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siehe Bildunterschrift

Im Schilf der Niederelbe

Fünfundvierzigstes Kapitel
Nielsens Rache

Der Zollwächter Jörs war sehr übler Laune, weil sich seine Entlassung länger hinauszog, als er dachte, und er dadurch noch an das Ufer von Neumühlen gebunden war. Sein Ideal, die Branntweinschenke in Seeland, als deren Wirt und Gast er sich träumte wurde ihm dadurch hinausgerückt, weshalb er den Dienst nur widerwillig tat und ganz vernachlässigte, da ihm kein Fang mehr gelingen wollte. Dies hatte seinen natürlichen Grund allerdings darin, daß er die meiste Zeit im Schilfdickicht des anderen Ufers zubrachte und ein Geheimnis bewachte, das in dem Weidengebüsch verborgen lag, wohin er jedesmal sein Boot steuerte.

Dieses Boot lag zur Verwunderung der Lotsen eines Morgens am Ufer und erregte ebensolches Interesse, als habe sich ein fremdes Tier an den Strand verirrt. Man betrachtete es von allen Seiten und kam endlich zu dem Schlusse, es müsse von einem Schiffe abgetrieben und bei ablaufender Ebbe hier liegengeblieben sein. Die Lotsen waren eben daran, einander deswegen in die Haare zu geraten, als Jörs kam und es als sein Eigentum bezeichnete.

Von einem Schiffe war das Boot allerdings abgetrieben. Dazu war jedoch Herr Jörs behilflich gewesen, indem er das Tau in der Nacht durchschnitt und dann mit der Flut von dem seewärts gehenden Schiffe stromaufwärts schwamm, wo er das Fahrzeug einige Tage im Schilfe verbarg, bis er gelesen, daß das Schiff Cuxhaven passiert hatte. Der gute Mann war in seinem Amt durch das fortwährende Konfiszieren von anderer Leute Eigentum zu dem Glauben gelangt, daß es sehr bequem und ganz in Ordnung sei, eine Sache da zu nehmen, wo man sie findet, sobald man die Macht oder Gelegenheit dazu hat.

Jörs wäre indes beinahe bei der ersten Fahrt, die er mit seiner Errungenschaft machte, um das Leben gekommen, da sich sein Boot so schnell mit Wasser füllte, daß er kaum das Ufer erreichen konnte. Er zog es aufs Land und fand, daß ein recht hübsches, rundes Loch in den Boden gebohrt war, in das gerade ein Flaschenstöpsel paßte, worauf er die Vorsicht gebrauchte, jedesmal erst zu probieren, ob das Fahrzeug dicht sei, ehe er sich hinaus wagte, und dann die Lotsen überhaupt nicht auf dem Wasser zu belästigen, damit das Boot unangebohrt blieb.

Man konnte glauben, Jörs sei als Zollwächter in hannoversche Dienste getreten, da er sich die meiste Zeit am jenseitigen Ufer befand. Er drückte sich und schlich in seinem Boot von Neumühlen fort, gewöhnlich mit Ende der Flut oder Ebbe, mit der er hinauf- oder hinuntertrieb, um dann mit dem anderen Wasser über den Strom zu setzen und unbemerkt in das Schilfdickicht zu kommen, wo er bei Mondschein auch oft die Nacht liegen blieb.

Heute ging er jedoch nach Hause, d. h. nach der Ruine, die er aus dem Hause gemacht hatte. Als er in ihre Nähe kam, blieb er plötzlich stehen und stutzte, denn es kam ihm vor, als dringe ein schwacher Lichtschimmer durch ein Fenster. Eine große Besorgnis wegen verschiedener Flaschen, die er im Keller verborgen, überfiel ihn und ließ ihn einen kleinen Trab anschlagen, um einen ungebetenen Gast, der sich während seiner Abwesenheit etwa eingefunden haben konnte, zu vertreiben.

Er zog den Schlüssel aus der Tasche und wollte ihn hastig in das Schloß stecken, die Türe flog jedoch schon vorher auf und eine drohende Gestalt stand in ihr.

Jörs prallte erschrocken zurück und stieß einen Schrei aus.

»Der Lotse!«

Die Haare sträubten sich auf dem Kopfe des Trunkenboldes, der einen Geist zu sehen glaubte. Er rannte voller Entsetzen davon und nach dem Strande hinab, wo er in sein Boot sprang, um nach dem anderen Ufer hinüber zu rudern. Als er aber an das einsame Schilfdickicht dachte, nach dem ihm der Geist folgen könnte, überfiel ihn ein Grausen und er sprang wieder an das Land, da er sich auf dem Wasser vor dem Gespenst weniger sicher hielt. Der stille Strand erschien ihm entsetzlich unheimlich, denn er fürchtete jeden Augenblick, den Schatten des Lotsen daherschweben zu sehen; deshalb machte er das Boot fest und lief nach Altona zu, um nur unter Menschen zu kommen. Er traf atemlos dort ein und ging in einen Keller, in dem man die ganze Nacht Gesellschaft fand, und wo er bis Tagesanbruch bei der Flasche saß.

Das Licht der Sonne gab ihm den Mut zurück. Bei Tage gehen keine Geister um, und Jörs wagte sich mit dieser Beruhigung hinaus. Er nahm sich vor, das Haus zu verlassen, in dem der Geist des Besitzers spukte und würde es gar nicht wieder betreten haben, wenn die Flaschen im Keller nicht ihre Anziehungskraft ausgeübt hätten.

»Die Flas'gen – die Flas'gen ßoll ich haben, und wenn ßehn Gespenster darauf säßen«, brummte er, am Strande hinschreitend, worauf er nach dem Haus hinaufstieg.

Die Tür stand weit offen und auf dem Platze davor lagen mehrere Gegenstände, die zu dem geringen Besitztum des Zollwächters gehörten.

Dieser starrte mit offenem Munde darauf hin, dann auf die Tür, denn wieder stand der Lotse darin und sah ihn mit grimmigen Blicken an, aber nicht lange. Mit einem Satze war er bei ihm, packte ihn mit Riesengewalt und warf ihn wie einen Ball durch die Luft den Hügel hinab, daß ihm alle Rippen knackten.

Jörs merkte jetzt, daß er keinen Geist vor sich habe. Der zurückgekehrte lebendige Lotse jagte ihm aber fast noch mehr Schrecken ein, als dies sein Gespenst getan haben würde; denn dieses konnte ihn wohl ängstigen, aber nimmer sein Eigentum zurückverlangen, wie das jetzt von Nielsen zu erwarten war.

Der Lotse sprang dem noch am Boden Liegenden wie ein Tiger nach, packte ihn von neuem, hob ihn hoch in die Höhe und schleuderte ihn abermals von sich in die Weidenbüsche, daß die Zweige krachten und brachen. Dort faßte er ihn nochmals und warf ihn in die Elbe, wobei er knirschend sprach: »So, du Hund! Das ist der Anfang der Abrechnung für das, was du hier getan hast! Laßt den Schuft und Dieb ersaufen, damit er endlich seinen Durst stillt!« rief er dann mehreren Lotsen zu, die Jörs eben aus dem Wasser zogen. »Laßt ihn ersaufen – er soll vom Elbwasser satt werden, das schwöre ich euch und ihm zu!« schrie Nielsen in höchster Wut, als seine Nachbarn den Zollwächter in sein Boot setzten und ihn damit in den Strom schoben, nachdem sie sein Gewehr und seine Sachen hineingeworfen, während andere den ergrimmten Nielsen umringten und verhinderten, daß er Jörs sofort umbringe.

Dieser kam zu sich, ergriff die Ruder und entfloh nach Altona zu, da die Flut gerade aufströmte.

Die Nachbarn suchten Nielsen zu beruhigen. Seine Rückkehr war unter den Lotsen bereits bekannt, und es hatte ebensoviel Freude als Erstaunen erregt, als er von seinem Ewer aus an das Land kam.

Das Gemisch von Schmerz und Grimm, mit dem ihn der Zustand seiner geliebten Heimatstätte erfüllte, preßte ihm Tränen aus. Es war die höchste Zeit für Jörs, daß er sich davonmachte, wenn er mit dem Leben und nur einer Klage wegen Diebstahls wegkommen wollte.

Nielsen ging jammernd in seinem Hause und Garten umher. Er ließ bei seiner Abreise die Wohnung in höchst komfortablem Zustande zurück und fand eine Ruine. Alles Holzwerk war verbrannt, das Eisenzeug verschwunden – sein Geld und die anvertrauten Papiere fort – die Bäume im Garten umgehauen und dieser eine Wüstenei, von Unkraut überwuchert. Er war ruiniert und besaß nichts als seinen Ewer.

Als der erste Zorn verraucht war, tat es ihm leid, Jörs nicht festgehalten und dem Gericht überliefert zu haben. Er ging jetzt aus, um ihn zu suchen und festzuhalten. Da das Haus verwüstet war, so blieb er in seinem Ewer, der bald vor Hamburg, bald vor Neumühlen ankerte.

Von Jörs konnte er keine Spur entdecken – nur sein Hund irrte am Strande umher und suchte gleichfalls seinen Herrn.

Nach zwei Tagen brachte ein Fischer die Nachricht, daß er Jörs drüben in das Schilf habe schlüpfen sehen.

Nielsen stieg in sein Boot und ruderte hinüber. Er steuerte in einen Wasserarm und begann nach seinem Feinde zu suchen. Bei einer Wendung glaubte er im Schilfe eine Masse zu sehen, die ein Boot sein sollte, und wollte dies eben näher untersuchen, als dort ein Schuß krachte und eine Rauchwolke aufstieg. Die Kugel riß dem Lotsen die Mütze und ein Büschel Haare vom Kopfe. Er griff nach der Stelle und sah seine Hand blutig von der Streifwunde. Im gleichen Augenblick wandte er auch sein Boot und trieb es aus dem gefährlichen Dickicht. Er fuhr nach dem Ewer zurück, um sich dort ein Pflaster auf die Wunde zu legen, worauf er ein Fernrohr aus einem Fache des Fahrzeuges holte, wo es während der Zeit seiner Abwesenheit ruhig verborgen lag. Er ging damit nach der Windmühle hinaus, von wo er in den gegenüberliegenden Schilfbruch blicken konnte, und untersuchte diesen durch das Glas auf das genaueste. Er betrachtete die einzelnen lichten Stellen und besonders die Gegend, wo der Schuß gefallen war. Dann untersuchte er jeden Wassereinfluß, der vom Köhlbrand oberhalb abzweigte und unterhalb wieder in den Fluß mündete. Nach einer halbstündigen Beobachtung schob er sein Glas zusammen und murmelte: »So, du mörderischer Halunke! Ich will dir nun wohl ankommen.« Dann ging er nach dem Strand hinab.

Jörs saß indessen tief im dichtesten Gebüsch. Er hatte kaum seinen Fehlschuß bemerkt und den Lotsen davonrudern sehen, als er auch die Stelle eilig verließ und tiefer in das Schilf eindrang. Hier lud er vor allen Dingen seine Büchse wieder und suchte dann die dichte Buschgruppe auf, in der er bis Nachmittag verborgen lag. Dann fuhr er nach dem Gebüsch hinüber, auf dessen Wurzeln er gewöhnlich Posto faßte, und saß dort wie ein böser Geist, der einen Schatz bewacht, denn er lauschte und blickte ängstlich rundum und nach dem dürren Rohrhaufen hinüber. Er horchte auf jedes Geräusch und griff nach seinem Gewehr, sobald ein Vogel aufflog oder ein Fisch durch einen Sprung aus dem Wasser die Einsamkeit unterbrach.

Seine gespannte Aufmerksamkeit war besonders auf die Gegend gerichtet, in der der Wasserarm nach der Elbe hinausging, auf dem Nielsen mit dem Boote erschienen war. Er vermutete, dieser werde in Begleitung einiger anderer Boote kommen und ihn suchen. War dies der Fall, so entzog ihn sein Versteck in der Buschwurzel den Blicken der den Wasserarm Befahrenden, und er konnte durch das dichte Schilf zu seinem Boote gelangen, das er im Nebengerinne versteckt und flott hielt.

Es blieb alles ruhig, bis endlich zur Zeit der tiefsten Ebbe das Geräusch eines nahenden Bootes und ein Brechen und Knacken von Zweigen aus der Elbgegend her hörbar wurde. Auch hörte er einen Hund bellen. Jörs untersuchte seine Büchse genau, setzte ein neues Zündhütchen auf und flüsterte dann ingrimmig: »Diesmal will ich dich besser treffen. Ich will nicht auf den Kopf s'giesen, sondern auf die Brust.«

Er horchte wieder. Es blieb aber ein Weilchen ruhig, nur einmal fiel ein Ruder nieder.

Zu gleicher Zeit bemerkte jedoch Jörs ein leichtes Rascheln hinter sich im Schilf. Er blickte aufmerksam hin und sah, wie sich die Spitzen des Rohres hin und her bewegten. Die Bewegung kam in einer gewundenen Linie daher und zog sich hinüber und herüber. Jörs beobachtete sie mit größter Spannung und brummte endlich: »Teufel! Es ist mein Hund, den sie mit herübergebracht haben. Ich muß das Vieh erwürgen, sonst verrät er mich.«

Er tat einen sehr leisen Pfiff und blickte nach den Schilfspitzen. Die Bewegung hielt sofort ein. Der Hund horchte und bellte. Das Schilf bewegte sich dann wieder.

»Arac! Hier!« rief der Zollwächter leise.

Ein Geräusch vom Wasserarm her lenkte seine ganze Aufmerksamkeit dorthin. Er bog sich vor, um durch das Schilf zu spähen und hielt seine Büchse mit grimmigem Lächeln, um den Hahn aufzuziehen.

In diesem Augenblick teilte sich das Schilf hinter ihm, und er erhielt einen Schlag auf den Kopf, der ihn besinnungslos niederwarf. Er sah die Büsche und das Röhricht wirbeln und fühlte sich gepackt, dann schwanden ihm die Sinne.

Es mochte eine halbe Stunde verflossen sein, ehe er wieder erwachte. Er wollte aufspringen, fühlte sich aber festgehalten und konnte sich nicht rühren. Er bemerkte mit Entsetzen, daß er mit einem Tau an die Buschwurzel festgebunden war, und strengte alle seine Kräfte an, um loszukommen. Er wand sich und machte übermenschliche Anstrengungen. Das Tau und die Knoten waren aber zu fest.

Er holte Atem und horchte. Sein Hund bellte laut. Er sah nach der Richtung und stieß einen Schrei aus. Der Hund verteidigte einen Rohrhaufen, den zwei Männer auseinanderrissen und zur Seite warfen, bis ein großes Boot mit vier Fässern zum Vorschein kam.

Es war das Geheimnis, das Jörs hier verborgen hielt und bewachte. Die Wein- und Rumfässer, von Nielsens Geld gekauft, die er aus Angst vor Stubborn des Nachts in einem gestohlenen Boot hier in Sicherheit brachte und später fortzuschaffen gedachte.

Er stieß ein Wutgeheul aus, als er sie im Besitz des Lotsen und seines Schiffsmannes sah.

Diese kümmerten sich gar nicht um ihn, sondern hieben mit ihren Messern die Zweige ab, die den Schatz verbargen, und machten den Weg klar, um ihn bei steigender Flut herauszubugsieren.

»Bei steigender Flut!« Entsetzlicher Gedanke für den Festgebundenen, der das Wasser um seine Füße spielen sah. Er brüllte laut auf und zerrte gewaltig an seinen Banden. Dann schrie er furchtbare dänische Flüche hinüber, worauf er wieder um Hilfe rief.

Sein Hund schwamm zu ihm herüber und umkreiste ihn winselnd.

Der Lotse verschwand drüben im Schilfe. Vielleicht kam er, um den Gefangenen loszubinden?

Jörs horchte und sah umher.

Nielsen erschien wieder auf dem Wasser – im Boote des Zollwächters.

Die Flut war diesem bereits bis an die Knie gestiegen. Das Boot mit den Fässern drüben wurde flott und aus dem Dickicht gezogen, worauf es der Schiffsmann in das Schlepptau seiner Jolle nahm und damit im Flußarm verschwand.

Jörs brach aufs neue in gräßliche Verwünschungen aus und versuchte sich loszuwinden. Dann schrie er nach dem Lotsen um Erbarmen hinüber.

Dieser lachte ingrimmig und zeigte nach Neumühlen und dann nach seinem Kopfe, worauf er das Boot in die Nähe des Gefesselten brachte und regungslos darin sitzenblieb.

Die Flut stieg und reichte dem Zollwächter bis an den Leib. Jörs heulte und stieß Verwünschungen aus, wobei ihm der Angstschweiß vom Kopfe lief. Die Augen traten ihm heraus wie zur Zeit, wenn er eine gute Beute witterte.

Die Flut stieg und stand ihm an der Brust. Er war einem Gegner in die Hände gefallen, der ebenso unerbittlich war wie er selbst. Er wandte sich nicht mehr an ihn, sondern schrie mit aller Kraft seiner Lungen um Hilfe.

Der Lotse stand im Boot und sprach finster: »Schrei nur, du Schurke! Jammere nur! Du sollst dasselbe Erbarmen finden wie die armen Fischer bei dir fanden, wenn du ihnen ihr bißchen Zucker und Kaffee wegnahmst. Ich will dir helfen wie du mir ins Verderben halfst, als du mich den Schurken in die Hände spieltest, die mich mit dem Schiff an die Seeräuber auslieferten. Wenn ich dich losbände, so wär' es nur, damit du in ihrer Gesellschaft ins Zuchthaus kämst.«

»Bind mich los, guter Lotse – bring' mich ins Zuchthaus. Ich will ins Zuchthaus!« schrie Jörs.

»Nein, nein! Dort gibt es zwar keinen Rum und keinen Schnaps, aber du kriegtest welchen, wenn du wieder heraus kämst, sollst aber keinen mehr kriegen. Du sollst Wasser trinken, viel Wasser! Siehst du, nimmersatter Säufer! Siehst du Schuft, der mir mein Haus und meine Ersparnisse ruiniert und versoffen hat, da kommt es!« Hierbei zeigte der Lotse auf die steigende Flut, die bereits um den Hals des Angebundenen spielte, dessen Haare zu Berge stiegen, während er heisere Angstlaute ausstieß.

»Ha, ha!« fuhr der Lotse fort, »du hattest von meinem Geld eine Kneipe in Seeland gepachtet – eine gemütliche Schnapskneipe, in die jene Fässer kommen sollten, die mein Hansen in den Ewer schafft –, in der du zu trinken dachtest. Du ein Glas, der Gast ein Glas. Du hast die Bäume umgehauen, die ich als Kind pflanzte, du hast mir meine Heimat auseinandergerissen und meine Ersparnisse gestohlen, um zu trinken. Gut, du sollst trinken! Aber Wasser! Wasser! Siehst du, da kommt es!«

Der unerbittliche, grimmige Mann zeigte auf die unerbittliche Flut, die dem Gebundenen an das Kinn wuchs und nur noch den Kopf sehen ließ – einen fürchterlichen, fahlen Kopf mit rollenden Augen, voller Todesangst, die nach den Zweigen über sich blickten, in denen Spuren der Flut hingen – einen Kopf, der gräßliche Flüche hervorstieß, die dem Lotsen, dem Wasser und der ganzen Welt galten und bei denen Nielsen die Ruder ergriff und davonruderte, indem er den Elenden unbarmherzig seinem Schicksal überließ.

Die Flut stieg ebenso ruhig wie unbarmherzig. Sie hatte schon bessere Leute verschlungen. Ein furchtbares, jammervolles Geschrei, mit dem Wasser kämpfend, verfolgte den Lotsen, der, von Grausen überfallen, dem Schilfdickicht entfloh, über das sich jetzt eine unheimliche Stille lagerte, die nur von dem schwachen Geheul eines Hundes unterbrochen wurde.

Nielsen wollte, als er die freie Elbe erreichte, nochmals umkehren. Ein Blick über den Strom auf seine verwüstete Heimat verhärtete jedoch sein Herz und ließ ihn mit fester Hand hinüberrudern.

Er blickte nach dem Schilfdickicht zurück – eine Schar Möven kreiste darüber. Er wußte weshalb.


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