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Gelten


V.

Obwohl ich schon um fünf Uhr aus München fuhr, kam ich erst mit der Dunkelheit nach Chemnitz; weil ich das Erzgebirge gern auch noch bei Tag gesehen hätte, blieb ich zur Nacht. Es war zum erstenmal, daß ich eine richtige, deutsche Fabrikstadt sah und noch dazu bei einer Gasbeleuchtung, wo die Laternen wie schmutzige Lampions in einem rauchigen Nebel standen. Ich konnte in der Nacht kaum schlafen, so dick lag mir der Nebel auf der Brust; gleich mit dem Frühzug fuhr ich weiter und war um acht Uhr schon in Dresden. Das war nun freilich eine andere Stadt, und wie ich schon um neun Uhr – mein Handgepäck blieb auf der Bahn – vor dem Zwinger stand, begriff ich seinen Prunknamen Elbflorenz. Ich hatte etwas Derartiges von reicher und eindrucksvoller Baukunst noch nicht gesehen; ich wurde fröhlich an dem grünlichen Stein, und wie ich nachher in die Galerie kam, sah ich erstaunt, daß sie viel schöner war als die ganze eingesargte Pinakothek.

Natürlich stand ich vor der Sixtinischen Madonna von Raffael; sie war zwar unter Glas gesetzt und sah mehr wie ein Aquarell aus, weil der Farbe das bißchen Körper verloren ging, doch blieb sie auch noch so ein wahres Wunder. Die Madonna von Holbein schien mir das einzige, was sich als Komposition daneben hielt, obwohl sie mir sogleich als Kopie, stellenweise sogar ziemlich flau vorkam. Herrlicher aber waren für mich die Bildnisse, der englische Goldschmied von Holbein und der alte Grande von Velasquez. Das spürte ich wieder einmal, in was für eine Wunderwerkstatt ich trotz strenger Lehre dreist eintreten wollte.

Als ich freilich am Nachmittag die Leute sah, die ich malen sollte, die Zimmer, darin sie wohnten, die Gesichter, die Hände und die Kleider, und noch anhören mußte, was sie sagten: da merkte ich auch schon, wie sehr sich unterdessen die Grundlage des Handwerks verändert hatte. Doch ließ ich mich zunächst nicht schrecken, freute mich des Geldes wegen, daß der Auftrag zustande kam, und als am zweiten Morgen jemand an mein Zimmer klopfte im Hotel und der Katsch hereinkam, der von Berlin herübergereist war: erlebte ich nach langer Werkelzeit wieder einmal einen richtigen Sonntag. Ich hatte ihm von München aus zuletzt geschrieben, daß ich Bedenken hätte, ob das Angebot auch seiner Mutter recht sei: und nun kam er selber herüber, der liebe Kerl, um mir den Kopf zu waschen. Wenn ich trotz meiner unfröhlichen Erfahrungen als Bildnismaler stets gern an Dresden dachte, kam es von diesem Tag. Natürlich gingen wir zuerst auch wieder in die Galerie. Aber diesmal – es ist merkwürdig, daß man zu zweien immer den Geschmack des andern ein wenig teilt – waren es die Venezianer, deren tiefe Goldigkeit mir wahre Freudenschauer gab, daß Menschenhände so etwas machen könnten; und ob ich wußte, die meinen waren noch längst nicht bereit dazu, so nahm ich mir von der Zunftehre doch mein Teil vorweg.

Schöner aber als alle Venezianer war der Nachmittag, wo wir zusammen auf der Brühlschen Terrasse saßen und in das frühherbstsonnige Leben blickten. Die Elbdampfer auf dem Strom mit der stolzen Brücke, die Kähne und die hundert Vergnügungsboote, die hellen Kleider der drängenden Menschen: ich hatte auch in München nie ein solches Bild des reichen und bewegten Menschenlebens gesehen, und war ich morgens bei den alten Venezianern froh gewesen, einer von der Malerzunft zu sein, so schoß es mir damals zum erstenmal ein, was für ein Glück es trotzdem war, in dieser modernen Welt zu leben, wo es Eisenbahnen und Dampfschiffe gab, wo man heute in München und morgen in Dresden sein konnte, wo jeder ohne die Gunst oder Gewalt der blutigen Herren sein Vergnügen haben durfte und statt der Willkür das Gesetz den einzelnen schützte.

Am andern Tag, als ich bei dem Schokoladenfabrikanten eingezogen war – ich kriegte außer meinem Honorar noch freien Aufenthalt – und anfing zu malen, war ich freilich bald der Meinung, daß es für einen Maler wenigstens bei der alten Lebensart besser gewesen wäre und daß auch die andern nicht viel gewonnen hätten, indem nun statt der adeligen Herren die Schokoladenfabrikanten durch ihr Geld regierten. Da lernte ich gleich kennen, was für ein Schubiack ein Porträtmaler in unserer Zeit ist, wie er die Kunst mißbrauchen muß für die albernsten Wünsche. Es darf beileibe kein Pinselstrich und überhaupt nichts zu sehen sein, was nicht in den bürgerlichen Geschmack eingeht. Wenn man einen Idealisten von seiner Volksschwärmerei heilen müßte, sollte man ihn vier Wochen lang als Porträtmaler schicken: er würde lernen, wie dumm und albern die Menschen sind, wo ihre Eitelkeit in Frage kommt. Daß einer nichts von Kunst versteht und ein lackiertes Konditorschild mehr nach seinem Geschmack findet als ein Bild von Tizian, das zeigt nur einen Zustand der künstlerischen Bildung an, aber was rein menschlich bei der Bildnismalerei zum Vorschein kommt, das kann blankes Eis zum Kochen bringen. Verwelkte Weiber wollen weich und rosig wie die Pfirsiche gemalt sein und die dümmsten Kerle rollen ihre Schellfischaugen, wie wenn sie alle Napoleons oder Alexander wären. Wenn ein Maler berühmt ist, kann er mit dieser Dummheit nach seinen Wünschen herumspringen; aber wenn einer wie ich ein bißchen abgerissen in den Kleidern von der Akademie kommt, auf den Freitisch und die Freundlichkeit der Leute angewiesen ist: mag er am besten einen Kieselstein in den Mund nehmen, damit ihm keine unüberlegte Antwort ein Loch in die Dummheit reißt.

Obwohl die Leute freundlich waren in den sechs Wochen, war es fürchterlich und wenn ich nicht den Granden von Velasquez in der Galerie gehabt hätte, den ich mit Leidenschaft kopierte – wobei ich ihm ingrimmig von der modernen Fabrikantenwelt erzählte – wäre ich schließlich doch noch fortgelaufen. Dazu passierte mir noch ein ganz albernes Mißgeschick, indem der Architekt in München, dem ich den Auftrag verdankte, in Dresden eine Pensionsvorsteherin zur Schwester hatte, die mich eines Tags zum Abendessen einlud. So geriet ich zwischen zwölf Backfische, von denen nicht einer hübsch war oder etwas zu reden wußte, und sollte nun den ganzen Drill anhören, der mit solchen armseligen Dingern getrieben wird. Die armen Würmer mußten erst ans Klavier, dann singen, und nachher zeigten sie auch noch die Aquarelle aus ihren Malstunden: eins wie das andere war jämmerlich, doch wurde alles mit dem Aufwand von großen Worten betrieben und betrachtet, wie wenn es sich um Mozart, van Dyck und andere Wunderkinder gehandelt hätte. Da sah ich, woher die Schokoladenfabrikantenfrauen kamen, warum so elend in den Künsten dilettiert und noch gräßlicher darüber geschwatzt wird, warum die sogenannte Bildung der guten Kreise wie ein Fluch auf aller Kunstübung lastet, statt sie zu fördern, sodaß ein Mensch von Geschmack und Urteil in keine Gesellschaft gehen kann, ohne schamrot zu werden über das armselige Geschwätz, wo Kunst und Dichtung herhalten müssen, damit sich ein sonst ernsthafter alter Herr blamieren oder eine nichtsnutzige Jungfer sich wichtig machen kann.

Ich war erlöst, als ich Anfang Oktober das Elbflorenz der Schokoladenfabrikanten verlassen und nach Berlin reisen durfte, das zum wenigsten in keinem gebildeten Ruf stand und mich kaum noch enttäuschen konnte. Die Fahrt dahin war freilich schrecklich; der Zug lief immer weiter in die trostlose Sandebene hinein, in der die Kiefern in armseligen Trüppchen standen, alle vom Wind nach einer Seite gebeugt, so wie ich mir die Franzosen rückkehrend aus dem Winterfeldzug gegen Napoleon dachte. Bis endlich die Großstadthäuser herauswuchsen: nicht wie sonst um eine Stadt, wo die Gehöfte allmählich aufhören, einzeln herumzustehen, und sich die Vorstadthäuser verschüchtert an den Straßen sammeln – hier ragten die Mietshäuser gleich vierstöckig aus dem sandigen Feld.

Der Katsch holte mich an der Bahn ab; er war fröhlich, in mir ein Stück von seiner schönen Münchener Zeit wieder zu haben, und das Haus, in das er mich brachte, war solid und geräumig. Ich fand ein sauberes Atelier für mich, eine kluge und liebenswürdige Dame des Hauses, einen famosen Ofen, der behaglich heizte, und glaubte mir – so wohl gesichert von der Rückseite – doch wieder etwas von der Welt erobern zu können. Ich war bei der verunglückten Malerei in Dresden durch den täglichen Senf der Verwandtschaft ganz verschüchtert worden; die Leute nahmen mich mit meinem aufgeblasenen Bubengesicht, das leider noch ganz ohne Schnurrbart war, für einen fleißigen Anfänger und begriffen von der Seite aus, daß es nicht ähnlicher wurde. Auch als ich den Katsch einmal gebeten hatte, seinen Briefen an mich doch eine wirkungsvolle Adresse zu geben, und er an den Professor Stauffer von Bern schrieb, wurde der Scherz als Schülerulk genommen und bewirkte natürlich das Gegenteil; nur, daß ich seitdem meinem Namen das Bern zulegte: es klang kräftig zu Stauffer und für mich lag eine Mahnung darin, meiner Vaterstadt als Künstler keine Unehre zu machen.

Nun gab ich mich in meiner Verbissenheit daran, um von den Zweifeln an meiner Begabung nicht aufgefressen zu werden, mein Selbstbildnis zu malen. Ich war erstaunt, als ich – durch keine Wünsche und Bemerkungen zur Ähnlichkeit gestört – es nicht nur frisch in einem Zug heruntermalen sondern auch ähnlich herausbringen konnte. Als ich mich aber damit wieder so recht ins Selbstbewußtsein gearbeitet hatte, kam ein Brief aus Dresden, daß die Frau mit ihrem Bildnis nicht zufrieden wäre, sodaß ich es noch einmal malen müßte.

Es half mir nichts, ich mußte aus meinem Atelier zurück nach Elbflorenz; das einzige, was mich lockte, war der Porträtauftrag einer schönen Frau von Smyrnow, den ich vielleicht bekommen konnte. So bin ich also im November wieder in der Stadt gewesen, der ich mich endlich entflohen glaubte, habe aus einer müden Frau ein junges Mädchen zurechtgepinselt und das Bildnis einer Schönheit so gemalt, daß sie sich höflich bei mir bedankte, leider aber die Zahlung vergaß. Sie mochte meinen, daß es für einen Anfänger überhaupt ein Glück wäre, ein so schönes Modell umsonst zu haben, und hat auch wirklich trotz angedrohtem Prozeß nachher das Geld nicht herausgerückt. Als ich Anfang Dezember wieder zurückkam in mein mollig geheiztes Atelier, malte ich mir statt eines Selbstporträts ein paar Totenschädel. Die hielten still und hatten keine Wünsche mehr für ihre Eitelkeit; daß sie nichts bezahlen konnten, wußte ich vorher und daß sie weder zurechtgebrannte Haare noch aufgedonnerte Kleider hatten, war mir auch recht.

Seit dieser Fahrt nach Dresden war es mir in meinem Atelier nicht mehr zumut wie dem Vogel im Hanfsamen; ich hatte gleich zu gründlich in das Elend des Porträtmalers hineingesehen, und weil ich mir bei meiner Art von Begabung und bei dem Standpunkt meiner Studien vorläufig keinen Ausweg wußte, daran vorbeizukommen, sah ich mich nach fünf strengen Studienjahren mit allem Fleiß und Idealismus am Anfang einer trübseligen Handwerkerei, die ich aus bitterer Not ergreifen mußte. Darüber verlor ich jegliche Freude; an ein größeres Bild überhaupt zu denken, hielt mich der Katsch ab, der seit einem Jahr an seinem Riesenschinken malte – wie das die Maler nennen – »Wind und Welle«; ich brauchte ihn nur daran zu sehen mit seiner öden Energie, um selber allen Mut zu verlieren. Dazu fehlte mir auch der freundschaftliche Kreis von München; wir gingen wohl in jeder Woche einmal, ich glaube Donnerstags, an einen Stammtisch, der sich den »nassen Lappen« nannte; es wurde da genau so wie in München über Streitfragen der Kunst gesprochen, aber die jugendliche Hitze war nicht mehr darin. Auch hatten hier die Menschen eine Art, mit hochmütigem Lächeln stundenlang herumzusitzen, sodaß ich manchmal spottete, es wäre nur die Fratze von ihnen da, garkein Kopf dahinter. Überhaupt fand ich mich mit der norddeutschen Förmlichkeit nicht gleich zurecht; wenn sich bei Katschens nach dem Mittagessen alles steif verbeugend die Hände gab und die Familienmitglieder sich sogar küßten, wäre ich oft gern nach Münchener Lebensart mit einem kräftigen Bierfluch dazwischen gefahren.

So kam ich von der Freude und vom Arbeiten ab, wie wenn die Kunst all die Jahre nur mit Kellerkeimung aus mir gewachsen wäre; nun war ich aus der schützenden Akademie heraus und sah im wirklichen Leben die übereifrig getriebenen Keime in sich selber eingehen und vertrocknen. Ich zeichnete noch Akt; doch fragte ich mich oft, wozu? Schließlich ging es mir wie immer bei solchen Zuständen, je fauler und verdrossener ich wurde, je mehr wartete ich auf eine rätselhafte Wendung. Der Katsch hat mich eines Tages so gezeichnet, garnicht übel, wie ich dasaß mit schläfrigen Augen und auf das Glück wartete; es muß wohl ähnlich gewesen sein.

Dabei war ich noch immer Gast in einem fremden Haus; solange ich mir selber etwas zugetraut hatte, war das nicht schlimm; nun aber, wo ich zweifelte, wo ich genau einsah, was an meinen Bildern Schule und an meiner Laune die Gemeinschaft in München gewesen war, wo ich als rechter Taugenichts – noch dazu einer von hundertundachtzig Pfund – die Mahlzeiten mitaß, wagte ich mich kaum über die Treppe, wenn ich von einem meiner erfolglosen Gänge wiederkam. Es war das gleiche wie zuletzt in München, wo ich Arbeit suchte; es ging mir so schlecht, wie es einem gehen kann, der nur Talent und kein Geld hat, dem man das eine sofort und das andere garnicht ansieht. Ich glaube, in dieser Stadt hätte ich mich weder mit der Anstreicherei noch mit Holzspalten retten können; München, das ist eigentlich nur eine große Stadt mit den Gewohnheiten einer Kleinstadt, aber Berlin, das ist die grausame Großstadt selber; in München bleibt auch der arme Teufel noch in Gemeinschaft mit den Leuten, in Berlin ist er gleich ein Lump.

Es wäre mir übel gegangen, wenn ich nicht bei Katschens so geduldig gelitten worden wäre; denn bis ich mich endlich entschloß, wie damals zum Quaglio so zum Akademiedirektor von Werner zu gehen, war ein trübseliges Weihnachtsfest und ein trübseligeres Neujahr gewesen. Ich wäre eher auf den Ausweg gekommen, wenn mir die Not Geld zu verdienen nicht so im Nacken gesessen hätte; denn daß mein Studium noch nicht beendigt war, sah ich wohl ein. Nun sagte ich mir trotzig, wenn schon Kunstschulen da sind, warum sollten nicht auch die Mittel dabei sein, einem Kerl wie mir zu helfen. Ich faltete also meine Zeugnisse zusammen, vergaß die Manschetten nicht und machte mich zum Herrn von Werner auf den Weg. Es war am 12. Februar und eine rechte Winterkälte mit frostigem Staub, der einem zwischen den Zähnen mahlte, wenn man ein paar Minuten auf der Straße war. Ich hatte Glück, daß ich als erster vorkam: der Direktor, der damals mit Reinhold Begas dem Bildhauer gemeinsam ziemlich die ganze Kunstseite von Berlin regierte, war sichtlich unerfreut, als er meinen ungeschlachten Körper in den abgetragenen Kleidern sah; er saß an seinem Diplomatenschreibtisch mehr wie ein Kaufherr als ein Maler, hatte einen Haufen Briefe da und nahm mir schweigend meine Zeugnisse ab. Ich war schon daran gewöhnt, daß in Berlin alles im Kommandaton vorging und stand mit den Erinnerungen meiner flüchtigen Dienstzeit in der Schweiz ein bißchen wie eine Schildwache da. Die Zeugnisse waren wohl zu gut, als daß er länger schweigen durfte; so hieß er mich erzählen, was ich wollte und woher ich käme. Ich weiß nicht, wie es kam – vielleicht durch die Erinnerung an Quaglio – daß ich ihm auch von meiner Stubenmalerzeit erzählte; aber da ging es mir wie auf dem Bahnhof in Turgi: der vornehme Herr, der zwischendurch Schubfächer an seinem Schreibtisch geöffnet, darin gekramt und mich kaum angesehen hatte, legte auf einmal die Feder weg, nahm meine Zeugnisse wieder vor, sah sie nun aufmerksam an und sagte, indem er sie zusammengefaltet unter einen Briefbeschwerer legte, der ein Stück von einer Granate war: es sei gut, ich könnte eintreten, das Studiengeld würde mir gestundet werden und für Verdienst wolle er schon sorgen. Dann gab er mir richtig seine kleine Hand, was die andern Herrschaften in Berlin bisher in solchen Fällen peinlich vermieden hatten; ich nahm sie hin zum Handschlag, daß ich diesmal nicht wie sonst mit Worten abgespeist werden sollte. Er war – wie ich nachher erfuhr – kein Pfarrerssohn wie der in Turgi, aber er hatte gleich mir auch seine Stubenmalerzeit gehabt, das brachte diesmal den raschen Wetterumschlag.

Als ich wieder draußen in der Kälte war, wo die Droschken auf dem zusammengewehten Froststaub weicher als sonst zu laufen schienen, war es genau wieder wie damals bei dem Theatermaler; nur brauchte ich diesmal nicht wieder zurückzugehen; denn Hunger hatte ich keinen. Im Grund war dies fatal an meiner Lage, daß ich mich Tag für Tag an einem fremden Tisch sattaß. Trotz seinem Handschlag traute ich der Sache noch nicht recht nach soviel uneingehaltenen Versprechungen; ich hatte schon gemerkt, daß man mich damit stets am ersten wieder draußen hatte.

Wie ich aber am andern Morgen – ich war leider in dieser nichtsnutzigen Zeit ein Langschläfer geworden – kleinlaut wie längst mein Frühstück nehmen wollte, war ein Brief mit einem Amtssiegel da, an dem mir am meisten Eindruck machte, daß er ohne Freimarke durch die Post kam: Ob ich für dreihundert Mark einen Fächer malen wollte, den eine Berliner Firma dem Prinzen Wilhelm zur Hochzeit schenken möchte; ich sollte dann mit seinem Brief zur Firma hingehen und ihm am Nachmittag fünf Uhr den Ausgang melden. Nun lief auf einmal alles wie an der Schnur, ich kriegte den Auftrag und noch einige andere, der Name Anton von Werner schien ein Berliner Zauberwort zu sein, das ich bloß auszusprechen brauchte, wenn irgend etwas nicht klappen wollte. Es ist ja kein Vergnügen, mit der Farbe auf Seide zu pinseln, wo sie wie auf Löschpapier zerfließt, und noch weniger, um mehr als hundert Photographien von Moskauer Feuerversicherungsbeamten eine ornamentale Umrahmung von zwei Meter Länge mit allegorischen Verzierungen zu malen, aber ich, der bis dahin eine Wanduhr ohne Werk bei Katschens gewesen war, nur ein dickrundes Zifferblatt, hatte doch wieder eine Möglichkeit, das Räderwerk der erlernten Fähigkeiten zum Geldverdienen zu verwerten.

* * *

Allmählich fing der Perpendikel an zu ticken, bis sich das Werk langsam wieder in das Tempo der hohen Kunst einlief.

Das erste war eine Copie nach der Auferweckung des Lazarus von Rubens, an der ein Künstler der »besseren Kreise« gestorben war. Ich mußte sie fertig machen für die Kirche in Buch und hatte den Verstorbenen auch bei dem Einweihungsessen zu vertreten; dann eine Copie nach der Kronprinzessin von Angeli, was schon weniger amüsant war. Unter der Hand aber malte ich selber an einem Bildnis, in dem ich alle Malweisheit anwenden wollte, wie ich sie aus der Löfftzschule aus München nach Berlin mitgebracht hatte. Es war der Bildhauer Klein, mit dem ich durch den Katsch befreundet war und der auch sein Atelier dahatte: ein malerischer Kopf auf einem langen Hals mit merkwürdig eindringlichen Augen; kein Dutzendmensch, wie sie auch bei den Bildhauern herumlaufen, sondern einer, der mit seinen Arbeiten damals vielgehaßt war, weil er den Akademikern mit naturalistisch gehaltenen Stücken zuvorkommen wollte. Er stand mir gern zu einem Bildnis, sodaß ich Zeit behielt, jede Form wie ein alter Meister auszustudieren und das Ganze in Licht und Schatten – wie ichs bei Löfftz dem Dietzschüler gelernt hatte und wie es den Berlinern damals noch fremd war – auszubalanzieren. Als meine Lehrer hingen die Copien nach van Dyck, Velasquez und Franz Hals um mich herum; sie gaben mir die Tonleiter an, sodaß ich nichts zu mogeln vermochte und also ein ehrliches Gesellenstück zuwege brachte.

Ende Juli gab ich es mit der Landschaftsstudie aus Großhesselohe – dem Spinalstück mit dem Setzei – und dem Bärenwirt zur Ausstellung, die am 1. September eröffnet werden sollte. Hatte ich schon vorher lobendes darüber gehört, auch vom Werner, der mich ein paarmal im Atelier besuchte, so ging nun gleich der Puppentanz los. Als ich Ende August, kurz vor der Eröffnung in die Ausstellung kam, hatten sie es an einem der besten Plätze im Ehrensaal zwischen den Berühmtheiten aufgehängt, und jeder, der es sah und mich kannte, sagte mir das seinige. Als dann die Ausstellung eröffnet war, fingen die Preßberichte an, mich mit ihren Begeisterungssaucen dem Publikum schmackhaft zu machen. Da war ich armer Teufel von gestern, den sie ziemlich überall hinaus geschmissen oder garnicht herein gelassen halten, das Wunderkind von heute; und nicht lange, so fing es auch schon an, daß ich als Salonmaler im Berliner Westen zum Abendessen eingeladen wurde. Auch die Aufträge kamen, und um mein neu entdecktes Talent endgültig abzustempeln, erhielt ich im November auf das Bildnis die kleine goldene Medaille.

Ich habe damals meine Eltern mit einem Telegramm erschreckt; doch hatten sie es verdient um mich, die mir so viele Jahre treu geholfen hatten mit ihren geringen Mitteln und mit aufmerksamer Liebe, auch mit Rat und Sorge auf meinen künstlerischen Zickzackwegen dabei gewesen waren: daß sie nun vor den Bernern diesen Triumph erlebten. Die goldene Medaille, das war noch keinem Bernburger passiert, und nun bekam ich sie als Schüler sogar, gerade nachdem sie mir das Stipendium verweigert hatten. Ich habe freilich damals auch gedacht, daß all die andern Eltern, deren Söhne in der Kunst nur Mühsale und Enttäuschungen fanden, mit Liebe und Sorge die gleiche Betätigung verdient hätten, und wie doch alles auf den Zufall von Begabung, Schule und Lebensschicksal in der Kunst gestellt wäre. Mein Vater hat das Unglück später nicht mehr erlebt, der armen Mutter hab ich alle Freude wett gemacht durch bittres Leid, sodaß wir beide unser Vorrecht traurig bezahlten.

Für mich selber war ich schon damals nicht mehr naiv genug, die Sache viel anders als eine finanzielle Hilfe aufzufassen. Ich sah zu genau, daß ich mit meiner soliden Münchener Schule in Berlin als Einäugiger unter Blinden König war. Zudem waren mir gleich anfangs die Aufträge ins Haus geregnet, sodaß ich damals schon sechs angefangene Porträts auf dem Halse hatte und dabei gründlich erlebte, wie sehr es mir an allen Orten, an Zeichnung, Auffassung und Farbe fehlte, und daß ich eigentlich noch immer mehr der Dilettant des Zufalls als ein bewußter Künstler war. Ich hätte trotzdem meine Stellung damals ausnützen und in kurzer Zeit ein vermögender Mann sein können; denn alles in Berlin wollte nun von mir gemalt sein, was vorher durch Angeli und Gussow beglückt gewesen war. Ich fühlte aber gleich genau, daß ich zu früh aus meinem Studiengang heraus gerissen war und alles daran setzen mußte, als Modemaler nicht zu versimpeln.

Ich hatte unterdessen meinen Unterschlupf bei Katschens verlassen und mir in der Potsdamerstraße ein eigenes Atelier mit Wohnung mieten können, aus dem ich später noch eleganter in die Viktoriastraße übersiedelte; in aller Freundschaft mit der Frau und herzlichem Dank für soviel uneigennützige Güte. Der Sohn war freilich nicht zuhause, er war im Sommer zu einer Übung als Reserveleutnant nach München gegangen und dort vorerst geblieben. Er kam, trotzdem er Berliner war, nicht aus der Sehnsucht nach der Isaarstadt heraus, auch mochte ihm die Riesenleinwand »Wind und Welle« sein Atelier und die Arbeit verleiden. Ich sah ihn erst viel später wieder und da so peinlich, daß es mir Jahre lang in unbewachten Augenblicken ärgerlich aufstieg: Ich traf mich manchmal mittags im Café mit einigen Bekannten, so flüchtig, wie mein von hundert neuen Verpflichtungen bedrängtes Leben es mit sich brachte; aus irgend einem Übermut – wer will den einem jungen Menschen mißgönnen, der sich soviele Jahre mit Entbehrungen abgeschunden hat und dem die Goldstücke nun in seinen Hut regnen, wo er ihn aufhält – hatte ich nur einen Tausendmarkschein bei mir, den ersten meines Lebens, um den vor den erstaunten und neidischen Nasen dieser Leute zu wechseln. Wie ich sie flüchtig begrüßen wollte, stand einer von ihnen zögernd auf und gab mir die Hand; es war der Katsch, der nun doch wieder nach Berlin gekommen war. Ich war so verblüfft, daß ich ihm zwar die Hand wie immer gab, jedoch kein Wort herausbrachte; er hingegen hatte soviel Vorwürfe in seinem Blick, daß es mich kränkte. Ich war zudem durch eine Sitzung in meiner Zeit bedrängt, wollte bald zahlen und mich empfehlen, als ich nun zu meiner Bestürzung an den Tausendmarkschein geriet. Jetzt irgend einen oder ihn selber um das Geld für den Kaffee ansprechen, das ging auch nicht, und so tat ich, was man immer in solchen Verlegenheiten am ehesten tut: ich reichte mit einer Art Trotz dem Kellner meinen braunen Lappen zum wechseln hin, wartete ihn und die Aufzählung der blauen Scheine, des Goldes und des Kleingeldes ab und ging hinaus.

Doch ärgerte mich die Sache so, daß ich am Abend noch dem Katsch einen Brief schrieb, in dem ich dann die zweite weit größere Dummheit machte, ihm unsere Entfremdung – denn schließlich hatte er mich doch auch kaltblütig ohne Nachricht sitzen lassen, während er in München bei den gemeinsamen Freunden war – als eine Folge unserer künstlerischen Entwicklung darzustellen, die eben auseinanderliefe. Dabei sagte ich ihm Bescheid über seinen Schinken und zwar so deutlich, daß er mir in einem ruhigen Brief mit Recht entgegnen konnte: das hätte ich ihm alles als Freund schon früher sagen können. Ich schrieb ihm zwar noch einmal so herzlich, wie ich es von der menschlichen Berührung aus vermochte; doch hatte die Freundschaft mit dem Vorfall auch äußerlich den Knacks, an dem sie inwendig längst vertrocknet war. Wir sahen uns wohl hin und wieder, spielten einmal auch noch Billard miteinander, doch die Vertraulichkeit war fort.

Es ist mir auch mit andern Freunden – von Frauen nicht zu reden – das gleiche Mißgeschick begegnet, sodaß ich mich vielfach als treulos selber anklagen mußte. Was aber ist solche Freundschaft sonst, als daß man irgendwo im Leben sich mit andern in einer ähnlichen Lage befindet und aus der Not hülfloser Einsamkeit zusammenhält; es ist da nie der Mitmensch, den man findet; man ist es selber, der sich in ihm bestätigt sieht und eine Aussprache sucht. So bin ich recht der Meinung, daß die Freundschaften nicht wechseln, sondern sich ausleben und ablösen müssen. Denn schließlich hat doch jeder seinen eigenen Weg, der ihm vom Schicksal oder dem Zufall seiner Begabung vorgezeichnet ist. Man geht solange miteinander, wie man kann; bleibt aber einer stehen oder geht zur Seite: wer hat denn Zeit in seinem jämmerlich kurzen Leben, daß er sich aufhält mit einem andern? Es mag Naturen geben, deren Bestimmung und Befriedigung es ist, in andern aufzugehen; die meine war es nicht. Mir haben, wenn ich es zurück bedenke, auf jeder Stufe meiner Entwicklung Weggenossen als Freunde nahe gestanden, sodaß ich auch in der Geschichte meiner Freunde mein Leben schreiben könnte. Von mir aus betrachtet sind sie wie die lebendigen Lebensansichten der einzelnen Zeiten gewesen, ich hab sie leer getrunken nacheinander, meinetwegen, ich habe mir von jedem soviel genommen, bis er für mich ausgepreßt war. Doch weil das jedem gleicherweise freisteht, weil es auch jeder nach seinen Kräften tut, und weil dies eigentlich der Gang des Lebens ist – die Pflanzen wachsen auch und welken, die Sterne steigen und versinken, der Wind kühlt uns die Backen und fliegt fort zu andern, und ich selber verrate mich und was ich früher glaubte, hundertmal, weil ich kein angenageltes Christusbild, sondern auch ein Leben, eine Pflanze, eine sterbende Freundschaft, für meine Liebsten die Vision von einem Kometen bin – warum soll ich nun das an mir als treulos bedauern oder ändern wollen, was unabänderlich und sicher von mir aus natürlich ist!

Mir brachte mein Freund Klein in seinem Bildnis eine Veränderung der Lebensgewohnheiten ein, von der ich nicht geträumt hatte, die meinen Neigungen im Grunde nicht entsprach und die ich auch ablegte, als ich sie nicht mehr brauchte. Denn ein Porträtmaler in einer Reichshauptstadt ist kein lyrischer Poet, der irgendwo im Frühlingsbuchenwald bei Mondschein oder Gewitter seine Verse als eigene Angelegenheit erledigt: Seine Aufträge wollen gewonnen und nach Wunsch erledigt sein. Das bittere Wort hat seine Geltung, daß der Porträtmaler sein Geld mit Klavierspielen oder sonstigen Fertigkeiten verdient, wodurch er im Frack die Gesellschaft so für sich entzücken muß, daß sie sich malen läßt. Mir liefen die Aufträge ja ziemlich nach; doch wenn ich im Schlafrock draußen in Köpenick gesessen hätte, wärs auch zu mir wohl nicht so leicht gekommen. Ich mußte Besuche machen, mußte tanzen und mich wie ein Aal verbiegen lernen mit meinem schweren Körper, mußte spitze Lackschuhe an meine einwärts gekehrten Berner Füße ziehen und einen Zylinderhut aufsetzen. Als ich zum erstenmal so herausgeputzt Besuche machte, traf ich die Leute glücklich nicht zuhaus; ich hätte sicher ein paar Grobheiten gesagt, nur aus Verlegenheit, weil ich mit der verdammten Röhre auf meinem Vollmondgesicht an alle Kanten stieß.

Später hab ich dann schwimmen gelernt; ich faßte die Sache an wie meine Malerei, ich wollte die Technik der Gesellschaft wie jede andere unterm Daumen haben, um mir nicht selber Verlegenheiten zu bereiten. Ja, ich gestehe, daß es mir Freude machte, auch dieses Handwerk zu können, in dessen Ausübung soviele Menschen, zumal die Frauen, ihren einzigen Lebenszweck beweisen. Ich lernte, an einem Abend drei Gesellschaften nacheinander erledigen, im selben Frack und einer weißen Binde, statt sonst dreien, lernte in jede mit einer andern scherzhaften Entschuldigung eintreten und sie verlassen; ich lernte in der Sprache der Gesellschaft von künstlerischen Dingen sprechen, wie wenn sich die so zwischen Fisch und Braten wie Wetterberichte erledigen ließen; ich lernte, den frechsten Schwadronneur noch totzuschwätzen und eine Tafel von dreißig Menschen so zu unterhalten, daß die Frauen sich an mir entzückten und selbst die kaltgestellten Herren noch Tränen lachen mußten. Ich war beliebt als Fruchteis, als Teegebäck und Knallbonbon; denn wenn mich etwas anfangs geärgert hatte, war es dies, wie hochmütig diese Kürbisse und Ordensstangen auf ihre sechs Gespräche und dreizehn Gesten waren, und wie ein rechter Kerl ihnen garnichts galt, wenn er da nicht fest im Sattel saß. Ich lernte wahrhaftig reiten wie nur einer; und wenn ich so recht im Zug war, daß die Monocles vor mir von den gerümpften Nasen fielen und die gewandten Mäuler offen standen: dann hatte ich noch den inneren Triumph dabei zu wissen, daß ich noch etwas anderes konnte, als einen Fisch zerlegen oder Artischoken auf dreizehn Arten essen. Wenn mich ganz der Teufel packte beim Sekt, sagte ich das auch den Fräcken und spürte wohl, wie das von den Frauen, was zu den Seidenkleidern noch eigene Zähne und Haare hatte, nur wartete in dem Geschwätz auf einen richtigen Kerl.

Es fraß mir zwar die Stunden, wie ein Präriebrand die Gräser, und einmal setzte ich eine ganze Woche daran, beim Rudolf Mosse, dem Zeitungsmann, die Gesellschaft zu verblüffen mit einem Apollotheatertrik. Ich kannte ein halbes Dutzend der Gäste genau vorher und exerzierte mir ihre Köpfe wie eine Etüde in die Hand, sodaß ich abends in der Zeit, die einer für sechs Austern braucht, auf »zufällig« beigebrachten Keilrahmen einen nach dem andern in die Farbe setzte. So war ich fast ein Geigenvirtuos aus Ungarn oder ein Tenor mit dem höchsten C im Hals; und weil ich weder so dreckig wie die einen noch so ein Strohkopf wie die andern war: so liefen mir die Frauen nicht nur ein bißchen nach; besonders als ich bald in den Wildgeruch kam, ein Don Juan zu sein. Ich war wahrhaftig keiner, ich war ein gesunder Schweizer – damals noch, ach Gott – der nicht freiwillig ein Sektglas stehen ließ.

So hab ich meine Abenteuer im Berliner Westen erlebt, wie ich sie schon seit meiner Stubenmalerzeit aus München kannte, und bin mir heute nicht gram darum. Es gibt in allen Lagern und Lebensaltern Frauen, denen ein frischer Kerl lieb ist, auch wenn sie nicht gerade mit ihm verheiratet sind; das hab ich ausgenutzt, wie sies ausnützten. Mag sein, daß einige auch um mich weinten, weil ich nicht Zeit zur sachten Lösung fand; und wenn hier manches unbezahlt geblieben ist, mir sind die Wechsel später präsentiert worden, als mich der Satan in einem Weib zum Teufel ritt. Auf diesen Blättern soll nur der Name dieser einen stehen, weil ich es nicht gewesen bin, der ihn zuerst mit dem meinen für die Öffentlichkeit zusammen schrieb. Was gutes oder böses vertraulich eingegangen war, soll auch vertraulich bleiben. Nur die Verheimlichung im Ganzen hab ich nicht mitgemacht; und wenn mich eines an diesem Blocksbergtanz im Westen noch heute freut, so ist es das, wie ich damals in dem abscheulichen Prozeß der Rothe als Zeuge geladen wurde, weil sie die Schwester meines Modells, der Wally war. Ich hatte sie im Akt gemalt wie Dutzend andere; ich wußte so genau, wie all die Herren zur Sache standen, die da zur öffentlichen Sittlichkeit vernommen wurden und sich den Mund mit keinem unkeuschen Wort beschmutzen wollten. Drum hab ich damals deutlich gesprochen, wie die Dinge mit Modellen und Weibern stehen; und wenn mir auch der Boden der öffentlichen Ehrsamkeit dadurch fast unter den Füßen fortrutschte und einige Stubenlüste meinen Atem nicht mehr vertrugen: das weiß ich wohl, wer im Geheimen anders dastand als ich, der konnte mich mit Steinen werfen; doch wäre ich davon den Märtyrertod des Stephanus noch längst nicht gestorben.

* * *

Mit meiner Malerei ging es mir unterdessen immer schlechter; ich glaubte damals, es käme von der berufsmäßigen Bildnismalerei, weil die mir immer wieder Köpfe vor die Palette brachte, die mich nicht interessieren konnten; obwohl die Köpfe immerhin noch amüsanter waren als die Orden, Frackwesten, Uniformen, von seidenen Kleidern schwerster Gattung garnicht zu reden. Was man ein flottes Porträt nennt, brachte ich nie zurecht, auch keines wieder von der malerischen Haltung des Klein; was mir gelang, war immer wieder doch nur die Form, und weil die eigentlich nicht Sache des Pinsels ist, kam ich nach der ersten zeichnerischen Anlage stets in denselben Widerspruch. Wenns gut ging, packte mich der Teufel der Vollendung; ich konnte mich an einem Mundwinkel so vermalen, daß alles ins verquälte kam, bis ich es abkratzen mußte. Ich argwöhnte dann, es wäre die Schule des alten Raab, der die Beobachtung so in die Einzelheiten getrieben hatte. Doch war es wohl viel mehr, daß mir der Pinsel als Handwerkszeug nicht gemäß war; was damit zu erreichen ist, die malerische Haltung, daß sich die Fläche in ein lockeres Nebeneinander von hell und dunkel auflöst, lag nicht in meiner Begabung. Ich klebte am Modell und hatte nicht den Mut, einen ordentlichen Pinselstrich voll Farbe hinzustreichen, aus Furcht, der Ähnlichkeit zu schaden; weil es mir nicht gelang, mit Farben und Pinselstrichen Musik zu machen über die Form hinweg, die sich darin nur andeuten, nicht aussprechen sollte.

So wurden meine Bildnisse immer trockener, eine Art umständlich in Öl gemalter, peinlich getreuer Zeichnungen, die in der Ähnlichkeit den strengen Anforderungen genügten, sonst aber als Resultat unerträglich nüchtern waren. Ich brauchte nur allein im Atelier zu sitzen, so packte mich auch schon die Katerstimmung, und wenn ich dann angesichts meiner verquälten Leinwände an die Bilderfantasien meiner Jugend dachte, sah ich, wie wenig trotz allen äußerlichen Erfolgen aus mir geworden war. Dann konnte ich mein kostspieliges Atelier und das ganze befrackte Dasein verwünschen und mich nach dem Kunstwinkel an der Isaar sehnen, wo ich statt mindestens für einen Taler zu soupieren für zehn Pfennig Wurst oder Käse zu Abend aß, aber von Grund aus glücklicher war, weil mir die Stimmung meiner Schule und der Freundeskreis das vortäuschte und fast ersetzte, was hier in meiner sandigen Einsamkeit an der Spree bis auf die letzten Krumen vertrocknet war: den künstlerischen Impuls.

Wenn ich das recht bedenke, ist mir damals der Peter Halm mein Lebensretter in der Kunst geworden, indem er mir den Ausweg zeigte, aus dieser Öde wieder in eine Arbeit zu kommen, die meiner Begabung erreichbar war, sodaß ich nun am Ende meines zertrümmerten Lebens doch nicht mit leeren Händen aus der Kunst verschwinde.


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