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VIII.

Gerade, was mir damals als eine Bestätigung meiner nun gesicherten bürgerlichen Existenz schien, der unvermutete Staatsauftrag, den Dichter Freytag für die Nationalgallerie zu malen, das warf mir die Kartenhäuser um. Ich hatte den toten Christus noch in der Platte, als der Auftrag kam; obwohl ich ihn zu einer Konkurrenz einreichen wollte, ließ ich den Akt im Stich – diesmal wörtlich – und reiste nach Siebleben ab, wo der Dichter noch vom Sommer her sein Landhaus bewohnte. Daß ich mich der Konkurrenz zuliebe nicht länger damit abquälte, war übrigens nicht schade; denn als ich den Akt ohne Kopf einreichte, wurde er grundsätzlich zurückgewiesen, weil er nicht in der herkömmlichen Linienmanier gestochen sei.

Es war ein schöner Oktobertag, als ich nach Siebleben kam, und wenn es mir ein bißchen gegrault hatte vor dem Siebziger, war ich erlöst, als ich den lächelnden Weißkopf selber sah, der wie ein Landpfarrer seinen Garten behütete und doch in den Weltsachen, selbst in der hohen Politik mit seinem Urteil zuhause war. Der Kopf war gut in der Form, noch frisch in der Farbe und wie bei meiner Mutter durch die Falten des Alters etwas in die Breite gezogen, was beim ersten Anblick selbstgefällig wirkte. Ich hatte bei meinen Stichen unterdessen gelernt, worauf es ankam bei der Materie, und dachte es nun sicher auch mit dem Pinsel zwingen zu können. Der Raum, in dem ich malte, war zwar so klein, daß ich kaum einen Schritt von der Staffelei zurück treten konnte; aber der alte Herr saß wacker täglich seine drei Stunden, nicht apathisch wie der Gottfried Keller, sondern stets belebt in der Unterhaltung. Der zeichnerische Aufriß war rasch da, und auch die erste Farbe saß nicht übel; zum wenigsten fand der Halm, der damals an der Kunstschule in Weimar einen Radierkursus hielt und für einen Tag herüber kam, die Anlage nicht nur ähnlich sondern auch in der Farbe frischer, als ich sonst gewesen wäre. Je weiter ich nun aber ins Detail der Form ging, nach meinen Erfahrungen in der Radierung fest vertrauend, daß sich daraus die malerische Haltung von selber ergeben müsse, umsomehr sah ich, wie mir alles in Einzelheiten zerfiel. In der zweiten Woche hoffte ich noch, aber als mich nach siebenundzwanzig Sitzungen meine Holztafel mit ihrem Bröckelwerk von Farben immer zerfahrener anstarrte, zog ich in der achtundzwanzigsten Sitzung mit weißem Pinsel eine Locke quer durchs Gesicht. Der alte Herr war ganz verstört, als er die Arbeit von einem Monat – auch die seine – in einer Sekunde vernichtet sah: er schien aus seiner Schriftstellerei dergleichen nicht zu kennen; ich aber fuhr mit meiner Holztafel, tiefer gedemütigt als je vorher, nach Berlin zurück. Das einzige, was ich aus diesem Herbstaufenthalt mitbrachte, war eine große Kiste von Silberdisteln, die ich mir in Siebleben gesammelt und zu einem fünfundzwanzig Meter langen Kranz geflochten hatte, um damit meine Atelierwand gegen die Decke abzuschließen; als ich sie schließlich Anfang Dezember anheftete, weil ich sie doch nun einmal dahatte, kam mir der Galgenhumor ganz von selber, daß so stachlig und trocken die Blumen wären, die mir aus meinen Studienreisen blühten.

Es war immer die gleiche Sache mit meiner Kunst; ich brauchte nur den Anflug eines Hochmuts zu haben, daß ich weiterkäme, und schon hatte ich meinen Schlag ins Genick. Diesmal aber war ich hartnäckiger als sonst, weil mir der große Kupferstich aufhalf. Die Platte lag noch immer in dem Zustand da, wie sie mir von der Konkurrenz zurück gewiesen war, mit dem ausgekratzten Christuskopf. Der schien mir in meiner jetzigen Verfassung überhaupt schon eine poetische Übertreibung, und so stichelte ich nachträglich den Kopf des Modells so peinlich nach der Natur, wie ich den Körper gemacht hatte; das Ganze war nun zwar nichts als eine Aktstudie in Kupfer gestochen, aber sie war solid und technisch nicht mehr zu überbieten. Wie ein Verirrter jeden Weg zehnmal ausprobiert, so glaubte ich mich auch als Maler von hier aus retten zu können, indem ich mit dem Pinsel einen Akt geradeso nach der Natur herunter malte. Diesmal sollte es ein Gekreuzigter werden. Was mir damals in der Akademie bei Löffz halbwegs geraten war, das mußte jetzt nach soviel Studium und mit dem eisernen Bestand meiner gestochenen Arbeit gelingen. So malte ich das ganze Frühjahr hindurch das selbe Modell als lebensgroßen Akt am Kreuz und mußte dabei einsehen, daß mir das entschleierte Geheimnis der Farbigkeit und der Materie in der Radierung als Maler wenig nützen konnte, weil in dem Pinsel die Farbe selber saß. Die war niemals aus der Form zu gewinnen, sie lag im Spiel des Lichtes auf den Dingen wie die Musik auf den Worten eines Liedes; die Worte hatte ich nun ziemlich gelernt, mit der Musik der Farben von Grund auf anzufangen nach soviel Jahren meines Studiums, das vermochte ich nicht mehr, weil meine Nervenkräfte verschlissen waren.

Darüber bekam meine Haushälterin, die eine Witwe von fünfunddreißig Jahren war, wieder Heiratsgedanken; sie verließ mich zum Frühjahr; in Cairo starb am Lungenschlag mein Freund Lissel, der Architekt, der noch den Winter über radierend bei mir gewesen und mir wie ein Bruder teuer geworden war; die Professur in München schien sich auch nicht zu machen und ernsthafte Heiratsgedanken brachen frühzeitig beide Beine, weil der Gegenstand, eine langjährige Schülerin von mir und eine teufelsmäßige Schönheit, ein bißchen Katz und Maus mit mir spielte, im übrigen aber wenig genug von mir zu halten schien: so klang ein schön und mit neuen Hoffnungen angefangener Winter zum Frühjahr in eine fadenscheinige Verzweiflung aus. Der Akt wurde zwar fertig und kam zur Ausstellung, auch den Freytag schmiedete ich so für die Nationalgallerie zurecht, daß er sich zum mindesten durch die strenge Formbearbeitung hielt und in der Farbe nicht zu sehr abfiel: aber es war keine Zukunft in diesen Sachen; den Akt hatte ich aus Trotz fertig gemacht und den Freytag, weil ich das Geld nötig hatte. Es war die Arbeit eines Karrengauls, der sicher stehen blieb, wenn ihm die Peitsche nicht um den Kopf knallte. Jahr für Jahr blieb es mit meiner Malerei das gleiche friedlose Rennen, und ich fühlte, daß mir der Atem allmählich ausging; von dem Wunderkind war nichts geblieben, als ein wund geschaffter Mann, dem schließlich sein Atelier und seine Wohnung freudlos und widerwärtig wurden.

Eine neue Haushälterin zu suchen war ich zu mutlos und so nahm ich nach und nach das Märtyrertum an, darin nervöse Menschen sich gefallen, wenn die Kraft nicht mehr ausreicht, es zu ändern. Ich ließ mir von der Portiersfrau des Hauses das nötigste machen in meinem Atelier, verkam darüber fast in Staub und Unordnung, sodaß ich schließlich, der ich zum wenigsten äußerlich noch häuslich und fleißig gewesen war, nun keinen Abend mehr zuhause blieb und mich schon fast an dieses sinnlose Herumsitzen in Weinkneipen gewöhnte, das schließlich das Ende aller entgleisten Existenzen ist, solange sie genügend Kleingeld in der Tasche behalten.

* * *

Ich war im Jahre 1881, also gleich nach der Medaille zum erstenmal in Paris gewesen und hatte mir manche Anregung heimgebracht, an der ich zwischendurch die Jahre geknabbert hatte. Nun wollte ich es noch einmal dort versuchen, vielleicht, daß es mir half. Als ich im Juni meine viertausend Mark vom Staat für den Freytag erhalten hatte, tat ich zehn Prozent davon in die Tasche und reiste über Brüssel nach Paris, wo ich an einem Sonntagmorgen anlangte, zuerst in den Salon, danach in den Louvre ging, und eine Woche lang nicht mehr heraus kam. Was den Salon betraf, so brachte ich noch aus alter Ehrfurcht ein Gefühl mit, daß hier heiliges Land wäre, aber nun sah ich, daß die Dornbüsche gerade wie bei uns das meiste Holz im Wald ausmachten. Meine Vorstellungen von französischer Malerei waren anders als sie selber; nur das war der Unterschied zur deutschen, daß bei uns der Durchschnitt schlecht malte, während er dort den Großen immerhin das Handwerk abguckte; was aber sollte mir das helfen, der lieber nichts sein, als zum Durchschnitt gehören wollte!

Als ich danach noch eine Woche in den Niederlanden war, um dort die alten Holländer zu sehen, machte ich noch eine Entdeckung, die gewissermaßen die letzte Station zu meinem Kalvarienberg der Malerei war. Zuerst meinte ich, daß mir nach den modernen Farben der Franzosen der künstliche Goldton der alten Holländer zuwider wäre. Bald aber merkte ich, daß es mir vor dem geliebten Rubens nicht anders ging; ich war der Bilder aus tiefer Seele und bis zum Ekel überdrüssig geworden. Ich hatte mich seit zwölf Jahren bemüht, alles, was auf dem Gebiet der Malerei geleistet war und noch wurde, zu studieren und in der Form mit der Natur zu kontrollieren; ich hatte meine Bildung als Maler an der vorhandenen Kunst gewonnen und merkte nun, daß in der Farbe der schönste Rubens vor einem Stückchen Natur verblaßte, das durchs Fenster herein sah. Das merkwürdige Wort des in irgend eine Heilanstalt verschollenen Kispert bei Schäftlarn fiel mir wieder ein, von unsern Lehrern und der Natur: ich glaubte nun erst ganz den Sinn davon zu verstehen und was für eine schneidende Kritik darin lag an aller Kunst, die wir im Sinn unserer Lehrer, also im Bann der alten Meister machten.

So kam es, daß ich auf meiner Kunstreise in Holland kaum die Bilder und immer wieder die Pracht der Landschaft sah, die viel schöner als all die bräunlichen Tafeln und nur ein paarmal bei Hobbema und einmal im Haag beim Vermeer van Delfft angerührt war: diese Kornfelder und flachen Wiesen mit den Kanälen mitten durch, wo die Schiffe auf dem Land zu fahren schienen und mit ihren Segeln wie tief geballte Wolken in dem ungeheuren Horizont standen.

Beim Haag aber liegt Scheveningen, und wenn man die halbe Stunde hinaus fährt durch den merkwürdigen Wald, dann ist das Meer da, das ich damals zum erstenmal sah. Ich kam erst nach Sonnenuntergang hin; es war kalt und windig und die Wellen am Strand gingen ziemlich hoch mit ihrem weißen seidigen Schaum: immer, wenn die eine ihre Tücher ausrollte in den Sand, daß die Spitzen daran sich rauschend auskräuselten, kam die nächste schon wieder an und warf den ganzen Schwall ihres Wassers darüber her, um doch nichts zu wirken als neue Tücher und neue Spitzen, die dann in hundert Bächen wieder zu Wasser wurden und hurtig zurück liefen. Sie führten den Blick von selber hinein in die Tiefe, wo tausende solcher Schaumränder in immer kleineren Zwischenräumen für das Auge starr zu stehen schienen und sich endlich verbanden zu jener eisernen Linie am Horizont, die mit ihrer Unbeweglichkeit über all diesem Aufruhr stand, obwohl sie doch sein Teil und seine Begrenzung war. Ich konnte die halbe Nacht nicht wieder fort, mußte denken, was für ein anderes Sinnbild des Menschenlebens dies doch war als das Hochgebirge, wo sich in den Bergen nur die Geschichte der Elemente erstarrt und unveränderlich zeigte, während hier das Leben selber als Welle auf den Sand herrauschte und in seiner Geburt schon starb. Ich dachte an meinen Freund Lissel, der nun im Sand bei Cairo schon von den fleißigen Würmern in den Stoffwechsel zurück geführt wurde, wie er im Winter noch meine Ätzungen beaufsichtigte – einmal die kleine Platte vom Halm so ungeschickt, daß die Haare gleich Bindfäden ätzten – nun aber von den meisten trotz aller Leidenschaft seiner Studien schon vergessen war. So starb hier Welle auf Welle zu meinen Füßen, jede war ein Wunder von entzückenden Ornamenten und hatte nicht einmal Zeit, im Sand zurück zu laufen, schon fiel die andere darüber her.

Gleich in der Frühe war ich wieder da und jetzt sah ich die Farbe, wie sie sich steigerte zum Horizont, auch darin die Gewalt des Elementes zeigend; wie sich das flirrende Mosaik der einzelnen Farbfetzen hier vorn darin verband zu einem einzigen Klang, so stark, daß man ihn förmlich wie eine Tuba hörte. Da sah ich, daß Mesdag und Konsorten, Achenbach und wie die Meermaler alle hießen, Seifenschaum und Mehlsuppe und Pinselgymnastik machten und kein Meer, und daß der einzige, der es gemalt hatte, trotz seiner kitschigen Meerweiber darin doch Böcklin war, weil alles Spezialistentum bestenfalls zur virtuosen Manier führen mußte. So drängte sich mir eine Ansicht der modernen Kunst auf, wo sich jede Berühmtheit mit irgend einem Zipfel Naturanschauung bekannt gemacht hatte, um bis zum Lebensende das Patent auszunutzen, wo der eine seinen Hirsch zur Dreiviertelsieben-Stimmung in der Moorlandschaft mit der Mondsichel und der andere am Meer oder sonst sein » cachet« hatte. Die Natur aber duldete in dem unendlichen Leben ihrer Schönheit keine Kunstrezepte; wie sie in jedem Augenblick neu geboren schien, wollte sie auch in jedem Kunstwerk neu bezwungen sein. Freilich war zwischen Böcklin und mir ein Unterschied wie zwischen einem Pegasus und einem preußischen Ordonnanzpferd: aber wenn ich in einem Stich wie dem von meiner Mutter aus der unbeirrten Naturanschauung zu einem Resultat gekommen war, sollte es mit der Landschaft ebenso möglich sein; und daß die Landschaft die Grundlage aller modernen Malerei sein mußte, wenn sie von den Meistern und den gelernten Kniffen des Handwerks los kommen wollte, das sah ich wohl ein.

So kam ich schon wieder mit einer neuen Lehre nach Haus; und obwohl ich merkte, daß mir allmählich der lange Atem ausging, daß ich in meinen Entschlüssen kurzatmig wurde und sprunghaft wechselte, so schob ich das auf die Sackgasse, in die ich geraten war; denn was kann einer anders machen, der nicht konsequent den ganzen Weg zurück gehen will, als verzweifelt einen Ausweg suchen. Wie ich zurück war in der Stadt, wo es die schlechtesten Maler und die besten Soldaten gibt, und meinen Kram betrachtete: fielen mir auch die Studien zu meinem großen Bibelbild wieder in die Hand. Ich erinnerte mich, wie begeistert ich noch im vergangenen Herbst im Park von Belvoir statt der antikisierenden Halle das Blätterdach der Landschaft für den Vorgang gefunden hatte und wie auch das bei einigen Skizzen geblieben war. Dabei fielen mir die Berge meiner Heimat ein und das blaue Hügelland um Bern, meine Malerei war taub geblieben, weil sie dahinein keinen Weg gefunden hatte. Ich wäre am liebsten gleich hingereist; aber noch hatte ich das unfertige Bildnis der Lydia mit den Oleanderblüten und dem roten Küchenmädchengesicht, wie sie in Zürich spöttisch gesagt hatten, und ich sah, daß ich damit nicht heimkommen durfte. So wollte ich wenigstens erst einen Stich von der Frau haben, die ich längst mehr als jeden andern in meinen Briefen zum Mitwisser meiner Niederlagen gemacht hatte. Ich besaß schon einen mißglückten Versuch; nun stach ich sie nach meiner Ölskizze mit dem Rembrandthut und legte die zarten Striche so vielfältig übereinander, daß mir das Fleisch endlich transparent vorkam.

Es machte mir keine Mühe, wie ich auch das letzte Halmbildnis – es war das vierte – im Mai leichthin in zwei Tagen auf die Platte gebracht hatte. Damals glaubte ich, es wäre die aus Holland heimgebrachte Furcht vor dem Spezialistentum, was mir diese beiden Kupferstiche, die letzten, die ich anfing, soviel weniger interessant machte; ich nannte noch den Teufel der Vollendung, was schon die ausgebrannte Leidenschaft meiner Natur war, die sich im Kampf mit dem Objekt zerreiben mußte, wenn sie tätig sein sollte. Nun das Problem gelöst und das Geheimnis der Kupferplatte für mich entschleiert war, lag in der Sache kein Reiz mehr für mich, wenigstens keiner mehr groß genug, um darum den Aufwand eines an die Kunst verkauften Lebens zu machen. Es hätte eines gereizten Briefes der Lydia nicht bedurft, die wie der Gottfried Keller durch ihr Ebenbild in meiner Auffassung an der Eitelkeit gekränkt war, um mir die Lust am Grabstichel zu nehmen, den ich nun so gut wie einer in der Welt zu gebrauchen wußte, und der mir eben dadurch verleidet war.

Darüber war es Juli geworden, und ich wollte für ein paar Tage aus der Asphalthitze Berlins und von meinen Kupferplatten weg in den Harz; im letzten Augenblick besann ich mich und fuhr nach Rügen, weil mir die Nacht am Meer in Scheveningen nicht aus den Sinnen ging. Doch fand ich, daß die Ostsee eine Art Bodensee, sicher aber kein Meer war; ihr blaues Wasser lag spiegelglatt, und so schön die Buchenwälder farbig dazu standen, die Enttäuschung blieb, sodaß ich nicht erfrischt nach Berlin zurück kam. Die Vorstellung aber, daß ich nur aus strengem Naturstudium zur Farbe kommen könnte, verstärkte sich auch da und daß – wie bei meiner Landschaft aus Großhesselohe, dem Spinat mit dem Setzei – Buchen dabei sein müßten. Sobald ichs machen konnte, überließ ich deshalb mein Atelier dem Staub und reiste nach der Heimat, brennend darauf, endlich einmal monatelang draußen in der Landschaft zu malen, was mir in der Hetze von zwölf Jahren nicht möglich gewesen war. Mit mir freilich fuhr der Zweifel, ob meine malerische Begabung überhaupt durch eine solche Kur noch zu retten wäre und ob mich meine Natur nicht viel gründlicher in einen andern Sattel setzen wollte.

Meine Mutter war damals schon aus Bern nach Biel gezogen, wo mein Bruder Eduard als Fürsprech lebte. Es ist inwendig ein schön gebauter alter Ort der leider durch die Regulierung des Bielersees nicht mehr direkt am Wasser liegt und durch Fabriken rund herum verdorben ist. Doch steigt der Jura darüber mit Waldhängen direkt zu einer Hochebene auf, daraus der Chasseral den seltsamen Tierrücken hebt. Ich blieb ein paar Tage bei meiner Mutter; durch die Schicksale mit meinem Vater und den Ärger mit uns Kindern, dazu ich auch das meinige getan hatte, durch die tägliche Sorge um ihr vielfach gefährdetes Dasein, war ihr heiteres Gesicht allmählich gefurcht geworden. »Das Leben ist Sorg und viel Arbeit,« konnte auch sie über ihre Tür schreiben, und weil sie nicht mehr geneigt war, etwas leicht zu nehmen, auch in meinen Wandlungen schon den Gang des Schicksals argwöhnte, nahm sie mehr Freude an sich, als sie geben konnte.

Hier unten war nichts zu malen; ich hatte mir eine Auseinandersetzung mit der Landschaft gedacht, wie meine Kupferstecherei gewesen war und dafür wollte ich mit ihr allein sein. Also kletterte ich eines Tages hinauf nach Romont, einem jämmerlichen Dörfchen im Jura, das nicht einmal eine Fahrstraße hat und von der Eisenbahnstation Pieterlen mühsam erreicht wird. Einen Gasthof gab es da oben nicht, doch fand ich ein sauberes Bett bei der alten halbtauben Postjungfrau und konnte in dem Cabaret auch eine Art frugaler Nahrung kriegen. Wichtiger als das war mir die herbe Bergluft, die der obere Jura stärker als jedes Hochgebirgstal hat, und daß ich dort Buchenwälder von unendlicher Weite fand, dazu die Erwartung, endlich einmal ein paar Monate lang allein mit Himmel, Bergen, Fernen und Wäldern zu sein, ohne Kunst und Menschen, soweit ich nicht selber von beiden Dingen eine übermessene Last herum trug. Ich war in jeder Bedeutung des Wortes kurzatmig geworden und mußte mich erst wieder zu Kräften bringen.

In den ersten Tagen gab es natürlich Regen; es machte mir wenig, weil ich auch danach eine Art Durst hatte, die Natur wieder einmal wie einen dick begossenen Garten in der dampfenden Weichheit halbsonniger Regentage zu haben; nachher wurde es schon besser, sogar zum Rösten heiß in der bergklaren Luft, sodaß ich täglich meine acht Stunden malen konnte. Da stand ich denn mit meiner Palette voll reiner Farben und den sauberen Pinseln wieder wie vor neun Jahren an der Isar in einem Buchenwald und wollte sehen, wie ich die perlgrauen Stämme und den lilabraunen Boden mit der grünen Blätterflut auf die Leinwand brächte, ohne daß die Farben, die in der Natur so schmelzend gingen wie in Email, gegeneinander schrieen. Aber was damals Übermut und nur eine Art Knabentrotz gewesen war, war jetzt die bittere Notwendigkeit eines Mannes geworden, der sich in seiner Kunst von allen Seiten eingekreist sah und, wenn er Maler bleiben wollte, diesmal nicht verlieren durfte.

Ich war von Anfang an bescheiden und klug genug, mir keine Bilder sondern nur Studien vorzustellen; was mich frappierte, sollte in Farben auf die Leinwand kommen, immer nur der farbige Effekt, nicht mehr. Aber auch mit dieser Vorsicht kam ich nicht weit. Ob ich auch noch so kühn einsetzte, es wurde immer, wenn ich die Farben auf der Leinwand zu einer Art Ordnung brachte, ein so verblaßter Abklatsch daraus, daß ich mich vor der Natur schämte. Ich ließ es trotzdem nicht an Kühnheit fehlen und gab mich tapfer daran, die blauen Fernsichten in meine Studien einzubegreifen. Von Biel zieht sich der Jura bis zum Weißenstein bei Solothurn meilenweit dem breiten Aaretal entlang mit einer steilen vielzerklüfteten Kette, die schließlich das Grün der vorderen Hänge in das blauste Blau auflöst. Wenn ich dann meinte, dergleichen wiederum recht natürlich auf der Leinwand zu haben, war es für sich besehen solch ein brutaler Zweiklang, daß ich es auch nicht gelten lassen konnte. So zerrieb ich mich in kurzer Zeit zwischen Landschaft und Leinwand derart, daß ich kaum noch wagte, mit der Palette auszuziehen. Um aber nur eine Sommerfrische zu haben, war Romont zu wüst; ich brach lange vor der festgesetzten Frist meine Zelte ab und ergriff vor mir selber die Flucht.

In Biel fand ich bei meiner Mutter die Nachricht vor, daß mir der preußische Staat nachträglich zu dem Freytagbildnis auch noch die beiden radierten Platten für zweitausend und fünfhundert Mark abgekauft hätte; das brachte mich über den ersten Schrecken meiner Niederlage fort; auch war ich trotz allem künstlerischen Mißgeschick da oben braun geworden. Nur ruhen und zur Besinnung kommen durfte ich jetzt nicht. Ich hatte von Romont meine Berneralpen ein paarmal so herrlich aufgebaut gesehen, daß ich mich nun für ein paar Tage hinein wagte; übers Wetterhorn und die Dossenhütte nach Innertkirchen hinunter und von da ins Gadmental hinauf, daran ich aus meiner frühen Zeit eine schöne Erinnerung hatte, wie es mit seinem breiten und grünen Talboden voller Nußbäume zwischen den nackten Felswänden der Gadmerfluh und den Thierbergen stand. So zu steigen, tat mir wohl für meine Stimmung; wo jeder Schritt bedacht sein mußte und der Blick nicht vom Boden wegdurfte, fand der Kopf keine Zeit, das Fazit aus der Erfahrung in Romont zu ziehen, die noch immer wie die Nachricht von einem Todesfall auf mir lag, nur lähmend zuerst und noch garnicht in ihrer Schmerzhaftigkeit begriffen. Am Grauen Stock aber fehlten mir ein paar von den Krallen in den Bergschuhen vorn, und als es darauf ankam, rutschte ich wirklich ab; nicht tief genug, um den Hals zu brechen, weil ich mich unterwegs noch festgreifen konnte, doch immerhin so gründlich, daß ich mit einer bösen Kniezerrung gegen die Nacht nach Gadmen zum Bären gehinkt kam und andern Tags mit dem Wagen als ein Halblahmer das schöne Tal verlassen mußte.

So gab mir ein Mißgeschick genügend Zeit, den Gedanken über meine künstlerische Lage nicht mehr auszuweichen. Ich mußte mit dem Knie in der Bandage bei meiner Mutter lange herum liegen und versuchte es zuerst mit lesen; zufällig fiel mir der Martin Salander von Gottfried Keller in die Hand, von dem ich immer das Gefühl gehabt hatte, er könnte schon ein wenig senil sein: er war es garnicht, und als ich die letzten Seiten des geruhsamen Buches aus der Hand legte, wußte ich mit einem Mal, daß es nicht nur in der Dichtung weniger auf den Gegenstand ankommt als auf die Musik, die darum gemacht wird. Dieses Lebensschicksal des alternden Salander hätte ebensowohl ein wildes, bittres, auch trocken schilderndes Buch werden können, wie es nun ein voller Strom von reichen Herbstfarben war. Ob mir das Bild nur davon kam, weil draußen der Herbst mächtig ins Land zog und, obwohl es kühlsonnig blieb, alles mit Gold anfärbte? Mir ging auf einmal bei dem Buch auf, daß es so farbig wirkte, weil es so musikalisch war; ich aber hatte keine Farbe gehabt von Anfang an und würde sie nie haben, weil ich unmusikalisch wie selten einer war. Darum konnte ich nicht so bequem wie die andern die Malerei gleichsam als Musik über die Dinge legen; ich mußte mir die Stofflichkeit, die Farbe und den Schmelz darin kümmerlich aus dem strengen Studium der Form gewinnen. So war es bei den Stichen gewesen; weil mir die Form zur Farbe nichts nützen konnte, die im Spiel des Lichts unabhängig von ihr und fast willkürlich um die Dinge spielte: darum kämpfte ich seit zwölf Jahren einen Verzweiflungskampf auf einem verlorenen Posten, wie ihn Dürer als Maler – gegen Holbein und Rubens genommen – auch gekämpft hatte. Mit dem Stichel konnte ich die Farbigkeit der Dinge bis zur Illusion vortäuschen, mit dem Pinsel kam ich nicht zurecht, weil darin die Farbe selber und keine Druckerschwärze saß. Darin konnte mir auch alles Naturstudium nichts helfen, und so mußten alle glühenden Bilderträume meiner Jugend ungeboren bleiben.

Weil aber die Graphik meinem Temperament nicht genügte, weil ich mir auch zu jung vorkam und viel zu unrastig, um darin schon die Beschränkung zu finden, aus der nach Goethe der Meister kommen kann: so blieb mir, wenn ich höher wollte, kein Weg mehr zur großen Kunst, als mich auf meine Formbegabung zu beschränken und ihr bis in die Konsequenz der Plastik zu folgen, also mit dreißig Jahren endlich aus einem Maler, Radierer und Kupferstecher ein Bildhauer zu werden. Daß ich damit aus der Einkreisung meiner künstlerischen Lage nur einen neuen Ausweg hatte, der mir gangbar schien, weil ich nur erst den Anfang und nicht wie sonst von allen Seiten schon das Ende sah, das in der Kunst dem Sprichwort entgegen viel schwerer als aller Anfang ist; daß, wenn ich wirklich unmusikalisch, im letzten Grunde auch unkünstlerisch war und also auch hier einmal an die Grenze meiner Begabung kommen mußte mit meiner bohrenden Hartnäckigkeit: das besorgte ich damals noch nicht. Und wenn ich es gesehen hätte bis in den letzten kahlen Grund: mein Temperament war nicht danach, vor irgend einer Einsicht Halt zu machen, daran sich meine Kräfte im Widerspruch noch nicht gemessen hatten.

So kam ich endlich im Herbst als ein hinkender Maler ins Belvoir, aber als ein Mann trotzdem, der nicht aufhören konnte zu gehen, bis auch das andere Bein steif war.

* * *

Ich fand die Lydia anders als im vergangenen Sommer, wie auch der Meyer anders geworden war, den ich mit ihr einmal auf Kilchberg besuchte; irgend ein Mehltau schien auf die beiden gefallen zu sein, die zwischen Apathie und nervöser Gereiztheit so jäh wechselten, daß ich mir selber wie ein Urbild von Gesundheit vorkam. Ich wußte zwar, daß die Lydia den Sommer über in der Kaltwasserheilanstalt am Gießbach gewesen war, dachte aber, daß sie gleich wir erfrischt wieder gekommen wäre. Trotzdem gab es freundliche Wochen im Belvoir und eines Tages auch ein Projekt, das sie anscheinend mit ihrem Mann im Winter schon besprochen und nur bis dahin zurück gehalten hatte, weil ich mit der Darlegung meiner Münchener Aussichten dazwischen gekommen war.

Als sie mich nun dahatte mit meiner Niederlage aus Romont und dem verknacksten Malerbein und trotz den braunen Backen aus meiner Stimmung bald erkannte, wie wenig die auf München, im Grund ebensowenig wie auf Berlin stand: kam sie mit ihrem Plan heraus. Es war in Briefen davon die Rede gewesen, daß die Weltis im Winter nach Italien gehen und mich einladen wollten; nun ging das aus manchen Gründen nicht; doch machten sie mir den Vorschlag, mit ihnen einen Vertrag auf fünf Jahre einzugehen, wodurch ich aller Auftragsmalerei enthoben wäre und mich ganz der Entwicklung meiner Pläne widmen könnte. Ich sollte während dieser Zeit einen festen Wechsel haben und dafür alles ins Belvoir abliefern, was ich für fertig hielt; es sollte dann verrechnet werden. Das war zwar eine Art von Hörigkeit, in die ich dadurch im Sinn der Renaissance-Künstler geriet; aber weil die Grundlage eine treue Freundschaft war und das Angebot gerade kam, als ich mit dem beabsichtigten Wechsel des Handwerks fast wieder wie ein Kunstschüler auf ein Stipendium angewiesen war: sagte ich gern zu.

Meiner Mutter freilich, zu der ich wieder aus Zürich zurück ging, weil ich in Bern vorerst den Bundesrat und seine Frau malen sollte, behagte dieser Plan so wenig wie meine Umsattelung überhaupt. Für ihren praktischen Sinn war die Malerei ein Handwerk wie jedes andere, und wenn ich nun wieder davon lief wie damals dem Maler Wenzel, schien ihr damit die schwer errungene Grundlage meiner Existenz gefährdet. Denn daß ich mich in eine für sie fast schimpfliche Abhängigkeit zum Belvoir begab, für ihren Begriff eine Art Angestellter wurde, vertrug ihr bernischer Bürgerstolz erst recht nicht. Sie konnte nicht mit in die inneren Nöte meiner Kunstübung sehen, schon deshalb nicht, weil sie nicht begreifen mochte, daß ihr Kari für irgend etwas in der Kunst nicht so begabt sein sollte wie jeder andere. Sie hätte gewünscht, daß ich meine Aufträge zuvor erledigt und dadurch aus eigener Hand Geld genug gehabt hätte, ein paar Jahre lang unbesorgt in Italien zu leben. Daß sie mit ihrem Mißtrauen einiges Recht hatte, die liebe Gute, das einzusehen nutzt mir heute nichts mehr, wo zwar alles viel schlimmer ausgelaufen ist, als sie argwöhnte, wo aber auch die bittere Einsicht nicht von mir weichen will, daß alles so sein mußte und daß diese äußere Wendung in meinem Leben nicht für das innere Schicksal – die Tragik, wie die Dichter sagen – entscheidend war.

Wenn ich irgendwie noch zweifelte in meinem italienischen Entschluß und immer noch ein wenig mit München liebäugelte in einer melancholischen Ahnung, daß es für meine erschöpften Kräfte besser wäre, Halt zu machen und wie die andern die bequeme und vorsichtige Ernte anzufangen: so wurde ich kuriert, als ich auf meiner Rückreise spät im November noch einmal, zum letztenmal in meinem Leben, nach München kam. Als ich sie wieder hinunter fuhr, die Strecke von Buchloe, auf der ich vor vierzehn Jahren als Anstreicherlehrling nach München gekommen war: stürmten die Erinnerungen und die Wehmut davon mit einer Ahnung allen Elends auf mich ein. Damals war es ein schöner Maitag gewesen, diesmal regnete es im düsteren November und ich konnte, als bei Graffrath die bayrische Hochebene anfing, nicht wie damals hinunter sehen bis nach Ungarn und fast schwindlig werden bei dem Gedanken, daß ich nun an der Rundung der Erde hinunter führe. Sie war mir unterdessen ein solides Institut geworden, das keinen in den Weltraum fallen ließ, das alles brauchen konnte, wenn es nicht mehr zum blühen und Früchte reifen war, dann zum Dung.

Ich suchte meine Bekanntschaften von damals auf; der Halm kursierte in Berlin, die andern waren in den Jahren soviel oder sowenig nach ihrer Seite gewachsen wie ich nach meiner, und was ich sonst vom Künstlerleben sah, mißfiel mir bis zum Abscheu. Da saßen sie in den Kneipen gesondert an ihren Tischen, die Realisten und die aus dem dreißigjährigen Krieg, die Mutterglücksmaler und die mit den Mondscheinliebespaaren, und alle beachselzuckten sich gegenseitig bis zum Haß und jeder malte auf den Export und beobachtete die andern mißtrauisch oder behaglich je nach der Konjunktur des Marktes. Allerlei Arten Blattläuse der Kunst; nachdem die Fleißigen ihr Leben eingesetzt hatten, den Saft heraus zu schlagen, soffen sie sich daran die Bäuche voll. Es mochte seine Vorzüge haben, als Akademieprofessor oder sonst in die soliden Verhältnisse der Münchener Kunstbranche einzutreten: nur was im Bewußtsein der europäischen Völker durch Jahrhunderte als Kunst lebte und die Bedeutung, die sie selber im geistigen Leben verlangte, das stand dabei so wenig in Rechnung wie meine innere Sehnsucht, ihre Leidenschaften bis auf die Neige auszukosten. An soviel Grenzen sich meine Begabung die Finger blutig schabte, Künstler mußte ich bleiben, weil nichts anderes als ein Künstler, kein Handwerker und kein Fabrikant in meinem Temperament beschlossen lag.

Daß der Halm sich wieder in Berlin aufhielt, erinnerte mich sonderbar daran, wie er mein Lehrer in der Radierung, aber auch mit seinem Kopf mein erstes Opfer gewesen war. Mit einer Art von Aberglauben kam es mir ratsam vor, ihn auch zum Gegenstand meiner ersten Büste zu machen. Ich hatte zwar im vergangenen Winter schon gelegentlich in Ton geknetet und kannte die Handgriffe von meinem Freund Waegner; nun dachte ich im Wasser schwimmen zu lernen und bat den Peter, mir zu sitzen. Ich kannte jede Form an seinem Kopf von den vier Radierungen her, auch war sein bartloses Gesicht ein plastischer Vorwurf von besonderem Reiz. Es schien dem Halm, als ob ich gut zurecht käme, aber der rechte Ernst kam mir nicht hinein; die Italienkrankheit stieg mir umsomehr ins Blut, je dicker sich der norddeutsche Winter einfror. Als mein geduldiges Modell eines Tages wiederkam, hatte ich die Büste zerschlagen, das Atelier vermietet und war glücklich frei für meine Flucht. Nur die Möbel machten mir noch einen unnützen Aufenthalt; ich sah da erst, welchen unnützen Lebensballast ich mir in den sieben Jahren vielfach um teures Geld zusammen gekauft hatte. Nun mußte alles auf den Lagerhof und wie es da vermoderte, war mir gleich.

Es wurde ein Weihnachtsfest wie bei einem Auswanderer, obwohl wir wieder zu fünf Junggesellen als Christfamilie humoristisch beisammen waren; aber mich plagte keine Abschiedswehmut sondern fast eine Art Heimweh nach einem Land, in dem ich nie war und das ich nun mit der Seele suchte. Der Goethe wurde mir bei meinen Zukunftsträumen der tägliche Umgang; besonders als ich wiedereinmal durch einen Unfall genötigt war, die ganzen Tage lesend zu verbringen. Ich mußte mein Gerümpel, wenn auch nicht selber einpacken, so doch ordnen dafür, und wie ich dabei eine Büste von einem meiner Schränke nehmen wollte, hatte der alte Stuhl, auf dem ich stand, zwar einen schönen Stil, aber schlechte Beine. Eines davon brach aus, die andern krachten dreieckig nach, ich auch mit meinen beiden Zentnern und der Büste in der Hand. Bevor der Krach kam, war die gebrannte Tonbüste mir mit Scherben ins Gesicht gefahren, und weil mein linker Arm das Ganze noch stützen sollte, ging es ihm schlechter als dem Gesicht. Ich mußte ihn für mehr als eine Woche im Gipsverband tragen und sah durch die Schürfungen und Beulen, trotzdem ich buchstäblich mit einem blauen Auge davon gekommen war, oder deshalb, etwa wie der Güldenstern in Richard III. von Shakespeare aus.

Zu arbeiten hatte ich nichts mehr, das Handwerkszeug war weggepackt; so existierte ich zuletzt wie der Mann ohne Herz in Berlin, und wie die Januartage mit dem bedeckten Himmel begannen, wo es nicht einmal um Mittag hell wird, kam ich mir im Lehnstuhl liegend wie ein Opiumraucher vor, der nur noch zufällig mit dem Körper dalag, während der Geist von seiner eigenen Schwere befreit die eigenen Wege der Dämmerung ging. Nur abends, wenn die Lampe kam, nahm ich ein Buch und immer war es Goethe, aus dem die deutsche Sehnsucht nach Italien auf tausend Blättern irrlichterte.

Er hätte auch nicht hingebraucht; er hatte mit Händen und Herzen in Weimar und Deutschland genug zu tun, und doch zog es ihn übermächtig dahin, weil in der deutschen Welt der Künstlermensch keine Heimat finden kann. Freilich sattelte er nicht um, wie ich es nun mit dreißig Jahren tat, ganz ungewiß, ob mir im neuen Metier jemals ein Werk gelingen würde. Aber schließlich kam es der Mutter Natur vielleicht, nicht mir als Künstler auf das Werk an; und die Lockung etwas zu schaffen, was nach tausend Jahren vielleicht noch lebendig wäre, war nur ein Kunstgriff der erfahrenen Gaunerin. Wie sie bei allen Trieben ihre Zwecke im Auge hatte und uns nur dazu die Genüsse daran gönnte und erweckte, so auch bei der Kunst. Mein Teil als Künstler, der ich nicht die Menschheit, nicht die Natur, nur ihr Geschöpf und Spielzeug war, blieb nichts als das Vergnügen an meiner Arbeit und die Leidenschaft, ein Loch in ihr Geheimnis zu reißen. Und wenn ich sicher gewußt hätte, alles was ich machte, ginge zugrunde nach einem Jahr: das änderte mir nichts an meiner Quälerei, an meiner Sehnsucht und an dem wilden Glück, mit meinen Händen soviel Gewalt zu haben.


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