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Er war ein Mainzer Kind, der Peter Halm, ein kleiner schwarzer Kerl, der emsig bei der Arbeit blieb und sich in seiner Zielsicherheit durch keine Theorie anfechten ließ. Ich kannte ihn schon von der Raabschule her, und war der Katsch damals der Genosse meiner Fahrten gewesen, so wurde der Halm immer mehr der Vertraute meiner künstlerischen Nöte. Er war zuverlässig, wie eine Taschenuhr es sein sollte, nie geneigt, persönliche Abneigungen ins künstlerische Urteil zu übertragen, in seinen Absichten nicht überstiegen, aber ernst und von einem unbestechlichen Geschmack. Ihm hatte ich das glänzende Elend meiner Porträtmalerei vom kläglichen Anfang in Dresden an geklagt, und als er mich im Sommer 1882 besuchte, sah er die Sachen in meinem Atelier trotz aller Schätzung meiner Zeichnung wirklich nicht ohne Tadel an; er fand mich in der Farbe – wie nicht anders zu erwarten war – monoton und rügte namentlich ein erdiges Rot, das mir die Fleischtöne verdürbe.
Ich wohnte damals schon in der eleganten Viktoriastraße, hatte einen wohnlichen großen Raum als Atelier, mit dem Blick in die Nachbargärten, sodaß man wenig von der Großstadt merkte. Ich hatte meine Kopien nach Rubens, Velasquez, van Dyck und Hals darin aufgehängt; es sah ihm alles – wie den andern auch – nach gediegenem Reichtum aus; doch wußte er trotzdem, wo mich der Schuh drückte. Er war zum erstenmal in Berlin; so konnte ich ihm den Kaufmann Giße von Holbein, das Juwel der Berliner Gallerie, das Schloß und den Großen Kurfürsten an der Brücke, die Linden und den Verkehr auf der Friedrichstraße zeigen: er war in seiner ruhigen Art begeistert und entschloß sich, den nächsten Winter in Berlin zu wohnen. Wir wollten miteinander Studien malen, und ich versprach mir viel davon, durch ihn doch wieder Münchener Malluft in mein sandiges Berlin zu kriegen. Er kam dann auch wirklich im nächsten Herbst an, gerade als ich dabei war, einen liegenden weiblichen Akt zu malen. Es war die Schwester meiner Wally, mit der ich damals zusammen wohnte, ein üppiges Geschöpf und übrigens dieselbe, um die ich später als Zeuge in den Prozeß verwickelt wurde. Ich hatte sie schon aufgezeichnet und war mitten in der Farbe drin, als der Halm ankam und nach seiner sacht-humoristischen Art die eigene Arbeit ins Werk setzte. Da sah ich denn, wie mir der Berliner Sand wirklich in die Farbe gelaufen war, wie bei ihm die Töne von Anfang an farbig ineinander blühten zu einem Teppich, während sie bei mir aus der versandeten Leinwand schlecht begossen und halb vertrocknet kaum die welken Augen aufmachten. Es half mir nichts, ich mußte meinen staubigen Rasen wieder abkratzen und von Grund auf neu anlegen. Die Kameradschaft mit dem lieben stillfröhlichen Kerl, der Ehrgeiz, wieder wie vordem in der gemeinsamen Schule es ihm gleich zu tun, machten mir dann solche Lust, daß wir täglich wie die Teufel sechs Stunden lang bis zur ersten Mahlzeit malten und schließlich etwas zuwege brachten, das wir uns gegenseitig natürlich mit allen möglichen Bedenklichkeiten doch anerkennen mußten. Ich habe später diese neumodische Venus an einen Herrn aus Charlottenburg zu den Preisen des berühmten Porträtmalers verkaufen können, während der Halm seine – die besser war – vorläufig als Hauptstück in sein Wanderlager nehmen mußte.
Darüber hatte ich wieder Freude an der Malerei bekommen, und so raste die neu angeheizte Maschine weiter, als der Akt fertig war: Studienköpfe und Kostümfiguren, eins hinter dem andern her Tag für Tag und nachher mit den Freunden Klein und Michael, sowie den Architekten noch Abendakt. Es war eine arbeitsame fröhliche Zeit, etwas anderes als das Berufshandwerk der Bildnismalerei, wo sich die Kunst gewissermaßen mit Hörnern und Zähnen gegen Unverstand und Eitelkeit wehren muß und immer nur als ein arg subtrahierter Rest auf die Leinwand kommt, wenn überhaupt etwas von ihr übrig bleibt. Es ist wohl überall so: wo die Kunst mit dem lieben Publikum zusammen stößt, trägt sie auch Beulen davon, besonders bei den Kunstfreunden. Ich habe niemals, so sorgsam ich sie alle aufmarschieren lasse, einen gefunden, der wirklich etwas davon verstand, und nur ein paar, die das ehrlich bekannten; die meisten lügen sich so durch, sodaß die Menschheit gerade da, wo sie angeblich geadelt wird durch die Kunst, eine schäbige Verlogenheit auftut, bei der man die Freude an der Kunst wie an den Menschen gleicherweise verlieren kann. Wenns für die Kunstfreunde wäre, wenn nicht ganz unabhängig von ihrer zudringlichen Verlogenheit und nur auf den Geldbeutel dieser Herren angewiesen der Künstler aus seiner eigenen Leidenschaft und vom eigenen Gewissen scharf kontrolliert seine Sachen arbeitete: ich glaube nicht, daß ein einziges Kunstwerk von Rang entstände.
Ich hatte also damals die hohe und beinahe höchste Kundschaft ziemlich abfahren lassen und zog es vor, mich als Lehrer an der Künstlerinnenschule zu ernähren; denn wenn auch bei den Arbeiten der malsüchtigen Weiber niemals mehr als höchstens ein blonder Dilettantismus herauskam, war ich doch nicht wie sonst allein der Gekreuzigte dabei; außerdem behielt ich mehr Zeit für mich, der sacht aus einem Wunderkind wieder ein bescheidener Schüler geworden war und nichts erstrebte, als seine Studien zu vollenden, um dann ein Gesellenstück aus eigener Kraft zu machen. Das sollte natürlich kein Bildnis, sondern eine große Komposition werden, und zwar eine aus der biblischen Geschichte, wie sie dem Pfarrerssohn aus Neuenegg zustand: »Da nahm Maria ein Pfund Salbe von unverfälschter köstlicher Narde und salbete die Füße Jesu und trocknete mit ihrem Haar seine Füße; das Haus aber ward voll vom Geruch der Salbe.« Das Bild sollte eine ganze Zimmerwand werden mit siebzehn lebensgroßen Figuren, Christus und die zwölf Jünger, Martha und Maria, sowie zwei Dienern. Da war namentlich ein Jünger, der mich reizte, weil er gewissermaßen im Bild den Bildvorgang beobachten sollte. Bevor ich aber mit der ersten Anordnung zu Ende kam und mit den einzelnen Studien anfing, passierte mir selber etwas Unerwartetes, das fürs erste den hoffnungsvollen Malerjüngling auf den Trockenspeicher legte.
Eines Tages nämlich – es war ganz im Anfang des Jahres 1884 – brachte mich der Halm endlich dazu, ihm auch in sein Radierhandwerk zu pfuschen, womit er damals schon, zum wenigsten in München, eine Art Berühmtheit war. Er mußte auch mein erstes Opfer sein mit seinem gedrungenen Kopf, mit dem glattrasierten Gesicht und dem dicken schwarzen Haar. Ich machte eine Zeichnung von ihm, Gott weiß, aus welchem Übermut, in Lebensgröße, die er mir auf die grundierte Platte übertrug. Wie ich aus den Zeichnungen im Abendakt gewohnt war, zeichnete ich dann mit der Nadel ein paar Sitzungen darauf los, technisch ganz unbekümmert und ohne Ahnung, was daraus werden würde. Da mir unter seiner Obhut keine Möglichkeit blieb, die Platte zu verätzen, was ich nachher erst kennen lernte, nahm ich das Resultat erfreut hin, zugleich erstaunt, wie einfach und gefahrlos sich die Sache gab. Ich sah natürlich, daß die Platte damit nicht fertig war, aber alles weitere schien mir leicht. So nahm ich denn an einem der nächsten Abendakte statt dem Zeichenblatt gleich eine Kupferplatte vor und radierte tollkühn nach dem Modell darauf los. Es war ein Mädchenkörper von vorn gesehen, mit halbseitwärts gehobenen Armen. Natürlich wurde ich in den zwei Stunden einer Sitzung nicht fertig, führte nur den Rumpf flüchtig aus und gab vom Kopf, den Armen und Beinen nur die Andeutung. Halms kundige Hände ätzten dann die Platte gleich am andern Tag, da ich vor Neugierde brannte, was daraus geworden war. Er wollte mich zwar trösten, aber ich sah nun wohl, daß eine Kupferplatte kein Papier und eine Nadel kein Bleistift war, schliff also die Platte wieder ab und wartete, wie sich mein Eifer zu diesen Begebenheiten stellen würde. Der schien fürs erste die Lust zu radierten Heldentaten verloren zu haben; was später Ernst werden sollte, war vorläufig Spielerei geblieben.
Erst im Frühjahr 1885 kam ich wieder darauf, als mir beim Umzug in mein neues Atelier die beiden Kupferplatten in die Hände kamen, die abgeschliffene und die mit dem Halmbildnis. Ich hatte damals mein großes Bild ernsthafter vorgenommen und wollte mich auch äußerlich von dem Geschäftslokal des Modemalers trennen; außerdem hatte ich mir eine eigene Malschule für Damen gegründet, die mir reichlich zuliefen, und so war ich nach der Klopstockstraße über das große Wasser des Tiergartens hinübergezogen, das keiner aus Berlin übersegelt, der etwas auf sich hält. Wie mich die großen Augen meines Peters über der falsch eingesetzten Nase anguckten, machte mir die Sache soviel Freude, daß ich mich ohne weiteres daran gab, es auf der abgeschliffenen Platte einmal mit meinem eigenen Kopf im Spiegelbild zu versuchen, natürlich wieder lebensgroß. Es kam ein ziemlich kokettes Kerlchen zustande, dem die Locken bis in die Augen hingen; aber eine Radierung wars nicht; und so schliff ich auch diese Platte wieder ab.
Jetzt aber war mir die Lust gekommen; ich hatte gemerkt, daß die Nadel nicht wie ein Stift dem Druck nachgab, sondern mit gleichstarken Linien ihr besonderes Wesen hatte; das war endlich eine Schwierigkeit, und die wollte ich schon zwingen. So ließ ich bescheidener Weise vorab die Lebensgröße und nahm eine kleinere Platte. Ich brachte mich auch richtig hin, ein bißchen spielerig noch in den Strichen und in den Schatten der linken Backe ganz verunglückt; doch sah es schon ernsthafter aus. Leider war mir der Halm unterdessen nach München zurück gegangen, gerade jetzt, wo ich ihn am nötigsten brauchte, sodaß ich mir selber mit der Ätzung helfen mußte. Sie mißglückte mir ganz und so verschwand auch dieses Spiegelbild wieder von der Platte; es war das zweite.
Das dritte fing ich noch kleiner an; ich hatte dazu gelernt, daß die Nadel nicht mit der Willkür einer Feder hin und her laufen, die Strichlage vielmehr der Form nachgehen müsse; das versuchte ich nun streng durchzuführen und kam dadurch richtig zu einem Resultat. Mit der Ätzung mißriet es mir diesmal auch nicht und so hatte ich meine erste Platte fertig, das Selbstbildnis mit der Zigarre, das ich nicht abschliff.
Darüber hatte ich wieder Mut zu einer größeren Platte bekommen und nahm meinen Bernerkopf zum viertenmal vor, die Schatten mit einer Art von Strichgekräusel überdeckend; es kriegte dadurch zwar mehr Leben, aber es wurde eine unnütze Nadelspielerei, in der Fleischton, Haar und Augen ein monotones Gekritzel waren. So schliff ich die vierte Platte wieder ab und gab mich tollkühn an die fünfte, diesmal wieder in Lebensgröße. Es geriet mir nun endlich, die Effekte zusammen zu halten, namentlich die Augen als etwas besonderes in den Kopf hinein zu bringen; und obwohl ich noch über manche Partien aus Verlegenheit willkürlich mit kühnen Strichen gearbeitet hatte und unter dem Mund noch einen abscheulichen Ätzflecken bekam, machte mir die Platte eine Zeitlang Freude; bis ich sie schließlich doch wieder schleifen und somit meine Radierversuche nach der eigenen Persönlichkeit mit einem Mißerfolg auf der ganzen Linie abblasen ließ.
Ich war darüber – zum erstenmal seit meiner Schülerzeit in München – in Eifer geraten, hatte, weil mir tagsüber die Damenschule die beste Zeit wegnahm, die Abende dazu genommen und in der Leidenschaft manche Nacht durchradiert bis in den Morgen. Gerade, daß es eine Geduldsarbeit war und daß die Technik sich so widerspenstig zeigte, reizte mich. In der Ölmalerei kam ich immer wieder an einen Punkt, wo ich gewissermaßen keinen Feind mehr sah, mit dem ich mich balgen konnte; hier stand er endlich Auge in Auge vor mir und ich konnte zeigen, daß meine verdrossene Faulheit vorher kein natürliches Bedürfnis gewesen war. Ich nahm mir nun auch meine erste Platte wieder vor, die vom Halm, die noch immer die beste geblieben war, und dachte, was töricht darin wäre, durch bewußte Anwendung der gelernten Strichtechnik überarbeiten zu können. Darüber fing das Jakobsringen mit dem unsichtbaren Gott der Radierung erst an; nicht eine, sondern viele Nächte balgte ich mich mit ihm herum und hobelte mir die Finger wund und blutig an dem harten Material.
Es begann natürlich damit, daß ich die Platte ganz überarbeitete mit den neu gelernten Nadelkünsten; aber als mir der Drucker das Resultat vorzeigte, hatte ich die ganze Zeichnung verkritzelt. Ich war so sicher gewesen, es besser zu machen, und nun war auch diese Platte, die letzte von den sieben, ganz hin; ich heulte vor Verzweiflung wie ein Junge, dem einer sein ganzes Spielzeug ins Wasser geworfen hat. Der tückische Gott der Radierung, der noch andere Qualen mit mir vorhatte, hielt mich ab, die Platte abzuschleifen. Nach ein paar Tagen raffte ich mich auf, den Unsinn wieder abzuschaben und all die mühsam eingekritzelten Striche wegzupolieren. Das war zum mindesten eine Neuigkeit für meine Geduld, aber als ich drucken ließ, sah es doch wieder menschlich aus, bis ichs von neuem mit der unnützen Nadel verdarb. So bin ich bis ins Frühjahr 1886 an der Platte gesessen, wie wenn ich eine böse Krankheit in ihr hätte, an der ich mit immer neuen Quacksalbereien mein Glück versuchte. Ich habe sie in dreizehn Zuständen drucken lassen und an jedem dieser Zustände hängt ein trübes Durcheinander von Hoffnung, Qual, Entmutigung und Trotz. Einmal habe ich eine ganze Nacht daran gesetzt, die Platte mit feinster Nadelarbeit zu überdecken, dann in der Morgenfrühe noch geätzt: als ich sie am Nachmittag nach einem Straßenkampf wilder Träume in einem todmüden Mittagsschlaf noch drucken ließ, war von meiner ganzen sehnsüchtigen Arbeit durch ein Mißgeschick bei der Ätzung auch nicht ein Strich zu sehen.
Damals hab ich die Platte an die Wand geworfen, daß sie mit krumm gebogener Ecke darin stecken blieb; aber weil man mit solchen Wutausbrüchen vielleicht einen Stier erwürgen, nur keine Kunst machen kann, holte ich die Platte am selben Abend wieder vor, klopfte ihr mit einem Holzhammer wie ein Spengler die Ecke zurecht und setzte mich die zweite Nacht von neuem an die selbe Arbeit; nur paßte ich in der Morgenfrühe diesmal mit der Ätzung auf und hatte am Nachmittag auch wirklich einen Abzug, in dem jeder Strich genau zu sehen war: doch sah der ganze Kopf jetzt aus wie ein Drahtgeflecht.
Bei dem Anblick ist nichts Heiliges übrig geblieben, das ich nicht mit den wildesten Schmähungen angespien habe; wer nicht die Engelsgeduld hat wie dieser einzige Halm, der alle Gefährlichkeiten der Technik kaltblütig im Auge behält und bei jedem Strich Absicht und Wirkung mit der Sicherheit einer Gleichung balanziert, wer mit seinem hitzigen Temperament zu kämpfen hat wie ich, weil ihm auch in der Kunst die Pferde der Leidenschaft durchgehen: der lasse seine Hände von der Radierung. Außer, er suche, wie manche unnütz Liebenden, die Qualen seiner Leidenschaft mehr als die Erfüllung.
Wie aber in der Liebe, ging es mir damals in der Kunst; wenn man meint, endgültig abgefahren zu sein und recht verdutzt auf der Nase gelegen hat – zufällig hebt man die Augen auf und siehe, das verflixte Weibsbild steht mit einem Lächeln da, wie wenn sie nur auf diese Verzweiflung gewartet hätte, um die Erfüllung möglichst lecker zu machen: so geriet es mir dann mit einemmal. Ich hatte im Jahr vorher meine Schwester Sophie gemalt, ein bißchen flau, auch in der Zeichnung, doch stand der lebhafte Ausdruck ihrer Augen, die Blondheit mit dem frischen und halb geöffneten Mund gut fest. Nun packte mich eine Eingebung, diese Blondheit müsse mit der Radierung viel sicherer zu erzielen sein; und wie es damals mit mir stand, es war im Juni 1885, nahm ich mir eine große Platte her und radierte darauf los; in anderthalb Tagen war ich fertig, mit der Ätzung passierte mir auch nichts, und so hatte ich denn endlich ein Resultat, etwas, das keine Federzeichnung – wie meine Selbstbildnisse – sondern Kupferdruck und doch frisch geblieben war. Was ich schon im dritten Selbstbildnis mit der Zigarre gemacht hatte, die Weichheit der Fleischbehandlung statt mit Linien mit Punkten zu erzielen, das hatte ich diesmal stärker angewandt, mit dem Erfolg, daß ich die nächste Platte ganz darauf einstellte.
Denn nachdem mir dieses blonde Menschenkind geraten war, versuchte ich es tollkühn gleich hinterher auf einer noch größeren Platte mit einem schwarzen, indem ich die Eva Dohm, die Braut von dem Bildhauer Klein, auch nach einem gemalten Bildnis radierte. Sie war ein rechter Strubelkopf und die tiefe Schwärze ihres Haares hatte mir schon in dem Ölbild zu schaffen gemacht; ich radierte auch diese Platte in ein paar Tagen herunter, versuchte mit der kalten Nadel die Tiefen in das Haar hinein zu arbeiten und hatte nach einigen Mißgeschicken mit der Radiernadel mehr erreicht, als mir jemals mit dem Pinsel möglich gewesen war. Freilich ruinierte ich auch diese Platte im sechsten Zustand wieder, aber nun saß ich doch endlich im Sattel dieser schwarzen Kunst.
So recht in meinen Überschwall hinein kam mir die telegraphische Nachricht, daß mein Vater gestorben wäre. Er war schon eine Zeitlang nicht mehr im Amt gewesen; sein altes Leiden hatte ihn gepackt, sodaß der Tod, mehr als es sonst gilt, eine Erlösung für ihn wurde. Die Trauer um die letzte tags vorher verdorbene Platte der Eva Dohm mischte sich während der langen Eisenbahnfahrt merkwürdig mit der Todesstimmung. Ich machte angesichts des Toten meine Rechnung: ich fand mich achtundzwanzigjährig und seit vier Jahren mitgezählt in der deutschen Kunst; wenn ich mir trotzdem wieder wie in der Jugend als eine Art heimlicher König vorkam, waren es nicht meine Bilder, an die ich nur mit Grauen dachte, sondern die beiden radierten Blätter. Sie waren schließlich doch das einzige, was ich vorzuweisen hatte vor dem Angesicht des Toten. Soviel wildes, wüstes, hingefegtes Leben, soviel verzweifeltes Studium, soviel verrauschte Leidenschaft seit neun Jahren um zwei Blätter: da sah ich wohl, wie schwer die Kunst war und wie hoch die alten Meister sie gebracht hatten, deren Leichtigkeit zu schaffen mir mehr als alles fehlte.
Daß ich auch diese Blätter bald wieder als erledigt zur Seite legen und aus dem Radierer ein Kupferstecher werden müßte, um erst in solcher Bescheidenheit mit einigen Blättern eintreten zu können in die große Reihe, daß ich noch kaum am Anfang war und überhaupt zu keinem Ende kommen sollte; wenn mir das einer geweissagt hätte: ich wäre am Sarg des Vaters vorsichtiger gewesen mit der Gedankenkette, wie doch ein Künstler glücklicher als solch ein Pfarrer und überhaupt als alle andere Menschen sei, indem die meisten mit ihrem Beruf verlöschten; er aber gäbe Tausenden Freude ins Herz, womöglich in Jahrhunderten, er brächte die Grüße seiner eigenen Zeit in die zukünftige und bliebe ein Stück des Lebens, obwohl er längst im Grab vermodert sei.