Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als die Nachricht vom Untergang des von Randen und seiner Fahne nach Dorpat kam, eilte Eilhard sofort nach Ubbagal. Dort erfuhr er von dem mittlerweile zusammengelaufenen Landvolk, wie und von wem der von Randen bestattet worden war. Als er dann zu Ursula ritt – er fand sie allein – erfuhr er aus ihrem Munde, wie buchstäblich sich der Fluch der tollen Käthe an dem Junker erfüllt hatte. Völlig rätselhaft erschien beiden, daß Ursula die Leiche weit ab vom Lager gefunden hatte. »Geflohen ist er doch gewiß nicht,« sagte Eilhard.
Ursula schüttelte den Kopf. »Nimmermehr,« erwiderte sie. »Sein Herz war kalt, sein Sinn verrucht, aber es gab keinen Mann, der tapferer war als er.«
»Ursula,« fragte der Junker, als er zu Pferde stieg, »Ihr habt mir das Leben gerettet und habt auch jetzt wieder an dem von Randen gehandelt recht wie ein Christenmensch. Kann ich etwas für Euch thun?«
Ursula blickte ihn aus ihren großen blauen Augen, in denen Thränen standen, traurig an und schüttelte den Kopf. »Ich danke Euch, edler Herr,« erwiderte sie, »aber ich wüßte nicht, wie Ihr mir helfen könntet. Mein Bojar hält mich nicht schlecht. Zu Grunde gehen aber werden wir ja doch alle mit einander. Und wir haben es auch nicht besser verdient.«
Eilhard wandte sein Roß und ritt davon. Die letzten 539 Worte des verlorenen Weibes kamen ihm garnicht wieder aus dem Sinn.
Sobald er wieder in Dorpat eingetroffen war, nahm ihn der Vater bei Seite. »Es ist ein Brief aus der Moskau da,« sagte Herr Kruse, indem er in großer Aufregung im Zimmer auf und abging.
»Und was schreibt der Großfürst?«
»Ich soll die beiden Fahnen und die Hakenschützen des von Ranzau um jeden Preis nach Pleskau locken. ›Wären sie erst dort‹ schreibt er, ›so würde man schon dafür sorgen, daß sie sich wider die Tatern brauchen ließen, es sei ihnen nun lieb oder leid.‹«
»Und er schickt kein Geld?«
»Keine zwei Dengi. Was soll ich nun thun? Ich habe dem von Rosen und dem von Zeitz bei meiner adeligen Treue angelobt, daß, sobald ich einigen Betrug bei diesem Handel spüren würde, ich es ihnen sogleich melden wollte.«
»Ihr müßt ihnen sagen, wie die Dinge liegen.«
»Und mich dann vom Großfürsten fangen und vierteilen lassen! Und nicht nur mich, sondern auch dich und euch alle!«
Auf dem Hofe klapperten Roßhufe. Es kamen der Herr von Taube und der Rittmeister Reinhold von Rosen. »Edler Herr,« rief der letztere, sobald sie eingetreten waren, »ist das Geld da? Ich kann meine Leute nicht länger zurückhalten. Schon lassen sie sich in trunkenem Mut vernehmen, käme das Geld nicht bald, so wollten sie Euch, Herrn Taube und mir das Herz im Leibe abschießen.«
Herr Kruse warf seinem Sohne einen bedeutungsvollen 540 Blick zu. »Das Geld ist nicht gekommen,« erwiderte er, »wohl aber verlangt der Großfürst, daß Ihr und der von Zeitz mit Euren Fahnen in die Pleskau zieht.«
»Nimmermehr,« rief der Rittmeister. »Der Handel läßt sich ganz so an, als ob es nur darauf abgesehen wäre, uns redliche Deutsche zu betrügen und in ewige Dienstbarkeit zu bringen. Wir müssen auf alle Fälle unseren Sold haben.«
Herr Kruse zuckte die Achseln. »Helft Euch selbst« sprach Taube.
»Wie meint Ihr das?«
»Ich meine, daß, wer Herr über eine Fahne Reiter ist, sich nicht braucht in den Stall treiben zu lassen, wie ein Leithammel mit seiner Herde.«
Der von Rosen blickte zu Boden und wickelte sich die Enden seines langen blonden Schnurrbartes um den Zeigefinger der Rechten.
»Es gibt noch mehr Potentaten in Livland als den Großfürsten allein,« fuhr Taube fort, »und ich kenne keinen, dem die Braut nicht willkommen wäre, die Dorpat als Brautschatz mit sich bringt.«
»Ihr meint, daß ein solcher Anschlag sich ausführen und ins Werk setzen ließe?«
»Ich meine allerdings, daß die Stadt zur Zeit übel besetzt ist, daß viele reußische Schützen an der Pest weggestorben sind und daß die Bojaren jetzt meist auf ihren Höfen auf dem Lande sind.«
»Hm! Und – und – und Ihr hättet, um das Kind beim rechten Namen zu nennen, einen Käufer?« 541
»Wir haben einen Käufer.«
»Den Polen?«
»Den Polen.«
»Edle Herren,« rief Eilhard, »das wäre Verrat!«
»Nein,« erwiderte Taube, »das wäre kein Verrat. Als wir dem Großfürsten versprachen, daß wir ihm dienen wollten, hat er uns gelobt, daß er uns allein zu ehrbaren Sachen wolle gebrauchen. Ist das nun aber ein ehrbarer Handel, daß wir jetzt die Hand bieten sollen, deutsche Biederleute von Adel in ewige Dienstbarkeit zu bringen? Ist es ehrbar, daß er den guten Herzog Magnus, den er doch selbst für einen König in Livland hat ausrufen lassen, nun also hält, daß er nicht nach seinem Stande kann leben, so daß er nichts anderes ist als ein Bolwan, ein Lockvogel, damit er die Livländer hat fangen wollen wie Birkhähne?«
»Also Ihr meint, wir würden bei den Polen offene Arme finden?«
»Ja, und offene Geldbeutel dazu.«
»Woher wißt Ihr das?«
Taube blickte auf Eilhard. »Seid Ihr der unsrige?« Eilhard nickte: ›Zu Grunde gehen werden wir ja doch alle miteinander. Und wir haben es auch nicht besser verdient‹, klang es in ihm wieder.
»Recht so, Eilhard,« rief Herr Kruse. »Glaube mir, ich würde dich zu nichts drängen, was einem Ehrlichen von Adel nicht ansteht. Der Reuße aber hat nichts anderes vor, als wie er unser armes, betrübtes Vaterland ganz und gar in die äußerste Knechtschaft bringen und seine grausame Tyrannei in ihm treiben könnte.« 542
»Also woher wißt Ihr, daß der von Polen uns mit offenen Armen aufnehmen und uns in den Geldbeutel greifen lassen würde,« wiederholte der von Rosen.
»Wir wissen das durch Dietrich von Kall, den wir zu Seiner Majestät schickten,« erwiderte Taube. »Seine Majestät hat unser Vorhaben höchlich gelobt, auch dem polnischen Administrator von Livland, Chodkiewitsch, befohlen. daß er uns in allen Stücken wolle förderlich und dienstlich sein.«
»Wir könnten die Stadt gut in unsere Hände bringen,« nahm Herr Kruse wieder das Wort, »und uns in ihr halten, wie lange wir wollen. Es sind nicht nur etliche tausend Last Korn, dazu Proviant und Vitalien aller Art in Fülle in der Stadt, sondern die von Nowgorod und Pleskau haben in großem Geheimnis und Vertrauen auch ein gut Teil ihrer Schätze hierher gebracht, weil auf unsere Bitte des Zaren Leibwächter hier keine Gewalt haben. Diese Schätze sind wohl etliche Tonnen Goldes wert. Haben wir die und die Stadt, so sollen sich bald alle Verjagten vom Adel hier zusammenfinden, und die sind doch gewiß zweitausend Pferde stark, und der Knechte würden auch an die tausend sein.«
»Ihr habt recht,« sagte der von Rosen. »Wie halten wir es mit dem von Zeitz? Und sollen wir den Handel in der Stille den Bürgern bekannt geben?«
»Nein, nein,« rief Taube. »In dieser argen Zeit der Welt dürfen wir niemand vertrauen als Euch und Euren Freunden. Der Reuße ist überaus listig und aufmerkend und könnte leicht Wind von unserem Vorhaben bekommen. Ist die Stadt erst unser, so wird der von Zeitz schon zu 543 uns stoßen und die Bürger werden auch nicht säumen, die Reußen anzufallen und abzustechen.«
»Ganz allein aber kann ich die Stadt nicht nehmen,« erwiderte der Rittmeister, »und wenn nicht wenigstens die vornehmsten Reiter wissen, wo ich hinaus will, so kann es geschehen, daß die Fahne mir nicht folgt.«
»So meine ich es nicht,« versetzte Taube. »Dem von Rosen, dem Tiefenhausen, dem Krüdner, dem Bremen, beiden Schwarzhöfen, Nötken und Kawern mögt Ihr sagen, was Ihr wollt. Das sind Redliche von livländischem Adel, die uns nicht verraten werden.«
»Mein Plan ist dieser,« nahm Herr Kruse wieder das Wort. »Wir tragen erst Sorge, daß die Bauern bei dem Wojewoden Klage führen, sie könnten es wegen der Einquartierung nicht mehr aushalten und müßten ganz verderben und zu Grunde gehen. Wenn dann der Wojewode fragweise an Herrn Taube und mich kommt, wie da Abhilfe zu schaffen und der Karren aus dem Dreck zu bringen wäre, raten wir, daß er die Fahne soll über den Embach rücken und auf dieser Seite soll ins Quartier legen lassen. Unterdes habe ich meine Diener einzeln in die Stadt und in mein Haus kommen lassen. Herr Taube und ich rücken mit unseren Reitern zur selben Stunde in das Domthor und machen uns da zu schaffen. Wie Ihr nun über die Brücke seid, fallt Ihr sogleich in die deutsche Pforte und schießt Alarm. Dann nimmt Elert die reußische Pforte, Herr Taube und ich aber dringen in die Dompforte. Die halten wir besetzt, damit die reußischen Schützen, die in der Vorstadt liegen, nicht in die Stadt können.« 544
Man beriet noch hin und her, dann ritten Taube und der von Rosen fort. Die beiden Kruses aber saßen lange schweigend bei einander. Dann sagte der Vater. »Die Mutter, die Schwestern und die Ahne schicken wir vorher zu Taube aufs Land, damit sie, auch wenn der Handel anders verläuft, als wir zuversichtlich hoffen, ungefährdet nach Wolmar zu den Polen können.«
»Weiß die Mutter um den Handel?«
»Ja, Elert, die Ahne aber nicht.«
Eilhard stand auf und ging hinüber zur Mutter. »Mutter« sagte er, indem er neben ihr Platz nahm, »weißt du, daß wir dem Reußen die Stadt abnehmen, und sie dem Polen in die Hand spielen wollen?«
»Ja, und was sagst du dazu?«
»Ich sage das es ein Verrat ist.«
Frau Katharina zuckte die Achseln. »Wir sind ja schon seit lange Verräter,« erwiderte sie bitter. »Dein Vater soll ja den Reußen ins Land gebracht haben. Vielleicht verzeiht man ihm das gnädig, wenn er ihn wieder hinaustreibt.«
»Mutter, du weißt sehr wohl, daß an dem alten Gerede nichts war. Wenn wir aber jetzt als des Großfürsten Diener die Reußen, die uns vertrauen, feindlich anfallen und niederhauen, so ist das wirklich Verrat.«
»Mag sein Elert, aber der Großfürst hat auch deinem Vater nicht gehalten was er ihm versprochen hat, und dem jungen Herzog auch nicht. Und dann Elert, wer verrät denn in dieser argen Zeit nicht? Die, die wir liebten und denen wir vertrauten, haben mich verraten, den Vater verraten. Warum sollen wir denn allein die Narren sein, die 545 die Treue halten und dafür Narrenlohn bekommen und in Hunger und Kummer verderben, während die Klugen, die den Hals allezeit aus der Schlinge zu ziehen wußten, in Schlössern wohnen und in Samt und Seite durch das Land reiten?«
Eilhard seufzte. Er dachte an Anna und wie glücklich sie jetzt war.
»Der Großfürst,« fuhr Frau Katharina fort, »hat doch wahrlich nicht verdient, daß man ihm die Treue hält, ihm, der gegen seine eigenen Getreuen, Kanzler, Räte und Feldobristen wütet, nicht wie ein christlicher Kaiser, sondern recht wie ein heidnischer Tyrann und Bluthund. Sollen wir warten, bis er sein Auge auch auf uns wirft und läßt den Vater abschlachten, dich, mich, die Ahne und die Mädchen? Verlangt das die Ehre? Wer Ehre bewahrte, dem soll man in Ehren dienen, aber was weiß der Großfürst, der ganze Städte läßt verbrennen und schont der Kindlein im Mutterleibe nicht, weil der Herr derselben ihm nicht nach Willen gehandelt, von Ehre?«
»Mutter,« rief Eilhard, »ich wünschte, wir alle wären tot!«
»Amen,« erwiderte Frau Katharina, »aber da der Herr in seinem Zorn uns noch nicht abruft aus dieser Zeitlichkeit, so müssen wir uns auch das Leben bewahren. Und dann Elert, wir haben lange genug Zeit gehabt, uns vorzubereiten auf diese Tage. Es kam nicht plötzlich über uns wie ein Aprilen-Regen, sondern es zog sich langsam zusammen wie ein Gewitter im Sommer, bis es am Himmel stand wie eine schwarze Wand und jeder, der sehen wollte, wußte es 546 muß losbrechen mit Blitz und Donner, mit Sturm und Hagel. Wir aber sprangen so fröhlich im Reigen, als ob der Himmel hell und klar wäre wie ein Quellwasser. Nun aber gilt doch das Wort: Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten, und das Unwetter ist hereingebrochen. Da müssen wir Alten nun erst alle verderben, hinscheiden und denen Platz machen, die als unschuldige Kindlein von unseren Sünden nichts wußten. Dann erst wird der Herrgott die Sonne wieder über unserem armen betrübten und verstörten Livland scheinen lassen. Von uns gilt das bittere, harte, schreckliche Wort: Gewogen, gewogen und zu leicht befunden!«
Frau Katharina sprang auf, umarmte den Sohn und eilte fort.
Am folgenden Tage zogen die Frauen hinaus auf den Hof des von Taube. »Lebt wohl,« sprach Frau Katharina, als sie Abschied nahm, zu Mann und Sohn »und wenn Gott es so fügt und wir sehen uns hier nicht wieder, so hoffe ich doch, daß er uns im Jenseits ein fröhlich, selig Wiedersehen bescheren und aus Gnaden verleihen wird, denn ob wir gleich hier auf Erden uns arg versündigten, so haben wir es doch auch mit viel Kummer, Not der Gewissen und bitterem Herzeleid allezeit büßen müssen.«
Die Verschwörung verlief wie sie geplant war, nur verlangte der russische Wojewode, als er in die Verlegung der Fahnen willigte, daß sie nicht zugleich über die Brücke rücken sollten, sondern an zwei verschiedenen Tagen. Trotzdem konnte man sich nicht entschließen Hans von Zeitz ins Vertrauen zu ziehen, sondern wollte den Anschlag allein ausführen. 547
Man hatte einen Sonntag und die Mittagsstunde für den Angriff gewählt, weil dann die Russen nach der Messe zu schlafen pflegten.
Es war Sonntag den einundzwanzigsten Oktober zwölf Uhr mittags als der von Rosen an der Spitze seiner Fahne über die Embachbrücke zog. Er ritt gerade auf den Bojaren, der in der deutschen Pforte die Wache hielt, zu, reichte ihm die Hand und plauderte mit ihm. Plötzlich aber zog er eine Büchse aus dem Stiefel und schoß ihn nieder. Ein Teil der Reiter folgte seinem Beispiel und warf sich mit ihm auf die Wache, die schnell niedergehauen wurde. Dann ließ Rosen das Thor hinter sich schließen, ließ eine Abteilung zurück, um es gegen Angriffe der in der Vorstadt liegenden Russen zu behüten und sprengte in die Stadt.
In dem Augenblick, in dem Rosen über die Brücke zog, kam Herr Kruse mit einer Anzahl Diener scheinbar zufällig vom Lande in die Stadt und befand sich gerade in der Dompforte. Er fragte dort nach dem Wojewoden und zog die Zeit hin, bis die Schüsse an der deutschen Pforte fielen. Dann hieben er und der rasch herbeikommende Taube die Russen nieder, Taube besetzte die Pforte, Kruse aber, Elert Dücker und Christian Ranzau ritten in die Stadt Rosen entgegen.
Gleichzeitig mit den anderen war auch Eilhard mit den Bewaffneten, die im Kruseschen Hause versteckt lagen, gegen die reußische Pforte, in deren Nähe das Haus lag, vorgebrochen und hatte das Thor besetzt.
Die Stadt war in den Händen der Verschworenen, der Anschlag schien geglückt zu sein. 548
Die Herren ritten durch die Straßen der Stadt, hieben die Russen nieder, und riefen die Bürger auf, zu den Waffen zu greifen und ihnen zu helfen, aber die überraschten, in den Tod erschreckten Bürger verschlossen ängstlich Thore und Thüren und niemand ließ sich blicken. Nun ritt ein Teil der Junker zum Gefängnis, man schlug die Thore ein und befreite die Gefangenen. Hans von Schwarzhof gewahrte hier einen Mann, der an Händen und Armen gebunden und überdies noch durch einen Strick an einen Ring in der Wand gefesselt war.
»Seid Ihr ein Deutscher?« fragte er.
»Ja. Ich bitte Euch, helft mir loskommen.«
Der Junker durchschnitt mit seinem Dolche die Stricke. »Schnell,« rief er, »auf der Straße bei den erschlagenen Russen liegen Waffen genug.« Damit eilte er fort.
Der Fremde lief hinter ihm her. »Ist Eilhard Kruse, der Junge von Kelles auch bei Euch?« fragte er. »Jawohl,« war die Antwort, »er hält die reußische Pforte.«
Der Fremde ging hinaus auf die Straße. Er nahm einem gefallenen Russen die Axt aus der Hand und prüfte sie auf ihr Gewicht. Es war ein schweres, scharfes Streitbeil. »Ihn muß ich noch fällen, Mutter,« murmelte der Mann, »dann will ich nie wieder eine Waffe führen.«
Unterdes hatten sich die in der Vorstadt liegenden russischen Schützen gesammelt und stürmten wider die Thore. Sie fanden das deutsche unbesetzt, denn die Reiter, welche es halten sollten, hatten es vorgezogen auch in die Stadt zu reiten. Schnell drangen die Russen jetzt ein.
Sobald Rosen davon hörte, warf er sich ihnen 549 entgegen. Zehn von ihnen hieb er mit eigener Hand nieder, dann stürzte sein Pferd und die Russen hieben ihn in Stücke.
Nun war auch die reußische Pforte nicht mehr zu halten. Tapfer kämpfend zog Eilhard sich zugleich mit den von allen Seiten her zurückgedrängten Reitern gegen die allein noch freie Dompforte. Die Kruses, Vater und Sohn, kämpften ritterlich, aber sie wußten schon, daß von einem Sieg keine Rede mehr war, daß es sich nur noch um den Rückzug handeln konnte.
Auch die in den städtischen Häusern in Quartier liegenden Russen hatten sich nun wieder ermannt und schossen durch die Fenster und aus den Dachluken auf die Zurückweichenden. Diese hatten bereits fast das Thor erreicht, als Eilhard plötzlich Bonnius vor sich sah. »Das von Bärbchen,« rief der Wilde und seine Axt schmetterte nieder auf den Helm des Junkers. Eilhard brach zusammen, der Vater aber sprang vor ihn. Da unterlief Bonnius den Junker und beide rangen wild miteinander.
Im Fenster eines der an das Thor stoßenden Häuser standen zwei russische Schützen. »Was heißt das,« fragte der eine, »sind die da nicht beide Deutsche, und doch kämpfen sie miteinander?« »Allerdings,« war die Antwort, »aber die Deutschen fallen oft über einander her, und uns sind sie alle gleich feind. Schieße du auf den links, ich halte auf den rechts.«
Die Schüsse krachten und die Kämpfer sanken beide nieder.
In diesem Augenblick gelang es Taube durch einen verzweifelten Vorstoß, die Russen eine Strecke weit 550 zurückzutreiben. Er schwang sich aus dem Sattel und beugte sich zu den Gefallenen herab. »Der Stiftsvogt ist tot,« sagte er, »aber der Junker lebt noch. Nehmt beide mit.«
Man sprang zu, und richtete Eilhard auf. »Laßt mich,« stieß er hervor, »grüßt meine Mutter! Gewogen, gewogen und zu leicht befunden!«
Damit sank er zurück.
»Zu Roß! Zu Roß!« rief Taube, »das Spiel ist verloren. Rette sich, wer kann!«
Zwei Krusesche Diener nahmen die Leichen ihrer Herren mit sich auf die Pferde und jagten, so schnell sie konnten, davon.
Die Toten gelangten zugleich mit den Lebenden nach Wolmar und wurden dort durch Frau Katharina und die Ahne, die ebenfalls dorthin geeilt waren, bestattet.
Die Frauen und Eilhards Schwestern erlebten noch die Zeit, in der die herangewachsen waren, die von ihrer Väter Sünden nichts wußten. Als auch sie die müden Augen schlossen, war wieder Friede im Lande und aus den Trümmern des verderbten alten rang neues besseres Leben sich empor.