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XXXIII.
Duhamel's mathematische Methodenlehre.

Duhamel, ein gelehrter Mathematiker, beabsichtigt in seiner »Theorie der Methoden in den rationalen Wissenschaften« den Begriff einer rationalen, schlussfolgernden Wissenschaft, die verschiedenen Fragen, welche in einer solchen gestellt und die Methoden, wie dieselben beantwortet werden können, zu untersuchen; damit erschöpft sich, wie er sagt, die ganze Logik, wenn man dieselbe als die Kunst des Schliessens definiert.

Duhamel bemerkt, dass die Philosophen in Folge der Vernachlässigung der mathematischen Wissenschaften allmählich die Meinung sich gebildet haben, dass die Mathematiker Methoden besonderer Art befolgten. Wahr ist nur, wie er sagt, dass die Mathematik sich auf einfacheren und durchsichtigeren Thatsachen aufbaut, als jeder andere Zweig der menschlichen Erkenntnis; somit kann man in dieser Wissenschaft am besten die Methoden des Beweises und der Forschung studieren; aber in jeder rationalen Wissenschaft ist die Methode dieselbe, welches auch ihr Gegenstand sein mag. – Das war übrigens die Ansicht von Descartes und Leibniz, sowie auch die Condillac's, und erst in unserer Zeit haben gewisse Schulen die geometrische Methode als eine eigener Art angesehen.

Schlussfolgern, sagt Duhamel weiter, ist deducieren. – Wir haben oben gesehen, wie Cl. Bernard anerkannt hat, dass die Induktion im Grunde eine Deduktion ist, nur eine hypothetische und vermutungsweise Deduktion. Nach Duhamel besteht die Deduktion oder der Syllogismus darin, vom Allgemeinen aufs Besondere, von einer Klasse auf ein Individuum der Klasse zu schliessen, also von einem Individuum für sich genommen das zu wiederholen, was man von demselben schon gesagt hat, indem man es in der Klasse betrachtete, und ist also ein so einfaches Verfahren, dass es kaum einen Namen verdient. Man wird sich da vielleicht fragen, ob der gelehrte Verfasser nicht zu sehr diejenige Kunst verachtet, welche Leibniz für sehr nützlich, wenn nicht zur Auffindung der Wahrheit, so doch zur Vermeidung des Irrtums hielt, und deren Leistung darin besteht, dass sie die Urteile in denjenigen Zusammenhang bringt, in welchem sich am besten ihre Abhängigkeit von einander zeigt. Wie dem auch sei, nach Duhamel ist die Hauptsache und das, was gelehrt werden muss, das Verfahren, um mit Syllogismen zu dem Ziele zu gelangen, welches man erreichen will. Es sind mit anderen Worten die Methoden des Beweises und der Forschung, die Methoden, durch welche man Lehrsätze begründet und Aufgaben löst, und das sind die Synthese und die Analyse.

Die Synthese besteht darin, aus als wahr anerkannten Sätzen notwendige Folgerungen abzuleiten: sie dient nur dazu, andern das mitzuteilen, was man weiss. Die Methode der Entdeckung, die also, auf deren Ausbildung etwas ankommt, ist die Analyse. Die Analyse hat bei einem Lehrsatze, dessen Beweis man sucht, festzustellen, welche Behauptung man aus demselben ableiten kann, welche weitere aus dieser folgt und so fort, bis man auf eine als wahr anerkannte Behauptung kommt, von welcher ausgehend man auf demselben Wege rückwärts den Lehrsatz, um den es sich handelt, synthetisch beweisen kann. Bei einer Aufgabe hat die Analyse zu suchen, welche Folgerungen aus den gestellten Bedingungen sich ergeben, wobei verlangt wird, dass dieselben bekannte Beziehungen bekannter Elemente zu der gesuchten Unbekannten darstellen; soweit, bis man eine Folgerung findet, auf Grund deren die Unbekannte zu bestimmen ist.

Bei Lehrsätzen geht also die Analyse von dem angenommenen Schlüsse auf eine Reihe von Sätzen zurück, bis sie zu einem bekannten Lehrsatze kommt; bei Aufgaben von der gestellten Frage zu einer Reihe anderer, bis sich eine findet, welche man lösen kann, und im Zusammenhang mit welcher die gesuchte Grösse sich findet.

Dabei bemerkt nun Duhamel, dass es, um einen problematischen Satz zu verificieren, nicht genügt, wie Euclid und Pappus lehrten, Folgerungen zu ziehen, bis man auf eine als wahr bekannte kommt; denn aus einem falschen Satze kann man richtige Schlüsse ableiten. Ebenso genügt es bei den eigentlichen Aufgaben nicht, um zu erfahren, ob das Verlangte ausführbar ist, wenn man von dem Gesuchten ausgehend von Schluss zu Schluss zu einem sicher Ausführbaren gelangt. Es ist noch erforderlich, dass auf Grund dieser Ausführung auch die verlangte geleistet werden kann. Kurz gesagt, man muss von dem, was man vorläufig als zugestanden annimmt, ausgehend zu einer Folgerung gelangen, aus welcher man auf jenes zurückschliessen kann, zu einem Satze also, der sich umkehren lässt. Das heisst, es muss das, was man aus einer Annahme ableitet, und was logisch gesprochen eine Folgerung aus derselben ist, zugleich eine notwendige Bedingung jener Annahme sein. Die notwendige Bedingung eines wahren Sachverhaltes ist notwendig wahr.

»Die Analyse der Alten, so sagt Leibniz, bestand nach Pappus darin, das Gesuchte anzunehmen und daraus Folgerungen zu ziehen, bis man auf etwas Gegebenes oder Bekanntes kommt. Ich habe bemerkt, dass es zu dem Ende nötig ist, dass die Sätze reciprok sind, damit der synthetische Beweis auf dem Wege der Analyse rückwärts gehen kann.« Und an einer anderen Stelle: »Die Analyse bedient sich der Definitionen und anderer umkehrbarer Sätze, welche die Möglichkeit bieten, rückwärts zu gehen und synthetische Beweise zu finden.«

Duhamel hat durch seine eigenen Ueberlegungen diese etwas vergessenen Gedanken wieder aufgefunden und hat sie zu neuen und nützlichen Entwickelungen verwertet. Nur Ampere hatte schon richtig beobachtet, dass die Folgerungen streng genommen die Richtigkeit ihres Princips nur insofern beweisen, als sie auf ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit führen.

Leibniz und Ampere waren sich ferner darüber klar, dass man in der Physik nicht wie in den auf Definitionen beruhenden Wissenschaften zu umkehrbaren Sätzen gelangt; eine grosse Menge wahrer Konsequenzen, die sich aus einer Hypothese ableiten lassen, ermöglicht zwar nicht eine eigentliche Umkehrung, also den Beweis, doch gibt sie wenigstens eine hohe Wahrscheinlichkeit, welche sich endlos dem Beweise nähern kann.

Bei seiner Prüfung der hauptsächlichsten Theorien, welche bis jetzt über das Schlussfolgern und die Methoden aufgestellt worden sind, fällt Duhamel ein sehr strenges Urteil über diejenige des Condillac, welche im Grunde nur eine Folgerung aus der des Leibniz ist: dieselbe besitzt in seinen Augen keinerlei Wert. Condillac hatte gemeint, dass das Schliessen in einfachen Umformungen einer und derselben Behauptung bestände; er bezog sich dabei hauptsächlich auf das Beispiel der Algebra, die in lauter Gleichungen fortschreitet. Schon Ampere verwarf diesen Gedanken und wies »die lächerliche Identität« weit von sich. Duhamel bemerkt, dass es in den successiven Systemen von Gleichungen nichts Identisches gibt als die Werte der Unbekannten, und dass man diese Systeme also nur äquivalent und nicht identisch nennen kann. In gleicher Weise hatte Ampere in einer Abhandlung »Ueber die abstrakten Begriffe« gesagt, dass zwei Begriffe, die denselben Gegenstand aber bei verschiedener Betrachtungsweise bezeichnen, nicht identische sondern äquivalente zu nennen sind. Indes ist vielleicht zwischen Condillac einerseits und Ampère und Duhamel andrerseits kein so bedeutender Meinungsunterschied. Condillac hat ohne Zweifel, wie bestimmt auch seine Sprache klingen mag, nicht behaupten wollen, dass in den aufeinanderfolgenden Behauptungen eines deduktiven Schlusses und auch in einer Reihe von Gleichungen keinerlei Unterschied bestehe; er hat nur die den Verschiedenheiten zu Grunde liegende principielle Identität bezeichnen wollen.

Beim Schliessen überhaupt gründet man sich nach der Theorie von Aristoteles und Leibniz auf das Enthaltensein der Begriffe ineinander; ein vollständiger Beweis ist aber derjenige, welcher auf einem Satze ruht, dessen Subjekt ebensowohl im Prädikat enthalten ist, als das Prädikat im Subjekt, also einem umkehrbaren Satze, einer Definition. Alle Folgerungen sind dann nur verschiedene Formen des Princips; dies findet nun in der Mathematik immer statt, und deshalb kann man hier aus einer Eigenschaft einer Grösse alle anderen ableiten. Und schliesslich ist der Beweis nur ein absoluter oder kategorischer, wenn er von einer Behauptung als seinem Princip ausgeht, die sich selbst rechtfertigt; solcher Behauptungen gibt es aber keine ausser den identischen, welche speziell der Philosophie angehören, und die gewissermassen unmittelbare Ausdrücke der Vernunft selbst sind.

Vielleicht hat also Condillac kein ganz unhaltbares Paradoxon ausgesprochen, wenn er mit Worten, die man bei Leibniz wiederfindet, erklärte, dass die Grundlage der Logik die Identität sei. Er selbst hat übrigens, um das Verhältnis der aufeinanderfolgenden Sätze zu einander zu kennzeichnen, statt Identität öfters Analogie gesagt. Man sieht daraus hinlänglich, in welchem Sinne seine gewöhnlichen Ausdrücke zu nehmen sind, und dass er unter Folge der Identitäten nur die Folge von Aequivalenzen verstand.

Wie dem auch sei: gerade wie Cournot, indem er der Philosophie ihren eigentlichen und höchsten Gegenstand entzog, dazu beigetragen hat, ihr ihren vollen Umfang und ihre Allgemeinheit wiederzugeben, so hat auch Duhamel, obschon er nicht an dem Fortschritte der Philosophie arbeiten wollte, ihr doch gedient, indem er sie wieder in den Besitz der Methode in ihrer vollen Allgemeinheit setzte, und ihr den Gebrauch des Beweis- und Untersuchungsverfahrens, welches sie in der Gegenwart fast ganz der Mathematik überlassen hatte, zurückgab.

Um die Sache aufzuklären, wird noch der vermeintliche Gegensatz aufzuheben sein, welchen man so oft zwischen der mit der Synthese identificierten Deduktion und der Analyse, oder wie Duhamel sagt, der Reduktion findet; als ob deducieren und Folgerungen ziehen nicht dasselbe wäre, und als ob man bei der Analyse oder der Synthese etwas Anderes machte, als Folgerungen ziehen. »Bei der Synthese, sagte Descartes mit der ihm eigenen hohen Klarheit, folgert man aus dem Bekannten das Unbekannte; bei der Analyse aus dem Unbekannten das Bekannte, indem man das Unbekannte als bekannt, das Bekannte als unbekannt ansieht.«

Es erübrigt ferner, und das könnte Duhamel einmal versuchen, die Regeln der Analyse und die der Synthese zu vertiefen, welche letztere nach Leibniz auf die Theorie der Kombinationen hinausläuft, und in der vielleicht nicht weniger als in der Analyse, welche nur ihre umgekehrte Form ist, der Schlüssel für das Erfinden zu suchen ist.

Vielleicht auch könnte man sagen, dass das Genie, dem das Erfinden eigen, seine Methode hat, und dass diese Methode in der Kombination von Beziehungen besteht, also Synthese ist.

Man hat der Philosophie unserer Zeit mit Recht vorgeworfen, dass sie oft mehr auf litterarische Vollendung als auf wissenschaftliche Genauigkeit auszugehen, Andeutungen und oberflächliche Beschreibung in mehr oder weniger bildlichen Ausdrücken den Definitionen und die Induktion dem eigentlichen Beweis vorzuziehen scheint. Daher die Vernachlässigung der Logik. Die Zeit ist gekommen, um endlich mit der Ungenauigkeit und Ungewissheit ein Ende zu machen, eine scharfe Bestimmung der Begriffe zu suchen und, statt sie in Bilder einzuhüllen, die ihre Beziehungen verbergen, sie gesondert und nach ihrer logischen Ordnung vorzuführen. Leibniz wurde nicht müde, dies zu verlangen. Die leeren und endlosen Streitigkeiten der Scholastiker kämen, wie er sagte, nicht daher, dass sie regelmässige Formen ihrer Schlüsse anwandten, die nur dazu beitragen könnten, dass man sich versteht und einig wird; sie entsprängen vielmehr daher, dass sie von schlecht bestimmten Principien und nur scheinbaren Definitionen ausgingen, welche man immer durch Distinktionen bedeutungslos machen konnte. Man muss scharf definieren, wiederholte er unablässig; auch muss man der Sucht nach »dem schönen Schein der Rede« zu entsagen lernen; ferner: »um einleuchtende Schlüsse zu bilden, muss man es verstehen, eine gewisse gleichmässige Form derselben festzuhalten (seine Schlüsse so anzuordnen, dass die Grundlagen und die Resultate derselben deutlich hervortreten); es wird dann weniger Schönrederei aber mehr Gewissheit erzielt werden.« So scheint auch die Zeit gekommen, um die Methoden in richtiger Weise anzuwenden und das Wesen derselben tiefer zu fassen.

Was die Methode der Philosophie insbesondere betrifft, so sind in den letzten Jahren die auf die sogenannte psychologische Methode gesetzten Hoffnungen immer mehr aufgegeben worden, und der Gedanke ist zur Geltung gekommen, dass der Geist von Natur aus sich selbst erkennt.

Im Jahre 1865 stellte die Akademie die Preisfrage: »Ueber die Bedeutung der Psychologie für die Philosophie.« Der Preis wurde zwischen Nourrisson und Maurial geteilt. Nach dem von A. Franck gegebenen Referat über die Konkurrenzarbeiten scheint der erstere sich nicht sehr von den bekannten Grundsätzen der schottischen und der eklektischen Schule entfernt zu haben; aber Maurial hat offenbar die unmittelbare Selbsterkenntnis des Geistes betont. Schon in einer früheren Schrift über »den Skepticismus Kant's« hatte er zu zeigen versucht, dass der Grundfehler des Verfassers der Kritik der reinen Vernunft darin bestände, dass er die Grundthatsache der unmittelbaren Wahrnehmung der Seele fast ganz auf Nichts zurückgeführt hätte; in seiner gekrönten Preisschrift geht er hauptsächlich darauf aus, die Erfahrung, welche die Seele von sich selbst hat, von der physikalischen Erfahrung zu unterscheiden, und darzuthun, dass dieselbe, statt auf blosse Erscheinungen beschränkt zu sein, sich auf das Wesen unserer Persönlichkeit oder der Seele erstreckt. A. Franck scheint übrigens die Gedanken Maurial's zu billigen; er selbst hatte schon in mehreren Artikeln des »Philosophischen Wörterbuches« ähnliche ausgesprochen.

Wir müssen hier noch eine bemerkenswerte Besprechung der »Gottesidee« von Caro durch Lachelier erwähnen, in welcher dieser junge Schriftsteller die Reflexion, »welche hinter der Reihe der inneren Erscheinungen die freie Thätigkeit des Geistes erkennt«, in Kürze aber mit deutlicher Hervorhebung ihres Unterschiedes von der Betrachtung der blossen Erscheinungen ohne Rücksicht auf ihre Ursachen dargestellt hat.


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