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Das sechsundfünfzigste Kapitel

Schickt den frommen Waldbruder in den Himmel und macht sich über seine Verlassenschaft her

 

Für den armen Bruder Deogratias war trotzdem der Regensburger Gerichtstag das traurigste und unseligste Erlebnis seiner heiligen Klausnerzeit. Aber der Himmel wollte, daß sich dieses Geschick in Ehren und Glorie umwandle. Als die Leute von dem Einschreiten des Konsistoriums hörten, gewannen sie erst das richtige Zutrauen zu dem Eremiten und der Zustrom wurde immer größer, wie auch seine Wunder und Großtaten sich mit jedem Tag vermehrten.

Er vertrieb nun nicht nur die Krankheiten von Menschen und Vieh, er jagte nicht nur Millionen Teufel aus den Körpern der Besessenen, er vermehrte sein himmlisches Wissen auch um die Gabe der Weissagung; und alle Dinge, die er voraussagte, trafen in der Folge pünktlich ein.

Und so war es nicht mehr das Bauernvolk allein, das zu ihm wallfahrtete. Es kamen vornehme und große Herren geistlichen und weltlichen Standes und zogen ihn in ihren geheimsten Anliegen zu Rate. Über politische und geistliche Gegenstände, über Krieg und Frieden, über Heiraten, Erbschaften, Ahnungen, Traumgesichte und Erscheinungen befragte man ihn und alles war hocherstaunt über die Antworten des frommen Klausners.

Aber die prophetische Gabe war zugleich ein erhöhter Zustand seiner Verklärung und sein Geist wuchs sichtlich über den Körper hinweg, der nur mehr wie eine pludrige Haut über einem gewaltigen Innern hing. Der Frater Deogratias vergaß ganz darauf, diesen ausgemergelten Körper zu pflegen und rückte seinem Ende sichtbar näher.

Das Bauernvolk schüttelte oft die Köpfe über ihn in dieser Zeit. Es kam vor, daß er beim Milchbluten der Kühe den Erdbebensegen sprach und blähsüchtige Ochsen auf Feuersbrünste taxierte. Auch gab er krummlaufenden Pferden gern etwas gegen das Kindbettfieber ein und versuchte einen versunkenen Schatz mit Heublumentee zu heben.

Nur seine große Beliebtheit aus früheren Tagen rettete ihn vor Überraschungen.

Und außerdem der Tod, von dem man heute noch nicht weiß, wann und welcherweis er den frommen Waldbruder erlöste.

*

Unser Pankraz ist tot.

Seine Hinterlassenschaft ist in alle Winkel zerstreut und wir selbst haben nichts von ihm außer zwei Briefen. Auch sie sind eigentlich nicht der Erwähnung wert, weil sie nicht direkt als Autogramme angesprochen werden können. Der eine ist von seinem Eßlöffel und der andere überhaupt nur von seinen Socken verfaßt.

Seltsam!

Aber in diesem Menschenleben haben die Seltsamkeiten eine so wichtige Rolle gespielt, daß es uns nicht verwundern kann, wenn auch die Papiere in seiner Truhe aus der Art gefallen sind. Und vielleicht stammen sie auch aus seiner allerletzten Zeit, in der er dem braven Bauernvolk aufgefallen war.

Sollen wir sie wirklich abdrucken?

Es genügt wohl, wenn wir dem hochgünstigen Leser mitteilen, daß die Socken des frommen Fraters Deogratias einen rührenden Brief an alle Patres und Fratres der heiligen Barfüßerorden geschrieben haben und ihren offenen Füßen, ihren Hühneraugen, ihren Frostbeulen und ihren Laufschwielen Trost zusprechen.

Man glaubt nicht, daß ein paar alte Socken so wunderschön schreiben können.

Sie behaupten, daß jeder Collektor ganz bestimmt seinen Kopf schonen könne und mit einer und derselben Predigt in hundert Dörfern glänzende Geschäfte machen könne.

Aber das eine, einzige paar nackter Füße und der Weg nach diesen hundert Dörfern!

Und darum seien bei den Kapuzinern die offenen Füße etwas Selbstverständliches.

Und die offenen Köpfe aber seien rar.

So der Brief der heiligen Socken.

Und auch der Löffel des frommen Fraters Deogratias hat also einen Brief an die Herren Patres geschrieben.

– – »Ich bin ein Mauldiener,« kritzelte der wunderbare Löffel, »und da Sie samt und sonders, wie Sie beisammen zu sitzen die Freude haben, die Mauldiener immer mehr lieben als die Brummer, so sollen Sie ihre Freude an mir haben.«

Eiei, dieser Löffel!

Was er weiter schrieb, das kann keinem frommen Orden zur Freude gereichen. Denkt euch: ein Löffel, der zum Essen geschaffen ist, wagt gegen das Essen zu wettern. Wenigstens gegen das erbettelte Essen. Er empfiehlt die Arbeit und wieder die Arbeit und nochmal die Arbeit und rät dann an, aus dem Erlös der Arbeit das Essen zu gewinnen.

Man sieht daraus, daß auch der Brief des mirakulösen Löffels keineswegs so wichtig ist, als daß wir ihn hier unbedingt abdrucken müssen.

Wir beschließen unser Buch und empfehlen uns der Geneigtheit Seiner Gnaden, des hochgünstigen Lesers.

O.A.M.D.G.

Amen.


Nach Notizen des verstorbenen Dichters ist der Stoff des vorliegenden Werkes teilweise einem alten Roman von Anton v. Bucher: »Pankraz der Bürgerssohn« entnommen worden.

Die Verlagshandlung

 

 


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