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Viertes Kapitel

Etwa um zehn Uhr morgens betraten sie das Speisezimmer, um zu frühstücken. Friedrich, der soeben geräuchert hatte, ging den Kaffee holen und sie setzten sich. Dubois trug helle Pantoffel und einen langen gelben Schlafrock, um den eine rotseidene Troddelschnur gewunden war. Er reichte Richard die Zeitungen und vertiefte sich in die eingelaufene Korrespondenz.

Es war nicht sehr hell im Zimmer, dessen niedrige, breite Fenster auf den Garten hinausgingen. Draußen auf kahlem Gestrüpp lag der Morgen. Richard blickte hinüber über das Zeitungsblättchen, das er in der Hand hielt. Die Baumstämme und die entlaubten Äste sahen schwarz und feucht aus, der Frühling war nahe. Doch es wollte noch nicht regnen aus dem dicken Wetterhimmel.

Dubois trank ein paar Schlucke, dann fragte er, die entfalteten Briefe beiseite schiebend: Verlässest Du mich bald wieder? Wie verläuft denn Dein heutiger Tag?

– Ich muß ziemlich viel üben. Um vier gehe ich wohl ins Liebig-Konzert.

– Und wann kommst Du wieder in mein altes Bauernhaus?

– Ich komme schon. Ist es nicht hübscher, überrascht zu werden.

Dubois lächelte und sagte nach einem kurzen Schweigen: Nun ja, aber man nimmt sonst vielleicht irgend eine Einladung an, an der einem im Grunde nicht viel gelegen ist. Es ist so dumm, wenn man sich verpaßt. Und dann das Warten, das ich mein Leben lang noch nicht gelernt habe. Ich sitze da, gucke meinen Zaun an und höre die Hunde kläffen. Ich versuche zu arbeiten, aber gegen jeden Satz, den ich niederzuschreiben mich zwinge, habe ich Mißtrauen. Doch will ich nicht darüber reden. Wer sein Leid klagt, dem wird gewiß nicht geholfen werden. Überrasche mich. Sei ganz frei. Es soll sein, wie Du willst, mein junger Herr.

– Nein, es war nicht hübsch von mir, sagte Richard schnell. Gewiß, es ist unbequem für Dich, ich war im Augenblick zu faul, um nachzudenken. Wir haben Montag heute. Also am Freitag? Ist es Dir recht? Gut, ich komme Freitag, zwischen fünf und halb sieben. Ganz genau kann ich es nicht bestimmen, Du wirst Dir Deinen lieben Zaun also doch wieder einmal anderthalb Stunden ansehen müssen.

– Höhne nur! Du sollst auch noch allerhand Schönes kennen lernen im Leben. Du entfliehst Deinen Sternen nicht. Hast Du Dich niemals gequält?

– Das wohl. Es war noch auf dem Gymnasium und alles so unschuldig. Ein Mitschüler, er hieß Gaston und hatte blaue Augen. Fedi merkte es natürlich. Ganz klar ist es mir nie geworden, aber ich glaube, daß uns Fedi durch tausend kleine Gemeinheiten und Lügen auseinanderbrachte. Abendelang habe ich geheult. Vielleicht er auch. Aber wir waren zu tapfer und stolz, um uns auszusprechen.

– Herzen aus Wachs, aber Helden, meinte Dubois.

Nach einer kleinen Pause seufzte Richard und rief: Ach Gott, wenn ich es nur nicht vergesse. Also Freitag um halb sieben. Ich will es mir doch lieber aufschreiben.

Er sagte das bloß, weil es ihm Vergnügen machte, Dubois ein wenig zu ärgern. Das gelang auch. Und erst als Dubois ihn etwas genauer ins Auge faßte, merkte er, daß er geneckt wurde.

Er drohte ihm lächelnd mit der Hand. – Cruel! rief er.

Bevor sich Richard im Garderobezimmer den Mantel umwarf, spürte er mit der Hand nach einem Brief, den er schon seit einigen Tagen in der Rocktasche mit sich herumtrug. Er verabschiedete sich und eilte durch den Garten. Sehr bald fand er eine Droschke; er rief dem Kutscher zu, in die Dorotheenstraße zu fahren und stieg ein.

Nach wenigen Minuten fiel ihm das Wort wieder ins Ohr: Dorotheenstraße. Unmutig über sein Versehen, zupfte er den Kutscher am Kragen und gab Weisung, in die Charlottenstraße zu fahren.

Dort wohnte Richard, seitdem Fedi weg war.

Ganz plötzlich, ohne Abschied zu nehmen, war er weggereist. Eines Morgens kam Richard nach Hause von Dubois und fand einen Brief von Fedi, den er rasch gelesen und verbrannt hatte. Ganz dumme Dinge hatten darin gestanden, zum Beispiel: Soll ich denn wie ein artiges Hündchen neben Dir trollen?

Was für eine lächerliche Ausdrucksweise. Schon dieses Wort: trollen. Richard erinnerte sich, daß dieser Brief überhaupt sehr böse und spitz anfing, gegen den Schluß hin aber immer freundlicher wurde. Er erging sich jedesmal in stummen Anklagen gegen Fedi, wenn er dieser plötzlichen, rücksichtslosen Abreise gedachte. So etwas mußte doch kränken, was auch immer war, man konnte doch ehrlich und offen mit einem guten Kameraden verfahren und ein Wort reden.

Übrigens wußte Richard im letzten Grunde genau, daß der Zorn, in dem er sich gefiel, eigentlich keinen Sinn hatte.

Dann war nur noch eine kurze Nachricht eingetroffen, aus Wien. Seine Adresse stand nicht im Brief. Er ahnte nicht, wo sich Fedis Möbel befanden. Als er damals am Morgen heimgekommen war, hatte sich von seinen Sachen fast nichts mehr vorgefunden. Alles weg – Schreibtisch, Bett, Harmonium, Schränke.

Als Richard seine kleine Häuslichkeit in der Charlottenstraße betrat, freute er sich darüber, daß seine beiden Stuben sauber gekehrt und hübsch aufgekramt waren. Die Ordnung, die ihn umgab, machte ihm Lust zur Arbeit und sogleich setzte er sich ans Klavier und begann zu üben. Etwa nach einer Stunde unterbrach er sein Spiel, ging ans Fenster und zog den Brief aus der Tasche. Was das für eine dumme Angewohnheit von mir ist, daß ich die Briefe von Hause nicht gleich lesen will, dachte er und sah auf das Kuvert, das schon etwas zerknittert war vom Liegen in der Rocktasche. Dann schnitt er auf und las:

Lieber, lieber Sohn! Schon so lange habe ich keine Nachricht von Dir und ich fange schon an, ein wenig unruhig zu werden. Nun, wenn Du meinen Brief hast, so setzest Du Dich gleich am nächsten freien Abend hin und schreibst mir. Nicht wahr? Du wirst ganz duselig im Kopf werden, wenn Du jeden Abend ein Konzert anhörst, also opfere eine Abendstunde und denke an mich mit dem Tintenfaß auf dem Tisch und der Feder in der Hand. Sage, warum hast Du denn nicht wenigstens genauer über unseren Fedi geschrieben? Jedenfalls wußtest Du doch von seinen Plänen. Warum tut Ihr denn beide so geheimnisvoll? Für altmodische Menschen ist das sehr unangenehm, muß ich Dir sagen. Erst jetzt wissen wir, daß er für ein Jahr nach Italien reist. Wie Gott will. An Geld fehlt es ja den Bertrams nicht. Aber natürlich macht sich seine Mutter Sorgen. Ich beruhige sie nach Kräften und sage ihr alles gute, was mir einfällt, aber im Fond verstehe ich es auch nicht. In Italien kann er doch nicht wohl studieren. Und überhaupt, das ist so schrecklich weit. Oder hat er am Ende in aller Hurtigkeit italienisch gelernt? Zutrauen kann man ihm solche Streiche schon, er ist ja doch immer so ein Stillichen gewesen und bei ihm kam es zuweilen erst ganz nachher und in Tropfen heraus, was er sich eigentlich gedacht hatte. Aber daß Ihr Euch getrennt habt, das kommt mir so seltsam vor, daß ich es gar nicht sagen kann und ich muß immerfort daran denken. Wie ist denn das nur möglich? Ist da irgend ein Punkt, über den Ihr stillschweigt? Ich hatte doch immer gedacht, daß Fedi gerade Deinetwegen in Berlin studiert, weil Du da bist. Seine Familie wollte ihn doch durchaus nach Dorpat haben, wo die Universität jetzt so gut ist. Es war mir immer so eine Beruhigung, daß Ihr zusammen seid. Ich weiß doch, wie gut er für meinen Richard sein konnte und daß Du Dir allerlei von ihm sagen ließest, obgleich Du oft nicht freundlich gegen ihn warst, wenn er mit Dir ein bischen zankte wegen Deiner Großartigkeiten und Deiner Herrengemächlichkeit in so vielen Dingen. Jetzt bist Du ganz allein in diesem großen Berlin, das ich gar nicht liebe, obgleich ich es nicht kenne, und kein Freund ist da, der Dir helfen kann. Gewiß hast Du es recht langweilig an den Abenden. Sage mir, kommst Du auch zuweilen mit jungen Damen zusammen? Also Du machst Fortschritte? Wann werde ich Dich wieder spielen hören, Du guter Richard! Wenn ich daran denke, wie ich Dir die ersten Klavierstunden gab und Dir die erste Ungeduld abgewöhnte. Apropos, was Du mir da über Eure modernen Fingersätze schreibst, gefällt mir garnicht und ich werde es für mich nicht beherzigen. Anstatt ordentlich unter- und überzusetzen, paukt Ihr mit dem Daumen auf die schwarzen Tasten. Grüße Deinen Musikprofessor von mir und sage ihm, daß ich das ganz unpraktisch finde, das heißt, Du wirst es natürlich nicht tun.

Von uns ist nicht viel zu erzählen. Wir erleben noch immer trauriges mit der Bauernumtaufe. So viele wollen wieder zurück in die alte Kirche, aber unser lieber Pastor darf sie ja nicht aufnehmen. Das macht ihm Herzeleid. Meine kleine Zofe Lisa habe ich leider wieder entlassen müssen, sie war so dumm und einfältig, daß sie mich nicht einmal zu kämmen verstand. Über meine alte Atemnot will ich nicht klagen, es könnte ja schlimmer sein, aber ich kann wirklich nicht behaupten, daß ich mich wohl fühle. Gott sei Dank, jetzt mit dem Frühling werden die Tage länger und man braucht nicht immerfort bei brennenden Lampen zu sitzen.

Noch etwas, guter Richard, Onkel Karl erzählte mir, daß Du schrecklich viel Geld brauchst. Er ist neulich auf der Bank in Riga gewesen und war ganz erschrocken, als er Dein Konto durchsah. Du hast in diesem einen Jahr beinahe 2000 Rubel ausgegeben. Namentlich in den letzten Monaten hätten sich die Posten sehr vermehrt, meinte er. Mir scheint, 100 Rubel im Monat wäre doch ganz reichlich. Sei gut, weil ich nicht zu schelten verstehe. Wir haben es ja nicht. Es denkt an Dich in Treue Deine alte Mutter.

Richard faltete langsam den Brief zusammen und legte ihn bei Seite. Er setzte sich wieder ans Klavier, stützte den Ellenbogen auf die Tasten und schob die Hand unter das Kinn. Gleich heute abend schreibe ich, dachte er. –

Dann erhob er sich und klingelte nach Heinz Bölsche, der seit zwei Wochen als Diener Richards ein kleines Seitenstübchen bewohnte. Vergeblich hatte der äußerst erschrockene Dubois, der über den Anfang dieser Beziehungen unterrichtet war, vor einem solchen Experiment gewarnt.

Heinz kam hervor mit einer Zeitung in der Hand. Er sah intelligent und manierlich aus und trug einen sauberen, braunen Anzug. Das gute Leben hatte ihn hübscher gemacht, dem Gesicht die Stumpfheit genommen und seiner Stimme einen reineren Klang gegeben. Während der ersten Tage hatte er sich tüchtig ausgeschlafen und ungeheuer viel gegessen. Im allgemeinen war er respektvoll, gehorsam, doch etwas verschlossen, berichtete nur wenig von seinen Schicksalen und sprach dann ganz ersichtlich nicht immer die Wahrheit. Doch wuchs sein Vertrauen langsam und er log weniger in letzter Zeit. Ordentlich was zu tun gab es ja nicht im kleinen Haushalt, trotzdem verließ er die Wohnung fast niemals, wenn er nicht irgendwonach geschickt wurde. In seiner freien Zeit las er die Gerichtszeitung, den Verbrecher aus verlorener Ehre von Schiller und einige Kriminalromane, die Richard auf seinen Wunsch hatte anschaffen müssen.

Richard sagte, daß er nach dem Konzert um sieben Uhr nach Hause kommen würde, Heinz solle mit Butterbrödchen und Bier auf ihn warten. Dann schickte er ihn mit einem Zettel zu Bock, da er einige Noten brauchte. Ich sollte ihm eine Livree machen lassen, braun mit silbernen Knöpfchen, dachte er, während Heinz zur Tür schritt. Aber es würde ja zu viel kosten.

Schon frühzeitig brach Richard auf, um ins Liebigsche Sinfonie-Konzert zu gehen. Es war ein warmer, feuchter Märztag ohne Sonne und der Wind blies von allen Seiten. Eine ganze Weile trieb er sich in den Straßen umher und überschritt häufig den Fahrdamm, um hier und da in die Schaufenster zu gucken. Unter den Linden, nahe der Habelschen Weinstube, begegnete ihm Herr von Kreutzberg. Er trug einen sehr eleganten Pariser Doublestoff-Mantel, Castorhut, weißen Shawl, helle Handschuhe und unter dem Arm ein Rohr mit vergoldetem Knauf. Ein breiter Lederriemen, an dem ein Perspektiv hing, schlang sich um das Paletot. Seiner charaktervollen Erscheinung haftete etwas ungemein Vornehmes an, seine Tracht fiel auf durch strenge pünktliche Vollendung. Mit dem bräunlichen, durchbildeten Antlitz, der fein angesetzten Nase, dem grauen Schnauzbärtchen und den scharf blitzenden Augen sah er aus, wie ein hoher, französischer Offizier auf Reisen. Ihm voran hüpfte sein weißer Pudel mit dem rotledernen Halsbande. Richard wollte ihn um eine kleine Gefälligkeit bitten und trat auf ihn zu. Herr von Kreutzberg schien sich etwas zu wundern, verlangsamte seinen Schritt nur um ein weniges, erkundigte sich aber gleichwohl sofort und sehr höflich nach Richards Wohlbefinden.

Doch Richard merkte, daß seine Gegenwart ungelegen kam und hatte das Gefühl, sich dem alten Herrn aufgedrängt zu haben. Noch ehe er Gelegenheit fand, sich zu verabschieden, sagte Herr von Kreutzberg: Wollen Sie so freundlich sein, mich für einen Augenblick zu begleiten.

Und er bog plötzlich von der Straße ab und trat in den Torweg des Hauses, neben dem sich die Habelsche Weinstube befand. Erstaunt folgte ihm Richard und der Pudel, der immer etwa zwanzig Schritte voraus war, kam in großen Sprüngen zurückgerannt.

– Mein lieber Baron, das sollten Sie doch nicht tun, sagte Herr von Kreutzberg höflich und vorwurfsvoll mit seiner tiefen Stimme.

Richard sah ihn ganz verblüfft an.

– Sollten Sie denn wirklich nicht über mich orientiert sein? Ich lebe gänzlich zurückgezogen, seitdem mir im Prozeß Malzan so übel mitgespielt wurde. Sie können sich großen Unannehmlichkeiten aussetzen, wenn Sie mich auf der Straße und sogar unter den Linden begrüßen. Namentlich da Sie doch in einigen von unseren guten Berliner Häusern verkehren. Zum Beispiel bei der Budberg, wie mein Vetter mir erzählte. Man muß schon Rücksicht nehmen.

Richard sagte, es käme ihm nicht so darauf an.

Malitiös erwiderte Herr von Kreutzberg: Sehr freundlich. Das macht Ihrem guten Herzen alle Ehre, Baron. Aber die anderen sehen so etwas nicht gern, zum Beispiel Rat Lorenz und mein Vetter Dubois. Wir vermeiden stets einander auf der Straße zu erkennen und Dubois wird jedenfalls wünschen, daß Sie es ebenso mit mir halten. Es ist der bequemste und einzig richtige Standpunkt und ich verkehre mit meinen alten Freunden, die sich noch nicht kompromittiert haben, nur bei geschlossenen Türen. Warum wollen Sie sich schaden, ohne mir nützen zu können? Überlegen Sie, Sie werden finden, daß ich recht habe. Denken Sie an die alte weltberühmte Dame, die Mutter der Weisheit.

Sie lächelten.

– Wir sehen uns doch heute Abend auf dem kleinen Kostümfest bei Conte Tozoli? fragte Herr von Kreutzberg.

– Ich war gerade auf Sie zugetreten, weil ich nicht hin will. Ich wollte Sie bitten, Tozoli von mir zu grüßen und ihm zu sagen, daß ich heute nicht zu ihm könnte.

– Das tut mir leid. Es wird ja allerdings etwas verrückt werden, aber er hat mich so lange persuadiert, bis ich endlich zugesagt habe. Was hält sie zurück?

– Ich muß frisch bleiben, um morgen wieder zu arbeiten.

– Dann darf ich Sie nicht überreden, sagte Herr von Kreutzberg rasch, hob die rechte Hand und zog die Schultern ein wenig in die Höhe. Beruf ist das ganze Leben. Aber ich hätte Sie gern gesehen, weiß gepudert, in der Allonge-Perrücke. Besuchen Sie mich doch einmal. Ich bleibe noch bis zum April, dann reise ich nach Rom. Dort lebt man besser als unbeschäftigter Mensch, wenn man nicht gerade ein Trottel ist. Auf Wiedersehen. Ich eile ins Liebigsche Konzert. Sie gehen wohl auch hin? Man spielt das Septuor von Beethoven.

Sie verabschiedeten sich, der Pudel, der sich in eine Ecke des Torwegs gesetzt hatte und seinen Herrn stumm und aufmerksam mit braunen Augen fixierte, sprang mit einem Satz auf, lief voraus auf die Straße und Herr von Kreutzberg folgte ihm. Richard wartete also und ließ eine Minute verstreichen, ehe er aus dem Torweg hinaustrat.

Der Pudel hüpfte immer voran, Herr von Kreutzberg ging in aufrechter, fester Haltung ihm nach und etwa zwanzig Schritte zurück folgte Richard, langsam und in Gedanken. Ich möchte doch wissen, wie dieser alte, distinguierte Herr im letzten, letzten Grunde über Dubois und Lorenz und seine anderen Bekannten denkt? fragte er sich. Fand er einen solchen Zustand im Ernst »einzig richtig«? War es denn nicht zu unnatürlich, so gar nicht einzustehen für Freunde? …

Mit geheimer Schadenfreude brachte ihm Heinz einige Rechnungen an die Tür entgegen, als Richard nach dem Konzert heimkam. Er konnte sichs schon denken, der Schneider würde mahnen und der Hausbesitzer das Mietgeld für die Wohnung verlangen.

– Warum läufst Du denn damit an die Tür, als wäre es Wunder wie wichtig? fragte Richard und gab ihm einen Nasenstüber. Du weißt doch, daß ich solche Briefe nur gelegentlich einmal öffne und meist überhaupt nicht.

Heinz bekam einen kleinen Lachkrampf. Er fand Richard in solchen Dingen immer sehr spaßhaft und bewunderte ihn außerordentlich.

Richard überlegte einen Augenblick. Man kann nicht arbeiten, wenn man immerfort mit Rechnungen gedrängt wird, dachte er. Nach wenigen Sekunden war er entschlossen, sagte Heinz, daß er in einer Stunde wiederkommen würde, machte kehrt und ging zur Tür hinaus. Auf der Straße rief er eine Droschke an und fuhr zu Dubois.

Der Diener öffnete und sagte, daß der Herr zu Hause wäre, im zweiten Stock bei der Toilette, er würde gleich kommen. Im Salon fand Richard einen Herrn von Bandemer vor, der ebenfalls auf Dubois wartete.

Richard hatte seine Bekanntschaft bei der Baronin Budberg gemacht und erinnerte sich gehört zu haben, daß dieser Herr früher Gutsbesitzer gewesen sei, dann aber sein beträchtliches Vermögen dem Luxus einer Opernsängerin geopfert hätte. Jetzt unterhielt er Beziehungen zu einer ziemlich hochgestellten Dame aus der besten Berliner Gesellschaft, so hieß es wenigstens. Herr von Bandemer hatte stets etwas Lärmendes in seinem Wesen. Fortwährend räusperte er sich sehr laut oder schlug wuchtig klatschend seine Hände zusammen und sein Sprechen war mehr ein Anrufen und Zurufen. Als Richard ihn kennen lernte, hatte er sich ganz verwundert gefragt, wer die vornehme Dame sein könnte, die Gefallen fand an diesem einfachen, derben Junker mit seiner Leidenschaft für Rotwein und Danziger Gold.

Er war ein großer, breitschultriger Mann mit einem langen Vollbart, den er zuweilen mit beiden Händen nach vorn hinriß, so daß die schwarze, dichte Bartmasse unten ganz spitz wurde und während einiger Sekunden weit weg stand vom Halse. Kaum ward er Richards ansichtig, als er ihm sogleich mit großen Schritten entgegenging, ihm kräftig die Hand schüttelte und dröhnend ausrief: Sieh da, sieh da Timotheus! Sie sind's! Habe die Ehre. Wie geht's, wie steht's? Gut eingelebt in Berlin?

Richard dankte. Herr von Bandemer nötigte ihm eine Zigarre auf und während sie sich setzten, begann er allerlei zu erzählen. Er hasse dieses Stadtleben, sobald es nur irgendwie möglich wäre, so würde er sich wieder ein Gut kaufen. Verstehen Sie, es handelt sich ganz einfach um den animalischen Zusammenhang. In der Stadt muß ich immerfort auf Holz treten, auf Pflaster und Zement, das paßt mir nicht. Ich will Gras haben unter meinen Füßen, ordentlich gesunden Erdboden, daß man atmen kann. Verstehen Sie?

Richard meinte, daß er das gewiß sehr gut nachfühlen könnte, er habe selbst jahrelang auf dem Lande gelebt. Nach geraumer Weile sah er nach der Uhr und sagte: Ich wollte Herrn Dubois nur einen Augenblick sprechen, wo bleibt er bloß so lange?

Herr von Bandemer machte: Ssst. Dann lachte er, und zwar gegen seine Gewohnheit ganz leise. Er hakte die linke Hand in seinen Bart ein und hob verheißungsvoll den Zeigefinger der rechten Hand. Mit einem Ausdruck unbeschreiblichen Vergnügens und ganz langsam wies er auf einen Gegenstand, der nachlässig hingeworfen über die weißgerahmte Lehne eines Armsessels hing. Richard sah hin.

Etwas Weiches, Glänzendes lag da. Es war ein roter, reich mit Gold verschnürter Damenbaschlik.

– Er ist nicht allein, flüsterte Herr von Bandemer mit einer Stimme, die vor Vergnügen bebte. Ich entdeckte das Ding gleich, als ich ins Zimmer trat. Deliziös, diese Troddelchen. Ein unverbesserlicher Sünder, unser alter Dubois, einfach unverbesserlich. Ja, so ein Poet! Der versteht die Herzen zu brechen.

Richard blickte abwechselnd auf den Baschlik und auf Herrn von Bandemer und wußte ganz und gar nicht, was er davon halten sollte. Doch fand er geraten, in den Ton einzustimmen und versuchte also seinem Gesichte ebenfalls den Ausdruck spitzbübischer Freude zu verleihen. Während einer ganzen Minute sahen sie sich an, lachten und kniffen die Augen zusammen.

Der Erwartete kam endlich und Herr von Bandemer trat sogleich auf ihn zu und wollte Rat haben wegen eines Ankaufs von österreichischen Kredit-Aktien. Man mußte doch irgendwie versuchen, sein Kapital in die Höhe zu bringen, meinte er. Aber Dubois warnte sehr entschieden – Attention aux jeux bei diesen Ausländern, rief er. Lassen Sie sich nicht ein auf diese Börsengeschäfte. Ich gebe keinen Groschen von meinem Gelde aus Preußen fort. Ich bin überzeugt, die Leute in Wien lachen sich ins Fäustchen. Nach einigem Hin- und Herreden verabschiedete sich Herr von Bandemer ganz niedergeschlagen und entmutigt. Richard hörte, wie er im Garderobezimmer sagte: Wir treffen uns also morgen zu Mittag bei Ihrem Herrn Vater.

Als Dubois in den Salon zurückkam, sah Richard ihn an und wunderte sich darüber, daß er gar nicht gewußt hatte, ob Dubois' Vater noch lebte oder gestorben war. Niemals war von ihm die Rede gewesen.

– Das ist hübsch, daß ich Dich so bald wiedersehe.

Richard hob den Baschlik vom Stuhl und zog ihn etwas hinauf. – Vor allen Dingen, was ist das? fragte er neugierig.

Dubois lächelte. – Nun, was meinst Du wohl? Hat er das Ding auch bemerkt?

Richard schilderte mit einigen Worten den Effekt, den die zierliche Pariser Arbeit mit den »deliziösen« Troddelchen auf Herrn von Bandemer gemacht hatte.

Dubois freute sich und lachte. – Wie gut, daß ich durch Dich wieder einmal erfahre, wie vorzüglich meine Maßregeln sind, rief er. Wenn ich nämlich annehme, daß mich irgend Jemand aufsuchen wird, der ein Freund des sogenannten schönen Geschlechts ist, nun, dann pflege ich schon seit Jahr und Tag diesen Baschlik in meinem Salon niederzulegen. Er wird immer gefunden und macht den Leuten viel Spaß. Man liebt es doch so sehr, seinen Nebenmenschen zu durchschauen, ihn zu ertappen. Herr von Bandemer kommt sich jetzt Wunder wie klug vor und ist jedenfalls sehr befriedigt davon, hinter ein Geheimnis gekommen zu sein. Und was das Wichtigste ist, er wird es weiter erzählen. Ich baue darauf. Ich versichere Dir, Richard, dieser Baschlik, einige Federhüte und zwei Damensonnenschirme haben genügt, um mir im Lauf der Jahre den Ruf eines gefährlichen Don Juans einzutragen!

Richard lachte und die Komik der Sache belustigte ihn. Aber doch fand er es erstaunlich, daß man solche Praktiken anwandte und in diesem Augenblick war irgend etwas an Dubois, was Richard mißfiel.

– Nun setze Dich. Du bist in dem Konzert gewesen? Erzähle mir doch.

Richard sagte sogleich, daß er diesmal nur gekommen wäre, um einen Puff anzuschlagen. Sein Schneider dränge ihn und der Hausherr. Im Lauf eines halben Jahres würde er das Geld zurückzahlen. Da Dubois nicht sofort antwortete, sondern ohne sich zu rühren auf den Boden sah, ward Richard etwas confus und wiederholte einige Sätze mehrmals. Dann schwieg er und blickte aufmerksam und erstaunt auf Dubois. Findet er etwas so Besonderes dabei? fragte er sich.

– Natürlich werde ich Dir das Geld geben, es kommt ja vor, daß man zu kurz schießt, sagte Dubois endlich. Es ist gleich, wann Du es mir zurückerstattest. Am besten, wenn Du mit Deinem Studium fertig bist, erst dann. Auf diese Weise hast Du die Möglichkeit, Dich von nun ab mit Deinen Mitteln einzurichten und brauchst nicht alle Monate etwas abzuziehen, um mir zurückzugeben. Du hast es ja doch ziemlich reichlich, wie Du mir erzähltest. Aber natürlich paßt Dein Budget nicht für eine Lebensführung, die man einhalten muß, wenn man viel mit Tozoli und meinem Vetter verkehrt. Der eine ist sehr wohlhabend und der andere, der Graf, ein geborener Bankrotteur und Schuldenmacher, um nichts weiteres zu sagen. Menagiere Dich, sieh Dich etwas vor, ich rate es Dir, Richard.

Er zog sein Portefeuille und holte seine Börse hervor. – Also 200 Taler. Es trifft sich gerade, daß ich eine größere Summe einkassiert habe und noch nicht auf der Bank war.

Er tat das Geld auf die Hand und reichte es ihm. Während Richard die beiden Scheine und das Häufchen Friedrich's d'or empfing, beherrschte ihn ein Gefühl, dem er nicht auf den Grund gehen wollte. Um rasch wegzuspringen aus dieser Empfindung, die so plötzlich da war, unvorbereitet, ohne daß er sie vorausgeahnt hätte, als er des Geldes wegen kam, ging er ans Klavier und schlug den Deckel zurück.

– Jetzt kommt aber etwas Schönes, rief er. Während er sich zurechtsetzte, und die Hände hob, dachte er: Warum zeigte er mir diese Nachdenklichkeit? Entweder man hat gerade um einem auszuhelfen, oder es paßt einem nicht und man sagt es.

Dann aber beschäftigte ihn nur noch sein Spiel, das mit eindringlichen, schweren, festen Akkorden begann.

Es waren die symphonischen Etuden von Schumann. Dubois liebte sie und eine freudige Überraschung kam in sein Antlitz, während er Richard anblickte und sich zurücklehnte, um zu hören …

Nach einer halben Stunde verließen sie das Haus gemeinsam. Dubois eilte zu seinem Verleger, der aus Leipzig für einige Tage nach Berlin gekommen war und mit dem er sich beraten wollte. Eine Droschke begegnete ihnen und er stieg ein; Richard hatte einen andern Weg einzuschlagen und sie verabschiedeten sich.

Die schlechte Laune, die während des ganzen Tages auf ihm gelastet hatte, war plötzlich weggeflogen. Ärgerlich, den Kutscher antreibend und gleichgültig gegen alle Außenwelt, war er hinausgefahren zu Dubois, jetzt fand er Vergnügen daran, gemächlich zu gehen, blickte hin und wieder in die erleuchteten Schaufenster und fühlte, daß die Abendluft sich still und wohltätig kühl auf seine Stirn legte. Er trat in ein Kaffeehaus und nachdem er einen Platz gewählt hatte, studierte er mit behaglicher Anteilnahme und aufmerksam die Physiognomien der Leute. Als er an seiner Umgebung nichts mehr zu beobachten fand, las er einige Augenblicke in den Zeitungen und während er sich darüber freute, daß der Kaffee gut war, zog er Bleistift und Papier hervor, um einen kleinen Überschlag aufzustellen. Bald langweilte ihn das und er rechnete nicht mehr die einzelnen Posten aus, sondern überließ sich ganz dem wohltuenden Gedanken, einen kleinen Haufen Geld zwischen den Fingern zu haben, über den er nach Belieben verfügen konnte.

Um elf Uhr trat er hinaus und blieb stehen. Er wollte heim. Aber der Entschluß befestigte sich nicht und eine Welle von Wünschen hob sich gegen ihn auf. Durstig nach diesen Abenteuern, die noch immer neu waren, sog er froh und tief den Atemzug ein und hielt ihn an, bis die Herzschläge immer stärker gegen die Brust klopften.

Übrigens hätte er gern gewußt, was so Besonderes denn Tozoli für diesen Abend vorbereitet hatte.

Vielleicht bleibe ich gar nicht dort, ich belausche sie nur, dachte er, als er schon in der Droschke saß. Durch die alte Königsstraße konnte nur ganz langsam gefahren werden. Vor den Türen und den Fenstern der Kaufhäuser brannte kein Licht mehr. Nahe dem Trottoir, mit den Rädern auf einer Seite beinahe im Rinnstein, mußte die Droschke neben dem Warenzuge herkriechen, bis die sich weit fortstreckende Linie der Fuhren überholt war. Der Kutscher bog ab in ein Gäßchen hinter der Nikolaikirche. Am Ziel läutete Richard zweimal und wartete bis der zuverlässige polnische Hausknecht kam und öffnete. Er lauerte aus dem Torweg in die halbdunkle Straße, erkannte Richard und ließ ihn ein. Dann schob er die Riegel wieder zu und sie gingen schweigend über den Hof bis zur Haustür. Er suchte während einiger Sekunden in seinen Taschen, dann holte er den Schlüssel hervor und sperrte auf. Nun folgte Richard und schritt die kleine hölzerne Treppe hinan, die vom gepflasterten Hof zum Eingang führte. Er zog einen Taler aus der Westentasche und gab ihn dem Mann, der nach polnischer Sitte den Ärmel des Herrn küßte. Richard ging die Stiegen langsam hinauf, oben angelangt, klopfte er leise und sagte dem jungen Diener, der rasch öffnete, er solle der Gesellschaft nichts von seiner Ankunft erzählen, er wolle sie überraschen.

Er ging durch den Korridor und klinkte ganz vorsichtig die Tür zu Tozolis Schlafzimmer auf. Er durchschritt es auf den Zehen und trat an den Vorhang heran, der vor dem Salon hing und in der Mitte nicht ganz schloß. Durch einen Spalt fiel warmer Lichtschein in die dunkle, geräumige Stube. Richard lugte hindurch, er konnte nur einen kleinen Teil des hell erleuchteten Gemachs übersehen. Auf dem bräunlichen Teppich lag ein nackter junger Mann, neben ihm kniete sein Gegner, umklammerte ihn mit nervigen Armen und preßte seine Brust gegen den Boden. Bisweilen hörte man die kurzen hastigen Atemzüge der Verschlungenen, dann ward es wieder ganz still. Es war jener Augenblick im Ringkampf, der oft minutenlang andauert, weil der Niedergeworfene unfähig ist, aus der eisernen Umarmung herauszuschlüpfen, während sein Gegner darnach strebt, ihn mit einem ganz plötzlichen, unvermuteten Ruck umzudrehen und ihn auf den Rücken zu wenden, so daß die beiden Schultern den Boden berühren. Dann erst ist der Gang entschieden. Richard konnte die Gesichter der Ringenden von seinem Versteck aus nicht erblicken, die Gestalten schienen einander ähnlich zu sein, waren jung und sehr kräftig, aber ihnen fehlte das Gedrungene des Oberkörpers, wie die Athleten von Beruf es haben, deren Beine sich oft dünnlich ausnehmen unter der Last von Bauch und Brust. Auch der Nacken des Knienden war jugendlich und noch nicht massig, der Kopf saß fest, aber nicht klein auf ihm. Fast im gleichen gelben Ton leuchtete das Fleisch der Kämpfenden gegen den braunen Teppich.

Richard rückte leise und behutsam am Vorhang, um die Zuschauer erblicken zu können. Sie saßen auf Lehnstühlen, die man an die Wand angeschoben hatte, nebeneinander und verfolgten das Schauspiel mit großem Interesse, auf nichts anderes achtend. Alle drei waren gleichmäßig gewandet, ungefähr im Stil der letzten Jahrzehnte des achtzehnten Jahrhunderts. Graf Tozoli saß in der Mitte, neben ihm stand ein kleiner mit einem grauseidenen Tuch überdeckter Tisch, darauf eine silberne Glocke, eine Flasche Roederer und Kelchgläser. Herr von Kreutzberg und er stießen zuweilen miteinander an und tranken einen Schluck aus den zarten Gefäßen, in die Blumen eingraviert waren und Roggenähren, die von dünnen, feinen Stengeln herabhingen. Dirigent Doktor Adalbert Müller hatte seinen Stuhl ein wenig zur Seite gerückt, stützte sein Kinn in die Hand und ließ sich keine Phase des Kampfes entgehen. Auf dem Boden vor ihm stand ein gläserner Pokal, der mit Bier gefüllt war, und daneben sehr behaglich eine große silberne Zuckerdose.

Graf Tozoli war gepudert, gebürstet und zugeknöpft und hatte Handschuhe an; sein hellblauer Rock warf auch nicht ein Fältchen. Er trug eine Nanking Hose, weiße Strümpfe, eine hohe Halsbinde, einen gekräuselten Jabot und silberne Schnallen an den Schuhen. Er sah sehr vornehm und jung aus. Ein gleichmäßiges Lächeln stand in seinen schwarzen Augen, die weich und tief waren und starr hinblickten auf die Ringenden. Der Mund hatte sich etwas geöffnet und die Zähne schimmerten noch weißer als der Puder auf seinen Wangen. Herr von Kreutzberg und Müller waren bei der Zusammenstellung ihrer Kostüme nicht mit derselben Sorgfalt verfahren, wie Tozoli, der sich in echte, teuere Stoffe gekleidet hatte. Die beiden älteren Herrn trugen scharlachrote lange Röcke und ihre Binden hingen vom bloßen Halse über den Jabot hinüber.

Mit einem plötzlichen Ruck befreite sich der Umklammerte und überrollte sich einige Mal. Auf den Knien rutschte der Andere ihm nach, aber seine Griffe mißlangen und sie sprangen auf. Namentlich der Körper dessen, der einen roten Schurz um die Hüften trug, war wohlgebildet, kräftig und nicht unzart. Sie gingen wieder aufeinander los und sogleich nach einem kurzen Wirbel packte der Blaue seinen Gegner sehr glücklich und hob seinen Feind in die Höhe, dessen Beine mit krampfartigen Bewegungen den Boden suchten und der mit den Armen um sich schlug. Er ward fest und schnell niedergeschleudert, der Überwinder ließ sich mit ihm fallen, warf sich auf ihn und preßte beide Schultern des Gegners gleichzeitig gegen den braunen Teppich.

Der Graf läutete rasch. Die Kämpfer schüttelten sich die Hände und der Besiegte suchte zu lächeln. Der Sieger erhielt eine kleine Börse geschenkt, in der wahrscheinlich ein Friedrich d'or steckte.

Richard hatte das Zimmer nicht gänzlich übersehen können und war sehr überrascht, als plötzlich zwei ungefähr siebzehnjährige Jungen von irgendwo hervorsprangen und sich aufstellten, um mit einander zu ringen. Er erkannte die Gesichter, er hatte die beiden im Zirkus Wollschläger auftreten sehen, in irgend welchen gymnastischen Produktionen. Der eine war stämmig, schwarzkraus, mit kleinen blitzenden Augen und großen kräftigen Jungens-Fäusten, deren Derbheit einen gewissen merkwürdigen Gegensatz bildete zum fast völligen Ebenmaß seines Körpers, der weiß und hell im Kerzenlicht stand. Sein Partner war schlank und hoch; die Arme waren noch nicht fest gerundet und saßen graziös an den Schultern. Die Hände stützte er sanft in die Hüften und so stand er da, das Antlitz fröhlich, dunkelblond und von Schönheit und das Gewächs fast überzart, aber nicht marklos. Alles an ihm war bewegt und überall waren die Linien schnell und lebendig. Ein gelber Schurz teilte den Körper sehr lieblich.

Weiß Gott worüber, aber die Jungen fingen zu lachen an. In komischem Deutsch ermahnte sie der Graf und plötzlich fuhren sie auf einander los. Doch der Zusammenprall artete zu einer kleinen, erbitterten Prügelei aus und sie wurden wieder auseinandergerissen und mußten von allen Seiten Vorwürfe hören. Endlich machten sie Ernst und begannen den Ringkampf ganz schulgerecht. Sehr bald gelang es dem kräftigern seinen Gegner glücklich zu packen und er versuchte ihn niederzuschleudern. Der blonde, schlanke Junge entwischte jedoch, flog gegen den Vorhang, hinter dem Richard stand, hielt sich aber auf den Beinen, taumelte, glitt hinein in die Spalte und fiel Richard an die Brust. Der erschrockene Knabe tat einen leisen Ausruf, Richard hielt ihn, umfing ihn mit den Armen und preßte den zarten Körper an sich. Der Vorhang hatte sich wieder geschlossen, sie waren allein im dunklen Gemach, zogen sich in eine Ecke und standen da, umschlungen.

Die Herren im Saal und der junge Ringer begriffen gar nicht.

Von Sekunde zu Sekunde wartete man natürlich, daß der Junge zurückkommen würde. Jedoch er blieb verschwunden, man sah und hörte plötzlich nichts mehr von ihm.

Einer nach dem andern trat ein, man rief und suchte sehr verwundert und alle waren ganz ohne Erklärung. Da erschien Dirigent Doktor Adalbert Müller mit einem dreiarmigen Kandelaber und beleuchtete plötzlich den Auftritt.

Da sah man sie denn. – Eccolo! rief Graf Tozoli, stürzte ins Versteck auf Richard zu und entriß ihm den Jüngling sehr eifersüchtig.

Die Heiterkeit war allgemein und erfreut begrüßte man Richard.

– Aber! mein lieber Baron, sagte Herr von Kreutzberg, es ist gänzlich wider die Abmachung, daß sie in der grotesk schauerlichen Tracht unserer Zeit erschienen sind. Da Sie versäumt haben, sich gehörig zu kostümieren, so müssen Sie sichs schon gefallen lassen, wenn wir Sie zur Strafe des Amphitheaters verurteilen.

Richard lachte und erklärte sich dazu bereit mit den jungen Leuten zu ringen.


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