Wilhelm Raabe
Der Schüdderump
Wilhelm Raabe

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Auf den Höhenrauch fiel sogleich eine sehr nasse Witterung ein. Man hatte eine alte Bauernregel in dieser Beziehung, und unter andern Umständen würde der Ritter von Glaubigern jedenfalls seinen Theorien über den ungemütlichen Dampf mancherlei Zweckdienliches angefügt haben; allein weder er noch das Dorf Krodebeck hatten jetzt Zeit und Stimmung, sich um das Wetter zu kümmern. Mit Blitzesschnelle hatte sich natürlich das Gerücht von dem glorreichen Nahen des einst so verachteten Meister Dietrich verbreitet, und war die Verwirrung darob groß auf dem Lauenhofe, so war sie fast nicht geringer im Dorf. Die älteren Generationen, welche den Mann noch persönlich kannten, schüttelten die harten Köpfe, kraueten sich in den cheruskischen Haarwülsten, schnarrten, brummten, knurrten und meinten, das gehe freilich weit über alles hinaus, was der Mensch sonst wohl auf Erden erleben möge. Die jüngeren Geschlechter, welche den Meister nicht mehr von Person kannten, sperrten die Mäuler auf, vernahmen mit Staunen und Verwunderung die Erzählungen der weisen Alten, und da sie sich kaum einen klaren Begriff von »dem Österreich«, aus welchem der einstige Dorfgenosse vierspännig anfuhr, machen konnten, so hielten sich ihre Phantasien ganz naturgemäß mehr westwärts auf der bekanntern germanischen Flugbahn, und verschiedene dumpfe, undeutliche Auswanderungspläne nahmen rasch eine bestimmte klare Form an. Schon im nächsten Frühjahr verdankten die Vereinigten Staaten von Amerika dem »unverschämten und nichtswürdigen Glück« des klugen Meister Dietrich Häußler die Landung einiger gar nicht unbrauchbaren neuen Bürger, teilweise mit Familie.

Gleich einem Smyrnafahrer, auf welchem nicht ein Fläschchen, sondern ein ganzes Faß voll Rosenöl platzte, verbreitete der Meister Dietrich weither einen sehr süßen Wohlgeruch, wie auch sonst das Piratengesindel, welches das Fahrzeug bemannen mochte, beschaffen war. Und das Pastorenhaus roch die Süßigkeit von ferne wie das übrige Dorf, nur vielleicht mit noch feinerer Nase und richtigerem Verständnis, und es hatte sie, wie sich zeigen wird, weit früher als sonst jemand im Dorfe und auf dem Hofe gerochen. Die Kunde, wie sie von der Frau Jane Warwolf gebracht wurde, gelangte freilich am ersten Abend leider zu spät zu dem geistlichen Herd, als daß der Herr Pastor noch in derselben Nacht den pflichtmäßigen Besuch auf dem Lauenhofe hätte abstatten können; allein am folgenden Morgen, und zwar so früh als möglich, erschien und vernahm er mit großem Interesse alle näheren Umstände genauer. Nachdem er sehr höflich und zärtlich gegen Fräulein Antonie Häußler gewesen war, empfahl er sich würdig nachdenklich, das heißt, er wurde von seiner Gattin abgelöst und zu seinen sonstigen Pflichten heimgeschickt, während die ehrwürdige Frau nunmehr selber recht fest Posto faßte und allmählich allen melancholischen Bewohnern des Hofes den Wunsch nach einem Kaminbrande im Pfarrhaus innig ans Herz legte.

»Wir haben zuerst unsern Ohren nicht getraut und darauf jedenfalls eine ungemein unruhige Nacht gehabt, Fräulein Antonie«, sprach die Gute. »Ja, Fräulein Antonie, liebes Fräulein, der liebe Gott weiß die Seinen wohl zu finden und ihnen das Ihrige zur rechten Zeit zu geben. Wir haben uns herzlich über das große Glück, welches Ihnen zuteil werden soll, liebes Fräulein, gefreut. Bis zum grauen Morgen hat uns die Unruhe umhergetrieben, und mein Mann wachte mit einem recht argen Kopfweh auf, aber im Hause litt es ihn doch nicht; er mußte und mußte nach dem Lauenhof, um zu erfahren, ob das Ganze nicht auch auf einer Täuschung beruhe, und als er viel länger ausblieb, als er sollte, da litt es auch mich nicht länger daheim, und da bin ich nun, und da sitze ich nun und kann nur immer von neuem Glück wünschen, mein liebes, liebes Fräulein.«

»Aber sehen Sie sich doch nur um, meine verehrte Frau Pastorin: wir sind gar nicht so sehr glücklich!... durchaus nicht!« rief die Gnädige mit ziemlich saurem Gesicht.

»Und darauf wollte ich eben kommen, meine Liebe«, erwiderte die geistliche Dame. »Es freut mich, daß Sie selbst davon anfangen, Beste. Ach, Fräulein Tonie, Sie sind noch so jung und sollen erst nach und nach erfahren, was das Leben ist. Nicht wahr, Herr von Glaubigern und gnädiges Fräulein, wir Alten wissen und haben längst erfahren, wie es sich damit verhält und daß der Tropfen Wermut in jeden Freudenbecher fällt, wie mein Mann sagt. Wir haben auch in diesem besonderen Falle lange genug in Krodebeck gelebt, meine Besten, um zu wissen, woher hier der sehr, wirklich sehr bittere Tropfen –«

»Frau Pastorin, ich halte es für angemessener, wenn wir augenblicklich« – – hierüber schweigen! wollte der Chevalier sagen.

»Hierüber schweigen«, sagte die Frau Pastorin Buschmann, und der Herr Ritter gab mit einem tiefen Seufzer seinen Kampf auf.

»Jawohl, hierüber schweigen!« wiederholte die Seelenhirtin. »Ganz dasselbe sagte ich auch zu meinem Mann, und er gab mir vollständig recht. Er muß mir, beiläufig gesagt, sehr häufig recht geben. Freilich, liebe Tonie, wir haben recht viel in der vergangenen Nacht von dem Herrn Großvater gesprochen. Wir mußten es, Fräulein von Saint-Trouin! Es war unsere Pflicht, Frau von Lauen! Leider war es unsere Schuldigkeit, Herr von Glaubigern, denn wir sind zu alt in Krodebeck geworden. Der Herr Großvater gehört zu unseren Jugenderinnerungen, Tonie.«

»Man muß mit seinen Jugenderinnerungen abschließen können, meine Gute«, meinte Adelaide Klotilde Paula von Byzanz mit einem Gesicht, welches jeglichen byzantinischen Heiligenmaler in Verzückungen hingerafft haben würde.

»Und das haben wir unter Gebet und Tränen getan!« rief die Frau Pastorin Buschmann, welche unter dieser Erinnerung fast von neuem in Tränen und allgemeiner und ganz spezieller Menschenliebe unterging. »Wir haben vollkommen, vollständig und ganz und gar abgeschlossen – der Herr ist unser Zeuge! O ja, mein liebes Fräulein Häußler, wenn sich alles wirklich und wahrhaftig so verhält, wie Jane Warwolf behauptet, so soll es dem Herrn Großvater an einem offenen, freudigen, herzlichen Willkommen in Krodebeck und im Krodebecker Pfarrhause nicht mangeln. Sie sollten meinen Mann in dieser Hinsicht gehört haben, das Herz würde Ihnen aufgegangen sein; und wie mein Mann, so hat sich auch mein Sohn geäußert: wir werden es sämtlich für eine große Ehre ansehen, alte wohlmeinende, freundschaftliche Beziehungen in einfacher ländlicher Befangenheit erneuern zu dürfen, mein armes, sü–ßes Kind. Nicht wahr, ich darf hoffen, daß wir hierin alle einer Meinung sind?«

Mit glänzenden Augen blickte die Rednerin im Kreise umher, ohne innezuwerden, daß auch sie in einer Wüste predige. So trug sie denn ihr Jauchzen über den heimkehrenden Sünder zur großen Erleichterung des Lauenhofes wieder nach Haus, und die gnädige Frau sprach mit einem tiefen Atemzug:

»Gottlob, daß sie fort ist! Beinahe wäre ich ausfallend geworden.«

Fräulein Adelaide von Saint-Trouin aber meinte sehr fein:

»Meine Teure, gegen ein so gutes Gewissen richtet man kaum durch Impertinenz irgend etwas aus.«

Auf dem Wege nach Haus nahm die geistliche Hirtin noch einen anderen Korb mit. Sie lud die alte Jane Warwolf, die sonst durchaus nicht in der Gunst des Pfarrhauses stand, mit dringender Freundlichkeit ein, am Nachmittag eine Tasse Kaffee bei ihr zu trinken, und Jane lehnte die Einladung schnöde ab.

Das war ein trostloser Tag! Die Witterung wurde immer feuchter, die Wolken zogen immer niedriger und wurden immer grauer. Niemand fand irgendwo Ruhe, und selbst die Frau Adelheid wurde der Vorstellung, daß der letzte Erntewagen so glücklich noch ins trockene gebracht worden war, kaum froh. Der Chevalier wanderte ununterbrochen im Hause umher, er stieg die Treppen hinauf und kam im nächsten Augenblick wieder herunter; er sah aus allen Fenstern, öffnete alle Türen und blickte in Schränke und Schubladen, in welchen er nicht das mindeste zu suchen hatte und zu finden hoffen konnte. Er verbrauchte sehr viel Schnupftabak, und die Haute-Justicière folgte in allem seinem Exempel; wahrhaft ahnfrauenhaft, stumm und Arme und Busen voll eiserner Messer, stieg sie jedesmal, wenn er die Treppe hinaufstieg, eben dieselbe hinab und umgekehrt. Hennig vermied das Haus und die Gemeinschaft der Leute drin nach Tunlichkeit. Er trieb sich in den Ställen, Scheunen und auf dem Hofe umher, und die Leute draußen hatten alle Gründe, sich über seine üble Laune zu beklagen. Die gnädige Frau fand ihren besten Trost an ihrer Mamsell Molkemeyer, und Tonie – Fräulein Antonie Häußler hatte ihr Spinnrädchen hervorgeholt, saß in einem Winkel dahinter, bleich, müde, mit zuckenden Lippen, und der Faden brach ihr recht oft, und das surrende Rad brachte den Tumult in ihrer Seele nicht zur Ruhe. Wahrhaft lächerlich in ihrer Unruhe erschien aber unsere wackere Freundin Jane Warwolf. Sie, die überhaupt so selten an irgendeinem Orte Ruhe fand, wußte unter den bewandten Umständen gar nichts mit sich anzufangen und trieb sich umher wie ein herrenloser Hund – wir wissen leider keinen anständigern Vergleich. Daß sie mit den andern die Ankunft des Meister Dietrich in Krodebeck zu erwarten hatte, verstand sich von selber, »aber«, sagte sie später, »der Mensch kann mancherlei erleben, was er nicht zum zweiten Male erleben möchte, und sollte ich die Tage noch einmal durchmachen müssen, so könnte es der liebe Gott selbst einer Kreatur wie mir nicht verübeln, wenn sie mit einem Strick in den Wald ginge und nicht eher wieder zum Vorschein käme, als bis man sie gefunden hätte – brrr!«

So lief sie im Dorfe hin und wider, wurde hier angerufen und dort angerufen, saß auf der Bank und auf jener, lief ein Stück Weges auf jeder Landstraße und auf allen Feldwegen hinaus und kehrte grimmig um und kam regennaß zurück und betrug sich sehr unfreundlich in der Gesindestube des Lauenhofes – »und das war kein Wunder«, sprach sie ebenfalls später, »denn so viel Gift, als andere Leute in sich lassen können, ohne die Miene zu verziehen, kann ich auch in mir lassen, doch nicht mehr. Und ich sage Ihnen, Herr von Glaubigern, kein Engel im Himmel hat jemals mehr stille Wut in sich hineingeschluckt, als ich in den Tagen, und was herausmuß, das muß heraus, sonsten gäbe es gar keine Engel – Sie immer, mit Erlaubnis zu sagen, ausgenommen, Herr von Glaubigern.«

Es war ein trostloser Tag, und die Tage, welche ihm folgten, waren noch schlimmer; denn wenn es schon arg ist, auf etwas Gutes, Angenehmes und Erfreuliches warten zu müssen, so ist eine Geduldsprobe, wie sie jetzt die Bewohner des Lauenhofes zu bestehen hatten, kaum zu ertragen. Der einzige lichte Schein ging am zweiten Tage nach der Ankunft Janes auf dem Hofe von dem Pastorenfranz aus, der gleichfalls dort einen Besuch abstattete und sein möglichstes tat, die düstere Gesellschaft durch sonderbar unbefangene Liebenswürdigkeit zu erheitern. Er zeigte sich ungemein höflich gegen Tonie Häußler, und als sie unglücklicherweise ihr Taschentuch fallen ließ, sprang er mit einer Gelenkigkeit zu, welche selbst den Herren von Bock und von Kalb auf der Jagd nach dem klassischen Strumpfband der Prinzeß Amalie hätte beneidenswert erscheinen müssen. Er hätte etwas anderes verdient als die bloße Verwunderung der Anwesenden, und es war ihm unter solchen Umständen nicht zu verdenken, daß er die Gesellschaft wenigstens in noch größere Verwunderung versetzte, indem er zu ihrer Kenntnis brachte, er werde morgen eine kleine Vergnügungsreise in die Berge unternehmen.

Sie sahen ihn alle an, und mürrisch fragte Hennig:

»Bei diesem Wetter?«

»Ja, mein Junge! Das Wetter ist freilich nicht verlockend, allein vielleicht habe ich die letzte Zeit hindurch zu still über den törichten Büchern gesessen. Leider ist meine Körper- und Seelenstimmung noch schlechter als das Wetter, und meine Mutter hat sich schon längst über meine Nerven beklagt. Ich fühle es, die Berge werden mir guttun, und es wäre eine große Freundlichkeit, wenn du mich auf der Fahrt begleiten wolltest, Hennig.«

Der Ritter von Glaubigern räusperte sich sehr ausdrucksvoll, die übrigen schwiegen bis auf die Frau Adelheid, welche der Meinung sämtlicher Anwesenden in den einfachen Worten Ausdruck gab:

»Machen Sie sich nicht lächerlich, Franz.«

Daß der hoffnungsvolle Kandidat der Gottesgelehrtheit hierdurch ein wenig aus dem Konzept gebracht wurde, kann nicht geleugnet werden; aber er faßte sich schnell, redete noch einiges über das Wetter und seine Gesundheit und nahm sodann Abschied mit der Versicherung, daß ihn sein Reiseglück noch nie verlassen habe und daß auch diesmal die Sonne auf seinen Pfad herablächeln werde, sobald er Krodebeck im Rücken habe.

»Man schickt ihn dem – Mann entgegen!« flüsterte Adelaide dem Chevalier ins Ohr, als sich die Tür hinter dem jungen Leidenden geschlossen hatte. Der Chevalier sah auf die gnädige Frau, diese zuckte die Achseln und warf einen Seitenblick auf ihren Sohn, und dieser trommelte verdrossen an der Fensterscheibe und sprach:

»Da geht er hin mit seinem Regenschirm und Gummigaloschen! Weiß denn niemand, was der Bursche bei solchem Wetter im Harz zu suchen hat?«

Gehörten die Leute auf dem Lauenhofe nicht zu unseren allerbesten Freunden, wir könnten über alle lachen. Sie hätten es nun bald für eine Gnade genommen, wenn der Meister Häußler endlich angelangt wäre; aber der Meister Häußler kam fürs erste noch nicht. Das Wetter blieb feucht, die Tage wurden immer trostloser, und zu allem andern Elend hatte der geängstete und geärgerte Kreis auf dem Hofe jetzt auch noch in der Phantasie den Pastorenfranz auf seinen Pfaden zu verfolgen: Ist er wirklich gegangen, um ihn zu treffen? Wie wird er ihn treffen? Wo wird er ihn treffen? Hat er ihn in diesem Augenblick bereits getroffen? Und: was für einen Eindruck hat er auf den Buschmann gemacht?

Fast hätte die gnädige Frau einen Besuch im Pastorenhause abgestattet, und sie hätte in der Tat gar nicht übel daran getan, denn das Pastorenhaus wußte auch diesmal, d. h. unter der neuen Lage der Dinge, wirklich bald besser Bescheid als der Lauenhof und war ruhig.

Im Alexisbad hielt sich Herr Dietrich Häußler nicht mehr auf; aber in Wernigerode auf dem Marktplatz, dem alten, herrlichen Rathaus gegenüber, liegt der Gasthof zum Hirsch, und hier fand Franz Buschmann, ganz zufällig das Fremdenbuch durchblätternd, was er nicht suchte, nämlich ein ihm doch interessantes Autogramm:

»D. H. Edler von Haußenbleib, mit Bedienung.«

Am folgenden Tage schon langte im Krodebecker Pfarrhause ein Brief an, in welchem der gute Sohn den zärtlichen, besorgten Eltern einen kurzen Bericht von seiner Reise, seiner Gesundheit und einer höchst interessanten Bekanntschaft, welche er ganz zufällig gemacht hatte, gab; und umgehend schrieb der Herr Pastor an den guten Sohn im Hirsch zu Wernigerode zurück und freute sich sehr der Fügungen des Himmels und sah einen augenfälligen Fingerzeig Gottes da, wo andere Leute vielleicht etwas anderes gesehen haben würden.

Kein Diplomat hätte sich der Wendungen zu schämen brauchen, in welchen der geistliche Herr seinen Gefühlen in einer bestimmten Richtung Ausdruck gab und den augenblicklichen Stimmungen und Verhältnissen von Krodebeck Rechnung trug. Wer den Mann nur nach seinem all- und sonntäglichen Auftreten kannte, hätte gewiß nicht geahnt, wie zart und feinfühlig er unter Umständen sein konnte und in diesem Briefe war. Daß er am Schluß dieses Schreibens sich und sein Haus dem Edlen von Haußenbleib zur vollkommenen Verfügung stellte und ihn einlud, während seines voraussichtlichen Aufenthalts in Krodebeck sein Absteigequartier unter seinem bescheidenen Dache zu nehmen, war freilich für den überraschend, welcher den Mann und sein Haus nur aus dem Alltagsverkehr kannte.

Es erfolgte keine schriftliche Antwort auf diesen Brief; allein der liebe Franz hatte gefunden, daß das Wetter in den Bergen noch viel schlechter sei, als das Wetter vor den Bergen. Seine rheumatischen Beschwerden nahmen zu; er nahm Vernunft an, kehrte verdrießlich-ergeben das Gesicht wieder gen Norden und kehrte heim zum väterlichen Herde; der Edle von Haußenbleib ließ herzlichst grüßen und nahm mit aufrichtiger Dankbarkeit die wohlgemeinte, gütige Einladung freundlich an; jedoch auch er litt leider am Rheumatismus und hielt es für eine Pflicht sowohl gegen sich selber als gegen – seine Enkelin, seine Gesundheit nicht mutwillig zu vernachlässigen. Der Edle von Haußenbleib ließ sagen, er werde erscheinen, sobald das Wetter sich nur ein wenig aufgehellt habe, und sein sehnlichster Wunsch sei, daß dieses recht bald geschehen möge.

»Wir haben nunmehr unsere christliche Schuldigkeit getan und können jetzt das Weitere ohne Unruhe und Ungeduld erwarten«, sprach der Herr Pastor zu seiner Gattin; aber kummervoll müssen wir gestehen, daß wir nicht die christliche Geduld besaßen, um zu zählen, wie oft er von jetzt an nach dem Hahn auf seinem Kirchturm und nach dem Wetterglas sah und wie oft er melancholisch vor seine Haustür trat und die Hand prüfend in den Landregen hineinhielt.

Diesmal erfuhr der Lauenhof zuletzt das Gute, was der Herr Kandidat von seiner Fahrt heimgebracht hatte. Und er erfuhr es auf Umwegen, denn der Pastorenfranz, durch einen Schnupfen ins Zimmer gebannt, zeigte sich fürs erste nicht auf dem Hofe. An einem Sonnabend war der Kandidat heimgekehrt, und am folgenden Tage bereits hielt es der Herr Pastor für seine Pflicht, seine Gemeinde von einem erhöhten Standpunkte aus auf das bevorstehende Ereignis recht salbungsvoll vorzubereiten. Was er sagte und wie er es sagte, machte denn auch den gewünschten Eindruck: die Bauernschaft von Krodebeck lauschte mit aufgesperrtem Maul, Antonie Häußler war in Schrecken und Verwirrung einer Ohnmacht nahe, und die gnädige Frau war nahe daran, ihr Gesangbuch gegen die Kanzel zu schleudern und im Sturmschritt die Kirche zu verlassen. Daß sie sich bezwang, war eine Merkwürdigkeit, aber eine Merkwürdigkeit war's auch, daß die fromme Gemeinde nicht auf der Stelle aus der Kirche fortstürzte, um vor dem südlichen Ausgange des Dorfes eine Ehrenpforte für den heimkehrenden Helden, der merkwürdigerweise diesmal wirklich als ein Ritter heimkehrte, zu errichten. Besprochen wurde das Ding wirklich am Nachmittag im Kruge, und wer weiß, ob nicht die Tat dem Rate gefolgt wäre, wenn nicht die Frau Adelheid ihren Gefühlen bereits an der Kirchentür mit Nachdruck Luft gemacht hätte. Auch die Frage, was der andere Herr Ritter zu der Sache sagen werde, fiel ins Gewicht, und so begnügte sich das Dorf damit, gleichfalls nach den Regenwolken zu sehen und mit Spannung zu erwarten, daß der Himmel sich aufkläre.

Seien wir nun kurz. Der Edle Häußler von Haußenbleib ist endlich lang genug ausgeblieben; und wie es bei allen mit Sehnsucht oder Furcht erwarteten großen oder kleinen Dingen zu gehen pflegt, so war auf einmal das Ereignis in die Welt getreten, ohne daß die Welt dadurch über den Haufen geworfen worden wäre: der Edle Häußler von Haußenbleib war in Krodebeck eingetroffen. Am Mittwoch schon und wirklich bei recht heiterem Himmel war der große Mann angelangt und hatte sogar das Pfarrhaus durch seine Ankunft überrascht; denn ganz einfach, wie der Einfachste der Sterblichen, zu Fuß kam er an, wandelte langsam und behaglich an den Stockrosen und Stachelbeerbüschen des Pfarrgartens vorüber, schlug tändelnd im Vorbeischreiten mit dem eleganten Stöckchen einer frühen Dahlie den Kopf ab, besah das geistliche und gastliche Haus eine kurze Weile durch sein Augenglas und trat ein. Der geistliche Herr fuhr verstört und ein wenig blödsinnig stierend aus dem Nachmittagsschlummer empor, die Gattin endigte mit einem leisen Schrei einen heftigen und sehr lauten Streit mit der Magd des bescheidenen Daches, und nur Franz war imstande, sich rasch zu fassen und die notwendige gegenseitige Vorstellung zu besorgen. Im nächsten Augenblick zeigte es sich denn freilich, daß über einen reuig heimkehrenden Sünder mehr Freude ist als über neunundneunzig Gerechte. Der Edle von Haußenbleib konnte mit dem ersten Empfang in Krodebeck wohl zufrieden sein.

Er war nicht nur zufrieden, er war sogar gerührt, und sein Wagen, oder vielmehr der Wagen des Wirts zum Hirsch in Wernigerode, hielt vor dem Dorfkruge, wo der vornehme Wiener Bediente mit Herablassung das scheue Staunen hinnahm, welchem sich der Herr so bescheiden entzogen hatte. Es zeigte sich bald, daß der Edle durchaus nicht deshalb nach Krodebeck gekommen sei, um Aufsehen zu erregen, und daß die Familie Buschmann in mehrfacher Beziehung über den Mann, welchen sie so gastfreundlich unter ihr Dach einlud, sich getäuscht habe. Von einer schönen, milden und etwas wehmütigen Vertraulichkeit war gar nicht die Rede. Unbefangen genug trat der erfahrene, weltgewandte Mann auf; aber diese helle lächelnde Unbefangenheit blieb seltsamerweise gänzlich auf der Seite des Herrn von Haußenbleib, und bereits während der ersten gern und höflich angenommenen Erfrischung merkte der Herr Pastor mit wachsendem Unbehagen, daß nicht er, sondern ganz und gar der verehrte Gast die Sachlage beherrsche und die Verhältnisse von Krodebeck nach seinem Gefallen zurechtrücken werde.

Der Pastor Buschmann hatte sich den Meister Dietrich Häußler ganz anders vorgestellt, und selbst die Frau Pastorin fühlte zum erstenmal in ihrem Leben sich einer Macht gegenüber, die über ihre Krodebecker Erfahrungen weit herausging und gegen die sie keine Waffe besaß. Der behagliche Fremdling in dem eleganten grauen Herbstkostüm, welches aussah, als ob jedermann es tragen und wie ein Gentleman drin aussehen könne, lächelte sie aus allen ihren Verschanzungen. Es war rein unmöglich, mit diesem Mann von Dingen zu reden, welche er nicht hören wollte. Eine leichte Handbewegung genügte, um ganze Jahresreihen voll der interessantesten Data und Fakta abzutun und sie für immer aus dem Gespräch zu verbannen. Das war ein Mann, der jede Krodebecker Weltanschauung wie von einem hohen Berge übersah und der den Vorhang seiner Welt, der Welt, aus welcher er jetzt zum Besuch erschien, nur mit größtmöglichster Vorsicht lüften durfte, wenn das dreimal glühende Licht nicht seine volle blendende Wirkung auf diese einfachen Bewohner des nördlichen Abhanges des Harzgebirges ausüben sollte.

Nach eingenommener Erfrischung bat der große Zauberer den verschüchterten, schwindelnden Pfarrer um eine vertraulichere Unterhaltung und – führte ihn gemütlich die Treppe hinauf in das Studierstübchen desselben. Er führte den Pastor in das Studierstübchen und litt es als feiner Kavalier durchaus nicht, daß die Dame des Hauses sich jetzt noch länger durch ihn in ihren Haushaltsgeschäften stören ließ. Als nach einer halben Stunde peinlich prickelnder Aufregung die geistliche Hirtin es nicht länger aushielt und leise ebenfalls die Treppe hinaufging und die Hand auf den Türgriff legte, fand es sich, daß der Edle die Delikatesse fast etwas zu weit getrieben hatte: er hatte den Riegel vorgeschoben!

»Wir kommen sogleich, meine Liebe!« klang von drinnen die Stimme des Gatten, eigentümlich gehalten und gedrückt. Kopfschüttelnd stieg die geärgerte Frau wieder hinab und fand sich – dem überwältigenden Wiener Lakaien gegenüber, welcher eben das Gepäck vom Dorfkrug hatte herbeischaffen lassen und dessen großartiger Unterwürfigkeit gegenüber sie fast in Schwachheit, Angst und Ratlosigkeit verging.

Und die beiden Herren kamen noch lange nicht, und als sie endlich kamen, lächelte der Herr von Haußenbleib mehr denn je, und der Pfarrer sah sehr erschöpft aus, trocknete sich die Stirn mit dem Sacktuch und flüsterte, als er die Gelegenheit fand, einen kurzen Augenblick die Gattin allein beiseite zu nehmen:

»Er weiß nun alles, und ich weiß nichts, als daß er nicht seinen Aufenthalt in Krodebeck nehmen und nicht friedlich fürderhin unter uns wohnen wird; o mein Gott! O meine Gute, meine Be–ste!«

»Wer hat dir geraten, daß du dich in nichts mengen und mischen solltest?« fragte die Beste scharf, schneidend und kurz und hätte noch mehr gesagt, wenn der Gast nicht in diesem Augenblick wieder eingetreten wäre. Der Ritter von Haußenbleib hatte den imposanten Bedienten mit einer Karte nach dem Lauenhof geschickt und ließ anfragen, wann es den gnädigen Herrschaften gefällig und angenehm sein werde, den gnädigen Herrn zu empfangen. Der gute Franz hatte dem Menschen den Weg zu zeigen und tat's mit einem schrillen Gefühl des Unbehagens.

Es war jetzt gegen vier Uhr am Nachmittag. Der Pastorenfranz hatte dem Diener das Tor des Lauenhofes von ferne gezeigt und war wieder zurückgekehrt; der Diener trat ein in das Tor und traf zuerst auf die Frau Jane Warwolf, die nach ihrer Gewohnheit auf dem Prellsteine saß und jetzt aufsah und seufzte:

»Da ist der erste von der Bande! Glück auf, jetzt bricht das Unglück herein!«

Der Fremde, welcher natürlich die Meinung der Alten nicht verstand, grüßte höflich, schritt weiter dem alten Herrenhause zu und wurde mit seiner Botschaft von Hennig in Empfang genommen und zur Mutter weiterbefördert. Die Frau Adelheid nahm die Karte und die Bestellung hin, betrachtete den Boten aus einer besseren Welt geraume Zeit mit großer Aufmerksamkeit und ließ zurücksagen:

»Der Herr – Edle – von Haußenbleib – mag kommen, wann er will. Sagen Sie ihm das, mein lieber Mann, und sagen Sie ihm zugleich, es habe der Umstände gar nicht bedurft, denn der Herr Häußler werde sich noch erinnern, daß er ein ganz guter alter Bekannter von mir sei und daß ich mich weder vor ihm noch sonst jemand in meinem Leben im geringsten geniert habe.«

Auch diese Rede verstand der Bote nur zur Hälfte, aber er verstand doch genug davon, um mit einer tiefen Verbeugung seinen Rücktritt nehmen zu können. Er schritt wieder fort, wie es schien gar nicht erbaut von dem Ton, welcher auf diesem nordischen Bauernhofe herrschte, und gegen fünf Uhr kam an seiner Stelle der Edle Häußler von Haußenbleib in Begleitung, wenn auch nicht des Genius loci, so doch des Pastor loci. Und wenn die Frau Adelheid von Lauen sich, ihrem Wort zufolge, vor keinem Menschen in der Welt genierte, so hatte sie sich doch auf den Besuch keines Menschen innerlich und äußerlich so sehr vorbereitet wie auf den dieses Mannes.

Den anderen schwamm, sang und klang es vor Auge und Ohr in einer Weise, die sie fürs erste vollständig unfähig machte, die nötige Klarheit der bedenklichen Stunde gegenüber festzuhalten.


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