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An der Oberelbe
In dem Barbiergeschäft, in dem Schnepfe seine Dienste zur Verschönerung der Menschheit leistete, trat nach Tische stets einige Ruhe ein. Deshalb stand der unglückliche Liebhaber in gedankenloser Betrachtung des vorbeieilenden Publikums versunken, bis ein Kollege kam, der ihn ablöste, worauf er sein freier Herr war.
Zu gleicher Zeit erschien auch Bernhart, der eilig und freudig hereinstürzte und die Nachricht brachte, daß der Mann mit dem Boote warte, um sie beim Eintritt der nächsten Flut nach dem Landgut zu bringen. Die Besitznahme sei vollzogen. Er habe alle Papiere, und da der wichtige Akt des Einzuges würdig gefeiert werden müsse, so lägen zwei Flaschen Champagner bereit. Schnepfe solle sofort ein paar Tage Urlaub nehmen, um sie auf dem Landgute zuzubringen, oder lieber gleich die Stelle niederlegen, damit er bis zum Herbst draußen bleiben könne.
Bernhart bemerkte im Anfange die Niedergeschlagenheit Schnepfes gar nicht, der ihm willenlos folgte. Er war zu sehr mit der Vorstellung des errungenen Gutes beschäftigt, dessen Gewinn ihm wie ein Traum vorkam. Er war begierig, ob sich ein Zimmer zum Atelier eignen würde, ob die Fenster groß genug wären, oder ob er erst ein Malfenster herstellen lassen müsse; ob die Tapeten noch gut genug seien, und Hunderte andere Bedenken mehr.
Endlich fiel ihm die Schweigsamkeit Schnepfes auf, und er unterbrach sich mit der Frage:
»Aber zum Kuckuck! Was hast du heute? Du scheinst dich kaum über mein Glück zu freuen!«
»Oh, ich freue mich wohl über dein Glück – aber ich trauere über mein Unglück und fürchte, ich habe dich auch mit hineingezogen, mein armer Freund«, sprach Schnepfe betrübt und erzählte nun die ganze Trauergeschichte vom Morgen.
Bernhart erschrak nicht wenig und sah sogleich, daß durch diesen Vorfall ein fast unheilbarer Riß auch zwischen ihm und der Eiskuhlschen Familie entstanden sei. Er machte jedoch dem armen Freunde keine Vorwürfe, sondern ergoß sich in Verwünschungen über Henri und rief Schnepfe ins Gedächtnis zurück, daß er ihm früher vorgestellt habe, wie gefährlich es sei, sich einen solchen Kerl zum Feinde zu machen. Es helfe jetzt aber kein Lamentieren, und man müsse die Sache der Zeit überlassen.
Die jungen Leute bestiegen das Boot und trieben mit der Flut aufwärts, beim Grasbrook vorbei und weiter, bis sie nach etwa zwei Stunden ungeduldig nach ihrem Ziel forschten. Alle Fragen, die Bernhart unterwegs betreffs des Landgutes an den Bootsmann tat, beantwortete dieser mit Kopfschütteln und »Ick weet nich.« Er verwies auf einen Deichvogt oder so etwas, den man da draußen finden werde, und ruderte weiter.
Endlich kam man an Ort und Stelle und fand einen Mann am Strande, der das Boot zu erwarten schien und sich als der Deichvogt auswies. Bernhart sprang freudig an das Ufer und legitimierte sich, worauf er in der Gegend die Häuser betrachtete, um das seinige herauszufinden, und dann den Mann bat, ihn nach seinem Landgute zu führen.
Der Vogt sah ihn an und fragte: »Sie meinen doch Spickmanns Bruch?«
»Ich weiß nicht, welchen Namen es führt; aber es war Eigentum von Spickmann«, entgegnete Bernhart.
»Schon recht«, nickte der Vogt. »Kommen Sie.« Damit führte er die Freunde ein Stück auf dem Deiche hin, stieg dann in ein dichtes Weidengebüsch, durch das er sich drängte, bis man auf eine Wiese gelangte, und zeigte hier auf einen alten Holzschuppen, der in tiefen Gedanken, seitwärts geneigt stand und sich offenbar besann, ob er sich kopfüber in eine ausgedehnte Lehmgrube stürzen sollte, an deren Rand er sein Dasein vertrauerte, oder ob er warten solle, bis ihn die Zeit hineinfallen ließ.
»Und wo ist denn das Haus?« fragte Bernhart, nachdem er die malerische Seite der Gegend betrachtet und einen alten großen Schlüssel, den er von Spickmann als »Hausschlüssel« erhalten, hervorgezogen hatte.
»Das Haus?« fragte der Mann verwundert. »Das ist ja das Haus!«
»Das? Um Gottes willen! Es ist doch kein Irrtum?« schrie Bernhart, sich entsetzt umblickend, denn es dämmerte eine Ahnung in ihm auf, daß ihn Spickmann »gemacht« habe. »Herr Spickmann sprach ja sogar von einigen alten Fuhrwerken, die da sein sollten.«
»Oh, das hat seine Richtigkeit!« sagte der Vogt schmunzelnd, denn ihm wurde jetzt auch die Natur des Handels klar. »Im Schuppen liegen drei Schubkarren.«
»Gott im Himmel!« schrie Bernhart, verzweifelt die Hände zusammenschlagend. »Und was gehört sonst noch dazu?«
»O, der ganze Zipfel hier rund am Wasser«, erklärte der Vogt.
»Eine Lehmgrube! In eine alte Lehmgrube hat sich also das Landgut verwandelt!« jammerte Bernhart, auf dem Deich umherrennend. »Gott im Himmel! Das Ding ist nicht den vierten Teil meines Bildes wert. Nicht den Goldrahmen. Ich hätte mir denken können, daß mich dieser Spickmann übers Ohr hauen würde. Oh, ich grenzenloser Esel! Eine Lehmgrube!!«
Schnepfe hatte erst erstaunt gestanden und war in einen Fluch über Spickmann ausgebrochen, als er erkannte, wie sein Freund hinter das Licht geführt war. Dann stach er mit dem Stock ein Stück Lehm aus dem Boden und untersuchte es genau, worauf er es fallen ließ und murmelte: »Famoser Ziegel! Gibt famosen Ziegel.« Hierauf brach er wieder in Verwünschungen über Spickmann aus und suchte dann seinen Freund zu trösten, der auf dem Deich sitzend sein Landgut mit stillem Jammer überblickte. Der arme Narr! Er hätte eigentlich seine Leute durch den Umgang kennen und wissen müssen, daß derjenige, der sich mit der Deminoblesse einläßt, stets in den Lehm gerät!
Während die beiden Freunde dasaßen und trübselig in die Pfützen des lehmreichen Landgutes schauten, fanden beide Führer die Sache ungemein spaßhaft, denn der Bootsmann teilte dem Vogt mit, daß Bernhart seinen Fragen nach eine vollständige Ökonomie zu finden hoffte und daß Spickmann ihn jedenfalls mit dem Grundstücke angeschmiert habe.
Endlich ermannte sich Bernhart so weit, daß er den Vorschlag tat, das Grundstück wenigstens genau zu untersuchen und zu sehen, ob es zu gar nichts zu gebrauchen sei. Er ging mit Schnepfe in den Schuppen, durchsuchte die Weidenbüsche und kam zu der Überzeugung, daß nichts als Lehm – Lehm – unendlich viel Lehm da sei – so viel Lehm, daß er, in Ziegel verwandelt, zur Erbauung einer Stadt hinreichte.
»Oh, dieser Betrüger! Dieser hinterlistige Halunke! Ob ich denn nicht gegen ihn klagen und die Herausgabe meines Bildes verlangen kann? Er hat von Wiesen, Bäumen und einem Haus gesprochen, das freilich nicht so schön wie die Villa Eiskuhls sei. Er hat aber doch von einem Gebäude gesprochen!« sagte Bernhart.
»Du wirst schwerlich dagegen ankommen können«, entgegnete Schnepfe achselzuckend. »Ein Gebäude ist da. Dort steht es, und daß es nicht so schön wie die Villa Eiskuhls ist, darin hat Spickmann gar nicht gelogen. Dies wirst du selbst zugeben. Du wirst außerdem gestehen müssen, daß Spickmann auch in Betreff der ›Wiesen‹ nicht gelogen hat, denn wir stehen unleugbar auf Gras. Auch Bäume sind da, denn diese Weiden gehören offenbar nicht unter die Kräuter. Ja, wenn du die Sache recht betrachtest, so findest du eigentlich mehr, als Spickmann versprach, da er den Lehm, der doch hier dominiert, mit keiner Silbe erwähnte.«
»Teufel noch mal! Da muß ich am Ende riskieren, daß mir Spickmann noch eine Rechnung macht, wenn er an den Lehm denkt«, rief Bernhart in komischem Schreck, worauf beide in ein Gelächter ausbrachen und endlich die ganze Geschichte so spaßhaft fanden, daß sie sich vor Lachen die Seiten hielten.
»Da bin ich schön von diesem Hamburger angeführt worden«, sprach Bernhart, als er vom Lachen ausruhte. »Wir dürfen gar nicht einmal etwas von der Geschichte sagen, sonst werden wir von der ganzen Stadt ausgelacht. Was fangen wir aber nun mit diesem verteufelten Sumpfloch an?«
»Vor der Hand nehmen wir feierlich Besitz davon und lassen es dann ganz ruhig liegen. Stehlen kann es niemand und Brot frißt es auch nicht, das sind zwei große Vorteile. Du kannst übrigens hier Einsiedler spielen und den Sommer in Gesellschaft der drei Schubkarren zubringen. Ich komme dann Sonntags heraus und sehe nach, ob du noch vorhanden bist«, sagte Schnepfe lachend.
»Danke schönstens!« nickte Bernhart. »Wir wollen jedoch die Besitznahme feiern und die zwei Flaschen austrinken, denn die Überraschung hat mir Durst gemacht. Im Boot liegen auch zwei Gläser. Gib den Leuten eins und eine Flasche. Ist der wichtige Akt der Besitznahme vorbei, so fahren wir wieder nach Hause und fangen unsere Karriere von vorn an.«
»Aber nicht mehr mit dieser Sorte von Millionären. Und wenn du wieder ein Landgut gegen ein Bild eintauschest, so sieh dir erst das Landgut an; denn rühmt sich Spickmann seines Handels, so kannst du noch Besitzer aller umliegenden Lehmgruben werden«, warnte Schnepfe.
»Ich hoffe«, erwiderte Bernhart, »ich bin mit der Sorte à la Eiskuhl und Spickmann fertig und wundere mich jetzt, nachdem mir diese Lehmgrube die Augen vollständig geöffnet hat, daß ich so lange ihren Narren spielte. Ich mußte dies eigentlich früher einsehen, da ich weder von Eiskuhl noch von Spickmann jemals einen Groschen bares Geld erhalten habe, während diese Senatorin eine ganze Galerie von mir besitzt, die ich für das bißchen Kost und Wohnung malte. Ich erinnere mich, von einem hiesigen Künstler in dieser Hinsicht gewarnt worden zu sein, achtete aber damals nicht darauf und kann mich nun nicht beklagen.«
Dann stiegen die jungen Leute in ihr Boot und verließen das errungene Landgut mit einem Seufzer und weit eher, als sie bei der Herfahrt glaubten. Sie suchten indes die komische Seite der Sache heraus, das beste, was ein vernünftiger Mann in solchen Fällen tun kann.
Das Boot landete in St. Pauli. Die jungen Leute gingen nach dem Spielbudenplatz und trieben sich im Gewühl des Volkes herum, das jeden Nachmittag dort zu finden ist. Schnepfe meinte, daß nach der Einsamkeit des Landlebens und der Zurückgezogenheit auf dem Landgut die Stadt doppelt angenehm sei und er keine Lust habe, diese sobald wieder zu verlassen, um sich in Spickmanns Bruch zu vergraben.
Man traf den Millionärverachter Scapin, der sich über den Zustand des Landgutes halbtotlachen wollte und die Bemerkung machte, daß er der Sache gleich nicht getraut habe, als er sie erfahren, und nun die Millionäre mit doppelter Verachtung strafen werde. Er war übrigens sehr ergrimmt über den Direktor des Aktientheaters, der ihm die Rolle des Hamlet genommen, um sie selbst zu spielen. »Dieser Behrens«, sprach er grimmig, »kann kaum auf seinen Knickebeinen stehen und nicht allein in die Höhe kommen, wenn er auf der Bühne umfallen muß. Kann sich nicht vier Zeilen merken und nur auf den Souffleur spielen, und will Hamlet sein. Ich werde ihm aber den Hamlet vertreiben und habe schon meinen Plan gemacht. Ihr müßt mir dabei helfen, sobald er auftritt.« Man versprach dies und brachte den Abend, der für den boshaften Henri so unheilvoll hereinbrach, sehr angenehm zu.
Bernhart warf alle Sorgen über Bord und begann am nächsten Tag mit großem Eifer zu arbeiten, wobei er Spickmann, Landgut, Senatorin und alles damit Zusammenhängende bis auf Selma vergaß, deren Bild mit unauslöschlichen Farben vor ihm erschien. Als er am zweiten Tag nach der Übernahme seines Gutes so vor der Staffelei saß, erhielt er eine Vorladung zum Senator Meier, Patron der Vorstadt St. Pauli Senator Meier. Die beiden Vorstädte St. Pauli und St. Georg hatten je ein Senatsmitglied als Patron. Meier wurde 1830 in den Senat gewählt und beging 1855 unter großer Beteiligung aus St. Pauli sein 25-jähriges Senats-Jubiläum.. Er zerbrach sich den Kopf über die Ursache dieser Vorladung und begab sich, neugierig, einmal das Regierungslokal eines der Despoten der Republik zu sehen, in die Stadt.
Die Residenz dieses Fürsten von St. Pauli befand sich merkwürdigerweise nicht in seinem Gebiet, sondern in der Nähe des Stadttheaters und des Jungfernstiegs, was für die Bewohner der entlegenen Vorstadt ungemein bequem und zeitsparend war.
Man wies Bernhart deshalb nach der großen Theaterstraße, wo er alsbald die Residenz des Gewaltigen fand, da gerade ein Wagen vor der Tür stand, auf dem er die mit großen Buchstaben geschriebenen Worte: »Senator Meier« las.
Aus dem Wagen, an dem hinten eine Tür wie an den Postpaketwagen war, zog man Milchkrüge, Fleisch, Butter, Gemüse und verschiedene Brote, die in das Haus getragen wurden. Die Gegenstände waren durch die Firma, unter der sie das Tor passierten, jedenfalls vor der allgewaltigen Akzise gefeit und für die Beamten unsichtbar. Ein solcher Gedanke drängte sich Bernhart auf, wobei er lachend murmelte: »Wer im Röhricht sitzt, schneidet sich Pfeifen wie er will.«
Er stieg die Treppe hinauf und kam in ein mäßiges Vorzimmer, in dem einige Schreiber saßen, die mit verschiedenen Parteien kleine Verhandlungen führten. Da ihm nach Vorzeigung seines Zettels »Warten!« befohlen wurde, so setzte er sich und hörte mit Interesse der Gerichtspflege dieser Unterkadis zu.
Es handelte sich um irgendeine Sache, in der ein etwas cholerischer Mann und Hamburger Bürger zwei Bürgen schaffen sollte, weshalb er sofort seinen Hut ergriff und hinausstürzte, um diese zu suchen, während man indes einem Mann scharf zusetzte, der bei Hintergehung der Akzise erwischt wurde, wozwischen aus dem Allerheiligsten, in dem der Senator thronte, ein Mordskandal zu hören war, der von zwei zankenden Männern herrührte, die einander die ausgesuchtesten Grobheiten in plattdeutscher Sprache sagten.
Der Bürger erschien dann wieder und schleppte zwei Männer hinter sich her, die augenscheinlich mitten in ihrer Arbeit von ihm gepreßt worden waren. Der eine war aus dem Reich des Vulkan, noch mit dem Schurzfell angetan und mit hinaufgestreiften Hemdärmeln, aus denen nackte, nervige Arme schauten, von Ruß geschwärzt und den Schmied verratend, dessen Bürgschaft aber gut sein mußte, da sie die Beamten sofort höflich akzeptierten. Ebenso die des anderen Herrn, der im bloßen Kopf und mit einer Feder hinter dem Ohr erschien. Die Sache war knapp in Ordnung, als die Tür vom Allerheiligsten aufsprang und ein sehr ergrimmter Hamburger herausfuhr, der sie donnernd wieder zuwarf und den Schmied beinahe über den Haufen rannte.
»Gott verdamm!« sagte er wie zur Entschuldigung. »Man sall nich mol sien Froo dorchprügeln könen!« Dabei blickte er wild um sich und lief davon, während seine Worte einen Sturm der Entrüstung unter den anwesenden Republikanern hervorriefen, die alle der Meinung waren, daß dies den Senat und den Senator gar nichts anginge.
Die Unterkadis blieben dabei höchst gleichgültig und einer davon machte Bernhart bemerklich, daß er eintreten könne.
Er tat dies und trat in ein sehr großes Zimmer, worin ein sehr großer Schreibtisch stand, hinter dem der Monarch von St. Pauli saß.
Es war ein alter Herr, dessen graue Haare sich wie eine Draperie vom Hinterkopf nach der Stirn hervorkrümmten. Auf der Nase saß eine massive Brille, über die hinweg er nach dem Eintretenden blickte, während er die Unterlippe stark vorschob und die Hand über den Tisch streckte, um nach dem Zettel zu greifen, den Bernhart ihm hinhielt.
Der Mann saß mit einer Ruhe hinter seinen großen Büchern, als sei er eben vom Schlaf erwacht, obgleich er sich noch eine Minute zuvor mit dem bösen Ehemann herumstritt. Bernhart gab den Zettel mit einer Verbeugung ab.
Der Senator warf einen Blick hinein und betrachtete dann den Vorgeladenen aufmerksam, indem er sich in seinen Stuhl zurücklegte, die Brille hinaufschob und diesmal hindurchsah. Er zog die Augenbrauen dabei immer höher und fragte endlich nach einer minutenlangen Pause phlegmatisch:
»Was wollen Sie eigentlich hier?«
Bernhart sah ihn verwundert an und entgegnete: »Was ich hier will? Ich möchte mir dagegen die Frage erlauben, was ich hier soll, da ich bestellt bin.«
»Ach was!« knurrte der Senator ärgerlich, »ich meine, was Sie hier in Hamburg wollen! Was sind Sie eigentlich?«
»Ich bin Maler«, sprach Bernhart.
»Maler! Maler!« brummte der Kadi verächtlich. »Was heißt Maler? Wir brauchen keine Maler hier. Weshalb treiben Sie sich hier herum?«
»Erlauben Sie! Ich treibe mich nirgends herum«, entgegnete Bernhart entrüstet. »Ich habe hier Studien der Gegend und des Schiffswesens gemacht und einige Aufträge ausgeführt. Wenn Sie etwa eine Bürgschaft oder Empfehlung für mich haben wollen, so wenden Sie sich an Senator Eiskuhl.«
Über das Gesicht des Senators fuhr ein höhnisches Lächeln. Er sprach grob: »Ich habe keine Zeit, mich nach jedem Landstreicher zu erkundigen und sage Ihnen hiermit, machen Sie, daß Sie fortkommen. Scheren Sie sich aus der Stadt. Wir brauchen kein solches Volk hier. Maler? Was heißt Maler? Scheren Sie sich weiter!«
Bernhart war ganz erstaunt. Ihm lief die Galle über, als er erwiderte:
»Herr Senator! Ich begreife nicht, was Ihnen das Recht gibt, in einer solchen Weise mit mir zu sprechen. Ich bin gewohnt, nur mit anständigen, gebildeten Leuten umzugehen. Ich biete und verlange von jedem Menschen Höflichkeit und Rücksicht. Kommt mir aber ein Grobian in den Weg, der seine Natur nicht verleugnen kann, ei, so kann ich auch wieder grob sein, und zwar ganz höllisch und ausgesucht grob, mag nun der Grobian ein Schutenführer oder ein Senator sein und daraus entstehen, was da will. Ich sage Ihnen deshalb, wollen Sie in der Weise weiter mit mir reden, wie Sie angefangen haben? – gut – so stehe ich in derselben Weise zu Diensten und werde außerdem dem Publikum in den Zeitungen mitteilen, auf welcher Bildungsstufe ein Senator Meier in Hamburg steht.«
Der Senator brummte etwas für sich und fuhr dann heraus: »So?! Gehören Sie etwa auch noch zu den Zeitungsschmierern, die hier herumlungern und erlogene Berichte hinausschicken? Nun machen Sie erst recht, daß Sie fortkommen. Marsch! Hinaus zur Stadt und dem Gebiet! Ich weise Sie aus! Gehen Sie hin, wo Sie hingehören, wo Sie geboren sind. Man treibt sich als solider Mann nicht in der Welt umher, sondern bleibt hübsch zu Hause, wo man hingehört; das merken Sie sich. Ich weise Sie aus!«
»Das wird sich finden!« sprach Bernhart ergrimmt. »Ich werde wegen Willkür gegen Sie klagen.«
Der Senator lachte laut auf und fragte höhnisch: »Wo wollen Sie denn gegen mich klagen?«
»Nun, es wird doch eine Macht geben, die noch über Ihnen steht und bei der man Schutz gegen eine Ungerechtigkeit suchen kann. Wir leben doch nicht in der Türkei!« entgegnete Bernhart aufgebracht.
»Nein,« lachte der Senator, »es gibt hier nichts, was über mir steht. Bei mir hört es auf. Wenn ich Sie hinausjage, so kräht kein Hahn danach. Sie müßten sich höchstens an den Bundestag wenden, und dazu sind Sie zu alt – kriegen dann bei Lebzeiten keinen Bescheid mehr – höchstens Ihre Erben. Bis dahin weise ich Sie aber aus und bleibe dabei.«
»Und ich gehe nicht. Ich will doch sehen, ob diese freie Stadt ihr Prädikat nur zum Spott und Hohn führt und die Leute, die sich hier aufhalten, schutzlose Spielzeuge der Launen republikanischer Despoten sind, die sich Senatoren nennen. Meine Papiere sind in Ordnung – Arbeit und Verdienst habe ich. Ich bleibe also hier, denn Sie haben keinen Grund, mich auszuweisen.« Mit diesen Worten verließ Bernhart das Zimmer, während der Senator zornig aufstand, ein großes Buch erfaßte, in die Höhe hob, wieder auf den Tisch warf und dabei schrie: »Ich weise Sie aus, finis!«
Bernhart ging in sehr übler Laune nach der Alster, wo ihm der junge Spickmann in die Hände lief, den er beim Rock festhielt und ihm ins Ohr flüsterte:
»Sagen Sie Ihrem Alten eine Empfehlung von mir und er wäre der größte Gauner und Halunke, den ich kennengelernt hätte.« Damit ließ er ihn stehen und ging nach dem Alstersalon, wo er Schnepfe treffen wollte.
Spickmann jun. schüttelte sich vor Lachen. Er konnte sich gar nicht wieder beruhigen und mußte sich bei neuen Ausbrüchen an das Geländer lehnen – der Spaß war zu schön. Er kannte das Landgut und war entzückt über die Anerkennung, die Bernhart seinem Vater zollte. So traf ihn Schnepfe, der nach dem Alstersalon gehen wollte. Er sah ihn verwundert an und fragte nach dem Grund seiner Heiterkeit. Spickmann hütete sich wohl, ihm diesen zu sagen, sondern erfreute ihn durch eine andere Nachricht, indem er sagte:
»Wissen Sie, Doktor, daß Senator den Henri noch am selben Abend, wo Freimaurer Bande geschimpft, fürchterlich durchgeprügelt und zum Hause hinausgeworfen hat? Spitzbube ist aus Rache andern Tag mit Senatorin durchgegangen. Famose Entführung – Eduard und Kunigunde –. Himmlischer Skandal!«
Schnepfe war über diese Nachricht so verwundert, daß er ganz vergaß, die Gutsgeschichte zu erwähnen, sondern zu Bernhart eilte und diesem die Sache mitteilte, die ganz geeignet war, frische Hoffnungen für die Liebenden zu erwecken.
Bernhart sah den Buchhändler Campe Buchhändler Campe, gemeint Julius Campe, 1792–1867, gemeint ist der Verleger Heines, Börnes, Gutzkows, Anastasius Grüns und Hoffmanns von Fallersleben, ein aufrechter Mann und Patriot. eintreten und bat ihn, Platz zu nehmen, da er etwas Interessantes mitzuteilen habe. Er erzählte seinen Zusammenstoß mit dem Senator Meier und machte die bittersten Bemerkungen über den Zustand einer Republik, in der es zehnmal schlimmer zugehe, als im despotischen Rußland, wo doch wenigstens nur ein Despot an der Spitze stehe, bei dem das Recht aufhöre, während hier vierundzwanzig säßen, über denen keine Macht stehe, bei der man Schutz gegen ihre Willkür suchen könne.
»Es gibt doch eine Macht, die über unseren Senatoren steht«, sprach Campe lächelnd. »Ich will Ihnen gleich eine Probe davon geben. Diese Macht ist der Bürger Hamburgs, der, als solcher vor jeder Willkür der Senatoren geschützt, auf so starken Füßen steht, daß er durch sein Wort einen Fremden der Macht dieser Gewalthaber entziehen kann, wenn der Fremde nichts gegen das Gesetz getan hat Der Verf. Reinhardt bemerkt hierzu: »Man entschuldige hier einen kleinen Anachronismus. Die Szene ist dafür genau nach der Natur gezeichnet; der Verf. erlebte sie im Jahre 1855 persönlich mit Senator Meier.«. Ich brauche Sie jetzt für mein Geschäft und werde Ihnen dies bestätigen, und nun will ich den sehen, der Sie aus Hamburg weisen soll!«
Er ließ sich Papier und Feder bringen und schrieb einen Schein, in dem er Senator Meier anzeigte, daß der Maler Bernhart für ihn beschäftigt sei und deshalb in der Stadt bleiben werde.
»Dies tragen Sie sofort hin und lassen sich auf nichts mehr ein«, sprach er dann. »Da übrigens der Senator den Grundsatz aufstellen will, daß man dort hingehöre und bleiben müsse, wo man geboren ist, so fragen Sie ihn doch, weshalb er denn nicht in Braunschweig hinter der Kirche geblieben ist, wo er das Licht der Welt erblickte, statt hierher zu kommen, um den Leuten als Senator Grobheiten zu sagen. Sagen Sie nur, ich hätte das gesagt.«
Bernhart machte sich auf den Weg nach der Höhle des Löwen. Als er beim Senator eintrat, sah ihn dieser grimmig über die Brille an und knurrte: »Es hilft Ihnen nichts. Gehen Sie nach Hause. Ich weise Sie aus!«
»Ich habe doch eine Macht entdeckt, die noch über Ihnen steht und mir Recht verschafft«, sprach Bernhart. »Ehe ich Ihnen den Beweis davon gebe, möchte ich Sie jedoch an Ihre Worte erinnern, daß man hingehöre, wo man geboren ist und sich nicht draußen in der Welt herumtreiben soll. War es nicht so?«
»Allerdings. Ganz richtig gemerkt«, sagte der Senator etwas höhnisch.
»Nun gut – dann möchte ich mir die Frage erlauben, weshalb Sie nicht in Braunschweig hinter der Kirche geblieben sind, wo Sie auf die Welt kamen? Weshalb sitzen Sie denn hier als Senator und machen den Leuten das Leben sauer?«
Senator Meier fuhr bei diesen Worten Bernharts von seinem Stuhl in die Höhe, als sei ein Pulverfaß darunter losgegangen. Er schnappte einige Mal nach Luft und krähte dann zornig: »Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Herr Buchhändler Campe, der Ihnen dies schickt«, sprach Bernhart, den Schein hinlegend.
Der Senator las ihn ingrimmig und murmelte einige schmeichelhafte Bemerkungen über Campe, worauf er Bernhart mit den Worten verabschiedete: »Scheren Sie sich zum Teufel!«
»Nach Ihnen«, sprach der Maler, sich höflich verbeugend, worauf er lachend ging und dachte: Es steckt doch eine Macht in diesem republikanischen Bürgertum, und wenn sich jeder ihrer bewußt wäre und sie zu gebrauchen wüßte, so müßte dies eine wirklich freie und beneidenswerte Stadt sein – ein Dorado, dem aber die umliegenden Regierungen bald ein Ende machen würden.