Wilhelm Raabe
Der Schüdderump
Wilhelm Raabe

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Neuntes Kapitel

Mutter und Kind schliefen noch immer. Sie hatten nichts von der oft ziemlich lauten Verhandlung der beiden Alten vor dem Fenster und der Tür vernommen. Hanne ging noch immer auf den Strümpfen, aber Jane Warwolf trat fest auf; das lachende lustige Gesicht war zu einem fast bösen und zornigen geworden, und sie murmelte mehr als ein Wort, welches die schöne Marie Häußler besser nicht vernahm. Das alles hatte wohl seinen Grund; denn Jane Warwolf hatte nicht zum erstenmal für die Freundin eintreten und das Gebiß zeigen müssen. Sie hatte die arme Hanne vor Schulz, Schulmeister und Pastor, vor den Bauern, ihren Weibern und Kindern unter ihre Flügel genommen und sie mit großem Gegacker verteidigt: sie versah sich natürlich von der schönen Marie nichts Gutes und hatte sich schnell vorgenommen, sich von Anfang an auf den richtigen Standpunkt ihr gegenüber zu stellen. Auf dem kurzen Wege von der Tür bis zum Bette der Schlafenden spiegelte ihr die Phantasie einen ganzen Reigen von zukünftigen Katzbalgereien der muntersten und hitzigsten Art vor, und so faßte sie ihren Stab fester und handgerechter und schnitt ein Gesicht, scheußlicher als das, welches den Knopf dieses braven Stabes bildete. Am liebsten würde sie die schöne Marie durch eine tüchtige Tracht Prügel erweckt haben, und vor nicht sehr langer Zeit wäre dieses sicherlich auch die zweckmäßigste und wohltätigste Art des Morgengrußes gewesen. Die schöne Marie verdiente leider recht häufig als erste Begrüßung noch etwas viel Eindringlicheres, wenn sich solches hätte ausfindig machen lassen.

Doch die Sonne war nun auch schon wieder höher gestiegen, und herrlich war der Morgen. Freudig schimmerte das Gebirge in der Ferne, und freudig glänzten die nahen grünen Hügel und Wälder von Krodebeck. Daß die Vögel in den Bäumen und den Lüften diese gute Gabe eines neuen, anscheinend regelrechten Sommertages besser würdigten und jedenfalls dankbarer empfingen als die Menschen, konnte keinem Zweifel unterliegen, und daß es kaum noch nützt und ergötzt, sich eines weitern darüber zu verbreiten, unterliegt noch weniger einem Zweifel.

Aber die Sonne kam in demselben Augenblick durch die niedern Fenster in dem Siechenhause zu Krodebeck an, in welchem die zwei alten Weiber über die Stubenschwelle traten, und das war nicht ohne Einfluß auf den Verlauf unserer Geschichte. Es ist immer ergötzlich und nützlich, es ist immer schön, wenn das Licht, wenn die Sonne sich irgendwo einmischt, und sie weiß das auch und tritt jedesmal lachend im richtigen Moment hervor bei Krönungszügen, Denkmalsenthüllungen, Paraden und so weiter. Da verkriechen sich die Regenschirme, die Begeisterung der Menge steigt, die hohen und allerhöchsten Herrschaften lächeln, und die Sonne lacht sowohl über die hohen und allerhöchsten Herrschaften wie über den Pöbel und die Berichterstatter.

Die Sonne traf das Haupt der höchsten Herrschaft, welche in dieser Geschichte erscheint, das Haupt Antonie Häußlers; und das Kind lächelte ebenfalls, als Jane Warwolf sich nunmehr über es beugte und es aufmerksam betrachtete.

»Hm! Hm!« machte Jane und warf einen erstaunten Seitenblick auf Hanne Allmann.

»Ich hab es auch gesehen,« flüsterte Hanne. »Man findet es nicht zum zweitenmal in Krodebeck. Ich habe es vorhin eine Stunde angesehen und doch nicht genug gehabt, und – die Sonne allein ist nicht schuld daran.«

Jane richtete sich wieder empor und zog die weißen Augenbrauen von neuem zusammen:

»Ihre Mutter war auch hübsch genug in der Wiege! Jetzt laß mich die sehen!«

Sie trat an das Bett der schönen Marie und blickte finster auf sie nieder. Nach einigen Augenblicken forschender Prüfung schob sie einige Haarflechten, welche der Kranken über die Stirn gefallen waren, von ihr zurück. Dann lehnte sie leise ihren Stock an den Bettpfosten, dann zog sie die Arme und Schultern aus den Tragriemen ihrer Last und setzte dieselbe mit Hülfe Hannes ab; dann setzte sie sich selber auf den Schemel neben dem Bette, stützte den Ellenbogen auf das Knie und das Kinn in die Hand; endlich sagte sie:

»Hanne Allmann, ich habe mir die Sache deinetwegen schlimmer vorgestellt, als sie sich jetzo ausweist; wir wollen deshalb nicht weiter gehen, als recht ist und wie wir vor Gott verantworten können. Nämlich so meine ich: wir haben schon manchen und manche mit solchem Gesichte, wie diese hier, gesehen, und wie mir deucht, kam jedesmal alles auf dasselbe Ende hinaus, nämlich zur Tür hinaus, die Füße voran. Also, Hanne, habe Geduld; einen weichen Sitz im Himmel hast du dir bereits erworben, nun kannst du dir ein Fußkissen zu noch größerer Bequemlichkeit dazuverdienen. Ich hatte mir viel vorgenommen mit ihr und hätte ihr meine Meinung deutlich genug machen wollen; aber nun fehlt mir doch das Herz, zumal da es doch nichts hilft als zu einem Zank am Sterbebett und – das fehlte mir gerade noch. Jaja, Hanne Allmann, heute rot, morgen tot – Schönheit vergeht, Tugend besteht – und wie die Narreteien sonst alle heißen bei ähnlichen Gelegenheiten. Ich wollte dir mit Vergnügen eine von meinen gesunden Flaschen für sie zurücklassen; doch das ist nur etwas für die Gesunden. Hätten wir die Lisabeth aus Elend hier, so möchte die vielleicht genauer sagen können, wie lange die arme Kreatur es noch machen wird; daß dahingegen der lahme Bock von Hüttenrode gestern nachmittag mit seiner Weisheit und seinem Schubkarren voll Apothekenkräuter seitwärts abschob, ist durchaus kein Schaden. Also, sage ich, halt sie nicht zu warm und gib ihr klares Wasser zu trinken, so viel sie begehrt. Hm, Wasser und Erde, daraus entstehen alle Dinge und alle Dinge haben darin ihr Ende, weshalben es auch kein Fieber gibt, welches sich nicht mit Wasser oder aber mit dem Grabscheit verheilen läßt. Das wäre denn genug gesagt über die schöne Marie; was jedoch die hübsche Krabbe da anbetrifft, so hat die freilich und wahrscheinlich einen längern Weg vor sich als die Mutter; aber was das beste für sie wäre, wer mag das sagen?!«

»Still!« flüsterte Hanne Allmann. »Sie erwacht! Jetzt sei still und sei gut; – die Marie Häußler wacht!«

Die Warwölfin nickte, und die schöne Marie richtete sich in der Tat auf und warf verstörte, verwirrte Blicke umher. Erst suchte sie angstvoll ihr Kind mit den Augen, und dann sah sie schier noch angstvoller in die beiden Altenweibergesichter.

»'s ist die Jane aus Hüttenrode, die Jane Warwolf, erschrick nur nicht!« sagte Hanne. »Guten Morgen, Marie, das Kind schläft wie ein Engel, und auch du hast noch einen guten Schlaf gehabt.«

»Glück auf, Mariechen!« rief Jane. »Da sind wir richtig wieder einmal und empfehlen uns höflichst. Gib mir die Hand, ich beiße nicht. Halt den Kopf in die Höhe, Mädchen; wer in der Welt leben will, muß was ausstehen können.«

»War das ein Schlaf und Traum, oder ist mir das wieder passiert, was ich eben erlebte? Ja richtig, ich habe wirklich geschlafen; ach, Gott behüte euch alle vor solchem Schlafen!«

»Sieh, Mariechen, da liegt deine Puppe. Die gefällt mir recht, und du kannst wohl stolz auf sie sein. Kennst du mich nicht? Ich bin wirklich die Warwölfin aus Hüttenrode und hatte mir vorgenommen zu beißen, habe mich jedoch anders besonnen; also gib mir die Hand und kümmere dich nicht um die vergangenen Zeiten.«

»Ja, Marie, tu es!« sagte auch Hanne Allmann. »Jetzt koch ich uns einen Kaffee, und die Jane setzt sich derweilen zu dir und unterhält dich als ein Frauenzimmer, das auch in der Welt herumgekommen ist und Bescheid weiß in vielen Dingen, die unsereinem zu hoch im Siechenhause zu Krodebeck sind.«

»Hussa, sie traktiert!« rief Jane Warwolf. »Juchhe, jetzt wird's schön in der Welt! Sie traktiert wirklich und wahrhaftig; nimm meine dumme Kompanie an, Mariechen, wir wollen ihr um eine Million nicht in den Weg laufen bei so lieblichen und schenerösen Absichten.«

»Wecke mir nur das Kind nicht«, sagte die alte Hanne und ging zu ihrem Herd, um das Frühstück, so gut es sich tun lassen wollte, zuzubereiten. Mit Hülfe derer von Lauen aber ließ es sich ziemlich gut tun.

Die Jane aus Hüttenrode blieb neben dem Lager der schönen Marie sitzen und unterhielt sie in der Tat als eine weltgewandte, weitgewanderte, welterfahrene Frau auf das angemessenste und anmutigste.

»Das hätte ich freilich nicht gedacht, dich hier zu finden, mein Mädchen, als ich vorhin in das Fenster guckte. Ehrlich gestanden, die Überraschung war anfangs größer als die Freude; doch – ärgere dich nur nicht, bei besserer Besinnung findet man wohl das richtige Maß und legt nicht alles und jedes übers Knie wie einen unnützen Buben, zumal wenn man weiß, daß es doch zu nichts hilft.«

»Nein, es nützt zu nichts!« sagte die schöne Marie in einer Weise, welche eine Pause in der Unterhaltung unbedingt nötig machte.

Erst nach einem minutenlangen Stillschweigen fing die Warwölfin ganz verschüchtert und mit viel gedämpfterer Stimme von neuem an:

»Ich hab einen Bruder gehabt, der kam auch so ähnlich aus der Welt heim, und ich bin zuletzt doch ganz gut mit ihm fertig geworden. Aber der hatte zu Wolfenbüttel im Zuchthause gesessen – fünfzehn Jahre hatte er da gesessen. Und fünf Jahre haben sie ihm geschenkt wegen mildernder Umstände oder weil sie dachten, daß sie ihn doch wohl lange genug festgehalten hatten; aber das nützte ihm nicht viel mehr; denn nachher saß er nur noch eine kurze Zeit im Winkel, sah niemanden an, brummte in den Bart und starb. Die Zuchthausjacke war ihm auf dem Leibe fest gewachsen, und als man sie ihm auszog, ging die Haut mit, ihn fror gottsjämmerlich, und so starb er.«

»Was hatte er getan?« fragte Marie Häußler.

»Nun, es war solch eine Busch- und Berghistorie drüben im Okertal an den Arendsberger Klippen. Du kennst uns ja, Kind! Frischauf zum fröhlichen Jagen! weißt du. Einer der Jägerburschen vom Arendsberg holte sich dabei die Brust und Lungen voll groben Schrotes und verblutete sich in den Tannen. Nachher ging denn die Jagd erst recht an, und meinen Bruder fingen sie unter der Harzburg, als er zur Eisenbahn herunterkletterte. Es waren noch andere dabeigewesen; allein die hatten mehr Glück, und das ist die Moral von der Geschichte: aufs Glück kommt's an in allen Dingen, Marie Häußler, und du hast auch wenig davon gehabt, also laß dir keine grauen Haare um das wachsen, was hinter dir liegt.«

»Ich lasse mir keine grauen Haare wachsen, Warwolfsche!« rief die schöne Marie, eine ihrer braunen Haarflechten von dem Kissen aufhebend und sie durch die Finger ziehend. »Das ist echte Farbe, dem Spuk darunter zum Trotz. Zum Verbleichen wird jetzt die Zeit nicht mehr langen, und darum gräm ich mich nicht, Jane Warwolf. Ich habe auch noch keinen gefunden, der mich auf einen andern Weg gewiesen hätte, und so bin ich denn aus eigenem Geschmack auf diesem hier angekommen – aber dein Bruder hat's gut gehabt, Jane.«

Die wandernde Frau schnob sich und schüttelte den Kopf und räusperte sich und sah nach der Tür, als ob sie nicht begreifen könne, wo die Hanne so lange bleibe, und als ob ihr die schleunige Rückkehr derselben sehr erwünscht sei.

»Ich weiß, was du denkst, Jane!« rief Marie. »Du hattest dir vorgenommen, ganz anders mit mir zu sprechen. Mit den Fingernägeln wolltest du mir zu Leibe gehen, den Stock da wolltest du mir auf dem Rücken zerschlagen, und nun findest du mich zu elend und jammervoll dazu, und mein hübsches Kind in seinem Schlaf hat dir auch gefallen, und nun bist du wie einer, der sich nach einem Brett umsieht, um es über den schmutzigen Bach zu schieben, daß er drüber weg kann. Lüge nicht – es ist so!«

»Ich lüge nicht; du hast recht, Marie Häußler, und ich meine, ich hätte auch mein Recht dazu gehabt, und der Hanne Allmann wegen ein dreidoppeltes.«

»Ich lüge auch nicht«, schluchzte die schöne Marie; »denn das ist nur vor Gericht meine Art gewesen, wenn sie alle zusammen auf mich eingeschrieen haben und ich allein gegen so viele stand. Wenn ich Reue hätte, so würde ich es sagen und dein Mitleid annehmen; es ist aber keine Reue in mir, und so kann ich auch dein Mitleid nicht gebrauchen. Wer weiß, was ich dir täte, Jane Warwolf, wenn ich nicht so schwach wäre? Ich habe auch kein Mitleid mit der Welt, ich schäme mich nur, und darüber bin ich wieder so zornig wie ein gehetzter Hirsch, der sich gegen die erbärmlichen Hunde stellt. Das sage mir, du Alte: wozu schämt sich der Mensch, wenn in der ganzen weiten Welt niemand ist, der's verlangt und einem darum näher rückt?«

»Sieh, sieh! Da hast du dein Kind zur rechten Zeit aufgeweckt, Marie Häußler! Was fragst du mich? Da, das dort frage – das weiß dir vielleicht eine Antwort zu geben. Glück auf, klein Mädchen! Guck, wie das mit den Augen den Mund aufsperrt! Lustig, du Kobold, der Kaffee kommt gleich, und die Sonne scheint auf das Dach des Siechenhauses zu Krodebeck.«

Das Kind streckte die Hände nach der Mutter aus und lachte hell und freundlich, aber die Mutter fuhr zusammen über den lustigen Ruf. Zugleich verkniff sie die Lippen in einer Weise, die jeden tüchtigen Kriminalrichter nachdenklich gestimmt haben würde und der alten Jane Warwolf, welche gleichfalls ein Stück von einem Kriminalrichter in sich hatte, keineswegs entging. Der eine hätte den Zug wahrscheinlich ins Debet geschrieben, die andere trug ihn unbedenklich im Kredit ein: wir, die wir hier bloß nüchtern niederschreiben, was geschah und was gesagt wurde, wir melden einfach, in welcher Weise die schöne Marie nach dieser Unterbrechung durch das Erwachen der kleinen Antonie fortfuhr, und überlassen jedem Leser seine eigene, wohlerwogene Entscheidung.

»Du Feind«, schrie die schöne Marie die Alte an, »siehst du, daß du mich doch schlagen und mit den Zähnen fassen mußtest! Ich habe es wohl gewußt, du Teufelin, daß du nur deshalb herzugeschlichen bist! Lache ihr nicht zu, Tonie, sie wird dir zunicken, um deine Mutter zu schlagen. Sieh weg, sieh weg, Tonie, sie will deine hellen Augen gegen deine Mutter ins Gericht führen. Sieh den bösen Feind nicht an, Kind, er wird auch dich beißen, wenn er deine Mutter totgebissen hat.«

Erschreckt fing die Kleine an, laut zu weinen.

»Ach, Marie Häußler, was alles mußt du erlebt haben!« rief traurig Jane Warwolf.

»Genug, um Bescheid zu wissen, daß niemand das Recht hat, das Kind gegen seine Mutter zum Gericht aufzurufen!«

»Du hast gefragt, und ich habe geantwortet.«

Nun fing die schöne Marie an, bitterlich zu weinen, und das war gut; denn es zeugte für die Richtigkeit der Auffassung dieses vorliegenden Falles durch die Warwolfsche.

Diese meinte nun:

»Jetzt will ich dir etwas sagen, Marie. Ich bin ein altes Weib und habe mancherlei durchgemacht, sowohl in den Bergen wie im platten Lande. Ich habe Verkehr mit vielen Leuten gehalten, guten und schlechten, dummen und klugen, und ich weiß, was der Mensch ist. Der Mensch ist ein armselig Geschöpf, und je weniger man von seinen Meriten spricht, desto besser ist's. Dahingegen nützt es aber auch im andern Falle gar nichts, wenn man ihm seine Nichtsnutzigkeiten und Dummheiten zu oft und zu grob vorrückt. Du schämst dich nicht, Mariechen? Ich will dir sagen, wie es ist, Mariechen! Du bildest dir ein, die ganze Welt stehe schon tausend Jahre auf den Zehen, um dich am Schandpfahl stehen oder unter diesem elenden Dache liegen zu sehen. Bilde dir nichts ein, Schatz, taxiere die Bauern von Krodebeck nach ihrem Werte, ziehe sie ab von der Welt, und dann rechne nach, wer sich um deinen Hochmut schiert.«

»Mein Kind! Mein Kind! Ich gehe fort und kümmere mich um nichts; aber sie lassen mein Kind zahlen, was ich verzehrt habe!« wimmerte Marie Häußler, und mit einem schweren, schweren Seufzer sagte Jane Warwolf:

»Ja, so hat man es freilich seit mehr als tausend Jahren gehalten!«

Der Faden der Unterhaltung war damit abermals abgerissen, und es wurde immer schwieriger, ihn wieder anzuknüpfen; aber jetzt ging der Alten eine neue Frage wie ein Licht auf.

»Du hast schon den Ritter gesehen und gesprochen, Marie?«

»Wen?«

»Den Herrn von Glaubigern! Den Ritter, den Ritter!«

»Ja. Er kam und reichte mir die Hand in den Schinderkarren und ging nebenher, als man uns hierher schob, und er hielt das Volk, als man uns ablud, daß sie uns nicht hier hineinwarfen, mit gebundenen Füßen, wie zwei Kälber in den Metzgerschuppen.«

Jane Warwolf strich langsam mit der Hand über das Gesicht, und die alte, sozusagen geniale, weltverachtende Behaglichkeit war im vollen Glanze wieder vorhanden.

»Nanu, du Narr, weshalb sagst du denn das nicht gleich? Na, da wollen wir denn wenigstens von jetzt an mit mehr Seelenruhe das Frühstück und Ihro Hoheit die Frau Erbprinzessin dieses glorwürdigen Siechen- und Armenhauses zu Krodebeck erwarten. Es ist die allerhöchste Zeit mit dem Frühstück, dein Bergkobold dort, Mariechen, sprengt uns sonst noch die vier Wände voneinander.«

Das Kind hatte sich in der Tat längst in so ungebärdiger Weise in das Gespräch gemischt, daß Jane Warwolf auch in Rücksicht auf dieses der Hanne ganz wohlgefällig und billigend zunickte, als diese nun endlich wieder eintrat, und zwar mit zwei dampfenden Töpfen in den Händen und einem Brotlaib unter dem Arme.

»O du meine Güte, welch ein Aufwand!« rief Jane. »Aber für uns ist nichts zu gut, nicht wahr, Tonie? Jetzt sperre den Schnabel nur auf; richtig, das kannst du gradso gut wie der König von Preußen, der Kaiser von Rußland und der Vorsteher Klodenberg. Aber halt, meine Damen, eine offene Hand hat der Herr lieb, und lumpen läßt die Warwölfin sich auch nicht. Da, klein Mädchen, da hast du einen Löffel in die Aussteuer; bleib brav und halte ihn in Ehren, wenn er auch nicht von Gold oder Silber ist. Da hast du auch einen, Marie; und hier habt ihr zwei Schüsseln, alles aufs feinste geschnitzt und gedreht; weine nicht, Marie, wann der Herr von Glaubigern jetzt anklopfte, sollt's mir auch für ihn nicht auf einen Löffel ankommen, und wann er Hunger hätte, würde er mit Dank bei uns niedersitzen und mithalten, ohne sich zu schämen.«

»Von dem sprecht ihr?« rief Hanne Allmann, den wackligen Tisch gegen das Bett heranschiebend und die schwarzen wackelnden Schemel dazu. »Von dem könnt ihr nie genug und nicht leise genug sprechen. Ich denke immer, der hat sich aus einer andern Welt in diesejenige verirrt und kann den Weg nicht wieder zurückfinden und geht suchend umher und fragt sich weiter von arm zu reich, von Tier zu Mensch, durch Sturmwetter und Sonnenschein, und will nichts als diesen Weg und gar nichts von dem, was an diesem Wege zu finden ist und um was sich alles andere zankt und zerrt und mit Hinterlist wegschiebt und stößt und schimpft und das Herz zerbricht! Da ist die gnädige Frau, die ist schon ganz anders, und das gnädige Frölen –.«

Die schöne Marie lachte hell und böse auf, und Jane Warwolf schielte böse seitwärts auf die alte Freundschaft und murrte:

»Von dem sei still, Hanne, denn niemand hat dich danach gefragt. Von dem einen kann man nicht zuviel und von der anderen nicht zuwenig reden. Du faß den Ritter ins Gemüte, Marie Häußler, und du, Hanne, schneid Brot und schneide dich nicht an Sachen, die dich augenblicklich nichts zu kümmern brauchen.«

»O herrje!« seufzte Hanne Allmann und tat mit Eifer, was ihr geheißen wurde, und alle frühstückten jetzt im Siechenhause zu Krodebeck; die schöne Marie allein konnte wenig genießen.

Lächelnd sah die schöne, große Weltensonne ihnen zu, wie sie auch mit auffälligem Wohlwollen und Behagen auf den Chevalier und Kürassierleutnant a. D. Karl Eustachius von Glaubigern sah, welcher jetzo im Garten des Lauenhofes mit der geöffneten silbernen Dose in der linken und einer Prise zierlich zwischen dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand vor seinen Lieblingsblumenbeeten stand, dazwischen auch wohl an das Siechenhaus und die schöne Marie darin dachte und dann jedesmal die Augenbrauen beträchtlich höher zog und hob.

Sie sprachen während des Essens und Trinkens nichts weiter, denn das, nämlich die Ernährung, ist für armes Volk eine zu ernste Sache und muß mit der gehörigen Bedachtsamkeit und Zusammenfassung aller Leibes- und Geisteskräfte betrieben werden. Auch nach dem Frühstück hatte die wandernde Frau wenig mehr zu Marie Häußler zu sagen. Aber sie nahm ganz zärtlich Abschied von dem Kinde und ganz wohlwollend von der Mutter, und man fand später am Tage ein Zehngroschenstück unter ihrer Tasse. Mit der alten Hanne Allmann hatte die Jane Warwölfin natürlich noch ein Gespräch unter der Tür.

»Es wird ein heißer Tag, und ich sollte schon längst auf dem Wege sein, doch der Mensch weiß nie, was ihn am Rock zurückehält«, sagte sie. »Das hätt ich mir heut nacht auf meinem Strohbund nicht träumen lassen, wen ich heute morgen bei dir wiederfinden sollt. Ach, Hanne, ein Jammer ist es doch, und mit leichterem Herzen ziehe ich nicht ab. Zwar deine Ruh und Behaglichkeit macht mir weniger Sorge; allein eine elende Welt ist's, und die Marie tut mir leid!«

»Und um das Kind möcht man gerad herausheulen!« sagte Hanne Allmann.

»Ja, Madamchen, wenn das was nützte, so wollte ich gern mithelfen, wie sehr's auch meiner Natur zuwider ist; aber ich hab noch nie gefunden, daß es anders wirkt als auf den Magen und die Verdauung, und wenn du das bei solchen Hungerleidern als wir eine Verbesserung nennen willst, so tu's auf deine eigene Gefahr. Also gehe ich denn, und zwar auf den Jahrmarkt, auf die Braunschweiger Messe mit Juden und Orgeln, mit Geigen und Meerkatzen, mit Pfeifen und Trompeten, und die schöne Marie laß ich dir zum Sterben zurück, denn ich kann's nicht hindern. Gib ihr klar kalt Wasser zu trinken, und das Kind – das Kind halt reinlich und frag den Herrn von Glaubigern um das Kind. Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, wollt ich dir's abnehmen und es auf meine Kiepe setzen und ihm der Welt Wunder auf meine Art zeigen. Das ist nun nichts, also geh den Ritter um sein freundliches Herz an; wann ich wiederkomme, wollen wir einen neuen Kriegsrat halten; wer weiß, ob ich nicht von der Messe einen guten Rat darzu mitbringe?! Es wird ein heißer Tag. – Glück auf, Hanne Allmann!«

»Glück auf, Jane Warwolf!« sagte beklemmt die Frau vom Siechenhause und hielt die Hand über die Augen, denn die Sonne blendete, und sah der Freundschaft nach, wie sie auf der gelben Straße dem Walde zuschritt. In der Hütte weinte das Kind der schönen Marie; Hanne Allmann hatte keine Zeit, in diese wunderliche, geheimnisvolle, weite Welt, in welche alle diese Leute hineingingen und aus der sie zurückkamen, der alten, guten Kameradin nachzudenken.


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