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Dubois hatte sich soeben ins Speisezimmer begeben um zu frühstücken, als geschellt wurde. Er richtete seine Augen auf die Tür, wartete und lauschte. Er hörte Friedrich öffnen und dann mit Jemandem reden. Es war Postdirektor Ackermann; Dubois hatte die Stimme sofort erkannt, erhob sich und ging ihm entgegen.
– Wie geht's, lieber Vetter? Ich störe doch nicht? fragte Ackermann in seiner eiligen und dabei behaglichen Weise den Überzieher rasch abwerfend. Was? Eben erst aufgestanden?
Sie setzten sich an den Kaffeetisch und Friedrich trug ein zweites Besteck auf. Der Begrüßung folgte ein kurzes Schweigen. Dann sagte Ackermann: Du weißt, ich interessiere mich für Napoleon, den alten nämlich. Hast Du nun gelegentlich irgendwo von einer Biographie Napoleons von einem gewissen Stendhal gehört?
Dubois konnte ihm keine Auskunft geben und Ackermann meinte, es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als direkt in Paris anzufragen. Die Berliner Buchhändler wären Schlafmützen. Dann sagte er: Übrigens bin ich nicht deswegen da, lieber Emil, sondern wegen der Geschichte mit diesem Löwenwolde. Sag' doch, was ist eigentlich los? Eine merkwürdige Angelegenheit.
– Ja, Du hast natürlich schon davon gehört. Eine sehr peinliche Affäre, an der mir manches völlig unbegreiflich ist. Jedenfalls ist Löwenwolde entlarvt. Und ich habe anderthalb Jahre mit ihm verkehrt und es ist mir aber auch nicht das Geringste aufgefallen. Sehr peinlich. Auf solche Weise könnte man sogar in schiefes Licht kommen.
– In der Tat, ja, sagte Ackermann rasch. Deshalb muß man seinen Stiebel gehorsamst weiterleben. Warum bist Du in den letzten Tagen nicht am Stammtisch bei Habel gewesen?
Dubois lehnte sich zurück und schien betroffen. – Es fehlt gerade noch, daß meine besten Bekannten stutzig werden, rief er. Dann lachte er laut und kurz.
– In meiner Gegenwart ist in dieser Hinsicht kein Wort gefallen. Aber ich muß sagen: noch Du darfst Dich jetzt nicht unsichtbar machen, das geht nicht.
Dubois erhob sich. Er ging hin und her und sprach eifrig und eindringlich: Es ist einfach unerhört, unerhört, wie einem mitgespielt werden kann. Ich bitte Dich, versetze Dich doch nur in meine Lage. Ein strebsamer, musikalischer junger Mann aus bester Familie und an mich empfohlen. Wie soll ich ihm meine Tür verschließen? Und warum? Wie soll ich Unglückseliger auf den Gedanken kommen, daß man es mit einer perniciösen, moralisch total defekten Persönlichkeit zu tun hat?
Es entstand eine kleine Pause.
Ackermann saß da und war entschieden ein wenig verlegen. Dabei schien er ein gewisses Vergnügen zu empfinden. Er lächelte beinahe.
Endlich sagte er: Aber ich bitte Dich, Emil, wozu das? Ich weiß von Dir seit sechzehn Jahren –
– Wie die Sachen liegen, fuhr er fort, halte ich es nämlich für richtig, ganz offen mit Dir zu sprechen. Deine Situation ist delikat, wenn schon eigentlich noch nichts verloren ist.
Dubois stand noch immer da und rührte sich nicht. Dann setzte er sich rasch und hastig. Und plötzlich bedeckte er mit den kleinen beringten Händen sein Antlitz und weinte leise und mit zuckenden Schultern.
Man hörte Friedrich kommen. Ackermann sprang im Nu auf, eilte ihm entgegen und vertrat ihm den Weg. Sehr energisch trug er ihm auf, sogleich aus dem nächsten Laden Zigarren zu holen und drückte ihm einige Groschen in die Hand. Verdutzt machte Friedrich kehrt und entfernte sich.
Ackermann lief zu Dubois. Er beugte sich über ihn und flüsterte: Emil, mein Guter, Lieber, was ist denn geschehen? Es liegt ja gar kein Grund vor. Warum erschrickst denn Du so? Wir haben einander natürlich nichts vorzuwerfen, sonst wäre doch mein Benehmen undenkbar. Ich hätte Dich vorbereiten sollen, es war ein Fehler von mir. Nimm mirs nicht übel. Ich bin gekommen, um mit Dir zu beraten. Werde ruhiger, ich bitte Dich.
Nach einigen Minuten hatte Dubois sich gefaßt. Doch blickte er nicht auf und hielt den Kopf immer noch gesenkt und bewegte ganz langsam das Taschentuch zwischen den Fingern.
– Ich bringe die Elastizität nicht mehr auf, sagte er leise, mit einer Stimme, die klar und höher klang als sonst. Ich habe überhaupt meine Kräfte überschätzt. Es ist auch gar nicht möglich, alles zu erzählen.
– Erhole Dich nur, werde ganz ruhig. Sag mal, wo ist denn Dein Madeira?
Dubois deutete auf den Eckschrank, Ackermann erhob sich und holte die Flasche und zwei Gläser. Er füllte sie und schob das eine Dubois zu. Besorgt und noch immer erschrocken sah er ihn an.
Friedrich trat ein und brachte die Zigarren. Er machte sich minutenlang im Zimmer zu schaffen und ging dann endlich. Sie schwiegen noch immer, Dubois war ernst und still. Er hob den Kopf plötzlich und betrachtete Ackermann mit einem langen festen Blick. Dann lächelte er ein wenig und sagte: Du auch? Wie ist das nur möglich?
– Ja! Nicht wahr? rief Ackermann geschmeichelt. Meine alljährliche Reise in den Schwarzwald, von der ich überall erzähle, fällt eben Niemandem auf. In Wirklichkeit kenne ich den Schwarzwald eigentlich gar nicht, denn ich bin dann immer in Neapel. Von daher, von Sorrent weiß ich auch über Dich Bescheid. Vor sechzehn Jahren auf Deiner großen Seereise hast Du nämlich einem certo Muzio D'Orazi ein sehr originelles silbernes Tabaks-Döschen geschenkt. Oder er hat es Dir stibitzt, der kleine camorrista. Einige Wochen später traf ich in Sorrent ein, machte seine Bekanntschaft, bemerkte das Döschen und erinnerte mich ja sofort die zierliche, auffallende Arbeit hundertmal in Deinen Händen gesehen zu haben. Er hat mir sehr viel von Dir erzählt. Erinnerst Du Dich seiner noch?
– Gewiß. Er hieß Muzio D'Orazi, ich hatte seinen Namen vergessen.
– Dich und Deine Kreise habe ich auf das Strengste gemieden, wie Feuer. Entschuldige, daß ich das so offen ausspreche, lieber Emil. Aber ich halte Zirkel unter allen Umständen für sehr gefährlich und dann, sieh mal, ich finde es unbequem, daß der Geschmack in dem einen Punkt einem Bekanntschaften, ja sogar Kameradschaften aufdrängen darf. Man wird gewissermaßen durch ihn vergewaltigt. Du verstehst doch?
– Vollständig, rief Dubois. Und es ist eine geradezu gespenstische Kraft in Dir. Jahrzehntelang, so lange man Dich kennt, giltst Du für alle Welt ohne jede Ausnahme als geschwätzig und sehr mitteilsam. Und bist dabei d a s an Verschlossenheit. Ich will es mir merken: also nicht nur die stillen Wasser sind tief, sondern auch die plätschernden. Ich bewundere Dich uneingeschränkt. Ich erstaune und für meine Natur ist es unfaßlich, daß Jemand ein ganzes Menschenleben erlebt, ohne sich einmal anzuvertrauen. Doch Deine Rolle sitzt Dir prachtvoll. Verzeihe, wenn ich Dich bisweilen unterschätzt habe, aber ich war natürlich auch auf Dich hereingefallen.
– Ja, in der Tat, sagte Ackermann, man hält mich allgemein für einen besonders harmlosen Patron. Bei Vielen gelte ich sogar für etwas einfältig. Ich habe das so eingerichtet. Aber zur Sache. Vor allen Dingen ist meine Meinung die, daß Löwenwolde Berlin sofort verlassen muß.
– Er ist schon fort, nach Livland. Ich habe das natürlich durchgesetzt.
– So? Wirklich? fragte Ackermann erstaunt. Gestern früh hab' ich ihn noch gesehen. In einer Droschke.
– Dann ist er vermutlich noch an demselben Tage mit dem Abendzuge weggefahren. Ich bin ganz sicher, daß er Berlin verlassen hat, es ist ja anders gar nicht möglich.
– Die Sache selbst ist so furchtbar unwahrscheinlich, meinte Ackermann. Was hat es eigentlich gegeben? Ich weiß nur, daß Löwenwolde sich plötzlich auf Ziegler geworfen hat, ihn geschlagen, daß Ihr beide dann schleunigst davon seid und daß Ziegler dann mit Bezug auf Richard das so sehr peinliche Wort gebraucht hat. Er hat es ganz laut gerufen, alle haben es gehört. Irgend Jemand erzählte, daß es da etwas gegeben hätte zwischen Löwenwolde und einem jungen Neffen von Ziegler. Der Professor soll dem Dekan gegenüber solche Anspielungen gemacht haben. Trotzdem ist mir der Zusammenhang nicht verständlich.
Dubois klärte ihn auf und erzählte von Richard und Karl. Als er geendet hatte schwieg Ackermann noch immer. Er war sehr verblüfft. Dann sagte er: Also so hängt es zusammen. Gewissermaßen ein Racheakt, weil man sie getrennt hatte. Ach, und der arme Junge ist gestorben. Eine sehr seltsame Geschichte. Weißt Du, ich kann nicht leugnen, daß mir irgend etwas an Löwenwolde imponiert, geradezu imponiert bei diesem flegelhaften Benehmen. Ich glaube, so etwas ist noch niemals vorgekommen. Es ist doch sonst so, daß man auf jeden Fall den Rücken krumm hält und nie wider den Stachel löckt, sozusagen. Und statt dessen! Dich lang ich mir, denkt der Herr Baron und haut dem Alten eine herunter. Weißt Du, Emil, versteh mich recht, ich will ja nur bemerken, ich habe noch niemals gehört daß Jemand von uns überhaupt irgend eine – – wie soll ich das sagen, nun, also – Initiative gezeigt hätte.
– Was hat man von solchen Dummheiten? rief Dubois ärgerlich werdend. Ich bedanke mich für solche Manifestationen.
– Gewiß, es ist unverzeihlich, eine unerhörte Rücksichtslosigkeit Dir gegenüber, rief Ackermann schnell. Ich bin Deiner Ansicht, ganz Deiner Ansicht. Sei froh, daß Du den Menschen los bist. Das ist die Hauptsache, daß er fort ist. Alles Übrige wird sich finden, sich ausgleichen.
Und er begann sich weitläufig über die Affäre zu verbreiten. Es wäre anzunehmen, daß Ziegler keine weiteren Schritte in der Sache tun würde, nachdem Löwenwolde das Feld geräumt hatte. Jedenfalls müsse sich Dubois wieder am Stammtische sehen lassen, am besten noch diesen Abend. Es wäre am vernünftigsten über die ganze Geschichte glatt zu schweigen. Vielleicht würde man ihn überhaupt nicht interpellieren. Geschehe es aber doch, so gebe Dubois am besten mit einer vielsagenden Geberde zu verstehen, daß er nicht wünsche, darüber zu reden. Man würde das diskret finden und ganz begreiflich.
– Sieh mal, Emil, sagte er, daß Du recht intim mit ihm verkehrt hast, wissen die Leute ja. Man wird es nicht unnatürlich finden, wenn Du auch jetzt noch einige Rücksicht gegen Löwenwolde beobachtest. Gib durch Dein Stillschweigen gewissermaßen zu verstehen: De mortuis nil nisi bene. Auch so etwas schafft den beliebten Effekt.
Und im Übrigen wäre nicht daran zu zweifeln, daß die Angelegenheit keine größeren Kreise ziehen würde. In einigen Wochen würde kein Mensch mehr darüber sprechen.
Ackermanns Ausführungen hatten Erfolg. Dubois ward ruhiger und sah alles mit anderen Augen. Gewiß, es war töricht gewesen, gleich das Schlimmste zu befürchten.
Nach und nach begannen sie behaglich zu plaudern, machten sich gegenseitig mit ihren Schicksalen vertraut und schlossen neue Bekanntschaft. Etwa um zwei Uhr trat Friedrich ein und meldete, daß Herr Hartwig gekommen wäre. Dubois trug ihm auf, ihn ins Speisezimmer zu führen.
– Es ist mein Verleger.
– Ich kenne ihn, sagte Ackermann. Sie nahmen eine Haltung an, die weniger lässig war, als die, in der sie bisher verweilt hatten und Ackermanns Miene trug plötzlich den kindlich sorglosen Ausdruck, dem man auf seinem Gesicht stets begegnete und der so gut zu seinen großen blauen Augen paßte.
Hartwig begrüßte die Herren und nahm die Einladung zu einem Glase Madeira erst nach einigem Sträuben an. – Die Ärzte haben ja neuerdings das Prinzip, einem alles Wohlschmeckende zu verbieten, sprach er seufzend. Er war ein großer, blonder Mann von vierzig Jahren, mit schwerfälligen Bewegungen und einem breiten stumpfen Gesicht, in dem ein paar winzige, schlaue Äuglein saßen. Allgemein galt er für einen Helden im Tafeln.
Er trank das Glas in kleinen Zügen aus und sagte dann mit seiner tiefen Stimme: Verehrter Meister, ich muß Ihnen bemerken, die Drucker warten. Sind denn nicht wenigstens die ersten Kapitel fertig? »Das Heideröschen« muß durchaus schon im November erscheinen.
Diesen Titel sollte Dubois' neue Novelle haben.
– Das ist so ein Stück modernes »europäisches Sklavenleben«, das die Herren Verleger gern einführen möchten. Kommandieren ist immer sehr bequem, mein lieber Herr Hartwig. Aber ich bin weder ein Bär noch eine Balleteuse und wenn ich nicht in Stimmung bin, so tanze ich nicht.
Hartwig wendete sich zu Ackermann und bemerkte mit komischem Ernst und in einer Weise, als wäre Dubois gar nicht anwesend: Dieses oder etwas ähnliches sagt er nämlich jedesmal, müssen Sie wissen. Ein sehr origineller Mensch. Wenn das Manuskript ihm dann glücklich aus den Händen entwunden ist und dann nicht prompt, womöglich schon nach vierzehn Tagen das Werk in der Auslage liegt, fertig und im schönsten Goldschnitt, dann fliegen mir die unhöflichen Briefe krach, krach, krach an den Kopf. Schriftsteller haben nämlich auch Lampenfieber. Wußten Sie das, Herr Postdirektor?
Ackermann lachte laut und rief: Famos!
– Mein lieber Herr Hartwig, sagte Dubois, wenn ich unhöfliche Briefe schreibe, so tragen sie immer die richtige Adresse. Das hat unserer Freundschaft noch nie geschadet. Aber genug von Geschäften. Es täte mir wirklich leid, wenn Sie zu mir herausgekommen wären, um mich zu drängen. Denn ich kann Ihnen nichts Bestimmtes versprechen; doch will ich gewiß mein Möglichstes tun. Vergessen Sie Ihre Sorgen. Und pflegen Sie Ihr Bäuchlein und lassen Sie sich durch die bösen Ärzte nicht in Ihrem Sybaritentum beirren.
Er füllte das Glas wieder und schob ihm den Käse zu. Sie baten ihn den Anfang seiner Novelle vorzulesen, aber Dubois ließ sich nicht dazu überreden und man wechselte das Gespräch wie er es wünschte.
Die Herren blieben nicht zu Tisch, Hartwig wollte noch den Leipziger Zug erreichen und Ackermann mußte zurück ins Amt. Nachdem Dubois gespeist hatte, begab er sich in sein Schreibzimmer.
Er wünschte von seinem Werke wieder den Eindruck zu haben, der sich neulich bei einer Nachprüfung eingestellt hatte. Jedoch er blieb aus. Vielleicht mußte man mit kleinen Zügen unterstreichen und sich so heraushelfen. Und er sah nach hier und da. Doch er ward unaufmerksam und seine Gedanken sprangen immer wieder ab. Aber es war nicht die sich bei der Arbeit oft einfindende, ihm wohlbekannte Unaufmerksamkeit, die erholt und als Kraft sammelndes Ausruhen benutzt werden kann. Es war nicht ein geduldetes Wegziehen der Gedanken, die dann gewiß, zur Zeit und auf den Ruf zurückkehren, sondern ihre plötzliche Flucht, ihr eigensinniges Haften an irgend einer Vorstellung. Er prüfte das schon Vollendete und manches kam ihm so fremd vor und erstaunlich. Er wendete sich einem andern Teil seiner Arbeit zu und ohne viel zu überlegen schrieb er einige Sätze hin, die leicht abzufassen waren, da das Programm für diesen Abschnitt ganz fest stand. Sie erfreuten ihn, als er sie überlas. Und aufatmend setzte er sich an das offene Fenster und blickte hinaus in den Garten, dem der Duft des Sommers entströmte. Dicht aneinander preßten sich die Äste der Linden und nur in kleinen kugeligen Tupfen erreichte der Sonnenschein den schmalen Fußweg. Draußen vor dem Zaun hielt ein Wagen, das Gebüsch versteckte ihn, Dubois sah nichts. Dann hörte er die Pforte gehen und fallen. Und auf dem Wege zwischen den niedrigen Stachelbeersträuchern erblickte er seinen Vater.
Seit sehr vielen Jahren war er nicht mehr in die Villa gekommen, nur eine besondere Veranlassung konnte den so oft unter dem ersten Eindruck handelnden Herrn zu dieser Ausfahrt bestimmt haben.
Sofort hatte Dubois am Fenster eine Stellung eingenommen, daß er von draußen nicht zu sehen war. Er spähte hin. Sein Vater strebte dem Hause nicht mit auffälliger Eile zu, aber seinen Schritten fehlte die Gemächlichkeit, die ihnen sonst anhaftete.
An diese Möglichkeit hatte Dubois nicht gedacht. Es ging nicht an, so plötzlich dazustehen ihm gegenüber, unvorbereitet.
Das Schellen klang kurz und hastig. Im Nu war Dubois über die Treppe hinunter. Er traf Friedrich noch in der Dienerstube. Er ging ganz nahe auf den Schwerhörigen zu und sagte, sich vorbeugend: Ich bin für Niemanden zu sprechen, es ist unbestimmt, wann ich heimkomme. Es kann sein, daß es mein Vater ist, ich bin nicht zu Hause.
Ausdrucklos sah Friedrich ihn an, aber Dubois wußte, daß er gehört hatte.
Sie betraten gleichzeitig das Garderobezimmer. Er versäumte den kurzen Augenblick, der noch blieb, um den Aufstieg zur Treppe zu gewinnen. Er öffnete rasch die Tür zum Salon und schlüpfte hinein.
Nur jetzt nicht, nicht gerade in diesem Moment – – – man mußte überlegen, Zeit gewinnen in jedem Fall.
Es war nicht zu verstehen, was die Beiden miteinander sprachen. Als sein Vater den Salon betrat, hatte sich Dubois bereits in das Speisezimmer geflüchtet.
Er hörte es, wie er sogleich auf den Schreibtisch zuging und sich setzte. Er lauschte und hielt den Atem zurück, während die Feder auf dem Papier knisterte.
Es schien, daß der Geheimrat nicht sogleich wieder aufstand. Offenbar verweilte er, nachdem er geschrieben hatte, noch eine Minute im Sessel.
Dann ging er. Im Garderobezimmer sprachen sie wieder einige Worte und nun fiel die Tür ins Schloß.
Dubois lief hin und las: Ich erwarte Dich noch heute abend, auch spät. Es ist gleich, wann, ich bin zu Hause. Bitte jedenfalls zu kommen. Papa.
Nach wenigen Minuten ward wieder geschellt. Er glaubte zuerst, daß sein Vater vielleicht etwas vergessen hätte. Auf alle Fälle war Friedrich instruiert. Dubois schlich auf den Zehen zur Tür und horchte hinaus. Es schien, daß nach ihm gefragt wurde und der Diener Bescheid gab. Die Frage wurde noch einmal wiederholt und Friedrichs Antwort klang beinahe ärgerlich.
Und dann stampfte draußen Jemand sehr laut und in sehr gemessenen Abständen dreimal auf den Boden.
Dubois trat schnell zurück und sah hinter sich ins Zimmer. Dann wandte er sich und blickte mit schiefem Kopf und etwas vorgeschobenen Lippen wieder nach der Tür. Plötzlich hatte er das Gefühl, daß etwas Schreckliches bevorstände. Die Furcht vor einem unabwendbaren Schicksal steigerte sich. Als es nicht mehr zu ertragen war, öffnete er die Tür und betrat das Garderobezimmer.
Vor ihm stand ein hübscher, sehr elegant gekleideter junger Mann, der sein Spazierstöckchen graziös in der Hand hielt und sich mit serviler Eilfertigkeit verbeugte. – Sind Sie Herr Dubois? fragte er.
Dubois wandte sich mit einem Ruck zur Seite, zu Friedrich, der zurückgetreten war, aber noch immer dastand und neugierig auf den Ankömmling hinspähte. – So gehen Sie doch, rief er ihm sehr laut zu und Friedrich entfernte sich rasch.
– Was wünschen Sie?
– Ich habe einen Brief vom Baron –
– Von wem?
– Von Richard. Bitte.
Dubois nahm den Brief, schob ihn sofort in die Rocktasche, stand unbeweglich da und sah zu Boden. Dann warf er einen raschen Blick auf den Boten, der erstaunt war und ganz dumm dreinschaute, weil der Brief nicht geöffnet wurde.
Der junge Mann war mittelgroß, schlank gebaut, und wenn er nicht lächelte, haftete seinem Gesicht ein treuherziger, einfacher Ausdruck an. Er war ratlos. Endlich sagte er: Aber ich soll Antwort bringen.
Dubois wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihm. Mit einem undeutlichen Kopfschütteln wandte er sich ab, wie um zu gehen.
– Aber der Herr Baron will durchaus Antwort.
Und er hob den rechten Fuß und stampfte mit dem zierlichen Hackenstiefel dreimal auf den Boden. Dubois fuhr herum und sah ihn groß an.
Der junge Mann lächelte und sagte: Entschuldigen Sie, aber der Baron ist betrunken und hat es mir so befohlen. Ich soll dreimal mit dem Fuße stampfen, damit Sie gewiß kommen. In dem Briefe steht eine Einladung. Er erwartet Sie in Tozolis Wohnung. Mit denen vom Zirkus und dem Fürsten Sandretzky sind wir fünfzehn. Es ist ein besonderes Fest und Uhrmacher Krauß kommt auch noch mit der Stearin-Auguste.
Er stampfte wieder auf den Boden.
– Unterlassen Sie das, rief Dubois zornig werdend.
– Verzeihen Sie, aber der Baron fragt Sie vielleicht später, ob ich gehorsam war. Wenn man ihm nicht in allem gehorcht, dann kriegt er einen vor.
Dubois ging in den Salon und öffnete den Brief. Es waren nur wenige, unordentlich hingeschriebene Zeilen. Anrede und Unterschrift fehlten. Er las: Komm zu mir, zu Tozoli, wo ich jetzt im Augenblick bin. Ich kann nicht zu Dir, ich will nicht allein sein mit Dir und lange mit Dir reden. Und doch will ich Dir allerhand erzählen. Ich weiß, daß ich Unsinn schreibe und daß Du nicht kommen wirst.
Er ging zurück und sagte: Bestellen Sie bitte, daß ich verhindert wäre.
Im Garderobezimmer herrschte immer ein leises Halbdunkel. Jetzt aber stand Dubois gerade in der Tür zum Salon und das volle Licht fiel von der Seite auf ihn.
Verblüfft schaute der junge Mann ihn an. Er schien gar nicht gehört zu haben. Endlich sagte er sehr gedehnt: Sie sind es, Herr Stadtgerichtsrat?
Dubois faßte ihn scharf ins Auge. Und er erkannte ihn. Es mußten fast genau fünf Jahre her sein. Gerade zur Zeit, als er sich entschloß, sein Richteramt niederzulegen, war es gewesen. Eine Kaufmannsfrau hatte ihn denunziert, ihn und einen englischen Herrn. Der Engländer war rechtzeitig nach Hannover entwichen und so hatte das Gericht unter dem Vorsitz von Dubois den damals blutjungen Burschen allein abzuurteilen gehabt.
Er fühlte, daß er zu jeder Überlegung in diesem Augenblick unfähig sei. Aber schon war mechanisch auf seinen Zügen der für solche Fälle bereit gehaltene Ausdruck erschienen. – Ja, in der Tat, ich erinnere mich, sagte er freundlich und mit der nötigen Kameradschaftlichkeit im Ton. Wie heißen Sie doch?
– Engelbrecht Max, Bäcker. Ihren Namen hatte ich vergessen, aber die Gesichter behalte ich immer.
– Es tat mir leid, sagte Dubois sich entschuldigend. Übrigens glaube ich wirklich, mein Lieber, daß wir Ihnen damals so wenig wie nur möglich aufgebrummt haben.
– Gewiß, Herr Stadtgerichtsrat! Neun Monate bloß, weniger gibts ja gar nicht. Der Staatsanwalt wollte mir ja zwei Jahre Gardinen geben. Ein Glück noch, daß Sie dabei waren.
Er kicherte vergnügt und zeigte sich sehr belustigt über dieses Wiedersehen.
Dubois schenkte ihm einen halben Friedrich d'or. – Auf unsere alte Freundschaft, sagte er und reichte ihm die Hand. Und nun gehen Sie, mein Lieber, und richten Sie aus, daß ich nicht kommen könnte.
Der junge Mann bedankte sich noch einmal und trat alsdann vor den Spiegel, um sich davon zu überzeugen, daß der Hut genügend tief in der Stirn saß und daß er sein Spazierstöckchen graziös in den behandschuhten Fingern hielt. Grüßend und lächelnd schritt er zur Tür hinaus.
Dubois blieb stehen und sah ihm nach, wohl eine Minute lang, ohne sich zu rühren. Darauf ging er in den Salon zurück und dann ins Eßzimmer. Was wollte ich doch? dachte er. Aber es fiel ihm nicht ein.
Nun, kein Zweifel worauf es ankam. Es galt auszuharren, die Situation zu bedenken, die Stirn zu bieten. Diese Botschaft war nur ein Anfang. Richard beabsichtigte gar nicht abzureisen. Gott mochte wissen, was noch weiter kam. Er haßt mich, dachte Dubois und ballte seine kleinen beringten Hände in einem Anfall von kraftloser Wut.
Und dieser Bursche, den Richard ihm ins Haus geschickt hatte? Gewiß, auch das dreimalige Aufstampfen mußte noch überlegt werden. Unzweifelhaft steckte etwas dahinter. Richard schien etwas ganz besonderes einzuleiten und wollte ihn jedenfalls verfolgen und in Verwirrung bringen.
Er setzte sich und lehnte sich schwer und rasch zurück und sah durch die breiten Fenster in den Garten hinaus. Dann schaute er umher in der Stube, und sein Blick wanderte von den roten Sesseln und dem Sopha zum Flügel, den ein Tuch aus dicker, weißer Seide bedeckte. Die zierlichen Glasbehänge der Lampetten fingen den späten Sonnenschein und bläßlich bunte Tupfen lagen auf der Wand.
Da fiel sein Blick auf das Papier, das sein Vater beschrieben hatte, und ängstlich sprang er auf.
Ein Fehler, jedenfalls ein Fehler, daß er nicht sogleich seinem Vater entgegen getreten war. Warum etwas hinausschieben, das man doch nicht umgehen konnte? Er entschied sich dafür ihn sofort aufzusuchen und ließ von Friedrich eine Droschke holen. Dann begab er sich, ohne daß es einen besondern Grund hatte, in die oberen Gemächer seines Hauses, verweilte während einiger Minuten im Schreibzimmer und ging dann weiter, die Räume unruhig durchspähend. Als er den Wagen kommen hörte, lief er die Treppe hinunter, stellte sich in das Garderobezimmer und streifte die Handschuhe an. Friedrich half ihm in den Paletot schlüpfen und sich seinetwegen beherrschend ging Dubois mit besonderer Gemächlichkeit zur Tür hinaus und dann sehr langsam durch den Garten.
Nun hatte er die Droschke endlich erreicht, er stieg ein und saß da, erschöpft und sich vorbeugend.
Es traf sich, daß der Kutscher die Gewohnheit hatte, außerordentlich schnell zu fahren. Sogleich nachdem Dubois ihm die Straße genannt hatte und sich zurückgelehnt, hieb er ein auf das knöcherne braune Pferd, das in einen stürmischen Trab fiel, hin und wieder mit einem Galopp aushelfend. Das Getöse der Räder auf dem vorstädtischen Pflaster war betäubend und peinlich, Dubois hielt die Augen gesenkt. Als der Wagen nach geraumer Weile eine heftige Schwenkung machte und abbog, sah er auf. Sein Weg führte ihn jetzt an der sogenannten Neuen Kirche vorbei, von deren Turm die dicken Uhrziffern leuchteten. Auf dem großen freien Platz an der Schiffsseite spielten Hunderte von Kindern und in dem bewegten Bilde blitzten hier und dort helle Punkte, die Schiebwägelchen der ganz Kleinen. Man sah die Reifen hinausfliegen in den Himmel und dann niederschweben, während die Kreuzschwerter aus Rohr sich ihnen entgegenhoben. Plumper und meist in steiler Linie sanken die Bälle zur Erde zurück.
Plötzlich hielt der Wagen und der hastige Kutscher kletterte vom Bock. Es erwies sich, daß irgend etwas am Anspann sich gelöst hatte und zurechtgeschnallt werden mußte. Während der Minute, die das dauerte, hörte Dubois das helle, metallene Kreischen und Sichzurufen der Kinder, das der Wagen, solange er fuhr, übertönt hatte. Bis jetzt war es erschienen wie ein stummes, lautloses Gewese auf dem baumlosen Platz, von dem der Abendsonnenschein wegglitt.
Mit einem Satz erklomm der Kutscher den Bock. Als er im Begriff war weiterzufahren, klopfte Dubois an die vordere Scheibe und stieg aus. Mit einem prüfenden Blick überflog er das Pferd, das Geschirr, die blau gestrichenen Radspeichen und das verwetterte Lederdach. Dann winkte er dem Kutscher, daß er sich vorneigen sollte und nannte eine neue Adresse. – Aber fahren Sie nicht ins Portal, sondern halten Sie vor der Einfahrt, sagte er noch, ehe er einstieg.
– Es war doch nicht das Richtige, jetzt zum Vater zu gehen, überlegte er unterwegs. Man versuchte eine Erklärung, die vielleicht schon durch die Ereignisse dementiert war. Der Hauptpunkt blieb, daß Richard sich noch in Berlin aufhielt und nicht abreisen wollte. Sehr möglich, daß Dinkelbühl auf irgend eine Weise Kenntnis bekommen hatte. Wurde Richard beobachtet, so konnte man am Alexanderplatz jeden Augenblick die Fäden der ganzen Verstrickung um Tozoli in Händen haben. Eine Verhaftung Richards war möglich, mit seiner Vorladung mußte sicher gerechnet werden. Und was dann geschah, konnte kein Mensch wissen. In seiner abjekten Dreistigkeit bequemte er sich wohl gar nicht einmal zu einer Verteidigung.
Der Wagen hielt in einiger Entfernung von dem Portal. Der Hausmeister geleitete Dubois die Haupttreppe hinauf in den ersten Stock und beförderte seine Karte. Im Vorzimmer, in dem er warten mußte, stand ein junger Diener von auffallender Schönheit. Der Offizier, der nach einigen Minuten mit Dubois' Karte in der Hand eintrat, war ihm bekannt. Er bezeigte sich liebenswürdig und sehr entgegenkommend. – Sie treffen es günstig, sagte er. – Ich glaube, ich werde Sie einschieben können. Auf eine halbe Stunde müssen Sie sich freilich gefaßt machen.
Sie durchschritten mehrere Zimmer, die ein leeres Aussehen hatten, obwohl in ihnen viele Möbel sehr ordentlich dastanden. Trotz der hellen Wände und Decken war es überall ziemlich dunkel, man hatte die Marquisen noch nicht aufgeschlagen. In einem lichteren, geräumigen Eckzimmer bat Herr von Scheunvogel zu warten, bedauerte, daß er nicht Gesellschaft leisten könne und ging.
Die Tapeten des Gemachs waren aus hellroter Seide. An der Wand gegenüber der Eingangstür hing ein sehr großes Gemälde in vergoldetem, stark abgedunkeltem Rahmen. Es stammte aus dem Atelier von Rubens aus der Zeit, als er mit Snyders zusammen malte. Man sah in ein weites Gelände in gelben und grünen Mischfarben, auf einen hellen wolkigen Himmel und die zart umrissenen Höhen ferner Berge, die wie blauer Samt schimmerten. Und in diese Welt gedämpfter Töne brach wie von lärmenden Fanfaren begleitet aus dem Vordergrunde rechts der Jagdzug der Diana herein und entfaltete die gewaltsame Pracht bunter Gewänder und der Leiber in rötlich-glühendem Inkarnat. Dubois kannte das Bild und sein Blick lief darüber hin. Der Abstich der Farben verlieh der Gruppe etwas Lebloses, Befremdliches, es schien, als sei sie in äußerster Bewegung durch einen Anhauch eisiger Kälte plötzlich erstarrt.
Es war ganz still im Raum. Dubois stand und wartete. Er hatte den Hut auf den Tisch gelegt und die Handschuhe darüber. Von dem russischen Gesandten ist für den Augenblick nichts zu fürchten, dachte er. Später können sie sich immer mit der Fremdenpolitik herausreden. Ich muß nur erreichen, daß er noch heute Abend in die Wilhelmstraße fährt. Hat Dinkelbühl dann die Weisung, so ist morgen früh alles erledigt. Es braucht noch nicht fünfzehn Stunden, um Jemanden an die Grenze zu bringen.
Dubois tat ein paar Schritte durchs Zimmer, blieb wieder vor dem Bilde stehen und sah fest hin ohne es mehr zu betrachten. Irgendwo in einem inneren Zimmer fing eine Uhr an zu schlagen, der stärkere Klang einer zweiten übertönte sie.
Die Tür, die zum Korridor führte, öffnete sich, ein ergrauter Lakai trat ein und blieb neben ihm stehen, Dubois ganz gerade anblickend.
Eine Aufforderung erwartend ging Dubois auf ihn zu, da hörte er am anderen Ende des Gemachs von einer hohen nasalen Stimme seinen Namen rufen und einen Gruß. Er war es selbst. Dubois trat hin und verneigte sich. Er stand an der kleinen Tür neben dem Rubensbilde, durch die er unvermerkt eingetreten war, in einem langen, in der Mitte gegürteten Schlafrock aus blauer Seide, ein Halstuch über dem Kragen. Mit einer langgespreizten Bewegung seiner Hand, die weiß und hager aus dem bauschigen Ärmel hervorkam, winkte er dem Lakaien zu gehen, sah ihm nach und bemerkte, als die Tür sich schloß: Butterstroh wird in der Tat altersschwach. Er ist ramolli. Ich glaube, er beabsichtigte Sie stracks in die Arme von Amalia Feodorowna zu führen, was Sie ihm wohl schwerlich verziehen hätten. Nun, ich hörte davon und erschien, um es zu verhindern. Sie sehen, in welchem Ornate. Ich befinde mich entre deux batailles und habe einen Augenblick Zeit. Nun, wie geht die Welt? Man hört gar nichts mehr von Ihnen. Ich dachte: vielleicht schickt er mir einmal ein Buch. Aber nichts. Bücher von guten Bekannten sind manchmal so amüsant. Ich erlebe sonst lauter Ärger, und nicht nur mit Butterstroh.
Sie hatten sich gesetzt. Er schob die Hände in die weiten Ärmel seines Schlafrocks und hörte zu, wie Dubois mit wenigen Worten von seinem Buche berichtete, das demnächst herauskommen sollte. Er nickte, zeigte ein lebhaftes Interesse und beklagte sich sodann bitter über das Grausige und zugleich Langstielige in Flauberts kürzlich erschienener Salambo.
Er fügte eine allgemeine Bemerkung über wissenschaftliche Prätensionen in der Belletristik hinzu, kam nach einer kurzen Pause auf die Bücher der Baronin Dudevant zu sprechen und ging mit einem nochmaligen kurzen Einhalten auf die unter so vielem Lärm affichierte Transfusionslehre über.
Dubois schwieg und folgte mit starrem Lächeln. Als die dritte Pause entstand, fühlte er fröstelnd, daß eine erste Hindeutung auf den Zweck seines Besuchs nicht länger zu verschieben war. Man wartete darauf. Und er räusperte sich und rückte auf seinem Sitz.
Noch während einer letzten peinlichen Sekunde versuchte er seine Einleitung zu überdenken, dann begann er ziemlich unvermittelt, daß er in der Tat ein Anliegen habe. Er versuchte sogleich zu einem leichteren Ton zurückzufinden, doch es mißlang ihm, stockend und hastig kamen aufgeregte Sätze heraus. Es sei eine Sache von solcher Wichtigkeit, daß sie vielleicht einen außergewöhnlichen Schritt zu rechtfertigen vermöge. Ohne einflußreiche Mitwirkung könne nichts erreicht werden.
Er hoffte auf eine Zwischenfrage, die ihm weiterhelfen würde, aber nur ein höflich aufmerkender Blick streifte ihn. Endlich fragte man: Nun also, wo soll ich denn dabei sein?
Jetzt mußte er es sagen, Wort für Wort. Er mußte sagen, wie er mißhandelt und betrogen war und wie knabenhafte Bosheit ihn verriet. Er mußte auch sagen, wie er litt und wie er von jeder Stunde den Hereinbruch des Skandals erwartete. Und wenn es dann galt, den Namen desjenigen zu nennen, der ihm dies antat und der unschädlich gemacht und beseitigt werden sollte, dann war es der Richards.
Die Scham stieg ihm in die Kehle. Er schloß den Mund, den er schon geöffnet hatte und schwieg mit gepreßten Lippen. Er begriff, daß er nicht sprechen würde, und daß er über das Schmähliche, das geschehen war, auch unter den Freunden nicht reden konnte, ohne sich gleichsam gänzlich zu entblößen. Er mußte schweigen auf die Gefahr, daran zu ersticken.
Nach einer kurzen Weile sprach Dubois: Ich muß gestehen, ich bin voreilig gewesen. Ich überlege soeben, es ist vielleicht noch gar nicht soweit. Und ich weiß ja, daß ich vorkommenden Falles außerordentlicher Freundschaftlichkeit sicher sein darf. In der Tat, es war wirklich verfrüht, schon jetzt damit zu beginnen.
Er schwieg wieder und war sich bewußt, daß diese Art abzubrechen erstaunlich war. Er wartete auf eine Erwiderung. Mit gesenkter Stimme fragte man: Übrigens – – – es ist doch alles ruhig?
– Ja, es ist alles ruhig, sagte Dubois. Er fühlte einen forschenden Blick, der sich schnell auf ihn heftete, wiederkehrte und dann zur Seite glitt.
Dubois lächelte beharrlich.
Gleich darauf erhob er sich, weil er glaubte eine Bewegung wahrzunehmen, die als Verabschiedung gedeutet werden mußte.
– Wie Sie wollen, lieber Dubois. Ich darf Sie wohl nicht überreden, daß Sie mir sagen, um was es sich handelte. Sie müssen es wissen.
Er begleitete ihn bis zur Tür, reichte ihm höflich die Hand, ohne etwas hinzuzusetzen und stand noch, ihm nachblickend. Seine letzten Worte wirkten auf Dubois wie eine Entscheidung; während er die Treppen hinunterstieg, schien es ihm, als hätte man sich still und endgültig von ihm abgewandt.
Er saß wieder im Wagen und lehnte sich zurück. Nur leise klirrten die Scheiben; die Straßen, durch die er fuhr, waren fast menschenleer und die Häuser sahen im letzten Tageslicht seltsam groß, ernst und verlassen aus. Nach einiger Zeit wurde das Dröhnen stärker. Sie kamen wieder zur Neuen Kirche und zum Spielplatz der Kinder. Die Bälle hüpften, die Reifen zogen hinauf und sanken und die Schwerter aus Rohr hoben sich ihnen entgegen.
Die direkte Frage wird er nicht stellen, fiel ihm ein und er erschrak. Bisher hatte er nur an das gedacht, was er selbst sagen wollte. Er wird nur wissen wollen, wie es gekommen ist, daß ich ihn protegiert habe. Und während ich erzähle, wird er mich beobachten.
Richards Brief kam ihm wieder in den Sinn und er versuchte, sich der letzten Worte zu erinnern. Ich will nicht mit Dir allein sein und doch will ich Dir allerhand sagen. Ich weiß, daß es Unsinn ist und daß Du nicht kommen wirst.
Das bedeutet eine Entschuldigung, dachte Dubois. Und doch hält er mich für einen ganz erbärmlichen Gesellen.
Es ging die Potsdamer Straße hinauf und immer mit derselben Schnelligkeit. Geheimrat Dubois wohnte in der Einhornstraße. Das Gefährt bog so plötzlich in sie ein, daß eine ältere Dame beinahe unter die Räder gekommen wäre. Gerade noch ward sie von einem Passanten zurückgerissen, jedoch mit solcher Heftigkeit, daß der Sonnenschirm, auf den sie sich stützen wollte, brach und sie seitwärts hinfiel. Unbekümmert fuhr der Kutscher weiter und Dubois ergriff eine nervöse Wut auf diesen eiligen, so lächerlich dienstbeflissenen Menschen. Während er hinschaute auf die gewohnten Häuserfronten vergaß er seinen Zorn. Noch zwei, vielleicht drei Minuten.
Dubois richtete sich auf, klopfte an die vordere Scheibe, ließ halten und umkehren.
Sie gelangten wieder in die Potsdamer Straße. Im Zweifel und eine bestimmtere Weisung erwartend, drehte der Kutscher den Kopf mehrmals seitwärts, ohne sich ganz umzuwenden. Er fuhr etwas langsamer. Als sie sich wieder der Neuen Kirche näherten, ließ Dubois abbiegen und in den Tiergarten fahren. Irgendwo stieg er aus und bezahlte den Kutscher.
Nachdem die Droschke weggerollt war, blieb er stehen und senkte den Kopf. Er redete vor sich hin, leise und mit bebenden Lippen. Ein paar Knaben unterbrachen ihre Unterhaltung und beobachteten ihn eine Zeitlang sehr erstaunt.
Der eine von ihnen lächelte etwas und blickte seinen Kameraden fragend an.