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Das dreißigste Kapitel

Worin der alte Samson das Schatzkästchen seiner Lebenserfahrungen aufschließt und seine Samstaglektion zu Ende führt

 

Als der Schulgehilfe außer Hörweite war, wurde der alte Magister vertraulich. Er bat die beiden Herren, seinen hohen Jahren Glauben zu schenken und aus einer Schulgeschichte seiner Jugend zu lernen. Wie er schon ins vierundzwanzigste Jahr gegangen sei, da habe er noch immer die lateinischen Schulbänke gedrückt ohne Ziel und Ende. Und sei schon ein Mordskerl gewesen mit einem unaustilgbaren Bart und habe einen Mordsschatz gehabt, ein dickes Kuchelmensch, und Fastnacht sei gewesen und er sei mit ihr heimlich auf den Tanzboden gegangen, etcaetera.

»Stellen Sie sich vor: ich schabe mir gerade in der Frühe meinen Bart (ich weiß es noch, als wenn's heut wär!) und da kommt der Pedell und holt mich zum Pater Präfekten. Autsch, der Morgen geht gut an, denk' ich mir. Ich komm in den Gang und hör schon von der Weiten eine Rute sausen mit fitschfitschfitsch und sstsstsst: holla, denk ich mir, so singen die Engel nicht. Und wie ich ins Zimmer komm, da ist schon alles für mich zur Exekution in Bereitschaft. Gerad waren sie mit einem Kameraden fertig geworden, der war auch so alt und so groß wie ich und auch mit einem festen Kuchelmensch betan. Und da war also ich dran und dann wartete noch ein handfester Bursch, den sie beim Falschspielen erwischt hatten – glauben Sie, daß sich nur eine Katz um Vollbärte und Mannsalter kümmerte!? Ei wo: die Rute packte uns und der Herr Präfekt stand mit tausend Neckereien dabei und ließ uns so verhauen, daß es mich heute noch juckt, wenn ich nur daran denke. Wir bissen die Lippen wund, um das Schreien zu verkneifen, aber es trieb uns das Wasser aus den Augen und ließ es über die Wangen rieseln. Das Sitzleder wurde uns so morsch wie eine Haut, die gerade vom Gerber kommt. Und die Rute rastete nicht. Gleich Kindern mußten wir um Gnade bitten, und bis wir das nicht etliche Male getan hatten und in das richtige herzliche Flehen kamen, das die Schulstube verlangt, hörte die Hauerei nicht auf. Der Herr Präfekt lachte nur und ermunterte den Rutenmann, wenn er ein bißchen erlahmte: zugehaut, guter Freund, zugehaut; Tapfer, tapfer! So recht! Da habt Ihr schöne Höllenbratel vor Euch! Nur sausen lassen! So gut! Und fester drauf, zügiger! Laßt schön pfeifen, Freund! Nur eingeschürt und zugefeuert, die lieben Engelein im Himmel lachen desto herrlicher, je mehr die geilen Sündenböcke weinen. Laßt nur das Fräulein vom Birkenstrauß recht herumtanzen! Eine Ehre verdient die andere.«

»Und sehen Sie,« fuhr der Herr Magister fort und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirne, »das ist nun schon ein halbes Menschenalter her, aber ich will es nie vergessen. Ich bin damals ausgekniffen und zu den Husaren gegangen und darum will ich's erst recht nicht vergessen. Und darum bleibt es bei meinem alten Argument: was diese Jesuiten, denen der geistliche und weltliche Staat das ganze Erziehungswesen anvertraut hat, nicht nur nicht für unanständig, sondern für gut, heilsam und seelenersprießlich gehalten haben, das muß nach allen Regeln einer weisen Disziplin ausgeknobelt sein. Und die freundliche Rute bricht weder Arme noch Beine.«

Es war ein schönes Bekenntnis einer schönen Seele.

*

Aber jetzt kam der Schulgehilfe zurück und sagte mit einem wehmütigen Ton: »Sie erbarmen mich, die kleinen Kinder.«

»Erbarmen?!« brüllte der Magister.

»Ach ja! Ich muß immer dran denken, wie wehe es mir getan hat und ich war doch schon über zwanzig Jahre. Und die größeren Mädchen wollen gar nicht parieren – bäumen sich – –«

»Bäumen sich?!« schrie der Magister. »Bäumen sich! Für was hat dir Gott und die Natur deine Kraft gegeben! Sehe mir einer den vierschrötigen Kerl an und lache nicht, wenn man ihn vor Schulmädchen mit der Rute in der Hand zittern sieht. Und Erbarmen! Höllisches, teuflisches Erbarmen! Ein zügelloses Pferd wird hartmäulig und ein ungezogenes Kind unbändig. Scherze nicht damit, laß ihm keine Gewalt in der Jugend und vernachlässige seine Fehler nicht. Biege seinen Nacken in jungen Jahren!«

Ganz begeistert dozierte der Schulmeister seine weisen Reden. Er schlug mit beiden Armen einen fürchterlichen Takt und sein Gesicht sah zum Fressen grimmig aus.

Auch kam ihm der Heilige Geist wieder in den Sinn: »Du schlägst mit Striemen zum ewigen Leben, sagt der Heilige Geist bei Sirach. Aber natürlich, so ein Adstant hat keine Bibel im Kopf und keinen Verstand in der Faust, um das Amt nach der Bibel führen zu können. Aber warte nur, ich will schon Ordnung schaffen und ihm Satisfaktion geben. Bäumen! Große Mädchen, und sich bäumen! Ei, es ist schrecklich.«

Und dann entschuldigte er sich, daß er ex officio nicht länger bleiben könne, erbat sich die Ehre auf ein andermal und ging mit Riesenschritten an die Arbeit.

Sie begann rasch und man hörte wieder abwechselndes Geheul.

Dem Bürgermeister Hansjakob Pentenrieder wurde schwül. »Nein,« sagte er beklommen, »in diese Schule kommt mir mein Pankraz nicht.«

Der Pater Guardian antwortete ausweichend, unverbindlich (denn er dachte an die fromme Matrone Rosina): »Sie hat ihr Pro und Contra.«

»Freilich!« bestätigte der Adstant. »Der Magister Samson hat das auch weislich ausgedacht. Und was er für ein schönes Pro ersonnen hat: wenn die Kinder wissen, daß sie stark für den Samstag vorgemerkt sind, so betteln sie mit vielen Tränen ihren Müttern Butter, Schmalz, Eier, Mehl, Fleisch und Geflügel ab. Und das ist der Pro und das bringen sie am Freitag. Und dann ist der Samstag und der Hundestall mehr Spiel als Ernst und für uns ein guter fetter geliebter Tag. Dagegen – und das ist wohl das Contra, das Sie meinen – müssen die Kinder um so lauter schreien, die am Freitag nichts bringen; denen schreibt der Herr Magister ihre Vergeßlichkeit deutlich hintenauf. Und das bringt wieder den Ruhm von guter Zucht für unsere Schule. Reiche Leute machen's nun bisweilen so, daß sie oft selbst nachsehen, und bei dieser Gelegenheit bei der Frau Magisterin die Schulstrafen für ihre Kinder ein wenig besprechen – klingend, hüpfend. Damit aber die Redlichkeit und Unparteilichkeit gewahrt ist, müssen auch diese Kinder in den Hundestall, wenigstens so lange, bis des Herrn Magisters Frau kommt und sie von der Strafe losbittet. Und drum steht die Frau Magisterin an den Samstagen immer vor der Tür, mit dem Drücker in der Hand und den Namen im Gedächtnis – das System ist ausgezeichnet.«

»Nein, nein, die Eltern pflichten Beifall: da gilt die vom Heiligen Geist empfohlene Rute noch etwas, sagen sie, aber man schlägt sie nicht tot.«

Auch der Herr Schulgehilfe hätte noch stundenlang über die allein sachgemäße Disziplin zu reden gewußt, aber der Herr Bürgermeister blinzelte den Pater Guardian so lange mit den Augen an, bis dieser mit ihm wegging.

*

Viele Male schüttelte der Herr Bürgermeister unterwegs den Kopf. »Nein,« sagte er jedesmal, »in diese Schule des Elends kommt mir mein Pankraz nicht.«

Und der Pater Guardian schwieg sich gedankenvoll und grimmig aus.

*

Der Autor könnte jetzt auch seinen Senf dreingeben, aber er tut's lieber nicht. Wozu auch? Er weiß genau, wie viele Geistesmänner aus solchen hervorragenden Schulen gekommen sind, um wieder nach der gleichen Methode und mit der gleichen rachsüchtigen Erinnerung im Herzen Kinder zu unterrichten und zu ziehen. Ob zu Polling oder zu Wessobrunn oder zu Beuren, das ist gleichgültig. Wir könnten das ganze Alphabet der Klöster durchgehen, die sich mit Erziehung abgaben, und würden überall Männer nach unseres Magisters Samson Geist finden.

Und ein Pater zu Dietramszell hat sogar das Geheimnis der Samsonschen Prügelkunst zu Druck gebracht – seine Feder, sein Papier, die Druckerschwärze und der geistliche Zensor des Buches waren von der Methode gleich begeistert.

Zu allen Zeiten gab es auf den Schulen menschenfremde, unerfahrene, grausame und innerlich schmierige Schulmeister, ganz nach dem Schnitt des bleiernen oder eisernen Zeitalters der Sittlichkeit.

Und viele Mönche haben den Magister Samson zu übertreffen verstanden – Ehre, wem Ehre gebührt.

 


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