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Vulpian hat in seinen gelehrten »Vorlesungen über die Physiologie des Gehirns« (»Leçons sur la Physiologie du cerveau 1867«) ein Kapitel der Frage des Vitalismus gewidmet. Er stellt der Ansicht, welche für die Lebensfunktionen ein besonderes, von den Eigenschaften der Organe verschiedenes Princip annimmt, zwei Beweise entgegen. Erstens wird, wie er sagt, das sogenannte Lebensprincip immer als Einheit gedacht, wie nicht anders möglich. Nun sieht man aber die Teile gewisser niederer Tiere auch von einander getrennt fortleben. »Das Lebensprincip, diese einheitliche Kraft, wäre also bei diesen Tieren teilbar; für uns aber heisst behaupten, dass das Lebensprincip teilbar ist, behaupten, dass es nicht existiert.« Zur Verstärkung des ersten Beweisgrundes von Vulpian könnte man noch hinzufügen, dass nach den Ergebnissen der neuesten Physiologie alle Organismen, die höchsten nicht ausgenommen, als aus Teilen von grosser Selbständigkeit zusammengesetzt anzusehen sind. Claude Bernard hat die Idee ausgesprochen, dass alle lebenden Wesen, Pflanzen und Tiere, Aggregate von Organismen sind. Virchow hat in seinen epochemachenden und tiefsinnigen Untersuchungen über die Zellular-Pathologie gezeigt, dass jedes lebende Wesen sich in eine Art Genossenschaft von Zellen auflöst, welche vollständige Organismen sind. – Zweitens sind in einer grossen Zahl von nicht nur pathologischen, sondern auch physiologischen Fällen die Lebensthätigkeiten keineswegs dem entsprechend, was das Wohl des Individuums erfordern würde; »also, sagt Vulpian, sind die verschiedenen Tendenzen, welche man als Attribute des Lebensprincips betrachtet hatte, weit entfernt in einer mehr oder weniger zielmässigen Weise zu wirken, sondern sie äussern sich im Gegenteil notwendig und blind. Es besteht also in der organischen Welt sowohl als in der unorganischen eine notwendige Bestimmung.« Diese oder ähnliche Bedenken sind zu allen Zeiten erhoben worden; die neuen Thatsachen, auf welche man dieselben gegenwärtig stützen kann, haben nichts Wesentliches zu denen hinzugebracht, durch welche dieselben schon im Altertum gerechtfertigt zu sein schienen: sie sind also den Vitalisten und Animisten nicht unbekannt, Allerdings diskutieren sie dieselben in der Regel nicht. Andrerseits weiss Vulpian sehr wohl, was man zu Gunsten der Einheit des Lebens über die augenfällige Harmonie der Funktionen, und über die Erscheinung, die er selbst gelegentlich der Besprechung der Regeneration eines Organs »eine Art gemeinsames Handeln aller Elemente« nennt, gesagt hat und sagen kann; aber er beschränkt sich darauf zu sagen, »dass dies eine ganz dunkle Thatsache ist, die man aber doch zugeben muss.« Er untersucht nicht, ob diese Thatsache nicht seine Theorie umstürzt.
Man bringt also von der einen Seite zu Gunsten des Organicismus die Thatsachen und Gründe zur Geltung, welche für die Vielheit und notwendige Bestimmung der Agentien des Lebens sprechen; von der andern Seite zu Gunsten des Vitalismus und Animismus die Thatsachen und Gründe, welche die Einheitlichkeit und Zielmässigkeit des Lebens darthun sollen; und auf beiden Seiten erwähnt man kaum das, was der für richtig gehaltenen Ansicht entgegensteht. Vielleicht deshalb, weil die entgegengesetzten Anschauungen ganz unvereinbar erscheinen, und man keine Hoffnung hat, sie auszugleichen; vielleicht denkt man mehr oder minder deutlich, dass bei der direkten Gegenüberstellung derselben sich nur eine gegenseitige Hebung der an sich wahren Beobachtungen und Erwägungen herausstellen würde, auf welche sich dieselben stützen.
Indes, wenn die entgegengesetzten Anschauungen unvereinbar erscheinen, könnte dies nicht vielleicht daran liegen, dass man mehr die Begriffe als die Dinge im Auge hat, und mehr das Logische als das Physische? Auf beiden Seiten, so scheint es, fasst man die Begriffe, welche man betrachtet, in dem ausschliesslichen Sinne auf, den das sie bezeichnende Wort ausdrückt, und der mit seinem Gegensatz in keiner Weise sich verträgt. Aber ist es wohl ebenso in der Natur? Was logisch unverträglich ist, vereinigt sich häufig in der Natur und verträgt sich; das, was getrennt und geschieden wird durch die imaginative Vernunft, die die Sprache bildet, indem sie Begriffe sozusagen in die Worte einschachtelt, so wie man verschiedene materielle Objekte an verschiedene Plätze stellt, dasselbe zeigt uns die Natur, mit der eine höhere Vernunft correspondieren würde, verbunden, zusammenhängend, in Eins verschmolzen.
Je nachdem man von dem einen oder anderen Endpunkte der ungeheuren Reihe der Dinge, oder auch nur vom einen oder dem anderen Ende der immer noch sehr langen Reihe der lebendigen Wesen ausgeht, ist man geneigt, entweder nur Teilung, Vielheit, Mechanismus, Notwendigkeit in der Natur zu sehen, oder im Gegenteil nur Harmonie, Einheit und zwecksetzende Spontaneität. Man betrachte Erscheinungen wie die, welche bei der allmählichen Ausbildung einer Gewohnheit auftreten, wo man willkürliche Handlungen, die auf einer völligen Einheitlichkeit des Wirkens beruhen, sich allmählich in instinktive Bewegungen verwandeln sieht, die sich scheinbar ohne Beteiligung der centralen Aktivität durch einen dunklen Mechanismus in einer Vielheit von Organen vollziehen, und man wird vielleicht leichter dem Gedanken sich hingeben, dass sowohl in den verschiedenen Teilen unseres Wesens von den höchsten bis zu den niedrigsten herab, als auch bei den Wesen verschiedener Stufe, bei denen dieselben Unterschiede im Grossen bestehen, kurz, dass überall den verschiedensten und selbst entgegengesetzten Formen ein und dasselbe Princip zu Grunde liegt, und dass das niedere Leben nur der tiefste Grad ist, bis zu welchem das höhere Leben Schritt für Schritt herabsinkt. Hier wie in anderen Wissenschaften beweist die Continuität des Fortgangs, der Steigerung wie der Verminderung die Einheitlichkeit des Princips.