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«Kennen Sie das, daß man einem Menschen begegnet, dem man schon früher begegnet zu sein glaubt und doch nie begegnet ist, und daß man sich wundert, weil ihm gewisse Kennzeichen fehlen, an die man sich doch erinnert?» Diese Frage richtete Kitty an den Holländer, als sie sich von ihm verabschiedete, bevor er seinen Wagen in Gang setzte, mit dem er Patty und Bombay nach dem Dubliner Gefängnis fahren wollte.
«Ich glaub, ich weiß, was Sie meinen …»
«Die ganze Zeit hab ich Maggie gegenüber dies Gefühl gehabt», sagte das Mädchen. «Nur daß es hier umgekehrt ist.»
Der Holländer glich einem Fragezeichen.
«Ich hab sie die ganze Zeit für die Mörderin gehalten. Nur war da ein bißchen was Menschliches, das mich wieder irr machte …»
«Wenn sie nun unschuldig ist?» sagte der Holländer.
«Ich geb Ihnen mein Wort, daß sie schuldig ist! Und ich würde sie gern mit diesen beiden Händen henken, wenn kein andrer es tut!»
«Was willst du denn jetzt anfangen?» fragte die kleine Frau des Holländers. «Du mußt doch sehen, einmal zur Ruhe zu kommen!»
«Heimgehn und meine Revolver holen!» antwortete das Mädchen. «Was denn sonst? Ich will sehen, ob mich die Meergrünen noch einmal brauchen können …»
Es hat nichts Auffallendes, daß grade der Holländer die beiden von Rotkreuz nach Dublin fuhr. Die Menschen verlangen im allgemeinen von ihren Mitgeschöpfen mindestens, daß sie eine Vergangenheit und eine Zukunft haben – oder doch eins von beiden. Der Holländer aber war so schlecht gestellt, daß er, örtlich gesehen, über keins von beiden verfügte – weder über das eine noch über das andere. Allem Anschein nach würde er bis zu seinem Todestag hier ein Fremder bleiben, eine Tatsache, die seinen angebornen Reizen zu Hilfe kam im Verhältnis zu anderen Leuten ohne den bürgerlichen Stempel.
So fuhren sie denn ab.
Als sie schließlich hineingelassen wurden, stand Maggie da, drehte der Tür den Rücken, und wendete sich auch nur halb um, als die beiden eintraten. Sie hatten ihr allerlei mitgebracht, und sie nahm es mit großer Fassung entgegen. Nach einigen allgemeinen Bemerkungen fragte sie: «Kümmerst du dich noch um die Wirtschaft, Patty? – Aber das ist jetzt gleich!» fuhr sie fort. «Ich komm doch nicht wieder …»
Die Einwendungen der beiden überhörte sie, und so stand sie eine Weile und blickte gegen das Licht hinauf, das durch das Fenster fiel. Dann drehte sie sich mit einem Ruck um und fragte: «Wie heißt eigentlich der Scharfrichter?»
Patty sah Bombay an, und dieser antwortete: «Ellis heißt er. Aber warum das?»
«Und wie heißt sein Gehilfe?» fuhr die Alte fort, ohne die Frage zu beachten.
«Pierrepoint,» antwortete Bombay und fragte wieder: «Aber warum willst du das wissen?»
«Ich will einen Rosenkranz für sie beten – sie henken eine Unschuldige!»
«Wenn sie nur von ihrer eignen Hand umkämen!» fügte sie nach einer Weile hinzu.
Als Bombay lange Zeit nachher oben an dem alten Haus vorbeikam, worin niemand mehr wohnte, sprach er mit sich selber und versetzte sich, wie das nun auch zugehen mochte, ganz in die Seele Maggies. Dabei zog er bisweilen die Feldflasche mit Whisky aus der hinteren Hosentasche und stärkte sich.
«In dem Haus hat die alte Maggie gewohnt», fing er an. «In dem Haus hat die alte Maggie gewohnt mit ihren gelben Stockzähnen und der kurzen Tonpfeife. – Wenn sie überhaupt je gelebt hat – Maggie Phelan, die vom Dubliner Schwurgericht zum Tode verurteilt ist – der Himmel mag wissen, ob sie sie gehenkt haben. – Als hätte das was zu sagen, ob man sie henkt oder nicht … War sie denn was andres als ein Prinzip? Und hat es was zu bedeuten, wenn man ein paar hundert Prinzipien henkt? – Aber Maggie war schon richtig – sie wollte ja nur ihr Haus behalten … Hatte sie denn kein Recht drauf, ihr eignes Haus zu behalten? Ihr Neffe war doch ein arbeitsscheuer Bursche, der sich unter der falschen Flagge im Land herumtrieb und – eines Tages aus einer Hecke raus erschossen wurde. Hat denn Maggie je eine Büchse abgeschossen? Hat sie nicht Herrn de Valera gelie-hiebt, und den irischen Freistaat desgleichen, und den Papst desgleichen? Und hat je ein Mensch dran gedacht, der alten Maggie ein Glas Porter zu schmeißen, oder einen kleinen Whisky? Nein, das Essen in Mountjoy war einfach schlecht – von Getränken und Tabak gar nicht zu reden … Dafür gab's Läuse und Wanzen genug – das weiß jeder, der sich in irischen Gefängnissen auskennt. Schweinerei und ruppige Behandlung, wo die Wärter doch überhaupt noch nicht wissen, ob man schuldig ist oder nicht. Und so Woche um Woche … Und da sitzt eins und wartet … Und wenn man erst über siebzig ist und nicht mehr so recht gesund … Aber die hochwohledeln Herrn Richter haben ja Zeit … Und Vater Parker ist auch gekommen und hat sie besucht und ihr einen Haufen Ermahnungen mitgebracht. Aber Trost für eine alte unschuldige Frau … Oder bißchen was zur Aufmunterung – ein paar Tropfen von dem oder jenem – woher denn! Und hat sie nicht die Kirche siebzig Jahre lang unterstützt? Mindestens mit einem Penny an jedem Sonntag? Und jeder weiß doch, daß Vater Parker Geld nach Noten auf die hohe Kante legt! Aber wenn es sich um eine arme alte Frau dreht … Und als ob sie dran schuld wäre, daß die Büchse nicht geputzt war, als die Polizei sie beschlagnahmte! …»