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Der Osterhase

»Sie,« sprach einst der Hahn zum Hasen – höflich, doch ein wenig gereizt – »Sie sind ja wieder einmal unglaublich populär. Ich möchte endlich das Jahr erleben, wo nicht Millionen von Osterkarten mit Ihrem Bild verschickt werden.«

Dem Hasen traten Zornestränen in die Lichter.

»Ich danke für diese Popularität. Ja, ich pfeife auf die Popularität. Wie stehe ich da vor den andern Säugetieren – mit meinem Nest voll bunter Eier? Herr, ich bin nur ein bescheidener Feld-, Wald- und Wiesenbewohner, doch ich habe meine Mission in der Natur, ich erfülle einen höhern, wenn auch kleinen Zweck: die Fortpflanzung meiner Art. Ich bin beliebt bei hoch und nieder. Da erfindet irgend ein müßiges Gehirn das Märchen vom Osterhasen – ich brauche Ihnen doch wohl nicht erst zu versichern, daß kein Wort daran wahr ist – und mein Ansehen ist dahin: ich bin für ewig lächerlich geworden. Was ich auch tue und wirke – man nimmt es mit beleidigendem Schmunzeln hin; jeder denkt, wenn er meinen Namen hört, an das Nest mit den bunten Eiern.«

Der Hahn antwortete sinnend:

»Was wollen Sie? Die Menschen sind nun einmal oberflächlich. Die Sarah ist nicht durch ihre Kunst berühmt geworden, sondern durch ihre Magerkeit und wird als Urbild der Magerkeit noch genannt werden, wenn ihre Kunst längst vergessen ist. Moltke heißt ›der große Schweiger‹ – warum nicht ›der große Feldherr‹? Pepitta ist ein Stoff – Menschikoff und Raglan sind Mäntel – Rostoptschin ein Schnaps – Henry Clark kein Staatsmann, sondern eine Zigarre. Unsern Kindern wird Girardi ein Hut sein. Durch ein Ei ist Columbus bekannter als durch seine Entdeckungen geworden – und vom frommen Schweppermann wüßte kein Mensch, wenn er nicht ... Sie kennen doch die Geschichte? – Es hat sein Gutes. Ich versichere Ihnen: es hat sein Gutes. Mißverstanden oder beschimpft sein, ist gewiß nicht angenehm; immer noch besser als vergessen werden.«


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