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Meine Eltern überraschte ein Mißgeschick mit mir; sie erwarteten trotz allem noch ein unnützes Pfarrerssöhnchen, das nur den Sinn und Drang täglicher Arbeit besser begriffen hätte: was sie zurückerhielten, war ein Stubenmaler, an dem die vierzehn Monate brutaler Großstadtwirklichkeit, vor der sie selber in ihrer ländlichen Bürgerexistenz trotz manchen Sorgen behütet waren, geschunden und auch Farbe gelassen hatten. Sie entsetzten sich an meinen groben Manieren und bedachten nicht, daß sie mich selber einem Anstreicher in die Lehre gaben. Es war in den ersten Wochen nicht erquicklich, bis ich mich wieder in den Ton von ihrer harmlosen Landwelt eingefunden hatte. Ich fand ihn und mich selber mit, als ich nun wieder ans lesen kam. Denn in München bei meinem Wenzel in den zwei Stuben und bei den Kostleuten nachher gab es keine Bücher, und zwölf Stunden täglich im Akkord arbeiten, was das heißt, weiß auch kein Pfarrer, der es nicht an sich selber durch ein Unglück erfahren hat; da greift die Hand, wenn sie am Abend noch Zeit und Geld für anderes hat, lieber zum Maßkrug als nach dem Bücherbrett.
Jetzt nach der ersten Faulheit brach der Hunger in meinem Kopf mit einer Lesewut aus, der die ganze Dorfbibliothek in meinem Zimmer rasch zum Opfer fiel. Es war zwar meist im Gotthelfstil des Bitzius, aber von einem bösen Kuhhandel lesen oder selber beteiligt sein, bleibt zweierlei, auch wenn es realistisch geschildert ist: denn wer erst liest, der sitzt doch irgendwo, gemächlich oder nicht, und hat den Eisregen und das Geplack der Arbeit buchstäblich in der Hand; er kann aufhören, wenn er will und ist gleich wieder in sich selber geborgen als ein Herr, der diese Bilder des Lebens an sich vorüberlaufen läßt, aber selber nicht mitlaufen muß. Er wird unmerklich in die Lebensluft der Bildung gehoben, die – noch so streng erworben – von Grund aus das Gegenteil der sinnlosen zwangsweisen Arbeit ist, weshalb denn auch die Geplagten so gern Romane lesen. Ich wurde über den Büchern rascher wieder in die Manieren meines häuslichen Kreises zurückgeführt, als es die bitteren Mahnungen des Vaters und die strengen Bitten der Mutter vermocht hätten. Was dann als Künstler übrigblieb, war immerhin ein anderer, als der Anstreichergeselle in München, der sich mit einem polternden Trotz und auch einem Teil Großmannssucht Malzeug kaufte. Als ich erst wieder mit der Zeichenmappe gegen den Forst hinaufzog, war meine Mutter doch wieder meine Lehrmeisterin geworden; ich hatte in den vierzehn Monaten für meine Kunst nur diese Einsicht eingebracht, daß mit der Faust um die Existenz gekämpft wird, daß aber Bildungsdinge sich nur beharrlich und bescheiden, in einer ehrlichen Demut langsam erringen lassen.
Wie ich mich so dem heimatlichen Kreis wieder einfügte und Studien von heikelster Vollendung zeichnete, fehlte es natürlich nicht, daß ich den Herren vom Ochsischen Legat damit gefiel und zum Januar wirklich ein Stipendium für München bekam, vorläufig zwar nur bis zum August, doch ohne Zweifel, daß ich bei guten Zeugnissen auch weiterhin von der Gnadensonne des Legats erwärmt sein würde. Ich blieb so bis Januar in Neuenegg und wenn mir überhaupt etwas den vollen Genuß dieser Monate beunruhigen konnte, war es nur dies, daß ich als Stubenmaler den gelegentlichen Liebesfreuden handgreiflicher nachgegangen war, als ich es mir als Pfarrerssohn in Neuenegg erlauben durfte. Sonst war es nächst meiner ersten Jugend die einzige Zeit meines Lebens, in der ich mich ganz dem Behagen meiner Neigungen hingeben konnte. Was ich mir damals an Bildern ausdachte, wie ich mit meinen Augen von der Landschaft und allem darin Besitz ergriff, um es für meine Pläne verwerten zu können, darin fehlte noch die Bitterkeit der ersten Erfahrung, daß nichts seltener wäre in der Kunst als der Genuß an der fertigen Leistung, daß jeder Erfolg einem die Augen nicht nur für neue Schwierigkeiten, sondern auch für die Unzulänglichkeit der eigenen Begabung öffne, die sich so mit ihren Träumen an den; Grenzen ihrer Kraft grausam zerriebe. Damals vermochte ich noch nichts und fühlte mich als rechter Dilettant den kühnsten Plänen gewachsen. So konnte ich auch wieder, und mit derselben Wichtigkeit, mein Herbarium und meine Steinsammlung haben, konnte in die Stockhornberge klettern; bis mich mit den kürzeren Tagen doch die Unrast meines ausgeruhten Körpers verdrießlich machte. Wie eine frisch lackierte Lokomotive lag ich da in Neuenegg, die Probefahrten waren überstanden, gut eingefeuert war ich auch, nur abfahren sollte ich noch nicht. Auf was für trübselige Rangiergeleise mich die Kunstschule noch bringen sollte, bevor es erst nach Jahren zur Fahrt losging, bei der die Mängel der inneren Konstruktion doch immer wieder zu Entgleisungen führten: das hätte ich damals keinem Propheten geglaubt.
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Bei meinem ersten Lehrer, dem Professor Krähuber, ging mirs noch gut. Ich mußte Kreidezeichnungen nach antiken Gipsfiguren machen und konnte dabei das Vollmarsche Rezept des ein- und ausgewischten Schattenspiels so vortrefflich anwenden, daß er meine Art zu zeichnen sehr bald lobte und mich an die alte rabenschwarze Kupferseele – wie wir ihn nannten – den Kupferstecher Johann Leonhard Raab empfahl, der aus lauter Lehreifer eine Naturklasse freiwillig übernommen hatte und nur Schüler duldete, die ihm paßten. Da fing freilich der Katzenjammer an, aus dem ich danach nicht mehr hinauskam und der mir seitdem immer als das Erbteil rechtschaffenen Künstlertums deutlich geworden ist, eine Strafe der Götter für die Menschen, die ihnen mit eigenen Schöpfungen ins Handwerk pfuschen wollen.
Das Atelier lag in der alten Akademie ganz oben, wo man heute noch die Bogenfenster sieht, durch die das alte Männchen in die Straße hinunterguckte, besonders wenn Soldaten mit Musik vorüberzogen, in die er ganz vernarrt war. Man kam zur rechten Hand der Treppe durch einen länglichen Raum hinein, wo unter den Seidenpapierrahmen der Fenster zwei Kupferstecher saßen. Auch im Lokal der Schule, das sich quadratisch anschloß, saßen wieder zwei Kupferstecher; nur mußten sie die Rahmen wegnehmen, wenn wir zeichneten. Dahinter hockte in einem schmalen Raum die Doris, des Alten vielgeplagte und von uns allen verehrte Tochter, und dann erst kam er selber, dem wir da oben alle wie die Lehrlinge eines Hexenmeisters mehr in Furcht als Ehrfurcht dienten. Denn er saß selten drin auf seinem Stuhl, irgend etwas trieb das unruhige Männchen, umher zu springen, und schneller noch als seine Beine liefen die scharfen Brillenaugen. Wenn er hinter einem stand, war es nicht anders, als wenn man mit einem krabbelnden Maikäfer im Nacken zeichnen sollte, und da er eigentlich immer da war oder da sein konnte, gab es bei ihm nichts von der Schluderei, die sonst in den Sälen der Akademien häufig ist.
Wir hatten das Modell, um das wir in einem dichten Halbkreis saßen, immer für eine oder zwei Sitzungen, in vier Stunden also mußte bestenfalls die lebensgroße Zeichnung eines Kopfes fertig sein. Ich dachte natürlich beim erstenmal, recht mit meinem Vollmarschen Rezept loszufahren; er ließ mich auch stillschweigend meine kühnen Bogen mit der Kreide kutschieren, nur als die Sitzung fertig war und ich befriedigt schon ein Lob von ihm erwartete, der den älteren Schülern immerzu mit Rügen dazwischengefahren war, sagte er so recht eindringlich, daß es die Kupferstecher draußen und seine Tochter nebenan auch hören mußten: meine Art zu zeichnen wäre eine Schweinerei, die ein Holzhacker grad so machen könnte. Das war das erste von den vielen Malen, wo er mir mit der Peitsche um meine Ohren knallte; ich kam mir richtig wie ein Holzhacker vor, der sich hier eingeschlichen hatte, und was von der Großsprecherei des Stubenmalers noch in mir steckte, das wurde kleinlaut bis in die roten Ohren: Ich fürchtete einen Augenblick, nun würde er mich zum Hohngelächter der andern Schüler und zum Spott der Kupferstecher gleich wieder aus der Klasse jagen; und wenn ich mich früher beim Spott und beißenden Tadel meiner Lehrer sozusagen auf mein künstlerisches Selbstbewußtsein zurückgezogen hatte – was ich kann, könnt ihr doch nicht sah ich mich jetzt gerade da bis auf die letzte Nichtsnutzigkeit entblößt und war am Abend bei der Antrittskneipe wieder so lautlos, wie ich damals beim Meister Wenzel am ersten Sonntag einen Kleiderkasten geschliffen hatte.
Am andern Tag aber, als ich mich hinter zwei andern her an meinen Platz schlich und gar nicht wagte anzufangen, holte mich der Alte zu sich herein und war von einer väterlichen Freundlichkeit, die ich mir garnicht deuten konnte. Er hatte die Arbeiten seiner besten Schüler mit ziemlichem Umstand aufgepflanzt und gab sich eine redliche Mühe, mir meine Böcke daran zu widerlegen. Irgend etwas an meiner Hand mußte ihm doch gefallen haben, und wenn es auch noch wochenlang so fortging wie am ersten Tag, daß ich mich nach den Sitzungen unter Vorwänden beiseite drückte, bin ich doch allmählich einer von seinen Lieblingsschülern geworden.
Was ihm an meiner ersten Zeichnung mißfallen hatte, war nur die Frechheit, mit der das Ganze – wie die Maler sagen – erst einmal hingeschmettert war, um mit den Feinheiten nachzukommen. Seine Grundmeinung blieb, daß der Vorzug einer Zeichnung gerade in der ersten Anlage bestände, die man nur ausarbeiten, nicht mehr verändern dürfte. Wenn ich im Anfang die Haltung eines Kopfes leicht andeuten wollte, hielt er mir schon die Hand fest: Sehn Sie denn nicht, wie schön das ist, wie edel? Das muß im ersten Strich zu spüren sein. Und wenn mirs dann natürlich mißriet, nahm er mich vor bei der Hand, dicht ans Modell, die Schättle an den Wimpern erst einmal anzuschauen, um dann mit mir rückwärts zu springen zwischen den eng gestellten Staffeleien: So, jetzt mit dem frischen Eindruck dran! Doch von der Weiten, von der Weiten! Da ließ ich denn natürlich alle Kühnheit der Vollmarschen Licht- und Schattenkünste fahren und versuchte es mit dem feinen Strichrezept der Mutter von Waldharts Gnaden; um ihn ganz wild zu machen: Jetzt wollens mich verhöhnen als Kupferstecherla!
So wars in jeder Sitzung ein neuer Kampf mit andern Widerhaken; aber wenn mirs später bei meinen radierten Blättern ein paarmal geraten ist, war es der alte Raab, der immer noch mit Spechtaugen dahinterstand. Während im Antikensaal die schlimme Bummelei gewesen war, daß immer einer zum andern ging und ihn mit Geschwätz störte, und daß die mit dem meisten Stroh innen und außen am Kopf die ärgsten Aufschneider waren, von denen sich die größten Meisterwerke mußten herunterreißen lassen, ging es beim alten Raab, der selber keiner der Unsterblichen und bescheiden wie ein Schwarzspecht war, in einer sauberen Ordnung zu; denn wer erst einmal bei ihm begriffen hatte, wie schwer es war, nur einen Fingernagel recht schön herauszukriegen, der spürte, was an einem Kopf von Holbein unerreichbar war.
Ich bin bei dem merkwürdigen Mann bis zum Sommer 1877 geblieben; weil er kein mißmutiger Nörgler sondern eine Art Freiwilliger der Kunstlehre war, hab ich nicht nur zeichnen, sondern überhaupt bei ihm gelernt, eine künstlerische Arbeit als Gewissenssache zu nehmen; vielleicht zu sehr für meine Natur, die schon von selber auf eine restlose Bewältigung eingestellt war. Denn als ich später einmal vierzehn Tage lang an dem Mund des alten Lauer arbeitete und dann doch wieder alles abkratzen mußte: schien das dem alten Leibarzt vom Kaiser Wilhelm schließlich zuviel Energie. Doch war es keine Pose, als ich dem alten Herrn entgegnete: daß es das garnicht gäbe; man käme nur manchmal an eine Ecke, wo die Begabung der eigenen Kritik nicht mehr oder noch nicht genügen könnte; dann müsse man einpacken oder es mit Gewalt versuchen.
Daß die Schule des alten Raab die richtige für mich war, muß ich mir schon aus dem Eifer entnehmen, den er in mir auslöste; mehr gearbeitet habe ich auch als Anstreichergeselle nicht und dabei war ich trotz allem Ingrimm bei der Arbeit abends ein fröhlicher Kerl, der es selbst den Faulpelzen im Trinken und Lustigsein voraustat. Einmal wurde ich sogar für ein paar Tage lang eine Art Berühmtheit der bayrischen Hauptstadt. Es war zum Fasching eine von den großen Kneipen gewesen, wie sie die Kunstschüler jedes Jahr mit Eifer und Tollheit machen. Ich hatte mich als Berner Maidschi verkleidet; weil mein Schnurrbart nie was rechtes wurde und damals nur erst eine Art von blondem Schimmelpilz war, hatte ich die Oberlippe von diesem männlichen Anwuchs gereinigt und mochte nun mit meinem rotbäckigen Vollmondgesicht wie ein Berner Landmädchen von schwerem Kaliber aussehen. Jedenfalls wurde ich in der Nacht wie verrückt herumgeschwenkt und überall traktiert, sodaß ich mit dem Morgen in die Lumperei geriet, die meist das Ende von solchen Übermütigkeiten ist. Wir blieben in der Kneipe übrig bis zum Nachmittag, und als die andern dann nach Hause krochen, endlich ein paar Stunden lang zu schlafen, schien mir die kalte Luft nach dem verräucherten Dunst der Kneipe so klar zum atmen, daß ich ins bummeln kam und richtig die Maximiliansstraße hinunterschlenderte. Ich war dösig von der wüsten Nacht und die Weiberkleidung gewohnt, wie sie mir um die Beine schlampte; so dachte ich mir wenig dabei, daß es noch gar nicht Fastnacht, erst der Sonntag vorher war, und als mir ein Kürassierrittmeister mit seiner eleganten Frau daherkam, juckte es mich auch, gerade den um Feuer anzusprechen.
Mein Kostüm war in der Nacht nicht sauberer geworden, und ich selber sah nach der wüsten Tanzerei ungewaschen aus: jedenfalls aber wurde ich nun erst recht für ein Frauenzimmer gehalten, das von dem zornroten Rittmeister übel angefahren wurde, indessen sein Dämchen fast in Ohnmacht fiel. Rasch staute sich das elegante Sonntagnachmittagspublikum um uns. Ich war noch frech genug, einen älteren Herrn mit einem Franzjosefsbart und grauen Gamaschen gleichfalls um Feuer zu bitten; der sprang einen Schritt zurück, hob seinen Stock und schimpfte mich Saumensch. Worauf denn auch schon der Mann mit dem Helm erschien und mich Ärgernis beiseite brachte; zuerst, damit er mich von der Straße hatte, nebenan in die Post, dann mit einem rasch herbeigerufenen Wagen ins nächste Polizeiamt. Natürlich ging das nicht ohne moralische Redensarten; es war komisch, auch einmal von der Polizei in Erziehung genommen zu werden und noch dazu als Fraumensch. Wie ich aber – bevor sie mich einsperren wollten – von dem Polizeileutnant, der ein ziemlicher Stecken war und meine dralle Gestalt mit unverhehltem Vergnügen musterte, meinen Namen abgeben sollte, raffte ich meine Unterröcke hoch und holte den Erstaunten meine Ausweiskarte von der Akademie heraus. Sie glaubten mir trotzdem die Männlichkeit erst ganz, als sie mir den weiblichen Plunder vom Leib gezogen hatten und ich mich in meiner eigenen Hose als ein unverkennbares Jungmannsstück darstellte. Ich konnte uneingesperrt nach Hause gehen; andern Tags stand die Geschichte dann mit allem möglichen Aufputz, glücklicherweise ohne meinen Namen, in den Zeitungen; natürlich wußten alle Schüler in der Klasse, daß der Schweizerkarl, wie sie mich damals nannten, der Frechling gewesen war, und so prusteten einige, als am zweiten Tag darauf der alte Raab die Geschichte im »Freien Landboten« las und mit dem Zorn seiner ehrlichen Ordnung erklärte: wenn der Lump in seiner Klasse säße, er würfe ihn eigenhändig hinaus. Er hätte das wohl nicht getan, weil ich es war, aber mir wars doch lieb, daß ich meinen Kopf auf die Zeichnung gebeugt verstecken konnte.
Mir hatte die Geschichte einen Freund eingebracht, der mir in der Folge wichtig werden sollte, einen Berliner namens Katsch, dessen Mutter in Berlin und Petersburg eine Christofelwarenfabrik besaß und der in München gleich mir die Malerei studierte. Ich war keinmal mit ihm in derselben Klasse, weil er einige Jahre älter und im Studium voraus war, wohnte auch nicht mit ihm zusammen, aber für das sogenannte akademische Leben wurde er der unzertrennliche Begleiter von mir. Es gibt darin nicht bloß fröhliche Kameradschaft, sondern auch schon den ganzen neidischen Klatsch und die gehässige Stänkerei, mit denen das öffentliche Leben der sogenannten Künstlerschaften später angefüllt ist.
So gab es einmal erbitterte Streitigkeiten um die Finanzen der großen akademischen Fastnachtskneipe. Sie war bis dahin immer mit einem Defizit ausgegangen; diesmal aber hatte der Katsch als Vorsitzender die Sache so glänzend durchgeführt, daß wir Akademiker mit einem Überschuß von mehreren hundert Mark dasaßen. Es war damals gerade die große Überschwemmung in Szegedin gewesen; nun stifteten wir dafür und noch für andere Wohltätigkeiten je hundert Mark, erregten aber mit dieser Eigenmächtigkeit den Zorn der sogenannten Gegenpartei. Die Streitigkeiten um den Rest von siebzig Mark zogen sich bis in den Sommer hin. Um endlich damit fertig zu werden, wurde ein allgemeines Freibier für die Akademiker bei den Klosterbrüdern zu Schäftlarn beschlossen, das mir als eine unserer Fahrten in der Erinnerung geblieben ist: Schon am Tag vorher gingen wir ziemlich ein Dutzend als Quartiermacher ins Isartal hinauf, bei Großhesselohe in den Grünwalder Forst und über Grünwald zum Brunnmeister an der Römerschanze. Es war ein warmer wässeriger Junitag, wo man selbst stillsitzend schwitzig in den Kleidern wird, und wir hatten in der Menterschwaige bereits den ersten Frühtrunk getan – da wir überall erzählten, um selber günstig aufgenommen zu werden, daß wir als Abgesandte der ganzen Akademiker kämen, die andern Tags in ungeheuren Heerhaufen anrücken würden, begannen überall die Bauernwirte schon mit schlachten – so war es Mittag geworden, als wir bei dem Brunnmeister einfielen. Wir wurden als Bekannte von selber gut aufgenommen und blieben bis zum Abend bei einer Kegelpartie, wobei und einer namens Kispert, der später tiefsinnig wurde und immer schon ein kurioser Mensch war, nacheinander zeichnete und mich besonders gut herausbrachte, wie ich mit Hemd und Hose meinen ungeschlachten Körper auf den einwärts gestellten Füßen balancierte und durch die altmodische Silberbrille mit kreisrunden Gläsern einer Kugel nachsah.
Ich hätte das vielleicht vergessen, weil Karikaturen so ziemlich das einzige sind, was den Malschülern gerät, wenn nicht durch eine Bemerkung desselben Kispert unsere Fahrt nachher zu einem nachdenklichen Ende gekommen wäre. Die ersten Nebelschwaden des Abends setzten schon an, als wir mit der Fähre nach Baierbrunn hinüber und dort den herrlichen Fußweg durch den Buchenwald hinunter, mit reichen Blicken in das Isartal, nach Schäftlarn gingen. Es gibt außer der Heimat wenig Landschaften, die mit solcher eindringlichen Helligkeit in meiner Erinnerung stehn: unten als Gegensatz zu den prahlenden Prächten der grünen Grashänge und Buchenwälder das breite Steinbett, vielfach in trockene Arme verlaufend, darüber im Vorblick die blauen Felshänge der Benediktenwand und rechts davon das Dreieck vom Herzogstand, gegen den dunstigen Horizont knallweiß umsäumt mit den Spitzenzäcklein der Schneeberge. Irgendwo drängte sich der Mond schon in den noch hellen Tag, wie blankgeputztes Messing; über den Wiesen spannen die Nebel lang wehende Tücher aus der feuchten Luft, und wo eins von den roten Dächern seine breite Behaglichkeit aus den grünen Gründen hob, hing phantastisch geformt der verschwelte Vesperrauch darüber.
Auch bei uns im Berner Land sind die Berge blau, aber wie es hier aus allen Schatten blühte, das war genau so, wie die Bayern ihre Uniformen haben. Wir waren miteinander betroffen von der herrlichen Bläue, in der das Grün der Bäume und Wiesen, der steinichte Grund, die Nebelschwaden, selbst die roten Dächer gebadet waren, und als wir an dem letzten Ausblick über Schäftlarn noch einmal unsere Augen in einem großen Zug dies alles eintrinken ließen, mochte in uns allen schon ein Gefühl von dem gewesen sein, was der Kispert auf einmal sagte. Es war ein schwächlicher Mensch mit einer klangschönen Stimme, die sich nie in unsern lärmenden oder ironischen Ton gewöhnen konnte, immer mit einer seltsamen Art von Ernst behaftet schien: Er müsse glauben, daß wir alle miteinander Hochstapler oder Einfaltspinsel wären. Wir sprächen und hörten immer vom Naturstudium; ob die Natur vielleicht die Speckfarbe von unsern Bildern hätte und ob in dieser Schönheit vor uns irgend etwas anderes für unsere Augen, also auch für die künstlerische Freude daran, entscheidend wäre, als dieser blaugrüne Farbenklang, die Form daran sei ganz unnütz. Ob aber einer von uns oder unsern Lehrern dergleichen malen könne? Der Stauffer und der Katsch und ich nicht, weil wir alle miteinander oberflächliche Simpel sind und weil wir keinen Lehrer haben in ganz München, der hier schon in die Schule gegangen ist.
Die Worte waren nicht so merkwürdig, sondern wie sie jeden von uns zu treffen schienen; mich zum wenigsten bis in den Grund, sodaß wir wie nach einer Leichenpredigt erst eine Weile stumm dastanden, bis einer nach dem andern sich schweigend zu gehen wandte. Und wenn ich auch derjenige war, der sich noch einen Trost erfand und ihn den andern sagte, daß die alten Meister das auch wohl gesehen und also Gründe gehabt hätten, es nicht zu malen: ich fühlte damals schon die Unvorsichtigkeit davon genau, und wenn ich dann im zweiten Jahr danach, in Großhesselohe, und viel später noch einmal im Jura an diese Dinge mit dem Pinsel zu rühren wagte – freilich beidemal mit einer schlimmen Niederlage – kam das von diesem Spätnachmittag im Isartal und dem Wort des seltsamen Kameraden, mit dem wir jungen Malgemüter noch erfüllt waren, als wir in Schäftlarn einzogen.
Es ist nur ein kleiner Ort, aber in dem Kloster daneben wird das beste aller Biere gebraut; wir wurden mit der Ankündigung unserer akademischen Trinkermassen gebührend aufgenommen und hatten an dem Abend mit dem Bürgermeister eine fröhliche Sitzung, bei der wir nach Jungmannsart den ernstgestimmten Teil der Gedanken vorläufig in den Schrank da innen legten, aus dem das meiste glücklicherweise nicht mehr zum Vorschein kommt. Denn wer noch ohne diesen Leichtsinn seine Kunst ausüben wollte, müßte mehr als ein Genie sein, das am Ende nur ein gesteigerter Leichtsinn ist.
Am andern Tag aber rückten im ganzen nur noch einige Dutzend Freibierler an, sodaß wir schließlich noch die Bauern einladen mußten, um mit dem Geld fertig zu werden. Der Bürgermeister bekam einen Ehrengänsebraten, und schließlich vermag ein halbes Hundert junger Maler bei Freibier in einem sonnigen Buchenwald Lärm genug zu machen; nur daß wir zwölf Quartiermacher abends vorsichtig einen andern Rückweg nahmen, um nicht für die vergeblich geschlachteten Hühner auf bäurische Weise haftbar zu werden.
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Weder die Fröhlichkeit solcher Fahrten noch die Bedenklichkeit solcher Worte vermochten damals meine Arbeit zu stören; ich war von Anfang an gründlicher vom Künstlerhochmut kuriert als die Genossen, die meist von der Schulbank her, zum Teil aus wohlhabenden Häusern kamen; ich wußte zu genau, wie wenig ich vorläufig mit einem ablenkenden Gedanken anfangen konnte. Malen ist zeichnen mit der Farbe, hatte der alte Raab zu mir gesagt, können Sie nicht zeichnen im tiefsten Sinn, wie wollen Sie denn malen? Ob das im ganzen richtig war, bekümmerte mich nicht so sehr, wie daß ich sicher wußte, was mir noch alles am Zeichnenkönnen fehlte. Mit dem Sommer 1877 war ich freilich aus der Naturklasse entlassen worden und hatte mit meinen Zeichnungen, die ich nach Hause brachte, namentlich einem Schäfer mit Hund, den ich mit spitzem Bleistift in jeder Form durchbildete, nicht nur meinen Leuten daheim, sondern auch der Kupferseele meines Lehrers sichtbare Freude gemacht. Durch ihn war ich an Dietz empfohlen, der damals seine berühmte Malklasse hatte; ob mich der Brummbär annehmen würde, wußte ich freilich noch nicht, als ich zum Herbst mein neues Studienjahr mit einer schönen Reise anfing.
Ich hatte in Basel eine Tante Judith, von der ich mir um einiger Gefälligkeiten willen eine besondere Belohnung erhoffte. So war ich im Spätherbst mit meinem Freund Lutz dahin gefahren, hatte die Tante zwar freundlich, aber sonst ohne Erinnerungen gefunden und war ein paar Tage lang demütig und doch nicht unverzagt vor den Handzeichnungen Holbeins im Museum gewesen; denn wie unsagbar sauber auch in der künstlerischen Form diese Arbeiten waren, wie hellseherisch in jeder Linie und fast noch beherrschter in dem, was er ausließ: das sah ich damals noch nicht – wie denn zu ihrem Glück die meisten Künstler, oder wenigstens die erfolgreichen, immer nur soviel von der Kunst der Meister erkennen, wie ihrer eigenen Übung zuträglich ist, andernfalls es außer den Professionisten nach Holbein kaum noch Bildnismaler gäbe. Ich war zudem durch schöne Ferien ausgeruht, hatte mit günstigen Zeugnissen mein Stipendium wieder in der Tasche und ahnte die Tücken des Pinsels nicht, daß ich – statt meine erworbenen Zeichenkünste zu kolorieren, wie auch der Laie immer meint – als Maler von Grund aus neu anfangen mußte.
Natürlich übernachteten wir – es war damals so recht noch die Trompeterzeit – in Säckingen. Ob sich das nach Holbein nicht gehörte? Wir waren jedenfalls kläglich ernüchtert, obwohl Säckingen doch ein nettes Städtchen ist; aber wie wir in der kleinbürgerlichen Behaglichkeit vergebens die Scheffelsche Romantik suchten und schließlich mißgestimmt im Gasthaus bei unsern Kalbsknochen saßen als ein paar nüchterne Malerjünglinge ohne Locken und Kalabreser, muß uns wohl der blaue Unsinn solcher Poetasterei selber lächerlich geworden sein. Wir wurden auf eine galgenhumoristische Weise lustig mit einer vierfüßigen Unterhaltung in Versen und forderten dadurch eine kuriose Ungastlichkeit heraus, indem der Wirt, ein grau und wunderlich gewordener Mann, stundenlang einen Kreislauf um den runden Tisch machte, wo wir unter der Hängelampe saßen und uns die Stadtnachrichten von der gefallenen Kuh und der Wespenplage im Scheffelvers vorlasen: Punkt zehn Uhr drehte er schweigend die Lampe aus und beschied uns damit zu Bett. Alles andere in dem Haus schien schon zu schlafen und so war der grämliche Eisenbart, der uns mit der Kerze in die Kammer leuchtete, der letzte Eindruck dieses an der Trompeterpoesie gescheiterten Tages.
Seitdem habe ich mir die Scheffelschen Verse abgewöhnt, und daß wir andern Tags den Rheinfall und Schaffhausen mit einer verbissenen Enttäuschung sahen, daß wir selbst an dem berühmten Stein am Rhein mit fahrlässigen Scherzen vorüberfuhren, kam alles von Säckingen her, wo uns eine romantische Illusion im Alltag zum Teufel gegangen war. Ich hab das später noch ein paarmal erlebt, mit der Isola Bella, der Peterskirche in Rom und der berühmten Aussicht von Fiesole und bin einer fadenscheinigen Bildungsphantasterei auf die Spur gekommen, die solche Orte mit einem dickgoldenen Heiligenschein herkömmlicher Schönheit umgibt. Wer die angedichtete Poesie davon in seinem Dasein braucht, der gehe niemals nach den Orten seiner Sehnsucht wirklich hin.
Das unfreundliche Wetter mag auch sein Teil dazugetan haben, daß wir junge Dachse so ironisch rheinaufwärts fuhren. Erst am Bodensee wurde uns wieder wärmer ums Herz. Wie da freilich gegen Steckborn der Rhein auf einmal zum Untersee aufgeht, wie die grüne Reichenau ihren schlanken Rücken darin spiegeln läßt und am Horizont der Dom von Konstanz gleich einem Panzerschiff auf dem Wasser heranzuschwimmen scheint, wie hier die Kegel vom Hegau ihre stumpfen Häupter über einer klassischen Linienfülle heben und schließlich an dem wieder verengten Rhein Schloß Gottlieben mit seinen dicken Türmen dicht am Ufer steht, wo die Päpstlichen den Huß wie einen seltenen Kapaun gefangenhielten, bis sie ihn braten konnten: das war der Reichtum einer Welt, die keiner poetischen Maskerade bedurfte. Es gab für uns danach in Konstanz, Überlingen und am Abend noch in Meersburg einen herrlichen Tag, wo wir an der Fruchtbarkeit der Landschaft, ihren tiefen und sanften Farben, den malerischen Silhouetten der Uferbäume und an der edlen Bildung alter Bauten reine Freuden erlebten, namentlich in Überlingen, diesem übriggebliebenen Seewinkel mittelalterlicher Schönheit.
In Meersburg aber hatte ich ein Erlebnis, das mir um meines Namens willen merkwürdig einwuchs, und mir in meinen bösen Tagen noch zu schaffen machte, obwohl es nur ein wenig Betrunkenheit war. Es gibt in Meersburg ein altes Schloß, das noch vom fränkischen König Dagobert erbaut sein soll, ein ungeschlachtes Ding von Gebäude. Da bekamen wir für ein paar Nickel von einem Invaliden merkwürdige Geschehnisse erzählt, von denen mir eins aus einem närrischen Grund besonderen Eindruck machte: daß von hier aus Konradin, der letzte Hohenstauffe seinen Unglückszug nach Italien begonnen habe. Schade, sagte ich zu meinem Freunde Lutz, der die Anspielung nicht einmal gleich verstand, schade, daß ich nicht Konradin heiße, wo ich doch auch ein Stauffer bin. Und abends beim Wein verwuchs sich das noch weiter zu einer hitzigen Aufschneiderei. In dem kleinen Gasthaus, ich glaube es hieß zum Schiff und ging mit seinem Erker über die Straße, gab es eine Saaltochter namens Petronella, ein anzügliches Bündnerkind, hoch gewachsen und schwarzäugig. Sie bediente uns, und weil mir der rote Meersburger aus dem Scheffelschen Ekkehart rühmlich bekannt war und seinen Ruhm noch übertraf, hatte ich bald, wie die Engländer sagen, die Zähne unter Wasser. Die Petronella gebrauchte ein Paar Augen, mit denen sie Blick für Blick die Gaslaternen einer kleinen Stadt anstecken konnte; ich war rasch in Brand und weil ich den vorläufig mit rotem Meersburger löschte, kam ich mit den unnotwendigen Gesprächen, die solchen Dingen vorausgehen, auf eine scherzhafte aber hitzig gesprochene Prahlerei: Ich wäre der letzte Hohenstauffe, Carlo von Stauffen, und besuchte die Stätten meiner Ahnen. Natürlich spielte die Petronella in dem Geschwafel auch ihre Rolle, weil ich ihr zuliebe nun nicht nach Italien führe; als aber gegen Mitternacht das Bett den Wein ablösen sollte, erwies es sich, daß Petronella mit im Zimmer der Kinder schlief, das durch die davorliegende Kammer der Wirtin von allen Gelüsten hitziger Gäste abgetrennt war. Sie hatte sich nicht so gezeigt, daß ich mich nicht von ihr spöttisch verraten glauben mußte; jedenfalls gab es in unserm Gastzimmer noch einen Monolog, bei dem der Stiefelknecht die Kraftworte gegen die Tür zu bollern hatte, bis es dem treuen Lutz gelang, den Rausch des letzten Hohenstauffen ins Bett zu bringen.
Mit der schwarzäugigen Petronella wurde ich beim Frühstück trotz der getäuschten Hoffnungen noch wieder einig; der Namensvetter Conradino aber ging mir nicht aus dem Kopf, und als ich selber nach Italien gezogen und wie er verraten worden war, nur treuloser und mit anderer Häßlichkeit: da habe ich den Monolog aus Meersburg vielmals repetiert, nur daß ich keinen Stiefelknecht hatte und mit den Fäusten an tonlose Kerkerwände schlug.
Der Frühgang durch die Rebgefilde bis Hagnau war trotz dem rauchenden Schlachtfeld in meinem Kopf sehr schön, auch das Stückchen Uferfahrt mit dem Schiff von da bis Friedrichshafen; erst nachher bis Ulm ging mirs übler. Dafür war Ulm um so schöner; aber nicht das Münster war es, was mir den stärksten Eindruck machte, sondern daß Ulm eine Festung war mit Laufgräben und Wällen voller Soldaten rundherum. Es war zum erstenmal, daß ich so etwas sah und somit einen Begriff von dem Deutschland kriegte, das 1870 die Franzosen mit Flinten und Granaten aus ihrem Kaisertum hinausgeschossen hatte. Wir fuhren an dem Abend noch bis Augsburg; wie das in jungen Köpfen nach solchen Räuschen geht, lief ich da durch die alten Gassen, trat ins Rathaus des Elias Holl, sah den Perlachturm, den Dom und die alte Pracht der Stadt doch wieder in der Katerwehmut des heimlichen Hohenstauffen. Die Scheffelsche Romantik war durch eine Phantasterei abgelöst, in der ich mir nun selber eine Rolle zugeeignet hatte. Am Nachmittag war ich dann wieder demütig in der Münchener Akademie, kein verratener Konradin mehr, sondern der Carlo, dessen Ehrgeiz vorläufig nicht weiter reichen durfte als glücklich in die Malklasse von Dietz zu kommen.
Das war freilich ein anderes Leben als beim alten Raab, und ich weiß noch gut, wie mich das Atelier zuerst entzückte: ein hoher Raum, in dem das Tageslicht bis auf eine einzige Spalte abgesperrt war, sodaß es mit einem starken Strahl hereinbrach und das Modell schräg von der Seite überschüttete. Da sah ein Kopf zuerst wie ein Mondgebirge aus mit brennenden Lichtern und scharf hineingeschnittenen Schatten; aber wie ich ihn sauber mit Braun unterlegte, um dann mit der Farbe darüber zu gehen, fuhr mir der Dietz sackgrob um die Ohren. Es war derselbe Anfang wieder wie beim alten Raab, wie wenn ich ganz vergebens so lange gezeichnet hätte. Denn nun wurde mir gezeigt, wie solch ein Kopf gar kein Mondkrater mit scharfen Schattenrissen sondern ein malerisches Spiel nicht nur von Licht und Schatten, sondern auch von kalten und warmen Tönen wäre. Ich war so ganz auf die Zeichnerei gestellt, daß ich damit lange nicht zurechtkam und mein Weihnachtsfest 1877 mit einer Sturmflut von Katzenjammer feierte. Denn nicht genug, daß ich vom Dietz immer wieder abgekanzelt wurde, das Zeug wegzutun, weils kein Schad drum wäre, auch in der alten Pinakothek, wo ich mit meinen Zeichenkünsten allmählich schon dreist zwischen den van Dyck- und Rubensbildern umhergegangen war, merkte ich nun erst, wo ich sie als Malerei betrachtete und das Helldunkel daran in lauter – nicht willkürlich kolorierten sondern in der Natur studierten – Farben aufgelöst sah: wie unmöglich es mir fürs erste war, in solchem Sinn ans malen zu denken.
Die Anatomie dazu mit dem Höllengestank, wo man sich abquälen mußte, einen Arm zu präparieren, und doch nichts herausbrachte, als ein ganz verschnitztes Ding: es stand damals so mit mir, daß ich mich kaum noch auf einer Kneipe sehen ließ, meist zu Hause bei meinen Büchern hockte, weil ich denen keine Rechenschaft zu geben brauchte; denn alle Großmäuligkeit, an der ich sonst immer litt, war mir vergangen.
Weil ich die Zähne zusammenbiß, war ich trotzdem im Winter bald so weit, daß mich der Dietz selber tröstete: Aha geltens, jetzt kommens drauf! Aber wie ich so recht im Zug war, einen Kopf in einer Sitzung hinbuttern zu lernen, hatte der Dietz, der damals kränkelte und überhaupt ein Gallicker war, die Lust mit uns verloren und gab die Malklasse auf. Da saßen wir denn alle miteinander, und ich besonders, mit unserer säuglinghaften Malerei auf der Straße; denn irgend einen andern, der den Dietz als Malhandwerksmeister hätte ersetzen können, gab es in München nicht; und als schließlich die Schule an Löfftz kam, der dadurch mein eigentlicher Lehrer der Malerei wurde, war das wieder ein neuer Anfang. Denn obwohl der Löfftz selber ein Dietzschüler war, paßte die Butterei für seine Art nicht; er war ein vorsichtiger und feiner Mann, dem nicht leicht etwas vollendet schien; er setzte gewissermaßen die Methode vom Raab ins Farbige über, auf die Bravour gab er garnichts, wie er überhaupt jeder Art von Schwindel und Großmannssucht – auch auf der Leinwand gibt es dergleichen – abgeneigt war.
Wodurch ich später die Leute in Berlin verblüffte und mit meinen vierundzwanzig Jahren eine Art verspätetes Wunderkind wurde, das war eigentlich alles seine Schule. Ich bin von Frühjahr 1878 bis zum Sommer 1880 bei ihm fleißig wie ein Akkordarbeiter gewesen, habe Köpfe und Akte gemalt und mich mit meiner Begabung abgequält, die nicht sehr auf die Farbe gestellt war. Eigentlich ist mir nur ein Kopf bis ans Ende geraten, ein Kerl mit rotem Bart und einer kühnen Nase; da aber ließ der Professor auch mir zuliebe das Modell vierzehn Tage länger stehen, so daß die ganze Klasse mißmutig auf mich warten mußte. Als ich den Kopf mit dem Bildnis einer jungen Frau noch übertreffen wollte, streikten die andern, die nach vierzehn Tagen wie immer fertig waren, während ich erst meine Anlage hatte und also zu garnichts kam.
Das wurde mir zum Schicksal, weil ich mit dem Bild einer schönen Frau vielleicht den Unwillen meiner Landsleute abgewendet hätte, als ich im Sommer 1880 in Bern ausstellte, um mein Stipendium ein weiteres Jahr zu kriegen; denn der rotbärtige Kerl mit der schönen Nase kränkte sie, weil er keinen Kragen umhatte, und ein anderes Bild, der Winkelwirt, mißfiel den soliden Bürgern, weil der Kerl so abgewirtschaftet aussah. Als ich es einem Verwandten schenken wollte, nahm ders nicht an, weil seine Besucher den Kerl vielleicht für einen Verwandten halten könnten, und als es später in Berlin zur Verlosung angekauft wurde und einem Arbeiter zufiel, der damit freudig nach Haus kam, jagte den seine Frau aus dem gleichen Grund mit dem Bild hinaus. Was ich sonst den Bernern zeigen konnte, einen großen Gemüsestand und ein kleines Gemüsestilleben mit einem Mädchen davor, meine Landschaft aus Großhesselohe, gefiel noch weniger; die mir eine üble Zukunft prophezeit hatten, behielten wieder einmal recht, mir wurde mitten im Studium und trotz meiner günstigen Zeugnisse das Stipendium entzogen, sodaß ich zum Sommer 1880 in einer üblen Lage in München übrigblieb.
Damals war es der Katsch, der mich durch seine Freundschaft solange über Wasser hielt, bis ich mich freigeschwommen hatte. Er war im Frühjahr schon nach Berlin zurückgegangen; dort aber hatte ihn das Heimweh nach München und nach unserer akademischen Fröhlichkeit gepackt und als er hörte, wie mirs die Berner machten, schrieb er, der liebe Kerl, mir einen Freundschaftsbrief: ich solle zu ihm kommen, bei ihm wohnen und in einem Anbau malen, den seine Mutter dafür einrichten wollte.
Es blieb mir garnichts übrig, als den treugemeinten Vorschlag anzunehmen, denn was ich sonst versuchte, um an Verdienst zu kommen, nahm den kümmerlichen Verlauf, den diese Dinge bei jungen Künstlern nehmen, die durch keinen Namen im Kunsthandel empfohlen sind: Da war ein Architekt, der ein Café ausmalen lassen wollte und sich schon die Skizzen machen ließ, doch kam das Café garnicht zum Bau; da gab es ein Besteck, das im kunstgewerblichen Verein allen sehr gefiel, nur keinem so, daß er die Ausführung bestellte; da war mein kleiner Gemüsestand, den ich an einen Kunsthändler verkaufen wollte, aber weil das Kind davor sechsjährig statt eine süße Jungfrau war, nahm mirs keiner ab; da war schließlich sogar das Bildnis eines Architekten, das ich wirklich malen durfte, nur war das Honorar ein Wechsel auf unbestimmte Zukunft, indem ich dafür eine Empfehlung an eine verwandte Schokoladenfabrikantenfamilie in Dresden bekam, bei der ich mich im Herbst auf der Reise nach Berlin für ein paar Wochen durchmalen sollte. Das ganze Jahr 1880 war für mich die Wartezeit der hingehaltenen Hoffnungen; als Stubenmaler war ich viel besser daran gewesen, als nun, wo ich als halbstudierter Maler meine Energie nicht für die Nahrung ausnützen konnte; denn wieder anzustreichen, woran ich oft in meiner Verbitterung dachte: das wußte ich zu gut, wie mich das Leben damit endgültig niederreißen würde.
Die einzige unsichere Grundlage meiner weiteren Existenz bestand in vierzig Mark, die ich im Monat von vier Damen als Entgelt für Malstunden bekam; doch stopfte das gewissermaßen nur die Löcher in den Hosen, die mir viel Sorge machten. Denn weil ich ein schwerer Kerl war, trotzdem ich turnte, und schließlich meine hundertundachtzig Pfund wog, war mir alles in der angespannten Knappheit rascher verschlissen als den andern. Je kühner sich die Pläne aus der beschränkten Gegenwart in meinen Briefen nach Hause Luft machten, um so elender wurde meine Garderobe; als ich eines Tages dahinterkam, wie die Phantastereien von Verdienst und großen Bilderpreisen anderer Leute regelmäßig mit den Klagen um meine durchgesessenen Hosen wechselten in diesen Briefen, hörte ich mit beidem auf.
Nach Hause ging ich in dem Sommer nicht mehr. Die Heimat war mir so verleidet worden, daß ich selbst mit den Eltern Händel kriegte übers Vaterland. Auch waren sie schon längst nicht mehr im stillen Neuenegg, weil der Vater als Pfarrer an die Strafanstalt in Bern gekommen war. So wälzte ich die Wochen dieses Sommers mißmutig vor mir her, und wenn ich schließlich in einer Rauferei noch bös zu Schaden kam: war der gespannte Zustand meiner mit Gott und der Welt hadernden und zur Nichtsnutzigkeit verdammten Existenz mit schuld daran. Daneben freilich meine rauflustige Natur, die leicht durch eine Ladung Alkohol in Händel kam:
Es war zunächst garkeine besondere Trinkerei gewesen; wir hatten irgendwo gesessen und krakehlt; es gab noch einige andere, denen es wie mir erging, und die dem Ingrimm an der eigenen Existenz in allgemeinen Kunststreitigkeiten Luft machten. Im Sommer vorher waren zum erstenmal seit 1870 die Franzosen wieder in der Münchener Ausstellung gewesen und hatten Stoff genug für Wirtshausgespräche hinterlassen. Wir kriegten uns im Grunde aber nur über das an die Köpfe, was der Kispert damals bei Schäftlarn sagte und was hier als die neue Einsicht der Franzosen kam; weil ich meinen Lehrern ergebener als die meisten war und weil mir überhaupt der Abschied von München auf der Seele lag: nahm ich in Schutz, was sie angriffen.
Doch muß wohl irgendeiner Geld und Geburtstag zugleich gehabt haben; denn auf den Veltliner Roten gab es nach Mitternacht auf einmal Sekt, für den ich damals als den trinkbaren Inbegriff äußeren Wohlstandes eine Inbrunst hatte. Der und mein ungelöster Grimm verwirrten mir den Sinn, sodaß ich einen harmlosen Scherz meines bernischen Landsmanns Vollenweider bös mißverstand. Ich mochte dem zu hitzig geworden sein; denn während ich gerade noch links hinüber einem höhnischen Spötter mit Händen und Worten dazwischenfuhr, warf mir der Vollenweider ein Stückchen Eis ins Gesicht. Es traf mich mit der Spitze wie ein Messerstich und weil mir die Nässe davon gleich an der Backe herunterlief, glaubte ich wirklich für einen Augenblick, daß ich von irgendeinem tückisch gestochen worden wäre. Als ich das Blut abwischte mit der Hand, war es natürlich Wasser und gegenüber saß der Vollenweider, der mit dem kleinen Oberkörper kaum so hoch war wie der Tisch, und meckerte mich höhnisch an. Da fuhr ich aus der Eckbank heraus, daß Gläser und Flaschen flogen, und dem boshaften Kerl an die Gurgel, bis er blau wurde. Die andern rissen mich zwar von ihm ab, doch war dem Wirt die Sache leid, und er tat uns allesamt hinaus.
Wie das nun auf der Straße weiter ging, weiß ich nicht recht. Ich muß in meinem Kopf ganz toll gewesen sein. Als wir noch immer krakehlend die Straße hinuntergingen – es ist unheimlich nachts, wenn alle Häuser mit toten Fenstern stehen und die Worte und Schritte merkwürdig an den Wänden hallen – kam der Vollenweider, der wohl aus Furcht vor mir einen andern Weg genommen hatte, hilferufend hinter uns her: ihn hätten ein paar Kerle angefallen. Ich hörte nicht mehr auf die Warnungen, rannte, wie ein dummer Stier auf irgendeinen Lappen losrennt, den Kerlen nach und wußte nicht einmal sicher, ob es die richtigen waren: Brauknechte, wie sichs nachher bei der Gerichtsverhandlung ergab, die natürlich, als ich ihnen so dazwischen fuhr, auch ihre Fäuste und ein Messer brauchten. Denn als die andern, Unrat witternd, weil sie mich kannten, gleich mit Hetzgeschrei ankamen, hatten mir die Kerle nicht nur einen Rockärmel abgerissen und meinen Hut zertrampelt, sondern ich hielt auch ein sonderbares Andenken im Arm; eins von jenen Schnappmessern, wie die Bayern sie stets bei der Hand haben, stak querdurch und mein Blut tropfte daran nieder, wie wenn ein Eiszapfen schmilzt. Weh tat es zuerst garnicht; aber als die beiden Schutzleute, die uns abfaßten, die Geschichte sahen, besorgten sie mich rasch zur nächsten Unfallstation. Da saß ein junger Doktor – er trug einen Kneifer und war ein langer schwindsüchtiger Mensch – schlafend hinterm Tisch und mußte erst mit Mühe geweckt werden. Er sollte mir das Messer herausziehen und den Arm verbinden, daß ich heimkönnte; als er ihn aber genau besehen und befühlt hatte, machte er mir behutsam einen dicken Verband rund um das ganze Messer herum und ließ mich noch in derselben Nacht ins Krankenhaus bringen.
Die Klinge war mir so unglücklich in den rechten Arm gefahren, daß mir nur mit einer unsäglich geschickten Operation am andern Morgen die Sehnen in der Hand erhalten wurden. Ich mußte ziemlich eine Woche lang im Krankenhaus aushalten und lief nachher noch einige Wochen dazu mit dem verbundenen Arm herum. Da hatte ich Gelegenheit, auch einmal von der andern Seite her über die Kunst nachzudenken: daß sie mir auf ein Haar mit aller Dressur der Augen und der Bildung an den Meisterwerken von einem Brauknecht abgeschnitten worden wäre; denn wenn die Sehnen der Hand zum Teufel waren, hätte ich mir den ohne Hände geborenen Raffael bei Lessing zum Muster nehmen können. Darüber war dann die Ferienzeit eingefallen; als ich wieder hinauskam, war der Vollenweider heim und auch die letzten von den andern. Ich blieb als das lebende Sinnbild meiner Anhänglichkeit an München allein in der Stadt kleben und verlor darüber die Lust an ihr. Nur meine unfertigen Kopien in der Pinakothek hielten mich noch, und daß ich mit einem lahmen Arm die Schokoladenfamilie in Dresden doch nicht malen könnte.
So klang meine Münchener Studienzeit, die ich beim Meister Wenzel so blindwütig begonnen hatte, nach sechs Jahren doch wieder in einen verlorenen Kleinmut aus. Einmal ging ich noch einsam nach der Menterschwaige und nach Schäftlarn hinaus, um mich in der Erinnerung früherer Waldfesttage und Nächte still in Stimmung zu trinken. Es wurde aber nur eine verdrossene Wehmut daraus; denn als ich auf der Menterschwaige die Bögen neben dem Kuhstall sah, die ich im Sommer vorher noch dem Pächter mit dem Katsch zusammen ausgemalt hatte, um unsere Zeche zu bezahlen, fiel es mir bei, wie eigentlich nun auch der Abschied von der Jugend kam. Denn so wie damals ziemlich fünf Wochen lang die Bergwälder und Wiesengründe des Isartals mit den Schwärmerblicken junger Maler zu durchstreifen, denen noch alles tributpflichtig für ihre Zukunft scheint; Berge, Häuser und Gewässer, Vieh und Menschen und der Wolkenhimmel; von allem mit den Augen Besitz ergreifen für die zukünftigen Bilder, und die goldenen Berge nicht vergessen: das alles würde nun nicht mehr sein können, weil die Sorge zu leben wiederkam.
Und auch die Kunst würde anders sein; denn wie ich damals in Erinnerung des armen Kispert – der unterdessen melancholisch geworden und in seine Heimat verschollen war – meine Landschaftsstudie aus Großhesselohe malte: wann würden mir die Hände dazu noch einmal frei sein. Damals hatte mich die Erinnerung an das Wort von den unerreichbaren Farben der Natur und dem braunen Schwindel unserer Lehrer bei meinem Trotz gepackt, sodaß ich anderthalb Wochen lang an einem Waldbild malte, wo die schlanken Buchenstämme wie die zierlichen Pfeiler eines grünen Gewölbes um einen Tümpel standen. Ich war beglückt von meiner Kunst gewesen und hatte schon geträumt, statt mühseliger Bildnisse doch nur Landschaften zu malen, und hatte mich auch durch den Berliner Witz des Katsch nicht stören lassen, daß der Tümpel nur das Setzei in meinem grünen Spinat vorstellen sollte.
Beim Brunnmeister an der Römerschanze blieb ich zur Nacht, sprach mit dem alten ehrlichen Bauer von dem Heu und von dem Vieh und dachte, um wieviel reeller solche Menschen zu ihren Sachen ständen: Ein bißchen Liebe und ein bißchen Fleiß und alles wuchs ihnen in die Hand, das Heu und die Kälber; nur bei uns Künstlern, wenn die Begabung einen Knacks hatte oder die Wachsamkeit einmal versagte, war es aus trotz aller ehrlichen Arbeit: weil die Kunst kein redliches Handwerk, mehr eine lasterhafte Neigung war, die immer nur aus Zufall einem von Hunderten doch noch zum Guten ausschlug.
Als am Morgen danach das Heu in den nassen Schwaden dalag und ein feiner Regen es mit Gründlichkeit durchnäßte, nachdem es gerade trocken geworden war, sah ich freilich, daß es auch den Bauern nicht immer nach Wunsch geriet. Ich dachte mir zum Trost, daß meine Stimmung doch wohl nur die Wehmut wäre, nun aus der Stadt zu gehen, wo ich mit dreiundzwanzig Jahren endlich das mir passende Gymnasium absolviert hatte. Ich konnte zwar nicht sagen wie im alten Testament: ich hatte nichts als diesen Stab, da ich über den Jordan ging; denn ich war schließlich mit einem leicht verdienten Stipendium gekommen. Aber das zu sagen stand mir zu trotz allem, daß ich viele Schafe und Rinder hatte, als ich fortging; denn wenn ich auch erst am Anfang war, ich hatte so viel gelernt, daß ich die Fortsetzung und Anwendung auch noch finden mußte.