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Das zweiundvierzigste Kapitel

In dem der Pater Guardian dem kleinen Pankraz einen überaus freundlichen Brief zugehen läßt

 

Das Kehlheimer Guardianat war ein ehrenvoller Posten, wenngleich die bösen Mäuler den Pater Guardian dorthin verbannt hatten.

Es ist zunächst an plaudersame Graubärte zu denken, an Geschwätzigkeiten im Pförtnerstübl und an Krethi und Plethi, das an allen Wundern und großen Zeichen die Zünglein wetzt.

Und an Neid ist auch zu denken.

Das Kloster bekam durch die Verdienste des heiligen Corleone um den Bürgermeistererben seine Immerkuh, oder wie das nützlich geregelt ist, jedes Jahr das abfallende Kalb. Das machte dem heiligen Corleone im Himmel droben Freude und seine armen, immer fastenden Brüder auf Erden ließen sich die Früchte der Immerkuh in Demut und mit wohlschmeckenden Saucen angedeihen.

Der Herr Pfarrer des Städtchens aber, der an keiner Immerkuh Anteil hatte, war ein böser Mann mit weltlichem Maule und verlor bei dem Pater Provinzial einige zweideutige Reden über den Pater Guardian.

Er behauptete, dem Volksmunde nachzureden und fügte ein Achselzucken, ein Kopfschütteln oder eine Faltenstirne da ein, wo er diesen Volksmund besser verdolmetschen zu müssen glaubte.

Und der hochwürdigste Herr Pater Provinzial hörte den schwatzenden Weltpriester übelgelaunt an, zog aus seiner Rede, was ihm klug und nützlich schien, und verwarf den ärgerlichen Rest. Er gebot ihm strengstes Stillschweigen, tadelte einiges, lobte anderes, schalt auf böse Mäuler und entließ den Herrn Pfarrer in halben Gnaden.

Der Herr Pfarrer ging verdutzt. Er überlegte: hätte der Herr Pater Guardian beim Generalvisitator des hochwürdigsten Konsistoriums so etwas gegen ihn gesagt, so wäre der Herr Pfarrer in eine geistliche Büßeranstalt gekommen und hätte dort seine Seele gebührendermaßen läutern müssen.

Aber so hat ein simpler Pfarrer zu einem hohen Pater Provinzial gesprochen, der wußte, was einem hohen Orden und was der Welt gebührt und wohl und wehe tut. Und der Provinzial dachte nach ganz anderen Richtungen hin als andere gewöhnliche Menschen und etwa ein simpler Weltgeistlicher, und sein hoher Verstand erhellte die dunkle Sache. Der hohe Würdenträger sah sich durch die Verleumdung von den Verdiensten des Pater Guardian innigst überzeugt, und die Bosheiten des Herrn Pfarrers erinnerten ihn erst daran, daß dieser wundertätige Pater in einen viel größeren Wirkungskreis kommen müsse. Das Städtchen war für einen Wundermann seinesgleichen viel zu klein. Und so beförderte er ihn zu dem Guardianat in der Hauptstadt der Provinz, wo er in Ansehung seiner großen Verdienste bald Definitor und drei Jahre später Provinzial wurde.

Und so wendet sich oft das Böse zum Guten.

Der ausgezeichnete Mann aber vergaß die Stätte seines ersten größeren Wirkens nie, und wir finden ihn von Zeit zu Zeit in dem Bürgermeisterhause, das ihn vor allen Menschen verehrt.

Und so kommt es, daß er hier wieder mit der Frau Mutter verhandelte: »Was soll aus dem lieben kleinen Pankraz werden?«

Nun glaube ich, hochgünstiger Leser, daß es unschicklich ist, wenn wir uns ständig zwischen zwei Leute stellen, die sich was Wichtiges zu erzählen haben. Vertrauen wir dem Pater Pankraz, daß er der Frau Mutter der beste Berater sein wird.

Wir selber dürfen ja doch nicht dreinreden – denn die Geschicke des jungen Menschen vollziehen sich nach heiligen Gesetzen, an denen wir nichts mehr ändern können.

Aber wir können einen Brief abdrucken, den der Pater Guardian bald nach dieser Besprechung an den Jungen schrieb:

 

»Lieber kleiner Engel!

Du zeigst in der Tat, daß Du ein Mirakelkind bist. Ich bin über Deine Fortschritte in den Wissenschaften und in der Tugend erstaunt und erfreut. Ich freue mich um so mehr, weil Du dem heiligen Bruder Corleone, auf dessen Fürbitte hin Du Deinen lieben Eltern geschenkt worden bist, so viel Ehre machst.

Ich glaube, daß Du diesen lieben Heiligen noch nicht ganz kennst – so will ich Dir heute etwas Weniges über den Wundermann mitteilen. Merke Dir brav, was ich Dir hier sage.

Der heilige Bruder Corleone wurde im Jahre eintausendsechshundertneununddreißig geboren und erhielt in der heiligen Taufe den Namen Franz. Es war dies vermutlich ein Zeichen des Himmels, daß er Kapuziner werden sollte. Als er ein Knäblein von drei Jahren war, verlor er seine Mutter und erhielt eine Stiefmutter, die ihn grausam schlug. O, wie glücklich sind die Kinder, welche ihre eigenen Eltern noch haben und noch dazu Väter im Geiste! Wie fleißig sollen sie kniefällig beten, wie schön dabei die Hände aufheben, daß sie ihnen Gott recht lange erhält! Besonders ist der Geist mehr wert als das Fleisch, weil er ewig lebt, während das Fleisch fault, stinkt und vermodert.

Und der heilige Corleone wurde also von einer Fürstin an den Hof genommen. Er entlief ihr aber und wollte ein Waldbruder werden. So früh schon! Damit nun aber die Fürstin nicht merkte, daß der fromme Diener entlaufen war, so nahm der heilige Schutzengel Corleones Gestalt an und verrichtete seine Dienste, um ihn vor Strafe zu bewahren.

Und darum, mein lieber Pankraz, mußt Du täglich Deinen heiligen Schutzengel mit zwei Vaterunsern, oder drei oder vier (je mehr, desto besser) auf den Knien verehren. Du kannst noch nicht wissen, wie Du ihn brauchen wirst. Beten ist die Hauptsache in der Religion, und Singen und Psalmieren und Gott Preisen, wie Du es von uns gesehen und gehört hast.

Als der heilige Corleone nun als frommer Waldbruder lebte, kam zu ihm ein Mann, der ein holdseliges kleines Kind an der Hand führte. Er erzählte ihm, daß der heilige Schutzengel in seiner Gestalt für ihn bei der Fürstin diene. Auch gab er dem frommen Waldbruder Brot, das so schmackhaft wie Manna zu essen war.

Merkst Du was, mein lieber Pankraz? Der Mann war der heilige Joseph und das holdselige Kind war das liebe Jesulein. Eijapopeia! Der heilige Corleone würde gewiß das Kind auf seinen Armen gewiegt haben, wie der heilige Felix, wenn er es in seiner frommen Einfalt erkannt hätte.

Und siehe, mein lieber Pankraz, auch ich wünsche Dir das Christkindlein und wünscht es Dir ins Herz hinein. Du mußt ihm ein Flaumbettchen bereiten aus den Schwanenbälgen der theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Und Deine Demut und Geduld mußt Du als Esel und Ochsen neben die Krippe seines Herzens stellen.

Und der heilige Joseph begleitete also den frommen Waldbruder Corleone wieder an den Hof der Fürstin zurück. Wunder geschah: niemand schimpfte ihn wegen seines Entlaufens. Natürlich, weil der heilige Schutzengel sozusagen alle niedrigen Dienste für ihn verrichtet hatte. Aber es gefiel dem heiligen Bruder nicht an dem Hofe. Weltlich ist weltlich, geistlich ist geistlich. Lange schon hatte dem guten Mann der Magen nach einem geistlichen Dienst gestunken, was vermutlich der heilige Schutzengel oder der heilige Joseph in ihm veranlaßt haben.

Und so ging Corleone in seinem achtzehnten Lebensjahre von der Fürstin weg und wurde Unterkoch bei einem Erzbischof. Endlich ein geistliches Amt! Der Erzbischof sah den frommen Diener, und seine Eingezogenheit gefiel ihm ausnehmend.

Corleone hatte große Freude daran, daß er im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen durfte, wie es der Fluch des barmherzigen Schöpfers der Welt verlangte. Er konnte genug schwitzen, denn in einer bischöflichen, noch dazu erzbischöflichen Küche dreht sich der Bratspieß wie der Zeiger auf der Marktuhr – unaufhörlich. (Es werden aber die reichen Prasser einmal in der Hölle begraben und die armen Lazarusse, mein lieber Pankraz, und wir mit ihnen, sitzen in Abrahams Schoß, wenn die Zeit gekommen ist.)

Und die Geschichte vom heiligen Franz Corleone besagt weiter: es gefiel Gott, die Feuerstatt brennender Liebe auf der Herdstätte des Herzens des zukünftigen Heiligen anzurichten und aus dem schmutzigen Küchenjungen einen Heiligen oder seraphinischen Kapuzinerbruder zu bilden.

Er lebte engelrein, aber der Teufel stand gegen ihn auf und hetzte das Fleisch gegen seine fromme Seele. Denke Dir, mein lieber Pankraz, wie schrecklich: man machte ihm Vorschläge zum Heiraten! Wer weiß aber nicht schon aus den Ekklesiastes, daß von dem Weibe die Bosheit kommt? Der Weise flieht sie daher wie die Skorpionen und Drachen, mein lieber Pankraz.

Und Corleone, der damals schon klug und heiligmäßig war, gab also der Braut den Korb und folgte geistlicherweise denen, welche nach dem heiligen Evangelium dem Reiche Gottes zuliebe Eunuchi geworden sind – worüber ich Dir ein andermal schreiben werde.

Auch mit der Welt brach der heilige Corleone vollständig und nahm in seinen Gebärden und Mienen, in Reden und Kleidung die Gestalt eines Narren an. Und einmal warf er sich nach ganzer Länge vor eine Klosterpforte unseres heiligen Ordens hin und schrie: hier will ich leben und sterben.

Nun sieh, mein lieber Pankraz, welche weise Fügung der liebe Gott oft ersinnt: eben war der Pater Provinzial im Orte und hatte sofort eine himmlische Eingebung, vermöge der Franz auf der Stelle in den heiligen Orden aufgenommen wurde. (Auch hier darf ich einer wunderbaren Fügung Gottes nicht vergessen: der Koch des Klosters war unlängst gestorben und der Pater Guardian und sein verehrungswürdiger Konvent hatten bereits wehmütig um ein anderes taugliches Subjekt geseufzt.) Eilig schlüpfte der vermeintliche Narr in den heiligen Ordenshabit, nahm den Namen Corleone an, umgürtete sich mit einem Strick, setzte die Kapuze auf und sieh: ein ausbündiger Heiliger stand da.

Siehe, so muß man's machen, wenn man heilig werden will. Man muß die Welt, das Fleisch und den Teufel mit einem heroischen Akt auf das Maul schlagen.

Und hier, mein lieber Pankraz, schicke ich Dir eine Geißel aus Zucker. Iß sie in Freuden auf, bis Du mit der eisernen Ordensgeißel bekannt wirst. Vergiß mir das gute Beispiel des heiligen Corleone nicht und folge ihm nach. Lebe wohl, lieber kleiner Pankraz!«

*

Wenn mein hochgünstiger Leser genügend hell unter dem Hute ist, so erkennt er, daß der Pater Guardian das Büchl über den heiligen Corleone gelesen hat, von dem schon die Rede war und das so schön aus den Händen der türkischen Seeräuber auf den Trödlmarkt zu Tunis und von dem Trödlmarkt zu Tunis bis nach München gekommen ist, wo es ein braver Kapuzinerbruder zu Perlach wieder ans Tageslicht bringen konnte.

Je nun, es ist ein hellfunkelndes Buch über die Armut im Geiste. Man müßte so eine kostbare Sache auf das schönste einbinden und unbedingt mit Goldschnitt versehen.

Aber daß ja kein Irrtum passiert: ich sah schon die Corona Mariana oder die Leidensgeschichte von zwölf engelreinen Jünglingen in Schweinsleder, und Voltaires Mädchen von Orleans in Jungfernpergament eingebunden.

Und dieses sollte nicht sein.

 


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