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Das neunundvierzigste Kapitel

Welches in einen stillen Jubel des Herrn Hansjakob ausklingt

 

Der Herr Bürgermeister nahm augenblicklich Extrapost und kam noch am gleichen Tage im Kloster an. Als er in die Zelle trat, weiteten sich die Augen des kranken Novizen. Er hatte nur eine hastige Frage: »Ist sie tot?«

Der Vater wich zuerst der Antwort aus. Man müsse sich den Anordnungen des Himmels willig fügen. Es dürfe niemand ohne Sünde dagegen murren. Und der Himmel habe es so beschlossen, daß die Mutter nicht mehr sei. Sie genieße ihre selige ungestörte Ruhe. Sie habe das bessere Teil erwählt und man müsse ihr Glück dazu wünschen. Jenseits des Grabes stehe sie und erwarte die Ihren. Und über kurz oder lang werde sie kein Schicksal mehr von den Ihren trennen.

Der Frater Deogratias weinte. Er warf die Augen zum Himmel, dann schoß der warme Strahl hervor und erleichterte ihn.

Es war Ruhe in der kleinen Zelle. Der Vater lebte seinen Erinnerungen und der Novize stützte den gedankenschweren Kopf in seine mageren Hände. Auch der Pater Provinzial schwieg – er war mit dem Herrn Bürgermeister in die Zelle gekommen, zu trösten, aufzurichten und den Schmerz in Erbauung umzuwandeln. Aber er fühlte sich gedrückt und war verlegen und hilflos. Da kam der Frater Pförtner und rief ihn ab. Es wünsche ihn jemand im Pförtnerstübl dringend zu sprechen.

»Pankraz!« sagte der Vater hastig, als sich die Zellentüre geschlossen hatte, »wir sind allein. Laß dir in diesen kostbaren Minuten mein Herz ausleeren. Hast du denn nie bemerkt, wie schwer mir's fiel, dich, meinen einzigen Sohn, von meiner Seite zu lassen! Weißt du, wie weh es mir getan hat, als sie dich in das Kloster sperrten?? Es war dies das Werk deiner Mutter, einer braven Frau (Gott habe sie selig), aber einer in vielen ihrer Pläne überspannten und in der Ausführung ihrer Absichten eigensinnigen und halsstarrigen Frau. Ich war nicht stark genug gegen sie. Du bist mein einziger Sohn, lieber Pankraz, und ich fühle mich seit deinem Fortgehen so ganz allein. Meine Einsamkeit tut mir weh. Wie soll ich sie aufheben? Ich bin in einem Alter, da meine Vernunft einer zweiten Heirat widerspricht. Mir fehlt nicht die Frau, mir fehlt der Sohn. Sag, Pankraz, fordert dich nicht die natürliche Pflicht auf, mir deine Hilfe zu gewähren? Die natürliche Pflicht des Kindes gegen die Eltern ist heilig, so heilig wie der Klosterberuf. Du glaubtest, der Stimme des Himmels zu antworten, als du diese Zelle aufsuchtest; und ich glaube: eine betäubte und verirrte Einbildungskraft hat dich getäuscht. Und zudem scheint deine Gesundheit nicht so zu sein, daß du die vielen Ungemächlichkeiten des Ordenslebens aushalten könntest. Es gibt auch eine Pflicht der Selbsterhaltung. Deine Natur gibt dir den Wink, den Orden wieder zu verlassen. Der Wink ist deutlich: du sollst nicht dein eigener Mörder sein!«

Der Novize sah seinen Vater wehmütig an. Er hörte seine Zusprüche in halber Betäubung und kämpfte mit sich den schwersten Kampf seines Lebens. Es erschien ihm als feige Flucht, auf das erste Zureden die Kutte wegzuwerfen; aber er fühlte die Wahrheit der väterlichen Worte und unterdrückte die Stimme nicht, die ihn aus seinem kranken Blute heraus in die Freiheit locken wollte.

Er bat sich einen Tag Bedenkzeit aus.

Der Vater schied bekümmert.

*

Der Pater Provinzial roch den Braten augenblicklich. Auch der Novizenmeister und die alten Patres waren mißtrauisch und deuteten den Besuch des Herrn Vaters in der richtigen Weise. So kämpften sie um den Novizen wie der Teufel um die arme Seele und stimmten die alten Sirenengesänge wieder an. Aber sie klangen nicht mehr so süß in die Ohren des jungen Menschen als seinerzeit, da er das Klosterleben noch durch die heiligen Schleier gesehen hatte. Und die Stimme der Natur rief ihm mächtig zu und des Vaters Gründe wirkten plötzlich so überzeugend auf ihn ein, daß andern Tags niemand mehr seinen Entschluß beugen konnte: den Orden zu verlassen.

Verwirrt vor Freude umfaßte der Vater den Sohn. Er blieb bei ihm, bis er die Kutte ausgezogen hatte und wieder in den Kleidern dastand, in denen er ins Kloster gekommen war. Und dann schob er den zitternden Arm unter den seines Kindes und führte ihn in steter Furcht, solange die Mauern sie begleiteten, aus dem Kloster in den Gasthof. Hier aß und trank und schlief Pankraz einige Tage wie ein Mensch, der nach schweren Leiden wieder Lust an den natürlichen Bedürfnissen empfindet.

Und dann fuhren sie beide heim.

 


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