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Das siebenundzwanzigste Kapitel

Nennt sich Präludium, oder: Einführung in das Geheimnis der Menschenerziehung

 

Der Pater Guardian verstand es, den Willen des starken Burschen vom Persönlichen auf das Allgemeine zu lenken und ihn über die Schule des Herrn Samson sprechen zu lassen, »Wir haben das Jesuitensystem, natürlich,« sagte der Schulgehilfe.

»Eiei,« sagte Herr Hansjakob und gewann wieder Interesse für den Mann. »Ich bin selbst in die Jesuitenschule gegangen.«

»So?!« Der Schulgehilfe brachte das Wörtchen kurz und strafend und drückte desto deutlicher aus, daß er nicht der Meinung sei, daß hier ein glücklicher Erziehungserfolg bewiesen sei – mit diesem Manne, der wohlerudierten Menschen ins Wort falle und lieber auf brüllende Kinder höre als auf gutgesetzte Sätze, auch wenn sie einer spreche, der beinahe vor den priesterlichen Weihen gestanden – – und so wandte sich der starke Mensch jäh von dem schlecht geratenen alten Jesuitenschüler ab und sprach an den weiseren Pater hin: »Es wird gelehrt, wie die Jesuiten lehrten, es wird gebetet, wie die Jesuiten beteten, es wird gebüßt, wie die Jesuiten büßten, bisweilen etwas mehr und strenger, besonders in der Samstagslektion.«

Der Pater Guardian wünschte Näheres über diese lehrreiche Lektion an den Samstagen zu wissen, und der bekümmerte Herr Hansjakob wandte seine Ohren wieder von den Kindern ab und dem starken jungen Manne zu.

»Das ist eine ganz einfache Sache,« lächelte der Schulgehilfe, »die ganze Woche hindurch werden alle Böcke aufgeschrieben, die die Kinder gemacht haben, und wer mehr als sechs an der Zahl hat, der kommt am Samstag unter die Rute und erhält so viele Hiebe, als er Böcke gemacht hat. Da kann einer auf dreißig und vierzig und noch mehr Hiebe kommen. Mit Recht, nicht wahr, warum sind sie nicht achtsamer.«

»Man kann natürlich mit den Mädchen keine Ausnahme machen. Sie machen auch in den Rechnungen Fehler, wissen ihren Katechismus nicht, stottern beim Lesen, schreiben eine schlechte Handschrift, lachen in der Christenlehre, oder machen sonst einen Fehltritt – dann geht's ihnen eben geradeso wie den Buben. Die verdammten Lausemädel! Nur haben sie das eine voraus, daß die Buben zuerst verhauen werden und daß der Magister schon etwas müde ist, bis die Mädel dran kommen; denn den Buben gibt er's ordentlich, da kann man ihn nur loben. Es liegt ihm große Ehre daran, pflegt er zu sagen. Diese Lausbuben werden heute oder morgen Gelehrte sein, und Gelehrte, die viele Böcke machen, die taugen nix. Das sind gute kluge erzieherische Worte, die ich nicht vergessen will. Diese Lausbuben werden heute oder morgen Gelehrte – man muß sie rechtzeitig zu ihrem Besten verprügeln.«

Der Herr Vater Hansjakob machte steife Augen zu dem Pater Guardian hin und schüttelte den Kopf. Er dachte an seinen kleinen Pankraz und das Geschrei der Kinder schnitt sich wieder scharf in sein Herz. Er fröstelte zusammen und der Schulgehilfe mußte ihn mit einem Blick strafen, bevor er seinen Faden wieder aufnehmen konnte.

»Nun ist es schon vorgekommen, daß die Kinder dem Herrn Magister oft recht viel Mühe machen, diese verdammten Lausekinder, bis er sie richtig und bequem unter der Rute hat. Infolgedessen hat er eine Menge geistreicher Einrichtungen getroffen, die ihm manch sauere Arbeit ersparen. Ich sage Ihnen, bei diesem Mann kann man lernen! Ein ausgezeichneter Pädagoge, da können Sie sich darauf verlassen. Sie können das überall erzählen – berufen Sie sich unbedenklich auf mich. Mein Wort zum Pfand!«

»Sehen Sie, wie ich zum Magister Samson kam, hat er mir einen wunderschönen Vortrag über die Disziplin gehalten. Die Disziplin, sagte er, mein lieber Sohn, ist die Seele des Unterrichtes und das Hauptwerk in den Schulen. Warum stecken hier alle Fenster voll Ruten? Wegen der Disziplin. Warum hängen so viele Karbatschen herum? Wegen der Disziplin. Warum gibt es hier so viele Tatzenbrettln, womit man den Kindern die Hände brav herbläuen kann, an den Wänden, und auf den Tischen? Wegen der Disziplin. Was bedeuten die scharfkantigen Holzblöcke auf dem Fußboden? Sie bedeuten, daß man strafbare Kinder darauf knien läßt und bedeuten also die Disziplin. Warum sieht man hier die gemalten Tafeln! Hier ist ein Esel, hier ist ein Bock und hier ist ein Schwein abgebildet. Was will der Esel, was will der Bock, was will das Schwein in diesem Tempel der Weisheit, auf diesem Parnasse, in dieser Halle der Musen? Sie sind der Disziplin halber da. Ist ein Kind ein Esel, so hängt man ihm die Eselstafel um, damit die ganze Welt den Esel kennenlernt. Hat ein Kind viele Böcke gemacht, so hängt man ihm unter der ganzen Woche die Tafel an den Hals und stellt es ein paarmal vor die Türe hinaus (den Vorbeigehenden zum Spaß), bis der Samstag kommt, wo man ihm mit der Rute die Böcke wieder ausstreichen kann. Besudelt eine Mädchen ihre Schrift mit Tinte, so bekommt sie die Schweinstafel an den Hals, und hilft das nicht, so radiert man ihr am Samstag mit der Rute die Säue aus ihrem Jungfernpergament – ei, wie hat mein Herr Magister gelacht! Dieser Esels-, dieser Schweins- und dieser Bocksorden werden also den strafbaren Kindern im ersten Grade ihrer Strafbarkeit erteilt, und hilft das nicht, so müssen eben frische Ruten her.«

Herr Hansjakob zog sein geblümtes Taschentuch und wischte sich den Schweiß von der Stirne. Sein Gesicht hatte eine graue Farbe angenommen, und auch der Pater dachte über etwas nach.

»Ich erinnere mich sehr deutlich dieser Rede,« sagte der Schulgehilfe fröhlich, »und ich weiß noch genau, wie der Herr Magister schloß: ich bin so trocken im Halse, hole Er mir eine Maß Bier, Adstant, denn dafür habe ich Ihn, daß Er mir beisteht, wenn ich Ihn brauche.«

»Das war mir anfänglich zuwider. Denn wo sollte der Respekt vor mir bleiben, wenn ich wie ein Lehrling ums Bier laufen mußte. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich ganz gut daran.«

Herr Hansjakob wandte sein Gehör wieder den Kindern zu und das Wasser trat ihm in die Augen.

»Halt, da habe ich Ihnen noch nichts von unserem Hundestall erzählt. Ha, unser hübscher kleiner Hundestall! Hihihi! Ja, der alte Samson!« Der Schulgehilfe sah neckisch auf den Pater und erwartete seinen Beifall.

»Dieser Hundestall ist aber kein Hundestall, sondern eigentlich ein recht künstlich gebauter Stuhl, worauf der Herr Magister sitzt, wenn er am Samstag seine Rute austeilt. An den Hundestall erinnert nur vorne am Stuhl ein Brett mit einer runden Öffnung. Durch diese müssen die strafbaren Kinder auf den Knien hineinkriechen, und wenn nun eins richtig im Kasten ist, so schließt sich die Öffnung rings um die Lenden und der Verbrecher kann sich nicht mehr bewegen. Ja, der alte Samson – ein Teufelskerl! Auch die Beine werden durch eine sinnreiche Vorrichtung schön im Zaume gehalten. Es gibt kein Zippeln und kein Zappeln und kein Winden und kein Drehen, es gibt nur Prügel. Es ist eine wahre Lust, auf diesem Stuhle zu sitzen und die Rute zu führen; man ist unbeschränkter Meister vom ganzen Schlachtfeld.« Er schwelgte in einem Lachen und deutete mit den Händen den runden Schlachtfeldplan an. »Ein Teufelskerl,« murmelte er bewundernd, während Herr Hansjakob wieder erbleichte.

»Und auf dieser Maschine also sitzt der Erfinder, Herr Samson, und hält seine Samstaglektion oder, richtig gesagt, teilt jedem zu, was ihm seine Liederlichkeit die Woche hindurch auf die Zechtafel schrieb, und rechnet gewissenhaft ab. Ich sage Ihnen: eine Mordsarbeit (denn der Sünder sind zu viele), aber solchergestalt ein Vergnügen!«

*

 


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