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Am Hafen bei St. Pauli
Ein schöner Morgen lag auf der Elbe, als Ernst Schwarz am Sonntag nach diesen Ereignissen den Pferdeborn Pferdeborn, s. Anm. 14. (Abbildung in Wendt & Kappelhof, Hamburgs Vergangenheit und Gegenwart I, 220.) zu St. Pauli hinunterstieg und sich von einem Bootsmann nach dem Ewer fahren ließ, der ihm den Winter über zur Wohnung gedient hatte.
Der Schiffer war noch beschäftigt, alles zur Abfahrt klarzumachen, denn ein frischer steter Ostwind begünstigte das Hinuntersegeln ganz besonders. Sobald Schwarz an Bord kam, wollte der Schiffer den Anker lichten. Schwarz gebot jedoch Halt und fragte, auf wie lange der Ewer verproviantiert sei. Der Schiffer erklärte, daß für beide auf etwa vier bis sechs Tage Lebensmittel vorhanden wären, wenn man sich etwas zusammennehme. Schwarz sann ein Weilchen nach und schüttelte dann mit dem Kopf.
»Du mußt mehr Proviant besorgen«, sprach er. »Ich kann nicht wissen, wie lange wir untenbleiben. Hier nimm den Zettel und hole was ich darauf verzeichnet habe. Da ist Geld dazu.«
Der Schiffer studierte die Proviantliste langsam durch, indem er jeden Artikel genau ablas und Schwarz dabei anblickte, damit kein Irrtum vorkomme. Dann berechnete er den Preis und stieg endlich in das Boot, um die Einkäufe zu besorgen, mit denen er nach etwa einer halben Stunde wiederkam, worauf er sich mit Schwarz unverzüglich an die Ankerwinde begab und den Anker heraufbrachte. In dieser Arbeit wurden beide durch ein lautes Geschrei und Gelächter unterbrochen, das von einem vorbeisegelnden Fahrzeug herüberklang. Sie erblickten einen kleinen Logger, der vor dem Winde dahinlief und auf dessen Verdeck die fidelen Seehunde lagen und saßen, während aus den Luken die Köpfe einiger junger Damen schauten, die auch mit in das Hohngelächter einstimmten, das die Besatzung über Schwarz erhob, weil sie ihn an der Ankerwinde eines Ewers erblickten.
Dieser warf einen finsteren Blick nach dem Fahrzeug, während der Schiffer, der die Gesellschaft von gestern erkannte, in eine Flut von Verwünschungen und Schimpfwörtern ausbrach, was ihn aber nicht hinderte, den Anker heraufzubringen und das Focksegel aufzuholen. Schwarz war indes zum Steuer gegangen, um das Fahrzeug zu richten, während der Schiffer die übrigen Segel aufholte. Dies geschah jedoch zu seiner Verwunderung nicht, sondern Hansen sprang in das Boot und bat ihn, er solle nur vor dem Fock bis nach dem letzten Eisbrecher hinunterlaufen und dort den Anker fallen lassen. Er habe noch eine höchst nötige Besorgung. Damit ruderte er nach St. Pauli hinüber und dann stromauf, wo er hinter den Kohlenschiffen verschwand.
Hier befand sich neben einer Schiffswerft ein kleines Haus, wie ein Schwalbennest an ein größeres Gebäude angeklebt und aus einer dreieckigen Stube bestehend, deren hinterster spitzer Winkel das Ziel der Werftarbeiter und einer Anzahl von Gentlemen war, die hier am Wasser stets auf etwas warteten, was anscheinend nie kam.
Für die Gentlemen, die hier eine permanent wartende Stellung einnahmen, waren die verstreuten Gegenstände willkommene Sitze. Besonders die Ankerbalken, von denen man das Wasser nach allen Seiten überblicken konnte und auf denen stets ein Herr mit einer alten Wachstuchmütze und etwas beteerten Hosen zu finden war, der seine Kollegen sofort aus dem dreieckigen Zimmer holte, wenn es etwas auf dem Wasser gab, wofür sich die Gentlemen interessierten. Einige alte Boote lagen für solche Fälle stets zur Abfahrt bereit, unter ihnen auch das Takel-Jans, der hier als eine große Autorität galt und in schwierigen oder zweifelhaften Fällen stets konsultiert wurde.
Nach diesem Platz lenkte Hansen sein Boot und legte es neben Takel-Jan an, der mit sonntäglicher Gemütsruhe in seinem Fahrzeug frühstückte und dabei den versammelten Gentlemen erzählte, wie er sich in der Dunkelheit angeführt, indem er eine Partie Tauwerk geholt habe, das sich bei Licht als Manilahanf zeigte, auf das der Lumpenhändler nichts gebe. Sobald er den Ewerschiffer neben sich erblickte, schwieg er, und da ihm Hansen bekannt war, fragte er ihn, ob er »einen nehmen wolle«.
Hansen schüttelte mit dem Kopf und sprach, auf die Gentlemen blickend, er wisse etwas für Takel-Jan. Einen Hauptspaß. Nur müsse der Bootsmann einige gute Freunde zur Hand haben, die flotte Jungens wären.
Die Gentlemen schmunzelten und rückten auf Takel-Jans Wink näher, indem sie auf die Anker kletterten, zwischen die Hansen jetzt sein Boot schob.
»Habt Ihr vorhin den kleinen Lustlogger vorbeisegeln sehen?« fragte er leise.
Die Gentlemen nickten erwartungsvoll.
»Hat eine Mannschaft von Dösköppen an Bord und nebenbei viel Wein. Ist schändlich schlecht aufgetakelt – könnte einmal neue Takelage und Segel brauchen. Könntet ihnen heute ein bißchen helfen. Die Gesellschaft legt den Logger stets an eine von den kleinen Inseln bei Blankenese, wo sie aussteigen. Haben kein Boot bei sich. Wär' so ein Sonntagsspäßchen, sie sitzen zu lassen. Könnten ja den Logger hier drüben am Eisbrecher festgelegt finden – abgetakelt natürlich«, fuhr Hansen fort.
»Seid Ihr mit von der Partie?« fragte Takel-Jan.
»Kann nicht!« sprach Hansen bedauernd. »Habe Euch den guten Rat gegeben und denke, Ihr helft mir ein andermal, wenn ich was brauche.« Damit schob er sein Boot ab und ruderte, ohne sich weiter umzublicken, nach Altona hinunter. Er wußte, daß sein Rat nicht umsonst gegeben war. Am bestimmten Platz fand er seinen Ewer und Schwarz ungeduldig wartend. Man holte den Anker und die Segel auf. Das Fahrzeug lief lustig vor dem Winde hinab, und Hansen stand, auf die ferne Wasserfläche blickend und still lächelnd, am Steuer.
Als der Ewer bei Neumühlen vorübersegelte, murmelte er jedoch einen grimmigen Fluch, denn sein Blick fiel auf Nielsens Haus, das fast ruinenhaft und mit verwüstetem Garten herüberschaute. Auch Schwarz sah finster nach dem Ufer und stieß einen schweren Seufzer aus, denn er erkannte Stubborns Töchter, von denen Berta in trauriger Haltung nach der Ferne blickte, während Julie die Huldigungen des Herrn entgegennahm, der sich die Verachtung der Millionäre zur Aufgabe gestellt hatte.
Hansen stand wieder still am Steuer und richtete seine Augen aufmerksam nach den kleinen Inseln hinüber. Endlich erblickte er was er suchte, und laut lachend nach dem Logger hinüberzeigend, der an einer Insel sichtbar wurde, sprach er: »Ich habe ihnen eine Suppe eingebrockt.«
Die fidelen Seehunde mußten die Suppe auch richtig ausessen wie Meister Wöllers und viele vor ihnen, die mit Lustfahrzeugen auf der Elbe umherkreuzten, deren Tau- und Segelwerk und Eisenzeug die ganz besondere Aufmerksamkeit der Elbpiraten auf sich ziehen. Die fidelen Seehunde erhoben zwar ein Zetergeschrei, als sie kurz nach Eintritt der Flut ihr Fahrzeug von der Insel abtreiben sahen und einige Männer gewahrten, die es in größter Seelenruhe nach Hamburg aufwärts dirigierten. Das Geschrei half jedoch nichts. Sie waren mit ihren Damen auf der Insel gefangen und mußten warten, bis sie ein vorbeikommendes Fahrzeug an das Ufer setzte, wozu der ärgerliche Umstand kam, daß sich der größte Teil des Champagners noch im Logger befand. Sie verwünschten die Idee, ihre Ruderboote mit dem Segelfahrzeug zu vertauschen, da sie von diesen doch wenigstens eins zur Verfolgung der Piraten hätten zurückbehalten sollen.
Endlich kamen ein paar Boote von unten herauf, die man anrief. Die Gentlemen von der Werft, zufällig auf einer Spazierfahrt begriffen, waren so freundlich, die Gesellschaft für einige Taler von der Insel zu erlösen und mit nach Hamburg zu nehmen, wo man gegen Dunkelwerden ankam. Hier fand man zur allgemeinen Freude den Logger an den Eisbrecher festgebunden, nur zeigte sich der betrübende Umstand, daß Anker und Ketten, Tau- und Segelwerk und was sonst nicht niet- und nagelfast, worunter auch die Champagnerflaschen, spurlos verschwunden waren.
Nachmittags erreichte Schwarz mit seinem Ewer Cuxhaven, wo man bei der »Alten Liebe« vor Anker ging. Hier erkundigte sich Schwarz bei einem Wassermann, ob es geraten sei, noch nach Neuwerk hinabzusegeln. Der Schiffer war nicht der Meinung, weil der Ewer bei dem Ebbestand nicht in die Watten könne und zu weit draußen ankern müsse, wo er keine gute Lage habe. Schwarz beschloß deshalb, in den Hafen zu holen und die Nacht ruhig liegen zu bleiben, worauf er am andern Morgen zu Fuß über die Watten gehen wollte, während Hansen mit dem Boot bei nächster Flut an die Insel kommen sollte.
Sobald der Tag angebrochen und das Frühstück eingenommen war, stieg Schwarz an das Land und ging nach Duhnen zu, von wo er in die Watten hinabstieg, die bereits trocken wurden. Er blickte erwartungsvoll nach seinem Ziel, dem fernen Turm von Neuwerk hinüber, der wie ein Markstein draußen in der nassen Fläche stand. Der Wanderer mußte im Anfang mit dem Schlickgrund kämpfen, der sich in der Nähe des Strandes an seine Füße hing. Sobald er jedoch den festeren Sand erreichte, konnte er rüstig vorwärts schreiten und strebte unausgesetzt der Insel zu.