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Das sechste Kapitel

Zeiget einen wahren geistlichen Hausfreund, wie auch der katholischen Macht, Teufels- und Hexenwerk zu bannen

 

»Weg muß er!« erklärte Hansjakob abermals, um das Unerschütterliche seines Willens zu dokumentieren. Dann griff er befriedigt wieder nach dem Kirsch, bediente den Guardian und sich und nötigte auch seiner Frau noch ein Gläschen auf. Er sah wieder heiterer in die Zukunft, weil er Begriffe vor sich fand, mit denen er bildlich zurecht kommen konnte: eine Sperre, einen Stein; klein oder groß – es mußte ihm beizukommen sein! Er verjüngte bei dem Gedanken und straffte seine Armmuskeln, um dem Stein handfest zu begegnen.

Der Guardian sann eine Weile vor sich hin, während er mechanisch sein Glas leerte, füllte und wieder leerte. Dann rüttelte er sich auf, prüfte seine Spannkraft und wischte sich ein Flackern aus den Augen (er schrieb es dem großen Alter des Kirsch zu), das ihm den Überblick über die Entwicklung seines Vortrages benehmen wollte. Er bedachte: gehe ich zu weit? wo sind die Schranken? – aber er entschloß sich, weiterzugehen. Er begann von einem frommen Buch zu erzählen, das der Pater Barchi von den Innsbrucker Kapuzinern geschrieben hatte. Eigentlich nur für die Frauen von der dritten heiligen Ordensregel – für Frau Anna Pentenriederin also gleichermaßen. Gewiß, sie dürfe alles anhören, was aus dem Buche zu sagen sei. Mit frommen Ohren hören! Diese eine wichtige heilige Andachtsregel des Paters Barchi beispielsweise: »Betet an die Spannader des heiligen Geistes und seine heiligen Gebeine, welche die heilige Jungfrau und alle, die bei ihr wohnten, erwärmten.«

»Hm,« sagte Hansjakob unbehaglich. »Das von dem Erwärmen sollte man nicht schreiben dürfen!«

»Herr Bürgermeister,« begegnete ihm der Guardian mit großem Ernst, »der heilige Vater hat das Regelbüchlein selbst bestätigt.«

Hansjakob nahm sein Hm zurück und vertauschte es mit einer Anerkennung. Er dachte wieder an den Stein und das Sachliche der Unterredung und es gelang ihm, das Vernünftige und Zweckmäßige in dem Gebet zur heiligen Spannader des heiligen Geistes herauszuschälen. Er sah mit plötzlicher Klarheit den Hebel für das Hindernis und begeisterte sich sofort: »Es ist der modus tollendi, Anna! Versteh du den Pater recht!«

»Der heilige Vater ist dafür?« Frau Annas Frage klang ein klein wenig mißtrauisch und Hansjakob trat mit Feuer in die Verteidigung: »Der heilige Vater hat selbst die Hand in dem Spiel! Bet du mir fleißig die heilige Spannader an!«

»Wo kriegt man sie denn? Auf unserm Hausaltar ist noch Platz. Zwischen die säugende Mutter Gottes und die Salva Guardia hinein – wo ist denn die Sache zu haben? Die heilige Spannader muß her und die heiligen Gebeine, die so gut wärmen!« Sie griff ohne Aufforderung zum Kirsch und erhöhte ihr Interesse an dem modus tollendi.

Der Guardian aber hatte eine leuchtende Miene aufgesetzt und wehrte jedes Drängen ab, um wichtigeres zu sagen. »Es muß noch etwas ganz anderes her. Wie soll ich mich ausdrücken?« Er suchte die Gesichter seiner Hörer ab und spannte ihre Züge. »Herr Bürgermeister – wir sind unter uns, nicht wahr? Wir sind keine Kinder. Unser Geschäft ist sehr ernster Natur. Wir dürfen uns von keiner Schwierigkeit abschrecken lassen.«

»Der Stein muß weg!« schrie der Bürgermeister. Auch seine Frau war erregt, aber ihre Lippen verschlossen die Wünsche.

»Herr Bürgermeister« – der Guardian sah bleich aus und seine Augen brannten –, »es gibt in der heiligen Stadt Rom Reliquien, von denen mancher sich nichts träumen läßt. Man schweigt über vieles von diesen heiligen Dingen. Aber die Not lehrt beten und reden.«

»Und der Stein muß weg!« Hansjakob verübte einen hitzigen Faustschlag auf den Tisch. Sein Kirschglas entging glücklich der Gefahr; er rettete nachträglich den Inhalt.

»Latein unter uns Lateinern,« fuhr der Pater fort, »es gibt ein Praeputium Domini Nostri Jesu Christi, quod Romae asservatur!«

»Ein Präpuz – –?« Der Bürgermeister starrte den Pater fassungslos an.

»Was ist das, ein Präpuzerl?« frug Frau Anna aufmerksam.

»Nichts für dich!« fuhr Hansjakob auf.

Aber der Guardian sagte langsam und ruhig: »Es ist der modus tollendi.«

Hansjakob schwieg und starrte. Es war ihm heiß geworden und er mußte seine Stirn mit dem Schnupftuch kühlen. Das Praeputium Christi … Er konnte das Unerhörte nicht auf einmal fassen. Er fühlte sich von einem Wirbel der Gedanken gepackt – die Jesuitenschule, die ihn erzogen hatte, umkreiste ihn mit allen Offenbarungen und Lehren, tausend mystische Buchzeilen umflatterten ihn und aus Reliquienschreinen tanzten ihm silbergefaßte Heiligenskelette zu; aus alten Heiligenlegenden standen die Holzschnitte lebendig auf und Kanzelworte der Kapuziner schrien in den gespenstischen Sabbat seiner Gesichte hinein.

Er klammerte seine schlapp gewordene Hand um das winzige Kirschglas und lehnte den schweren Körper kraftlos in den Stuhl.

»Trink,« sagte Frau Anna heiser.

Er trank. Die Frau hatte recht: es war gut, aus altem Kirsch sich zu klären. »Das Praeputium sagte er dann staunend, »die Jesuiten kannten es nicht.«

»Pah, die Jesuiten!« Der Guardian lehnte sie mit schnippenden Fingern ab.

Frau Anna hatte große rote Flecken auf den Wangen und der Kopf saß ihr unsicher zwischen den Schultern. Aber sie griff doch wieder nach dem Kirsch und hing an ihm und dem Guardian, »Was ist das, ein Präpuzerl?« frug sie den Mönch. Sie lauerte seinen Augen auf, um aus ihnen die Mystik der Ereignisse zu enträtseln. Eine Gier hatte sie gepackt nach Aufklärung, Wissen und Empfang. Ihre feisten Brüste wogten heftig und Hansjakob entdeckte verwundert, daß ihre schwarzen Augäpfel mit einem matten Glanz überhüllt waren. Diese Augen quollen und dieses Fleisch quoll und Hansjakob erregte sich dieser Frau gegenüber, weil sie sich als ein ihm fremdes Blut auftat.

Der Guardian zwängte seine Blicke durch die Haare gesenkter Wimpern und sann unter der gefalteten Stirn. Das Haupt war schwer auf die Hand gestützt. »Frau Anna« (und seine Stimme klang aus der weite durch Schleier hindurch), »beruhigen Sie sich. Es wird alles gut werden. Ihr werdet von diesem Praeputium bekommen. Es ist unkörperlich. Auf Oblaten gedruckt. Ihr nehmt es, wie Ihr heilige Lukaszettel einnehmt – in Andacht des Herzens.«

»Merk gut auf!« brüllte der Bürgermeister.

»Mit Erlaubnis des Herrn Vaters will ich es Ihnen geben, Frau Anna.«

»Gebt!« schrie die Bürgermeisterin.

»Morgen, Frau Anna.«

»Morgen …« Die Bürgermeisterin wurde plötzlich schlapp. »Was ist morgen?« Sie fühlte sich mißgestimmt. »Ich will es nicht einnehmen. Ich will nichts aus der lateinischen Küche einnehmen!«

Der Pater straffte sich. »Ich will Ihnen von der ehrwürdigen Nonne Agnes Blanbeck erzählen – – ja?? Der berühmte Benediktiner Bernhard Potz schreibt von ihr. Sie war eine große Verehrerin Sancti Praeputii.«

»Die Nonne!?« Der Bürgermeister sah erschrocken aus.

»Die ehrwürdige Nonne Agnes Blanbeck – ja. Sie war eine große Verehrerin Sancti Praeputii.

»Es hat ihr – es hat ihr – geholfen??«

»Nein,« sagte der Pater ärgerlich, »sie nahm es geistigerweise.«

Hansjakob ließ den Kopf ratlos pendeln. Aber der Guardian murmelte an diesen pendelnden Kopf lange lateinische Sätze hin; sie schmeichelten sich in Frau Annas Ohren wie mystische Hymnen aus Klosternächten ein und verklärten ihr Gesicht. Und Hansjakob lauschte mit verdutzten Sinnen dem Mönchslatein über die seltsamen Abenteuer der frommen Nonne Agnes Blanbeck.

*

»Wenn es hilft – an den Kosten liegt mir nichts! Ich will einen Boten nach Rom schicken.«

Der Bürgermeister war begeistert.

»Einen reitenden Boten,« bestimmte Frau Anna.

»Geld hin, Geld her – wir müssen es haben!«

Der Guardian sagte: »Sie sollen es haben. Den Erben sollen sie haben!«

»Den Buben!« Hansjakob heulte das Wort fast heraus. »Anna – einnehmen.«

Frau Anna schüttelte sich wieder. »Die lateinische Küche – –«

Der Pater streckte den Arm über den Tisch und legte die sanfte Hand auf ihren erhitzten Kopf. »Es ist süß wie Honig. Die Schwester Blanbeck hat's immer gesagt: honigsüß, honigsüß.«

Hansjakob poltert etwas wie Testamentsumstoßung heraus. Von Haus und Hof will er die Frau verstoßen. Ganz krebsrot wird er: »Du nimmst ein! Du nimmst mir ein!!«

»Ist's wirklich honigsüß??«

»Honigsüß,« sagt der Pater Guardian.

*

Von Anno dazumal eine Stube; auch die Hühnersteige ist eingebaut, daß das Federvieh des Herrn Bürgermeisters im Winter einen Schlupf hat. Und weil's nicht Winter ist, haust in der Hühnersteige vertretungsweise ein Spanferkel, das gemästet werden soll.

Und dieses Spanferkel reißt aus und wird beim vielen Reden nicht bemerkt. Schnüffelt am Pater Guardian und an seinem Ordensgürtel, der auf den Boden herabhängt. An dem Ordensgürtel sind drei Knoten, die Tiefes bedeuten: der oberste den Gehorsam, der mittlere die heilige Armut und der untere die freiwillige Keuschheit.

Und an dem untersten Knoten schnüffelt das Spanferkel, an der heiligen Keuschheit.

Er ist fettig und beschmiert, und das Spanferkel hat seine Freude daran.

Fängt zu lutschen an, dann zu kauen, und auf einmal ist das Keuschheitszeichen weg.

Und jetzt grunzt das Ferkel.

Der Pater entdeckt das Verbrechen und springt auf: »Ich habe meine heilige Keuschheit verloren!«

Hansjakob sieht sich hilflos um. »Sie werden doch nicht Ihre heilige Keuschheit – –«

Und Frau Anna ist entsetzt aufgesprungen und tappt nach dem Ferkel. Sie stolpert über das quietschende Tier und begräbt es unter ihrem Leib. Mühsam zerrt sie es wieder in die Hühnersteige.

Der Pater lächelt und geht mit einem Achselzucken über das Ereignis hinweg. »Es ist ja nur symbolice geschehen,« tröstet er.

Hansjakob sagte mit Ergebung: »Die Keuschheit ist doch immer in Gefahr, beschmutzt zu werden.« Und als praktischer Mann gab er den Rat darein, den Keuschheitsknopf weiter hinaufzuknüpfen. Die heilige Armut aber ganz herab. Der Bettel gehöre nicht hinauf.

»Wie man's kriegt, so trägt man's,« murmelte der Pater. »Ich nehme einen anderen Ordensgürtel und gebe den meinen einem Bruder – der kann sich eine neue Keuschheit daran knüpfen.«

»Ja, wenn das Ding so leicht wieder gutgemacht ist!« Hansjakob schüttelte den Kopf und sah wieder über den Tisch empor. Und die Erleuchtung kam über ihn: »Das Spanferkel soll seine Sünde büßen. Ich werde es gleich ins Kloster schicken.«

»O, felix Adamae peccatum!« seufzte der Pater Guardian.

*

Er nahm Abschied.

Hansjakob erhob sich, ein wenig duselig und schweren Kopfes, drängte den Pater, sein Wort ja nicht zu vergessen. »Und heute abends ein kleiner Besuch? Wein habe ich vom Mutterfaß. Und Schweinernes mit Erbsen und Kraut, das essen Sie so gern. Und mein ungarischer Sicksacker! Es wird uns nicht schlecht gehen. Und dann lasse ich meinen Schimmel anspannen, keine Angst also vor dem Heimgehen! Vielleicht nehmen Sie einen starken Frater mit??«

Der Pater Guardian gab gerührt den Abschiedsegen.

Der Mutter flüsterte er noch geistliche Worte ins Ohr und Hansjakob glaubte, ihn unterstützen zu müssen: »Ich will dich von Fuß auf dreimal neu in Seide kleiden, wenn du dir das Malefizium auflösen läßt, wenn's dich auch hart ankommt!«

Er winselte jetzt ein wenig und rang die Hände. Der Pater sah Schweiß auf den Haaren des gebeugten Kopfes, angstgezeugte Perlen. Es fröstelte ihn vor diesem Schweiß und diesem Winseln. Und da sank der Bürgermeister plötzlich zu Boden, begann auf den Knien zu rutschen und schluchzte. Der Pater zog ihn hoch und schob ihn kräftig von sich.

»Anna,« heulte Hansjakob, »der Bub!«

»Ja,« sagte Frau Anna heiser. Sie reichte dem Guardian die Hand und lief aus der Stube.

 


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