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Ein mit der Sittenlehre nahe verwandter Teil der Philosophie, die Aesthetik oder Theorie des Schönen, bildete den Gegenstand einer von der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften im Jahre 1857 ausgeschriebenen Preisfrage. Aus der Konkurrenz gingen zwei ausgezeichnete Arbeiten hervor: die eine, welche lobende Erwähnung fand, von Chaignet; die andere, welche den Preis erhielt, von Lévêque.
Durch gelehrte Analysen der ästhetischen Theorien, welche bis zur Gegenwart aufgestellt worden sind, hat Chaignet sich bemüht, eine Unterscheidung des Begriffes des Schönen von den ihm nahestehenden und mit ihm verwechselten Begriffen des Guten und der sittlichen Vollkommenheit herbeizuführen.
Eine der glänzendsten und vielleicht auch haltbarsten Partien der Philosophie von Cousin ist in seinen Vorlesungen über das Schöne enthalten, in welchen er eine Theorie von Reid entwickelt, die durch Shaftesbury bis auf Plato zurückreicht, und in welcher er darzulegen sucht, dass die Schönheit ein mehr oder weniger deutlicher Ausdruck der geistigen und sittlichen Vollkommenheit ist. Chaignet bekennt sich ausdrücklich zur eklektischen Schule; trotzdem zögert er, bei aller Bewunderung für die grossen Gesichtspunkte von Kant, Schelling und Hegel, dieser »Begründer der Aesthetik, die nach ihnen keinen Schritt weiter vorwärts gemacht hat«, sich wie Cousin ihrer Ansicht anzuschliessen, dass das Schöne nicht der Inbegriff der angenehmen Eindrücke der Objekte auf unsere Sinne, sondern der Ausdruck des Absoluten im Bedingten, des Unendlichen im Endlichen, also des Begreiflichen im Sinnlichen und des Geistigen im Physischen ist. Er ist weder gewillt zuzugeben, dass das Schöne dem Guten verwandt ist, noch auch in Folge dessen, dass man die Tugend oder Gott selbst als schön im eigentlichen Sinne bezeichnen könne.
Die Lehren des heil. Augustin, welche aus der griechischen Philosophie abgeleitet waren, zusammenfassend, sagt Thomas v. Aquino: »Das Gute ist der Gegenstand des Verlangens, also das, was gefällt. Wenn der Gegenstand derartig ist, dass er schon auf Grund des Begriffes, welchen man von ihm hat, nicht durch die Sinne gefällt, so nennt man ihn schön. Das Schöne ist also ein Gutes, aber das Gute für das Denken, für die Vernunft. Das Gute an sich, das absolut Gute, welches noch eine tiefere Bedeutung hat, entspricht der Liebe.« Es scheint, dass durch diese einfachen Worte die Dunkelheiten, welche Chaignet in den Lehren der grössten Denker von Plato bis Schelling und Hegel zu finden glaubt, etwas aufgeklärt werden.
Lévêque hat eine genaue Definition des Schönen zu geben versucht. Wenig befriedigt von den verbreiteten Lehren, welche dasselbe in der Proportionalität oder in der mit Einheit verbundenen Mannigfaltigkeit, oder in der Einheit allein, oder auch in dem Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen bestehen lassen, glaubte er, dass das Schöne der Ausdruck der wesentlichen Merkmale alles Seins ist; und diese Merkmale sind nach seiner Ansicht die Grösse oder Stärke und die Ordnung. Es sei noch hinzugefügt, dass Lévêque wie mehrere seiner Vorgänger das Schöne im engeren Sinne da zu finden vermeint, wo die Grösse der Ordnung untergeordnet ist, und da, wo die Ordnung der Grösse nachsteht, das Erhabene.
V. Cousin zeigte sich hauptsächlich in seinen letzten Schriften geneigt, die Schönheit als Kraft zu definieren; und besonders in seiner Polemik gegen die Philosophie, welche das Schöne auf das sinnlich Gefällige zurückführte, schloss er von der wahren Schönheit das Moment des Gefallens ganz aus. Lévêque ist auch in diesem Punkte der eklektischen Lehre treu: er scheidet von der wahren Schönheit alles das, was er das »Reizende« nennt, ab. Wenn man jedoch den guten Geschmack berücksichtigt, welchen er bei der Beurteilung schöner Gegenstände zeigt, so kann man nicht zweifeln, dass er von dieser Lehre, deren Strenge etwas an Trockenheit grenzt, zu einer umfassenderen übergegangen ist, in welcher das Schöne eine vollständigere Erklärung findet,
Wenn das Wort Kraft, wie wir schon einmal bemerkten, auch ein besserer Ausdruck für ein Positives und Reelles ist als die Worte Substanz und Ursache, so bezeichnet es doch immer noch einen unvollständigen Begriff, der nur ein Zeichen oder logisches Symbol für bestimmte materielle Erscheinungen darstellt. Ferner begreift Lévêque selbst in dem Begriffe der Kraft (force) neben dem der Stärke (puissance), der sich vom vorigen nicht unterscheidet, noch den der Ordnung als notwendiges Bestandstück mit ein, weil der das Ziel bezeichnet, nach dem die Kraft strebt, und die Art, wie sie nach demselben strebt; nach einem Ziele streben heisst aber im Grunde wollen. Wenn man also dem scharfsinnigen Verfasser der »Wissenschaft des Schönen« zugiebt, dass die Erklärung des Schönen aus dem Begriffe von der Natur des Seins zu schöpfen ist, und die Erklärung der letzteren im Kraftbegriffe liegt, so wird man auch mit Leibniz anzuerkennen haben, dass der Begriff Kraft nur dann etwas Positives und Wirkliches, von der sinnlichen Erscheinung Verschiedenes bezeichnet, wenn man die Kraft als Streben und das Streben selbst als Wollen auffasst; und dass also der Satz: Schönheit ist der Ausdruck der Kraft, seinen vollständigen Sinn erst durch den anderen gewinnt: Schönheit ist der Ausdruck des Willens. Geht man einen Schritt weiter in der Reflexion auf sich selbst, so wird man finden, dass das Wollen sich nicht aus sich selbst heraus erklärt, sondern auf ein Princip, eine Ursache hinweist, von der es, mit Malebranche zu reden, nur eine partielle Aeusserung ist. Und welches ist diese Ursache? Sie ist bezeichnet, wenn man sagt, dass die Schönheit Wert ausdrückt. Und in der That ist es nicht, entgegen den Lehren, die von der Schönheit die Wohlgefälligkeit ausschliessen, aus Furcht das Schöne zu einem sinnlich Gefälligen zu erniedrigen, eine ausgesprochene Eigentümlichkeit jedes schönen Gegenstandes, uns zu gefallen und zwar zu gefallen durch einen geheimen Zauber, welcher, wie man sich allgemein ausdrückt, uns fesselt und reizt? Dieser Reiz findet sich insbesondere in der sogenannten Anmuth; und scheint die Anmuth, welche die gewissermassen mehr äussere Sphäre des Verstandesmässigen durchdringt und zum Herzen spricht, nicht auch Etwas zu sein, das weder in der Grösse noch in der sie ordnenden Form, sondern im Herzen selbst und im Grunde der Seele wurzelt?
Wenn es vielleicht eine Erklärung für den allgemeinen Begriff des Guten ist, ihn auf die Schönheit zurückzuführen, so weist doch die Schönheit ihrerseits, wenigstens die höchste Schönheit, auf jenes Gute im höchsten Sinne zurück, welches der Vollkommenheit zu Grunde liegt und das Wesen des Göttlichen ausmacht. Gut sein in diesem höchsten Sinne aber heisst lieben; es ist also, wie es scheint, die Liebe zuletzt das Princip der Vernunft und der Schönheit.
»Nachdem die Kunst, so sagt Schelling, den Dingen den Charakter der Individualität gegeben hat (– könnte man nicht auch sagen den des Willens? –) geht sie weiter; sie verleiht ihnen die Anmut, welche dieselben liebenswürdig macht, weil sie den Schein hervorruft, als ob sie selbst liebten. Ueber diese Stufe hinaus gibt es nur noch eine von ihr vorbereitete und angekündigte: den Dingen eine Seele zu geben, so dass sie nicht mehr bloss zu lieben scheinen, sondern wirklich lieben.« Das Gute ist also die Liebe selbst.
Aber das Erhabene? wird man fragen; soll ihm der hohe Rang abgesprochen werden, den Kant ihm zuerkannt hatte, und der ihm seitdem unwiderruflich gesichert schien? Keineswegs; aber das Erhabene, die höchste Stufe des Schönen, ist nicht nur, wie man oft gesagt hat, das an das Furchtbare Angrenzende. Das Erhabene geht über alle Grenzen hinaus. Das Furchtbare ist fremdartig, also begrenzt, unterschieden. Die einzelnen Willensäusserungen, welche für andere bedrohend sind, sind begrenzt. Nichts also geht in Wahrheit über alle Begrenzung hinaus als das, was weder Hindernis noch Widerstand kennt, die unendliche Liebe. Es gibt also noch etwas über dem Furchtbar-Erhabenen des Alten Testaments, dasjenige Erhabene, welches sich im Buddhismus ankündigt und im Evangelium zur Darstellung kommt, das Erhabene der Aufopferung.
Man sollte nicht sagen, so liest man im Aristoteles, dass Ordnung und Grösse die Schönheit ausmachen, sondern nur, dass es ohne Ordnung und Grösse keine Schönheit gibt. Wenn Ordnung und Grösse, die vielleicht das Bewunderungswürdige ausmachen, in der That nur Bedingungen des Schönen sind, liegt dann nicht das Wesen desselben in der Liebenswürdigkeit? Wenn man die Grundbegriffe der Aesthetik mit den Principien vergleicht, in welchen man nach der verbreitetsten Ansicht die Grundelemente der menschlichen und göttlichen Natur erblickt, und die sich auch in den Entwickelungsepochen der Geschichte wiederfinden, nämlich mit der Dreifaltigkeit der Macht, der Einsicht und der Liebe, könnte man da nicht sagen, dass das Furchtbar-Erhabene der Macht, das eigentlich Schöne der Einsicht als der Ursache der Ordnung, entspricht, der Liebe aber das höhere und im strengen Sinne übernatürlich Erhabene, welches die göttliche Schönheit ausmacht, die Schönheit der Gnade (grâce) und Güte?
Die Aesthetik ist nicht nur ein wichtiger Teil der Philosophie: in ihren Principien betrachtet, die mit denen der Ethik zusammentreffen, repräsentiert sie die ganze Philosophie. Aus der Entwickelung des modernen Denkens und aus den Betrachtungen, zu denen dieselbe veranlasst, haben wir das Resultat hervorgehen sehen, welches die tieferen Metaphysiker aller Zeiten ahnten, dass das Erklärungsprincip der Welt, der Natur die Seele, der Geist ist. Wenn also die Schönheit die treibende Kraft der Seele ist, welche dieselbe veranlasst zu lieben, zu wünschen, also zu handeln, also zu leben, also zu sein, da für die Seele wie für jede Substanz Sein, Leben, Handeln dasselbe bedeuten, so liegt in der Schönheit, insbesondere in der göttlichen und vollendeten Schönheit, das Geheimnis der Welt.