenen Handschrift ein; er war vom 19. April datiert und also genau am dreizehnten Tag nach meinem geschrieben. Er begnügte sich nicht mit einem Schlußpunkt, er machte einen Strich durch alles, was zwischen uns gewesen war:

 

»Herrn Karl Stauffer.

Ihr Brief vom 6. d. M. ist mir zugestellt worden. Sie behaupten in demselben, daß ich es gewesen sei, welche eine Änderung unserer früheren Beziehungen, welche Ihnen für das ganze Leben genügt hätten', herbeigeführt habe. Sie sagen damit wie sie genau wissen, eine Unwahrheit. Tatsache ist, daß Sie damals in Florenz meinen Ihnen wohlbekannten, durch Krankheit überreizten Nervenzustand benützt und mich in der schändlichsten Weise getäuscht haben.

Dies allein habe ich hier zu konstatieren. Auf weitere Auseinandersetzungen mit Ihnen werde ich mich unter keinen Umständen einlassen.

Lydia Welti-Escher.«

 

Ich sah sofort, daß er diktiert und also verlogen war; aber daß sie ihn so nachschreiben und mir senden konnte, das war doch mehr, als eine Frau einem Mann antun durfte, dem sie mit ihrer unruhigen Leidenschaft das Leben zertrümmert hatte.

Ich bin nicht darüber weg gekommen; ich war nun wirklich der verlorene Sohn, der bei seiner Mutter mit dreiunddreißig Jahren das Brot in Unehren aß. Es fehlte nicht an Vorschlägen, mir zu helfen, und namentlich die Schwester Hildebrands war mir mit einem Eifer behülflich, der von der zurückhaltenden Art des Bruders wie ihr schwarzes lebhaftes Wesen verschieden war. Sie besorgte mir auch schließlich in Bern Porträtaufträge, die mehr aus gutem Herzen als aus der Achtung meiner Kunst gegeben wurden und mir wenig Früchte brachten. Die Guten glaubten noch, daß mich die Arbeit heilen könnte, und sie bedachten nicht, wie traurig dies für mich war, der im Berliner Westen die Aufträge nach der goldenen Wage ablehnen oder annehmen konnte, daß ich mich nun in Bern um Gottes willen durchmalen sollte. Wie wenn mich auch die Malkunst noch strafen wollte, daß ich ihr untreu geworden wäre, so mußte ich nun zwangsweise den Pinsel wieder führen, der mir durch jahrelange Übung eines andern Handwerks entfremdet war. Wenn ich gesund gewesen, wenn nicht mein Nervenwerk losgerissen und nur notdürftig wieder festgebunden gewesen wäre: hätte es vielleicht gegangen; so stand ich nach der ersten Anlage stets mit der gleichen hoffnungslosen Einsicht da, daß es nichts werden könnte.

Und diese innere Demütigung in Bern, wo mir die äußere nicht erspart wurde, wo ich nur eine Stunde auszugehen brauchte, um wie vor einem Pestkranken die Bekannten in den Nebengassen verschwinden oder in die Lauben flüchten zu sehen. Denn noch immer war die böse Anklage nicht zurück gezogen, und wenn sie es gewesen wäre, ich blieb für die Berner der Mann, dem ein Skandal zur Schande seiner Heimat passiert war, der entgleiste Glücksritter, den zu grüßen kein Mann von Würde sich herab lassen durste.

Wenn ich trotzdem ein paar Bilder fertig brachte, war es ein letzter Rest verbrauchter Energie; kein Teufel der Vollendung mehr, aber immer noch der Zwang des Gewissens, nichts schlechtes zu machen, wenn es schon nichts gutes werden konnte. Wenn ich jetzt an den Bärengraben kam, und ich mußte einem Auftrag zuliebe täglich daran vorbei, war mir der Zwinger kein Sinnbild mehr von den Grenzen meiner Begabung, ich sah nur wie die Tiere, der Freiheit beraubt, an dem kahlen krüppligen Baum ihre ärmlichen Kletterkünste zum tausendsten Mal ausübten: solch eine klägliche Handwerkerei war meine Kunst geworden, mit der ich mich einmal den Meistern zugesellen wollte. So ging es bis zum 1. Juni; weil der ein Sonntag war und weil ich namentlich bei einem unnützen Kinderbild weder mit der Ähnlichkeit noch sonst zurecht kam, gab ich die Sache auf und fuhr nach Haus.

Um freilich gleich einzusehen, wie grausam es für die Meinigen war, ihnen die Nutzlosigkeit meiner Existenz zum Gespött der kleinen Stadt vorzuführen. Sie wollten mich, die Lieben, die meinen Zustand bemerkten, mit Trostgründen halten, aber mir half kein Trost; wenn ich mir selber nicht durchhalf, war ich verloren, und so reiste ich am Montag früh nach Bern zurück, stand noch einmal einen ganzen Tag lang hartnäckig mit meiner Palette da; aber als ich am Dienstag wieder an dem Bärengraben vorbei hinunter zu den Leuten wollte, die mich aus Gründen der privaten Fürsorge eine Tante malen ließen mit jenem Kunstverständnis, das von einer verschrumpften Feige auf der Leinwand einen blühenden Pfirsich erwartet: schlug ich mich links hinunter an die Aare, wo ich die schmalen Uferwege aus meiner Schülerzeit noch alle kannte. Bei der hölzernen Kornhausbrücke unterm Waisenhaus ging ich hinüber und unten in dem feuchten Grund zum botanischen Garten hinein. Ich fand eine Bank, wo ich das Waisenhaus und das Gymnasium wie das Kunsthaus vor Augen hatte, die Stätten, denen ich mit Unehren entwachsen, und den Platz, dem ich nicht so zur Ehre geworden war, wie ich wohl dachte. Da drüben war mein Name vergessen über dem neuen Leben, was in den zwanzig Jahren herein gewachsen war, und hier sprach noch kein Werk ihn vor den Mitbürgern aus: es mußte ein Fehler in meiner Rechnung gewesen sein, den ich nicht sah und den zu finden ich weder Kraft noch Neigung hatte. Mir hatte die Laune einer Frau die Zahlen ausgewischt; ich wußte, daß ihr Brief gelogen hatte und wenn mir etwas außer der Verzweiflung die Hand führte, war es die böse Rachsucht, ihr und der feindlichen Sippe mit meinem Tod die einzige öffentliche Antwort zu geben, die mir noch möglich war.

Das Herz sitzt höher, als man denkt; ich glaube doch genau gezielt zu haben, vielleicht auch, daß eine Brennessel von Hoffnung mir die Hand unsicher machte: ich schoß um einen knappen Zoll zu tief, den Herzbeutel nur in den Polstern streifend. So fiel ich von der Bank in eine Ohnmacht, aber als ein paar verkaterte Studenten mich fanden auf ihrem Morgenbummel und mit den Gartenarbeitern meinen schweren Körper auf die Bank hoben, kam ich schon wieder zum Bewußtsein; ich spürte, wie mir der Atem nicht mehr kommen wollte, weil die Lunge angeschlagen war, und daß mein Blut endlos rann. Einer von den Studenten war ein Mediziner, der mir aus meinem Hemd und einem sauberen Taschentuch den ersten Notverband anlegte. Dann wurde ich auf einem Gerätewagen aus dem Garten fortgefahren, in den ich nicht gehörte, und sollte ins Inselspital. Aber weil das Leben auch noch diese Lächerlichkeit mit mir vorhatte, brach mitten auf der Straße ein trocken gestandenes Rad aus, sodaß sie mich in eine Turnhalle trugen, die zufällig nebenan war, und liegen ließen, bis nach Stunden der Krankenwagen kam.

Ich war fünf Tage lang ein Todeskandidat, jedoch von Ärzten bewacht, die mich auch in diesem Examen durchfallen lassen wollten; dann trat die Krisis ein und es hieß, daß ich gerettet sei. Ich blieb im Ganzen drei Wochen im Spital und wenn nicht die Schmerzen von der äußeren Wunde gewesen wären, hätte ich bei meinem wachen Bewußtsein kaum gewußt, warum ich da so still und kraftlos lag. Das Fieber machte wohl, daß ich viel sprach; mir steckte seit der Charfreitagnacht in Rom noch immer ein Klumpen von unausgelösten Klagen in der Brust, die nun endlich Worte fanden. Ich hatte meinen Gegnern doch nichts angetan, nur den Meinigen, die mich kummervoll ansahen, daß ich ihnen Leid auf Leid zufügte; denn als die Nachricht endlich kam, daß laut Gerichtsbeschluß die Anklage als grundlos niederzuschlagen wäre, was half es ihnen oder mir, der sich vor den Augen der Welt selbst gerichtet hatte!

So kam mit dem Sommer ein Todwunder nach Biel zurück, einer, der seinen Namen selber aus den Blättern der Kunst gelöscht hatte. Ich wußte, daß mein Talent tot war; wenn es hoch kam, gingen die Pläne noch auf die alte Hoffnung, mit Kupferstichen nach bekannten Bildern Geld zu machen; meist aber rannen mir die Stunden in hoffnungslosen Grübeleien hin. Ich war fast zufrieden, daß mir die Schußwunde nicht heilen wollte, weil sie mit ihren Beschwerden mir einen Aufschub vor irgend einer trostlosen Entscheidung gab, die danach kommen mußte. Wie aber stets, wenn der Übermut fliegen zu können glaubt, ihn ein Sturz an seine Schwerkraft erinnert, so auch umgekehrt: es braucht nur einer ganz hülflos da zu liegen und schon treibt die Muttererde ihm neue Kräfte zu. Seitdem ich aufgegeben hatte, gegen mein Schicksal zu rasen, fing auch das Selbstvertrauen ganz langsam wieder an zu wachsen.

Ich hatte mir gleich damals nach der zweiten Rückkehr durch den Senet mein Atelier ausräumen lassen; seitdem standen die Kisten ungeöffnet herum. Nun machte ich sie auf und obwohl es immer noch mehr knabenhafte Spielerei als der Ernst von irgend einer Absicht war, packte ich die Reste meiner Bildhauerzeiten aus. Das Arbeitszeug nahm ich nicht in die Hand; aber ein paar Marmorstücke, an denen ich gemeißelt hatte, stellte ich im Garten auf und an dem Gipsabguß des Adoranten flickte ich, was auf der Reise daran zerbrochen war. So hatte ich, als im September der Hildebrand nach Bern zu seiner Schwester kam und mich in Biel besuchte, doch etwas zurhand, ihm meine römischen Absichten zu beweisen. Ich wußte zu genau, daß es ihm unmöglich war, aus Wohlwollen eine Anerkennung auszusprechen: nun fand ich ihn fast überrascht; so sehr, daß er mir dringend zuredete, die Arbeit als Bildhauer wieder aufzunehmen.

Mir waren meine Niederlagen zu grausam im Gedächtnis, um gleich wieder Mut zu fassen, und so sprach ich ihm von meinen Absichten, ganz von eigenen Schöpfungen abzulassen und reproduzierender Kupferstecher zu sein. Er hörte das an mit seiner Schweigsamkeit, mit der er unliebes von sich abzuwehren wußte; aber als er – anscheinend mehr, um mich wieder aus die Bildhauerei zu lenken – beiläufig fragte: was denn zum Beispiel ich zu stechen gedächte, und ich ihm von meinem Erlebnis vor dem Papstbildnis in Florenz und von der Holbeinschen Madonna in Darmstadt sprach, wurde er hellhörig und entwickelte mir eine Idee, die mich zuerst bestürzte. Ich hätte bei ihm die Blätter seines verstorbenen Freundes Hans von Marées gesehen, von denen der Dr. Fiedler in München die schöneren aufbewahre; sie wären in der räumlichen Disposition unübertrefflich und nur als Malerei unfertig und verdorben; ob ich mir nicht zutraue, diese Bilder in Stichen für die Zeitgenossen und vielleicht für die Nachwelt zu retten?

Ich sagte weder Ja noch Nein; aber schon in den nächsten Tagen fing der Gedanke an zu wachsen, weil ich eine Aufgabe spürte, die meinen zerstörten Kräften doch noch Möglichkeiten zur Entfaltung zugleich mit einer materiellen Grundlage gab; denn das Ganze war von ihm als honorierter Auftrag gedacht. Ich schrieb ihm schon darüber, als unerwartet für mich, der nun fast ein Jahr lang neben der Kunst gelebt hatte, ein Preisausschreiben der Stadt Bern für ein Standbild des Adrian von Bubenberg kam. Das war der andere Volksheld der Berner, der bei Murten die berühmte Schlacht über Karl den Kühnen gewann und die Freiheit der Eidgenossen rettete. Und nun machte sich bemerklich, daß meinen Nerven die lange Ruhe gut bekommen war; meine Gedanken hakten sich gleich ein und schon am dritten Tag stand mir das Projekt inwendig fertig da. Ich wollte ihn darstellen, wie er bei Murten die berühmten Worte sprach, daß wer feige Reden führe, und wäre er es selber, dem Tod gehöre; und erdachte mir eine ritterliche Haltung dazu, die mit keiner Bewegung aus ihrer unerschütterlichen Ruhe hinaus ginge und doch ganz Bewegung wäre.

Daß ich zwar so rasch mit der Idee in Ordnung kam, waren doch wohl nicht die ausgeruhten Nerven allein, denen der Aderlaß von meinem Schuß fast gut getan zu haben schien: Es war einmal, daß ich mich hier vor einer meinen Fähigkeiten entsprechenden Gelegenheit sah, mich in der Frist einiger Monate wieder zur Geltung zu bringen. Auf die Ausführung wagte ich nicht zu hoffen, aber an einen der ausgesetzten Preise dachte ich doch sicher, und damit mußte mein Name dann auch wieder in Ehren genannt werden.

Zum andern erlebte ich hier zum zweitenmal, daß die italienische und griechische Welt wie eine Krankheit von mir abfiel; wie ich in Florenz von den Italienern zu Dürers Vater gekommen war: so hatte ich jetzt nach einem Adoranten und Speerwerfer einen Helden meiner Heimat vor mir; damit kam in die überstiegene Begeisterung für die griechische Plastik ein reeller Gegenstand, der Kraft, Natur und Haltung in gleichem Maß erforderte, aber eigenes Fleisch und Blut war. Es brauchte nicht gerade der Adrian von Bubenberg zu sein, ich hätte gerade so gut oder besser den Rudolf von Erlach darstellen können, und im Grunde war er es auch, der Held der Laupenschlacht, wie ich ihn aus hundert Erzählungen meines Vaters kannte, wie er durch die Träume meiner Jugend Gestalt bekommen hatte, den ich mir da – vorläufig in Gedanken – aufbaute. Ich war endlich auch mit meiner Kunst nach Hause gekommen und nun konnte ich mir selber und der Heimat zeigen, ob ich als ihr verlorener Sohn verachtet werden durfte.

Daß ich den Bubenberg nicht in Biel oder Bern machte, daß ich mit den Plänen voller Heimat nach Florenz fuhr, schien nur inkonsequent. Es wehte, solange ich nicht wieder gültig war, zuhause keine Arbeitslust für mich; und dann trieb mich mein Instinkt zu dem blonden Mann, der nicht nur mein Schutzgeist geworden war, sondern in dem ich auch mein Gegenbild und die lichte Verkörperung dessen fühlte, was meiner bohrenden Leidenschaft fehlte. So fuhr ich schon wenige Tage, nachdem mir das Preisausschreiben bekannt geworden war, nach Florenz. Wohl auch durch Hildebrands Fürsprache waren mir vom Kunstmuseum meine Radierungen in je einem Abdruck gekauft worden, womit ich materiell fürs erste wieder Luft hatte und immerhin den Anfang meiner Rehabilitation spürte, auf die ich nun langsam doch zu rechnen begann.

Ich war nun wieder so bei der Sache, daß ich von Biel nach Florenz ohne irgend einen Eindruck der Landschaft kam, wie wenn ich in der Nacht schlafend gefahren wäre, es war aber Tag gewesen bis gegen Bologna. Der Hildebrand nahm meinen Plan günstig auf, und weil ich erst zum November ein Atelier mieten konnte, bot er mir an, solange bei ihm draußen zu arbeiten. Ob es falsch war, daß ich mich ganz in seinen Lebenskreis, in eine Art von Hörigkeit begab, weiß ich nicht. Jedenfalls verließ mich die glückliche Stimmung nicht, als ich nun mit der Arbeit begann, die sich natürlich in Gedanken leichter formte, als mit den Händen. Zeit war keine zu verlieren, da die Jury zum ersten Dezember angesetzt war und also der Entwurf schon Mitte November abgesandt sein mußte.

Ein Modell fand ich bald; es schien mir fast, als hätte ich es garnicht nötig, so selbstverständlich wuchs die Gestalt sich aus, während ich bei dem Adoranten und Speerwerfer die Form mühsam aus der Einzelbeobachtung am Modell absuchen mußte. Es ging mir wie damals nach den Verzweiflungen der Kupferstecherei, als ich nach den unsäglichen Mühseligkeiten von drei Jahren den fast lebensgroßen Kopf vom Peter Halm in zwei Tagen fertig auf die Platte brachte. Jetzt merkte ich, was ich in den beiden römischen Jahren gelernt hatte, und daß es keine leere Weisheit war, eine plastische Figur allein aus ihren Gelenken als Mechanismus zu begreifen und hierin – in nichts anderem – auch die ewige Schönheit der griechischen Originalfiguren zu sehen. Die besondere Schwierigkeit war diesmal nur die, nicht den Mechanismus der Rüstung, sondern den der Figur darunter zu zeigen, keinen aufgestellten Panzer sondern drin einen straffen Kerl zu haben in einer Bewegung, daran jedes Panzerstück mit lebendig wurde.

Wie mir die Arbeit glückte, kam auch mein Nervenzustand wieder in Ordnung; ich bekam allmählich – die Erschöpfung mehr als eines Jahres war nachzuholen – einen Schlaf wie ein Murmeltier; abends um neun Uhr lag ich schon und schlief bis in den Morgen, wie es mir seit Jahren nicht mehr widerfahren war. Wenn ich mir eine Erholung machen wollte, ging ich in den Bargello, und es war merkwürdig, wie nahe mir auf einmal alles kam an den Bronzen der Frührennaissance, die mir während meiner Griechenzeit in Rom überstreng und hart erschienen waren. Sie kamen mir garnicht mehr italienisch, fast heimatlich vor und immer mehr entdeckte ich, wie gothisch sie empfunden waren, wie in der ersten Gothik überhaupt das griechische Naturgefühl sich viel stärker wiederholt hatte, als in der ganzen Rennaissance, die mit dem Augenblick erledigt war, als die bewußte Nachahmung der antiken Formen begann.

Je weiter ich mit meiner Arbeit kam, umso größer wurden natürlich die Schwierigkeiten, und so lächelnd bei allem Ernst wie der Hildebrand überwand ich sie nicht. Trotzdem erwuchs mir eine Sorge gerade daraus, wie leicht mir alles gegen die Quälereien meiner römischen Zeit von der Hand ging; obwohl der Hildebrand mir niemals mit dem Modellierholz an die Figur rührte und trotzdem ich nur in den Bargello zu gehen brauchte, um die Genossen meines gepanzerten Ritters zu finden: wuchs mit der Vollendung ein häßliches Mißtrauen, das mir zuletzt doch wieder die Arbeitslust lähmte. Und als die Hausfrau mir eines Tages zusah, wie ich mich um etwas quälte an der Figur, was garnicht an ihr war, wie wenn ich mir selber Schwierigkeiten schaffen wollte, wo sich aus der Form meiner Plastik keine einstellten, wie ich mich da beklagte und sie mir zuredete mit einer herzlichen Anerkennung, brach es auf einmal heraus wie eine böse Eifersucht: Es ist doch alles nur von Hildebrand, was ich da mache!

Ich weiß heute genau, wieweit das falsch und richtig ist; damals war es wirklich fast eine Eifersucht und die Furcht vor einer Musik, die ich mir mein Leben lang für meine Dinge ersehnt hatte, die niemals darin gewesen war, und die mir nun vernehmlich aus meiner Arbeit klang, ein ungewohntes und verwirrendes Ereignis.

Mein Vorteil war, daß die Zeit zu keiner Grübelei mehr langte; ich mußte alles ungestört in der Vollendung lassen, wie sie mir rätselhaft gekommen war; nur dem Gesicht des Ritters gab ich noch etwas Besonderes mit, das seine Kraft und Haltung nicht störte, aber mir selber eine Art Freibrief war, den die Figur den wenigsten sichtbar von mir trug. Ich gab dem Mann, der seine Heimat vor der Fremdherrschaft rettete, eine Bitterkeit in die Augen, um den grausam geschlossenen Mund und in die abgezehrten Wangen, die den Siegern nach der landläufigen Vorstellung sonst nicht anhaftet. Wenn mich Jemand danach gefragt hätte – aber wer sieht außer uns Künstlern etwas so an, daß er dergleichen fragen könnte – ich hätte ihm gesagt: daß der Feind damals nicht vor, sondern hinter dem Bubenberg gestanden habe, sonst wären seine Worte von den feigen Reden wohl nicht nötig gewesen. Es hätte das aber nur eine Maske vorgestellt; nicht anders, als der Ritter eine Maske für mich selber sein sollte, dem die Mächtigen seiner Heimat in den Rücken gefallen waren wie Jenem, der so bittere Worte sagen mußte, der auch nicht schon als Sieger, sondern erst vor der Schlacht als Kämpfer dastand, ungewiß des Ausgangs, doch seiner eigenen Sache sicher.

Es war nur ein Denkmal, was ich entworfen hatte, aber ich fühlte mich doch als der einzige in meiner Heimat, der es den Bernern und Schweizern so machen konnte; und wenn dieser Ritter mit dem Schwert und dem Plan in der Hand, als Sinnbildern seiner Fähigkeit und überlegten Absicht, zur Konkurrenz nach Bern kam, war er mein Abgesandter, der für mich stehen und für die Mißhandlung dieses Jahres Genugtuung fordern sollte.

Wenn das für den Pfarrerssohn aus Neuenegg ein unpassender Stolz war, ich glaubte damals und glaube es noch heute, daß ich mir den erlauben durfte. Nicht, weil ich meinen Schweizernamen draußen im Reich zur Geltung gebracht hatte, bevor mir eine häßliche Anklage aus der Heimat ein Schandmal daran klebte, sondern weil ich allzeit so zu leben und zu arbeiten versuchte, daß ich mir sagen kann, ich hätte mich noch so plagen können, in der Spanne Zeit, die mir vergönnt war, wäre es nicht möglich gewesen, mehr zu lernen. Was für Mißhelligkeiten in der Kunst überwunden werden müssen, um nur das kleinste Stück von sich aus ehrlich zu machen, weiß keiner, der nicht selber in den unaufhörlichen Kämpfen gestanden hat. Ob meine Dinge gelungen oder mißraten waren, galt mir gleich: aber daß mir keiner ein unehrliches Mittel darin aufzeigen konnte, daß ich niemals darin gemogelt hatte, dies war mein Stolz gerade jetzt, wo die Meinung über mich verbreitet war, als ob einer in der Kunst ehrlich und sonst ein Schurke sein könnte. Die Schlachtfelder der Kunst liegen der bürgerlichen Geschäftigkeit soweit ab wie der andere Krieg auch; wenn die Schlacht aus war, mußte der Bubenberg den Panzer ausziehen und war im bürgerlichen Leben wieder der Diener der Mächtigen, der jetzt ihr Führer war. Solange meine Figur aber auf ihren gepanzerten Beinen stand, war Krieg; und solange war der Karl Stauffer trotz Narrenhaus und Kerker ein ehrlicher Mann vor Gott und auch vor der Welt.

Die Berner haben mir auch diesen Hochmut ausgebündelt. Mein Ritter war zur Stelle, als die Schlacht losgehen sollte, und wenn mein eigener Freibrief ihm nicht genügte, so hatte ihm der Hildebrand mit seiner Anerkennung ein Losungswort mit auf den Weg gegeben, das er in einem feinen und gläubigen Herzen behalten konnte bis auf den Tag der Schlacht. Aber als solch ein Ritter anrückte, paßte es den Bernern nicht, daß Kampf sein sollte: der Sieger saß wo anders und war von ihrer Staatsklugheit schon ausgesucht; sein Bubenberg war dem meinen noch nicht gerüstet, und so wurde die Entscheidung abgesagt, auf unbestimmte Zeit, acht Tage vor dem Termin.

Was half es meinem Ritter nun, daß er für jeden Wettkampf gerüstet in seinem Panzer dastand und für den Karl Stauffer aus Neuenegg Zeugnis ablegen wollte, daß der sich in Italien einiger anderen Dinge als der Hochstapelei beflissen hätte? Sie zogen von hinten her an ihren Drähten, und wo Soldaten gestanden hatten, waren Puppen, die nach Belieben der Herren rasch nach Hause marschierten. Da sah ich, daß das Schicksal sich nicht nur der Mittel einer Feldschlacht bedient, daß es den Meuchelmord und andere Hinterlist gleich wie die ehrlichen Mittel benutzt. Wen es aufsteigen lassen will, dem bläst es die starken Winde von allen Seiten zu, doch wer herunter soll, dem bricht es das Rückgrat durch mit einem sanften Hauch.


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