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XVIII.
Der Ontologismus: (Rosmini,) Baudry, Hugonin.

In jüngster Zeit hat sich eine eigentümliche Bewegung unter den philosophierenden Theologen gezeigt, welche unter der Bezeichnung »Ontologismus« sowohl zum »Traditionalismus« als zum »Psychologismus« in Gegensatz tritt.

Die traditionalistische Lehre hat geglaubt, dem sogenannten Psychologismus, welcher auf der Anwendung der Reflexion mehr im Sinne Locke's als in dem des Descartes beruht, und der die Wahrheit und Gewissheit zu sehr von den Meinungen des Einzelnen abhängig zu machen scheint, die allgemeine Uebereinstimmung, die universelle Tradition gegenüberstellen zu sollen. Um aber zwischen den Traditionen zu entscheiden, und diejenigen, welche bedingter und zeitweiliger Art sind, von den wahrhaft allgemeinen und unveränderlichen zu unterscheiden; ferner um das Princip selbst, dass die allgemeine und feste Tradition die Wahrheit einschliessen muss, zu begründen, muss man auf die Vernunft zurückkommen. Nachdem der Traditionalismus durch den in seiner Grundlage enthaltenen Widerspruch gestürzt war, erhob sich eine andere Lehre mit dem Anspruch, nicht sowohl die unabhängige Wahrhaftigkeit der Vernunft zu beweisen, sondern die Autorität derselben durch den Nachweis ihrer Unabhängigkeit von der Persönlichkeit wiederherzustellen. Diese Lehre ging darauf aus, die Vernunft in unmittelbare Beziehung zum Sein als der ausser uns befindlichen und uns überlegenen Objektivität zu setzen; daher der Name Ontologismus. Zunächst durch Theologen der Universität Löwen entwickelt, bildete sie die Grundlage des Unterrichts des Abbé Baudry, Professors der Philosophie am Seminar Saint-Sulpice, der kürzlich als Abt von Perigueux gestorben ist. Man findet dieselbe vorgetragen in einer 1856 unter dem Titel: Ontologie ou Étude des lois de la pensée veröffentlichten Schrift des Abbé Hugonin. In diesem Buche hat Hugonin im Anschluss an Baudry und nach seinen eigenen Ideen auseinandergesetzt, wie unsere Intelligenz zum höchsten unmittelbaren Gegenstande Ideen hat, welche nicht ihre eigenen Thätigkeiten oder Produkte ihrer Thätigkeit sind, sondern unabhängig von derselben das Sein selbst, das absolute Sein, Gott darstellen.

Der Abbé Rosmini hatte geglaubt, dass die Intelligenz in allen besonderen und zufälligen Objekten als ihren universellen und notwendigen Gegenstand das sogenannte »unbestimmte Sein« hätte, welches existiere, da der Geist es auffasst, aber in einer Art, die man als virtuelles Sein bezeichnen könnte, ähnlich der Existenz des Ideals in mehreren der besprochenen zeitgenössischen Systeme. Das allgemeine unserem Verstände immanente Sein wäre also nach dieser Anschauung nicht etwas Wirkliches und Bestehendes, sondern einfach ein logisches Princip, eine Regel zur Bestimmung unseres Denkens. Wenn man abstrahiere von dem Geiste, welcher es betrachtet, und den es bestimmt, so sei es Nichts mehr.

Welches übrigens auch der Unterschied zwischen den Ansichten von Rosmini, Vachérot und Rémusat ist, so bemerkt man, wie sehr ihre Principien sich gleichen; sie haben fast dieselbe Art, die Gegenstände der Erkenntnis als Wesenheiten ohne jede Realität zu betrachten.

Die Ontologisten strengen sich nun an zu zeigen, dass die Ideen, nach welchen die Intelligenz sich richtet, und die ihr zum Begreifen und Beurteilen alles Anderen dienen, nicht nur Gegenstände des Denkens, sondern Modifikationen einer wirklichen Existenz sind, die keine andere ist als die göttliche, Es ist das, so sagen diese Denker, denen noch der Abbé Blampignon zuzurechnen ist, die Lehre des Malebranche und des heil. Augustin; auch soll es nach ihrer Ansicht die Lehre Platos sein. Aristoteles, so sagt einmal Hugonin, war Psychologist, Plato Ontologist.

In der That hat Plato scheinbar die Begriffe, mittelst deren wir die Dinge auffassen, zu selbständigen Wesenheiten gemacht, die von einem Gesamtwesen, der Gottheit, umschlossen werden; doch ist zweifelhaft, ob er genau genommen in Gott derartige Schranken und Mannigfaltigkeiten angenommen hat; es ist zweifelhaft, ob man einen Mann unter die Ontologisten im Sinne der Professoren von Löwen und des Hugonin rechnen kann, der Gott in einer absoluten Einheit jenseits alles dessen, was Sein heisst, suchte. Aristoteles setzte die Getrenntheit und Mannigfaltigkeit der Begriffe nur in uns selbst; doch ist zu bezweifeln, ob man den Psychologismus in dem hier gemeinten Sinne bei einem Manne voraussetzen darf, der in Gott nicht nur den höchsten Gegenstand der Erkenntnis sah, was der Ontologismus von Sein sagt, sondern das höchste Denken, die Quelle alles Denkens. Es ist ferner zweifelhaft, ob es eine Verbesserung der Ansicht Rosmini's ist, wenn man, wie er, das Sein zum Princip macht, aber dazu setzt, dass es nicht bloss virtuell existiert, wie der italienische Philosoph lehrte, sondern reell. Nicht ohne Grund hat Hegel behauptet, dass der Begriff des Seins der ärmste von allen wäre, und dass Sein ohne ein Weiteres identisch wäre mit Nichtsein.

Vielleicht ist der Ontologismus nur die erste Gestalt einer bestimmteren Lehre, in welcher das Sein als Leben und Denken definiert sein wird. Indes ist bei den philosophischen Theologen, die sich zu demselben bekennen, ebenso wie bei Gratry und dem Bischof von Sura ausser anderen Gründen, welche den Uebergang von diesen logischen Allgemeinheiten zu der Wirklichkeit selbst schwierig machen, noch ein besonderes Motiv vorhanden, häufig bei ungenügend definierten Begriffen und Ausdrücken stehen zu bleiben: die beständige Furcht, mit der Vernunft in das Gebiet des Glaubens zu geraten und bei Dingen, welche von der Vernunft allein abzuhängen scheinen, nicht hinlänglich mit einer bereits gegebenen oder zu gebenden Entscheidung der kanonischen Autorität im Einklang zu sein. P. Gratry, Abbé Hugonin, Abbé Maret geben der Philosophie, welche sich dem Lichte des Christentums verschliesst, die Bezeichnung »separierte Philosophie« (philos. séparée); diejenige der Theologen könnte man allgemein heute noch mehr als im Mittelalter »abhängige Philosophie« nennen. Die Philosophie will aber, wie es scheint, völlige Freiheit.

Vielleicht kommt bald eine Zeit, wo in der Religion ebenso wie in jeder Wissenschaft der Gedanke der Entwickelung vorherrschen wird, so etwa, wie ihn der bedeutende katholische Professor Newman dargestellt hat; ein Gedanke, der immer mehr Geister gewinnt. Dann wird eine freiere Interpretationsweise angewandt werden; und bei grösserer Freiheit wird die Theologie mehr Nutzen von der Philosophie haben und auch dieser bessere Dienste leisten. Dann wird man endlich das grosse Wort des heil. Augustin sich erfüllen sehen, dass Religion und Philosophie sich nicht unterscheiden.


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