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Das vierte Kapitel

Welches dem Leser den Herrn Pater Guardian vorstellt. Handelt auch von einem klösterlichen Traum und seiner Auslegung.

 

Am Nachmittag, kurz vor der Kaffeestunde, kam der Pater Guardian, heiter, frisch und gesprächig. So war immer die merkwürdige Art seines Eintritts: der Griff ins Weihwasserkesselchen, sein volltönender lateinischer Gruß, sein fast umständlicher Handsegen und unmittelbar darauf ein gut irdisches Bürgerwort. In dem Manne lagen Kloster und Welt zusammen auf eines Gedankens kürzester Breite, sprangen sich an, ohne sich je zu treffen, lösten sich ab, stellten den Mönch hin, wo er am Platze notwendig war, und wechselten ihn mit dem Weltkind aus, wo man es brauchte. Er sprach bäuerlich hinterm Tor des Städtchens, bürgerlich am ersten Fensterladen der Stadt; und mit den Menschen vom Schloß sprach er die feine üppige Sprache der Bücher, tändelnd wie schwebende Putten, graziös und mit allen den pikanten Umschreibungen, die der Reifrock macht um die Dinge der Welt.

Wie alt war er? Die lächelnde Glätte seines Gesichts antwortete nicht. Die Knochen vom Bauerngeschlecht, den Wuchs von langen Reitern, die Haltung von Befehlenden. Ein Mensch, der flüstern und donnern konnte. Die ihm das Guardianat über das Kloster gaben, übersprangen eine Reihe alternder Mönche; sie witterten, wie Frauen wittern. Oder beugten sie sich dem Urteil der Frauen, das aus dem einen Kloster unter hundert Menschen nur diesen einen taxierte und aus aller Schar herausriß und hochlobte.

*

Der Guardian kam und seine Stimme klang: » Laudetur Jesus Christus!«

» In aeternum!« sagte der lateinische Bürgermeister.

Frau Anna Pentenriederin, Schwester der dritten Ordensregel, beugte das Knie: »Gelobt und gebenedeit sei der heilige Erzpatriarch Franziskus von nun an bis in Ewigkeit.«

Der Pater stand eine Sekunde straff und würdig und sog den Gruß in ernste Mönchsaugen ein. Dann wendete sich sein Oberkörper dem Bürgermeister zu und seine Zähne lächelten: »In dieser Nacht zerbiß mir ein Floh einen fabelhaften Traum.«

Der Bürgermeister rieb sich die Hände, weil ihm der Floh Spaß machte. Aber Frau Anna hatte nur das Wort Traum im Ohr und war hingerissen. »Ach! Ein Traum.«

»Und ein Floh!« sagte der Bürgermeister in männlichen Freuden.

»Ich höre nichts lieber als Träume!«

Die Bürgermeisterin sah den Guardian bittend an. »Übrigens – –«

»Übrigens??« sagte der Guardian zu der stockenden Frau.

»Ich hatte diese Nacht auch einen Traum.«

Hier lachte der Bürgermeister breit und zufrieden. »Und einen Floh? Einen braunen von den Kapuzinern?«

Ihr Blick strafte ihn gebührend und gewohnheitsgemäß. Auch trat Geringschätzigkeit ein und sie richtete ihre Worte an den Pater. »Ich hab' von Ihnen geträumt, Herr Hochwürden!«

Hansjakob meckerte seine fröhlichste Stimmung und wechselte mit dem Guardian den Blick der witzverständigen Männer. Aber Frau Anna sah den lauten Mann nicht an und vertraute dem Pater, der mild und freundlich blieb, sprungbereit allerdings, als Guardian dazustehen oder mit eines Weltkinds Kniffigkeit den Schalk zu spielen.

»Träume sind Schäume,« sagte er in dem neutralen Ton, der zwischen dem abermals aufmeckernden Herrn Hansjakob und der errötenden Frau Anna den richtigen Fuß gefaßt hatte.

»Wer weiß,« sagte Frau Anna nachdenklich und verdrängte um ihres Traumes willen eine sehr ausführliche Meldung über die Mützenverhexung (der Vorgang fiel ihr plötzlich wieder ein, weil er nicht ohne Beziehung zu ihrem Traume war), »wer weiß, ob das richtig ist. Ich glaube an Träume. Träume sind von Gott.«

»Sind von oben!« Der Guardian wuchs in seine lange Reitergestalt aus und war ein gebietender Mensch, der mit strengem Ernst eine Meldung an Gebietende anhört.

»Aber der Floh?!« wagte Hansjakob zu witzeln.

Die Röcke seiner Frau wehten empört von ihm ab, dem Guardian zu. »Es ist so merkwürdig, was mir da träumte: ich lieg' so auf dem Rücken, da befällt mich's. Die Trud! Sie drückt mich fast zuschanden. Ganz arg ist das gewesen. Und auf einmal kommen Sie, Herr Hochwürden, und sagen die Trud davon. Weg ist sie! Und es wird mir wohl, so wohl, ich weiß gar nicht, wie das war.«

Hansjakob meckert nicht mehr. Er hat zuerst einen fidelen Männerblick zum Pater schicken wollen – er unterläßt es lieber. So träumt man doch nicht vor fremden Ohren. Er räuspert sich schroff, gerecht.

Und der Pater Guardian legt die Hände auf den Rücken und macht ein paar tiefsinnige Schritte durchs Zimmer: »Jaja, jaja.«

Und da muß Hansjakob doch losmeckern. Es überkommt ihn plötzlich der Überblick: die Weiber reden die tollsten Sachen so frischdrauflos – hehehe! – wenn nur – hehehehehe! – geschnattert ist – »o, du heilige Unschuld der Schnattergänse!« und da prustet er sich alles lustig vom Halse weg.

Der Pater aber teilt sein Gesicht in Divergenzen: die eine Hälfte bleibt sanft und beruhigend Frau Anna zugerichtet, die andere gibt ein halbes Lächeln an Herrn Hansjakob aus.

»Anna,« ruft Hansjakob nach dem letzten erlösenden Prusterer, »o du Dummerl, du!« Aber dann half er ihr in ihrer tiefen Verwirrung und lenkte ab: »wo bleibt der Kaffee so lang!«

Und Frau Anna ist froh, ein jäh erwachtes Wangenfeuer in die Küche tragen zu dürfen.

*

Der Kaffee dampft – ach, wie fein er dampft. Des Paters Nase ist ein Sekündlein Weltnase, bevor sie ins Asketische zurückkehrt. »So will ich in Gottes Namen von Ihrer Güte profitieren. Unser heiliger Vater wird's schon reichlich ersetzen, was man seinen armen Söhnen Gutes tut. Siehe die gute biblische Hausmutter, der weder Mehl noch Öl ausging. – Frau Bürgermeisterin, nein, nach Ihnen! Obwohl erst der Rauch von kaltem Kaffee schön macht – so man's nötig hat.«

Frau Anna nimmt die züchtige Huldigung mit Dank an. »Aber Ihr Traum, Herr Hochwürden?«

»Geduld,« sagte der Pater freundlich und tauchte in der ungeheueren Tasse unter.

»Träume hör ich gar arg gern erzählen.«

Der Pater nickte und griff nach dem Kuchen. Er hatte viel Appetit, aber er behandelte seine geistige Angelegenheit zugleich und er vermochte im Essen mit einer Handdrehung, mit zwei Augen und etlichen Kopfbewegungen wenigstens die Einleitung zu geben. Ein lange und starr fragender Blick sah gut nach Konzentration aus und gab ihm doch wieder Zeit für seinen Kuchen; dann spannte er – gleichwohl tüchtig kauend – die Hörer mit einem selbstverwunderten Kopfschütteln an. Man sah eigentlich weniger seine schöne wahrhaft kapuzinerhafte Kuchenfreude – man sah einen Menschen, dessen ganze geistige Muskulatur auf ein Gespräch vorgezerrt war, das da kommen sollte.

Nur Hansjakob, manchmal dem Geistigen abhold und nur dem Sinnenfälligen zugeneigt (Melchior Pentenrieder selig Erben!) zählte in sich mit Staunen die Kuchen hinein: eins, zwei, drei, vier! Es gibt Träume, reflektierte Hansjakob aus seiner Kuchenperspektive, die nicht von Gott kommen. Träume kommen auch vom Magen.

»Von einem Vogerl hat mir geträumt,« sagte der Pater nachdenklich und starrte auf die fünfte Kuchenschnitte. »Ja, es war ein Vogerl.« Man hatte das Gefühl, als ob sich das Vögelchen in einen Kuchen verwandelt hätte – der Guardian besah ihn von allen Seiten, kostete, schloß die Augen, schüttelte den Kopf und kostete wieder. Der Kuchen schrumpfte, verschwand. »Ja, von einem Vogerl. Es sang wunderschön, ich fing es und – raten Sie!« (er nahm die sechste Kuchenschnitte, während Herr Hansjakob bewundernd zählte und Frau Anna in sich riet) »Sie erraten es nicht: und ich wollte das Vogerl der Frau Bürgermeisterin schenken.«

Frau Anna Pentenriederin dankte mit einem Knix und der Guardian ging der sechsten Kuchenschnitte zuleibe. (Bewundernd sah Hansjakob auf die fleißigen Zähne.)

»Ich will also das Vogerl der Frau Bürgermeisterin schenken – fitsch! – da entflieht es mir. Aber: Frau Anna fängt es ein und steckt es in einen Käfig. Und da hat das Vogerl gesungen, daß es nur eine Freude war!«

Komisch sieht Herr Hansjakob in die Welt – er ist kein Mensch, der sich viel mit Träumen beschäftigt.

Aber Frau Anna: »Halt! der Vogel hat im Traumbüchl Nummer 18, der Käfig 27, der Gesang 5. Das muß man in die Lotterie setzen.«

Der Pater Guardian: »Der Traum ist noch nicht aus. Ich habe also wieder einmal nach dem Vogel geschaut, da ist auf einmal ein bildschöner Engel draus worden und hat angefangen, Psalmen zu singen. Und da sind hundert Vögel in das Zimmer geflogen und haben mitpsalmiert.«

Frau Anna: »Der bildschöne Engel bedeutet 99, das Zimmer voll Vögel 66. Alterle, Alterle, freu dich: 5, 18, 27, 66, 99, das ist eine Quinterne, die tun wir in der Lotterie setzen. Steinreiche Leute müssen wir werden.«

Hansjakob (mit üblem Gebrumm): »Sei mir still mit deiner Lotterie! Wenn ich nur das Wörtl hör!«

Auch der Pater Guardian lehnte den Lotteriegedanken streng ab. »Ich weiß besser,« sagte er, »was der Traum bedeutet.«

»So?« Frau Anna ist hörbar enttäuscht; »was gäb's denn dann Besseres als einen Lotterietreffer?«

Der Pater wird ernst und geht von den weltlichen Dingen seines Traumes zur geistlichen Bedeutung über: »Tut mir nur den Segen Gottes nicht verscheuchen. Pax vobis! Wie wär's, wenn der Vogel einen Erben bedeuten würde?!«

Einen Erben!

Das Wort verhallt nicht wie andere Worte: es bleibt still über dem Tisch schweben und Hansjakob sieht erschrocken zu ihm auf.

Aber Frau Anna fängt zu lachen an, ein wenig unbehaglich, aber tapfer; sie gibt sich vorsichtshalber ungläubig vom Kopf bis zum Fuß.

Der Pater Guardian mit hoher Stimme: » Atqui! Seht, Frau Anna, Pentenriederin: ebenso hat es Sarah gemacht, als ihr die in der Gestalt dreier Fremdlinge verborgenen Engel einen Erben prophezeiten.«

Wiederum Stille.

Das schöne Wort vom Erben schwebt noch immer über dem Tisch und Hansjakob hängt mit Aug und Ohr daran. Auch Frau Anna wird unsicher, nestelt an ihrer Schürze und sieht zu Boden. Und das Blut in Hansjakobs Herzen wallt auf.

Der Pater Guardian: »Und weiter – wie wär's, wenn dieser Erbe ein Sohn meines heiligen Vaters, ein seraphinischer Engel würde!?«

Er starrt ins Leere, in die Weiten der Seher. Über das Werden sieht er hinweg bis in ein zukünftiges Sein. Er nickt einem zukünftigen Menschen zu und grüßt das Ordenskleid, das er trägt.

Hansjakob vermag den fernen Sehergedanken nicht zu folgen, »wenn nur zuerst der Bub da wär!« Er seufzt tief auf und es ist ihm wieder tüchtig heiß im Geblüt. Gern hätte er wieder eine Mütze vom Kopf gerissen und an die Wand gefeuert; und er hätte sich dann nicht mehr zurechtgelogen – zum Donnerwetter, warum ist ihm auch der Erbe versagt!

»Und wie wär's,« schürt der Pater Guardian die Feuer im Geblüt, »wenn auf den ersten Erben ein ganzes Zimmer voll folgen würden!?«

»Saggrasaggra!« stöhnt der Vater Hansjakob. »Wir könnten sie alle durchfuttern.«

Aber die Mutter Anna (so gern sie an Traumdeutungen glaubt) schüttelt den Kopf, und die verblühenden Wangen schütteln ihre fetten Polster mit. »Eher gewinnen wir in der Lotterie. Eher kommen die fünf Nummern heraus! Ein Kind kriege ich nicht mehr.« Sie zerrt mit hastigen Fingern an ihrer Schürze und sucht ihre Unruhe loszuwerden.

Hansjakob wird wild: »Natürlich, wenn so ein Teufelsfrauenzimmer einmal was im Kopf hat! Du kriegst bloß keinen Buben, weil du dir's so einbildest.«

»Vielleicht;« murmelt der Guardian nachdenklich, »vielleicht ist's so? Und ich bleibe auf meinem Traum bestehen. Der Vogel, der bedeutet einen Erben. Dürft ihr mir glauben? Der Erzvater Abraham hat den Engeln geglaubt.«

Hansjakob sieht zu dem Guardian auf und will seinerseits den Vergleich mit dem alten Abraham beanstanden und zurückweisen. Aber der Pater hat den klösterlichen Ernst in seine Mienen gelegt, gegen den nichts zu tun ist. Straffe Würde, Kraft, zwangausübende Kraft. Kein verkündender Engel, aber ein Anordner, ein befehlender Mensch. Hansjakob sagt sich insgeheim: kann er mir den Erben erzwingen? Befiehlt er mir den Erben? Er wünscht sich mit unruhigen Herzschlägen einen Befehl herbei, der so stark ist, daß er verblühende Frauen erschließen kann.

Vielleicht ist er ein Engel? zuckt es durch Hansjakob. Aber er wehrt sich mit raschem Zorn gegen den kindischen Gedanken und bäumt sich gegen den Guardian auf. Er empfindet plötzlich etwas Gröbliches in der Einmischung und macht sein Gesicht finster. Er sucht nach einem Satz, sein Empfinden anzudeuten, aber er ringt nach Vorsichtigkeiten im Ausdruck. Er stumpft seine Waffe, ehe er sie gebrauchen will. Und dann legt er die unnütz gewordene Waffe weg und senkt den Kopf. Er zittert ein wenig, fast in Angst, er fühlt sich wirr im Kopfe und muß die Augen schließen. Und die Gedanken sammeln sich im Dunkeln wieder und fließen in einen erbärmlichen kleinen Seufzer aus: »Ach ja. Ach Gott!«

Auch die Frau Mutter senkt schwer und ungemut den Kopf.

»Der Erbe kommt!« sagt der Guardian mit feierlicher Musik in seiner Stimme.

 


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