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In welchem sich ein tapferer alter Husar vorstellt und über die Vortrefflichkeit der Rute spricht
Jetzt verstummte das laute Schreien und Heulen plötzlich und man hörte ein Wimmern, Schluchzen und Stöhnen, einen armseligen Chor von Kindern, den vorher immer der Sünder unter der Rute übertönt hatte. Herr Hansjakob sah das Bild deutlich vor sich, wie es ihm das Gehör übermittelte: setzt pausierte der Magister, schnupfte eine Prise oder rechnete in seinem Strafbuche nach und die kleine gequälte Herde überließ sich dem nachzuckenden Schmerz, der Qual der Hilflosigkeit und der brennenden Scham.
Herr Hansjakob verlor die Blässe aus dem Gesicht und eine Zornröte tauchte so lange auf, bis ein rascher wütender Entschluß wieder verschwunden und die alte Schlappheit eingekehrt war. Er versank dabei in eine stille seltsame Traurigkeit. Sie quälte seine Gedanken und machte ihm fast körperlichen Schmerz. Er war froh, daß die Treppe plötzlich häßlich knarrte und ihn aufweckte – der Magister Samson kam herabgestiegen.
Man sah einen hageren langen gallebraunen Mann mit ein paar kleinen Zöpfen an den Haaren, wie sie die wilden Husaren zu tragen pflegen. Er hatte ein blaues abenteuerliches Kamisol ohne Ärmel am Leibe. Die Hemdärmel waren zurückgestülpt. Seine gelben Hosen waren mit einer alten Säbelkuppel an den Leib geschnallt und aus derben Schuhen wuchsen rote Strümpfe an den Füßen herauf, die über den Knien aufgerollt waren. Er sah aus wie ein Mensch, um den einen Augenblick zuvor die Kugeln gepfiffen haben und den man nach der Schlacht abgedankt und heimgeschickt hat und mit dem Fetzen seiner Reiterpracht ins Friedensleben schmeißt. Und dem kein Haarkräusler und kein Theatermeister die groben rohen Spuren von Feld und Schlacht und Lager wegwischen kann.
In seiner Linken trug er eine Schlafmütze, die er vom heißen Schädel gezogen hatte, und mit der Rechten rieb er sich den Schweiß von der Stirne.
Er entschuldigte sich: »Ich sehe aus, als hätten mich die Hexen zuschanden geritten. Aber stellen Sie sich die Frechheit vor: da wollte mich so ein Lausbub insultieren. Einen alten Husaren insultieren! Aber das Lehramt ist ein hohes Amt, ein Staatsgeschäft, und darf nicht verächtlich gemacht werden. Du Lausbub! sagte ich. Fiat justitia et pereat mundus. Denken Sie sich nur: der Lausbub kriecht in den Hundestall, ohne daß er vorher seine Hose herabgezogen hat! Verfluchter Hund! sage ich, dir will ich die Suppe kochen! Denn das weiß doch bei mir der Erste wie der Letzte, daß die Hose herunter muß, bevor überhaupt die Samstaglektion anfängt. Reinen Tisch will ich haben und glatte Arbeit. Ist ja immer höllisch viel zu tun – ich hatte noch sechs oder gar sieben tüchtige Sünder nach ihm zu gerben und so eine boshafte Sache wie die, daß der malefizische Lausbub die Hosen nicht runtergezogen hat, nimmt einem natürlich unnütz die Zeit weg. Muß ich also dem Teufelspanduren die ganze Geschichte herunterreißen und mich dabei so giften und ärgern, daß meine Rute schon beim zwölften Hieb bis auf Stumpf und Stiel zuschanden gehauen war.«
Er nickte Herrn Hansjakob wohlgefällig zu, weil er in dem zitternden Manne die Teilnahme für seinen Berufsärger erkannte.
»Und ich griff also nach der zweiten, die rechts neben mir im Wasser steckte. Denn wissen Sie,« schärfte er Herrn Hansjakob nachdrücklich ein, »eine Rute, die nicht tüchtig eingeweicht ist, die zieht einfach nicht. Nahm also die nasse Rute. Ha, wie die pfiff! wie die durch die Luft sauste! Und wie mir das Herz lachte, als der Vogel vergeblich in seinem Käfig sein Miserere heulte und nach allen Heiligen schrie!«
Er schlug Herrn Hansjakob freundschaftlich auf die Schulter und belohnte den aufmerksamen Zuhörer durch größere Ausführlichkeit. »Und so langsam kam ich dann doch wieder in Stimmung und war wieder richtig bei der Sache. Und dann gab ich dem Schweinehund die zweite Rute mit der notwendigen Ruhe, und als sie kaput war, lag der Lausbub, der miserable, hübsch blau und rot vor mir wie ein kupferner Kessel.«
Er lächelte sich Beifall zu und genehmigte sich eine Prise. Dann wandte er sich mit erneutem Wohlgefallen an Herrn Hansjakob: »Und wie ich triumphierte, als der Lausbub von mir auf allen vieren wegkroch, wie er zitterte und eine Weile weder stillstehen noch geradegehen konnte, und wie er die zerrissene Hose, das zerrissene Hemd und die zerrissenen Hosenträger zusammensuchte! Du Hundsfott! sagte ich und gab ihm einen ehrlichen teutschen Fußtritt, willst du etwa hinfür wieder mit einem alten braven Husaren anbinden!? Du stinkiger Schweinsknochen, dich will ich noch Mores lehren!«
Er gab dem Herrn Vater wieder einen herzhaften Klapps auf die Schulter und lachte ihm ein Langes und Breites vor, von seinem Gehilfen in hoher Tonlage begleitet. Er war sehr mit sich zufrieden.
»Und sehen Sie, so was erzieht. Das Vorbildliche, wissen Sie, die Exempla. Es kam keiner mehr nach ihm, der sich das Hosenherabziehen erspart und der es gewagt hätte, mir Zorn und Mühe zu machen. Bis auf die Knie hatten sie den Plunder herabhängen und die Hemden hoben sie fleißig hoch, um ihre Folgsamkeit zu bezeugen. Nein, nein, mit den anderen war ich recht zufrieden.«
»Aber jetzt habe ich Durst. Adstant! Eine Maß Bier.« Und der Schulgehilfe ging um Bier und der Herr Magister wandte sich mit aller Freundlichkeit wieder an die beiden Besucher.
»Also, also, der Herr Bürgermeister! Und der Herr Pater Guardian. Na, das freut mich sehr. Nur schade, daß Sie so zur unrechten Zeit kommen! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie ich gerade in der amtlichen Arbeit stecke. Ich habe wohl noch ein paar Dutzend Mädel zu erledigen. Es brennt mir ordentlich in den Händen, wenn ich meine Arbeit nicht ganz geschehen weiß. Ich pflege nie etwas zu verschieben – nichts ist für die Kinder ein schlechteres Beispiel als ein zaudernder Lehrer. Nein, nein, die kriegen ihre Sache noch.«
»Kann ich,« der vielbeschäftigte Mann sprach hastiger, »kann ich vielleicht mit etwas dienen? Vielleicht ein Gläschen Minzengeist? Meine Frau setzt ihn selbst an. Oder befehlen Sie was anderes?«
Der Pater Guardian meinte, er möchte zum ersten erbitten, daß der Herr Magister heute den Mädchen die Strafe erlasse.
Herr Hansjakob hob stumm und unterstützend die Hände – er befremdete den alten Samson plötzlich sehr.
»Um Gottes willen!« antwortete er. »Um alles in der Welt nicht! Ich verstehe Sie nicht – stellen Sie sich vor: durch wen kam die Sünde in die Welt – durch die Eva! Daß ich dem Weibsbild das nie vergesse! Daher kommen die Mädel bei mir immer schlechter weg als die Buben.«
Er zog viele Falten auf seiner Stirne auf und schüttelte energisch den Kopf. Man sah ihm an, daß er der Mann war, den Versucher abzuwehren.
»Ich weiß wohl,« sagte er dann mit einem bedauernden Kopfschütteln, »diese neuen freigeistigen Herren Schulverbesserer, die alles anders machen wollen als es vor alters war, die halten nicht viel auf die Rute. Das ist böse, sehr böse und wird einmal furchtbare Folgen haben. Keine Rute mehr!! Es ist nicht auszudenken. Aber ich frage den Plunder nach ihnen. Was sagt der Heilige Geist? Entzieht dem Kinde die Rute nicht; denn wenn du sie ihm auch zu kosten gibst, es stirbt nicht daran. Und da habe ich doch meine Erfahrungen: ich habe meine Buben so brav damit gefüttert, mit dem vollsten eingerüttelten und eingeschüttelten Maße und sie sind alle groß und stark geworden. Jawohl, gestorben!! Nicht einer – dieses verdammte Hurenpack ist nicht totzuschlagen.« Er schüttelte seine Faust und die Falten auf seiner Stirne mehrten sich.
»Du gibst ihm also Streiche mit der Rute, fährt der Heilige Geist fort, und bewahrst seine Seele vor der Hölle. Sehen Sie, das steht fest, und über den Heiligen Geist lasse ich nichts kommen. Ich handle nach ihm und nach Gottes Lob und Gottes Willen. Und zum Teufel auch: hört Euch doch den Herrn Pater Kapuzinerprediger einmal richtig an, wenn er von der Kinderzucht spricht: der vergißt die Rute nie. Soll ich ihm etwa nicht folgen? Lieber den Freigeistern, die die Jugend fein delikat und zur Hölle erziehen wollen? Und den Heiligen Geist und den Herrn Kapuzinerprediger schwätzen lassen – wie! Kreuzsternelement, bei mir wird geprügelt, daß die Schwarten krachen.«