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Das dritte Kapitel

Worin Frau Anna einer richtigen Hexerei auf den Grund kommt

 

Herr Hansjakob brummt und summt also, legt dem lieben Gott ein langes Soll von Wallfahrten, Gebeten und Opfern vor und deutet mit dem Finger wiederholt auf die leere Habenseite. Er ist es gewohnt, sich mit Geschäftsfreunden auszusprechen und nimmt sich kein Blatt vor den Mund, wenn der Geschäftsfreund nicht eben mit gerunzelter Stirne dabeisitzt. Mehrmals klopft er mit den Fingerknöcheln hart auf die Ofenbank, wenn er besonders unrentable Aufwendungen anführt. Auch nickt er heftig mit dem Kopfe und rückt sich um so stärker ins Recht, je weniger ein Einspruch erfolgt. Und schließlich kommt er in die dramatische Aktion und schleudert mit grimmigsten Gebärden seine Hausmütze weit von sich.

Türwärts. Und es trifft sich und fügt sich, daß Frau Anna in diesem Sekündlein hereintritt und das linde Geschoß vor den Kopf bekommt.

Sie greift nach dem Herzen, wie Frauen im Schreck tun. Bleich ist sie im Gesicht wie eine frischgetünchte Wand.

»Hans – Hansjakob – –«

Er winkt unwillig mit der Hand ab.

»Was – was war das??«

»Nix.« Er sieht ein wenig scheu zu Boden; aber er weiß nicht, warum und vor wem er sich scheuen muß. »Es war nix,« sagt er seufzend, »gar nix.«

Frau Anna hebt die Mütze mit zwei Fingern vom Boden auf, hält sie abseits und besieht sie mit Mißtrauen. »Was ist es mit deiner Mütze?«

»Nix.«

»Hast du nach mir geworfen?«

Er verneint heftig.

»Nicht geworfen??«

»Nein,« wiederholt der Angeklagte.

»Du hast nicht??«

Was will sie? frägt sich Hansjakob, während er die bleiche zitternde Frau mustert.

»Du – hast – nicht – geworfen?« Düster die Stimme, um etliche Töne hinabgeschreckt, schaudernd das Unheimliche herausarbeitend.

»Ich habe nicht,« lügt Hansjakob. Natürlich: er kann nicht mehr zurück, wenn er dieser starken strafbereiten Frau ein Geständnis ablegt, so wird drei Tage lang ein Zwist zwischen Keller und Dachboden spucken, schweigende Verachtung oder lauter Koller. Und wenn er gesteht, so wird sie den langen Hergang nicht anhören wollen, nicht die Begründung, nicht den Anfang zum lächerlichen Schluß – sie wird nur an die blitzblaue Lüge denken und ihr Unglück und ihre Betrogenheit sofort und viel stärker herausschleudern, als je eine Mütze geschleudert worden ist. »Nein,« wiederholt Hansjakob und macht scheue Augen, »ich habe nicht geworfen.« Und dann sieht er verwundert im Zimmer auf und ab, als ob er einen Schelm suche, der – –

Sie folgt seinen Augen, sie sucht auch; zitternd stützt sie ihre Hand auf seine Schulter und hebt die Mütze immer weiter von sich.

»Was ist's?« murmelt Hansjakob.

»Nichts.« Das Wörtlein tönt abermals tiefer und in dem einen Nichts liegt mehr drin als je eine Null erfüllen konnte.

Dann reißt sie die Ofentüre auf und wirft die Mütze mit einem Ruck ins Feuer. Sie sieht gierig zu, wie die Flamme ihren Überfall übt, und atmet erst auf, als ein Aschenrestchen auf die Holzglut fällt.

»Hexenluder, du!«

Ein erlösendes kräftiges Wort. Frau Anna braucht die stützende Schulter des Mannes nicht mehr; sie stemmt die Arme in die Hüften, wirft stolzwütige Augen nach dem Ofen und vermag sich wieder zu recken und stark zu sein wie sonst.

Hansjakob sagt unsicher: »Anna??«

Sie nickt ihm zu, strafft sich wieder und bedroht die Mützenasche hinter der Ofentüre mit der Faust. »Sie sind an uns!« sagt sie.

»Wer?«

»Wer?!« Ein Hohnlachen. »Sie sind längst an uns! Ich habe keine Nacht mehr, in der ich sie nicht heranwischen höre. Die hochgeweihten Mittel wehren das Schlimmste ab, gewiß, aber sie suchen an Fenstern und Türen herum nach Ritzen und Löchern. Sie sind sehr an uns, Hansjakob.«

Hansjakob hält es für das geratenste, schweigend zu nicken.

»Es beginnt alles mit dem Laster des Neides,« fuhr die starke Frau nachsinnend fort. »Als wir in unserem Hochzeitszug dahinschritten, stand das Laster des Neides zu beiden Seiten der Straße.«

Hansjakob sah schief auf und überdachte, daß diese Sätze nicht dem Sprachgebrauch seiner Frau entstammten. Angeflogenes? Aus dem Kloster?

»Und der Neid brütet Unheil aus. Er sucht unheilige Menschen als Werkzeuge. Wer aber sind unheilige Menschen?«

Diesmal war das verständnisvolle Nicken des Mannes am falschen Platz, »Wer?« frug die Frau abermals und bohrte ihn mit ihren Blicken an.

Auch Hansjakobs Achselzucken war nicht erwartet worden. »Wer??« rief sie ärgerlich.

Jetzt stützte Hansjakob den Kopf in beide Hände und sie glaubte ihm, daß er ihre ernsten Gedankengänge aufgenommen habe. Red' du! dachte der Mann ergeben, es ist ein vollgerüttelt Maß von Strafe für das bißchen Lüge. Red' du in Gottes Namen!

»Ich grüble und grüble,« sagte Frau Anna, »aber ich vermag die Feinde nicht zu entdecken. Der Satan verbirgt seine Freunde vor den Augen der Frommen.«

Ein wenig guckte Hansjakob zwischen den Fingern durch in die salbungsvollen Mienen. Das ist der Guardian, sagte er sich. Sie hat etwas mit dem Pater Guardian besprochen und gibt es mir wieder. Es ist Wort für Wort der Pater Guardian.

»Es ist Hexenwerk. Sie sind an uns. Wie sind sie an uns gekommen?«

Er vergrub das Gesicht völlig in die Hände, um nicht antworten zu müssen, und die Frau war's zufrieden. Sie empfand es wohltätig, den Mann in ihre Geleise geschoben zu haben und mühte sich, seine Gedanken auf die Hexenzunft zu zerren.

»Wie sind sie an uns gekommen? Und wann?«

In Hansjakob wurde der Wunsch wach, eine törichte Jahreszahl und einen verrückt bestimmten Tag zu nennen – aber er schwieg vorsichtig und spann in sich mit schmunzelnden Gedanken seine Aussage und den anschließenden Entrüstungssturm aus.

»Warum haben wir keine Kinder!?« sagte die Frau plötzlich.

Hansjakob nahm die Hände von den Augen. Der winzige Spaß war aus seiner Brust entwischt unter dieser einen anklagenden Frage und seine Gedanken stellten sich wieder auf die alten Selbstgespräche ein: wo ist der Erbe?

»Warum haben wir keine Kinder?« wiederholte Frau Anna.

»Ich weiß es nicht,« sagte er wahrheitsliebend.

»Aber ich weiß es!!«

Er schüttelte abwehrend den Kopf.

»Ich sage dir: ich weiß es!«

Er sah in die Hartnäckigkeit ihrer Augen und seufzte. Dann erhob er sich von der Ofenbank und ging mit einer gemurmelten Ausrede seinem Kontor zu.

»Verhext sind wir!« zürnte sie ihm nach. »Ich und du, alle beide seit dem Hochzeitstag!«

Er tat, als ob er sie nicht mehr höre, aber die törichten Sätze begleiteten ihn, legten sich auf das grüne Tuch seines Schreibtisches und sprangen in jedes Buch, das er ausbreitete.

Denn er war ein Menschlein seiner Zeit und seiner Umgebung, wie es alle Inhaber von Melchior Pentenrieder selig Erben gewesen waren.

 


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