Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Viertes Kapitel.

Sobald die Junker wieder auf der Straße waren, begegneten ihnen Karsten Anrep und Heinrich Brackel. Die sprangen von den Pferden, küßten die Junker und berichteten, daß sie soeben mit Herrn Kruse von Kelles in die Stadt gekommen wären. »Wir waren in Kirrempä und Neuhausen,« sagten sie, »und haben dort die Bauern wegen des Glaubenszinses, den der Moskowiter fordert, vernommen. Es war, wie wir glaubten, kein Mensch weiß von ihm. Aber das mag euch der Vater selbst erzählen.«

Damit stiegen die Herren wieder zu Roß und ritten 52 ihren Quartieren zu, die Junker aber eilten Herrn Kruse aufzusuchen.

»Mein lieber, lieber Elert!« mit diesen Worten schloß Herr Eilhard, der ältere, den Sohn in die Arme, herzte und küßte ihn, hielt ihn von sich, um ihn zu betrachten und küßte und herzte ihn dann wieder. »Du siehst übel aus, mein Junge«, sagte er endlich, »hat dir deine Kopfpein wieder zugesetzt oder ist es nur der weite Ritt?«

»Es ist nichts Vater,« versetzte Eilhard, »es geht mir gut.«

»Na, das freut mich von Herzen. Weißt du Elert, es freut mich auch, daß du gestern die Kopfpein hattest – du siehst Elert, ich habe Hansen schon gesprochen. Na, Jürgen, schämt ihr euch nicht? Der Feind steht vor dem Thor und ihr habt nichts Besseres zu thun, als euch mit den Bürgern zu raufen.«

»Ohm,« versetzte Jürgen, »die Schmandlecker haben angefangen.«

»Ja wohl,« lachte Herr Kruse, »die bösen Wölfe im Schurzfell wollten euch an die Kehle, da mußtet ihr armen Hengstlein nach ihnen ausschlagen. Wenn's nur nicht allezeit so wäre, daß wir Alten die Bäume aus dem Walde schaffen müssen, die ihr junges Volk fällt! Jetzt wird nun wieder das Geschrei gehen, daß der Adel die Städte frißt und wir können gute Worte geben ohne Ende, bis die in den Städten wieder mit uns vom Lande an einem Strang ziehen wollen. Na, Gott bessere es. Von der Mutter bringe ich euch viele Grüße und auch von der Ahne, sowie von der Anna, Bärbchen und den kleinen Mäusen. Na, Elert, du wirst Augen machen, wenn du das ganz Kleine, unser Anneken 53 siehst. Es ist dir nicht länger als ein Dolch, aber seine Äuglein blicken so munter in die Welt, als ob es schon über die Schwellen stolperte. Also du hast zwei Knechte angeworben, Elert? Sind es tüchtige Gesellen?«

»Ich meine ja, Vater. Der eine ist ein Bauernsohn aus dem Osnabrückischen, der andere eines Handwerkers Kind von Göppingen in Schwaben. Der Abschiedsbrief, den sie vom Herrn von Hangwitz haben, weiß nur gutes zu melden.«

»Es thut mir jetzt leid, daß ich dich nicht bat sechs Knechte mitzubringen. Vier Hengste könnte ich noch von Bruno Thedingsheim haben. Es wird einem ja schwer genug, so viel müßiges Volk durchzufüttern und Kraut und Lot zu beschaffen, aber wer weiß, was der Sommer bringt. Ich rieche überall Pulver. Na, ich bin nur froh, daß ich den neuen Schreiber, den Bonnius habe. Das ist noch ein junges Blut, aber ein ganzer Kerl. Wird dir auch gefallen, Elert. Führt das Schwert so gut wie die Feder, und trifft mit der Büchse so sicher wie mit der Armbrust.«

»Jürgen und Hans haben mir schon von ihm erzählt, Vater.«

»So? Er ist aus Braunschweig, anständiger Leute Kind. Hat es der Mutter angethan, die ist ganz vernarrt in ihn. Ist auch wirklich tüchtig. Habe im vorigen Jahre auf seinen Rat sechs Bauern gepflanzt und sie gedeihen, wie es scheint, alle. Kommt gut mit dem Hofmeister aus und mit allen Leuten und das ohne viel quästen. Den lahmen Kaspar – weißt du – den haben wir freilich an drei Sonntagen nacheinander streichen lassen müssen, weil er des Pastors Kühen bei der Nacht die Schwänze abgeschnitten und dem 54 Pastor selbst noch allerlei Ekelnamen gegeben hat. Na der ist auch nicht ohne Schuld. Sollte sich mehr um die Bauern kümmern als um die Hasen und Füchse, und lieber zu Hause sitzen und ein Auge auf sein Weib haben, als auf den Höfen bei den Junkern und in Mühlen und Krügen herumzubasen. Daß Jürgen Thedingsheim gerade um zu beichten so oft ins Pfarrhaus kommt, glaube ich nicht und der Hörner wegen brauchte der Pastor, meine ich nicht in dem Wald hinter den Elen her zu sein. Na, Gott bessere es!«

Der Syndikus lud seine Gäste nun zu Tisch und Nachmittag und Abend vergingen in dem bunten Treiben, das der Landtag mit sich brachte. Erst als die Herren spät von dem Trunk auf der Gildstube heimgekehrt waren, kam es, während Herr Kruse zu Bett ging, wieder zu einem Gespräch. »Vater,« sagte Eilhard, »darf ich dich bitten, uns im Zusammenhange zu berichten, wie es sich eigentlich mit dem Moskowiter verhält?«

»Die reußischen Händel,« sagte Herr Kruse, »hängen so zusammen. Als der langjährige Frieden mit dem Moskowiter, den noch Herr Walter von Plettenberg geschlossen, zu Ende ging, schickte das allgemeine Land Gesandte an den Großfürsten, den Frieden auf dreißig Jahre zu verlängern. Da hat der Moskowiter ganz plötzlich verlangt, man solle ihm künftig alljährlich den Glaubenszins vom Stifte Dorpat bezahlen, eine Mark zu acht guten Dengen von jedem Einwohner, er sei jung oder alt. Da haben die Gesandten erwidert, sie wüßten von keinem Glaubenszins, man hätte auch seit Menschengedenken nie von einem solchen gehört. Da haben die in des Großfürsten Kanzelei ihnen den Kreuzküssungsbrief 55 von anno 1503 gewiesen, darin hat allerdings gestanden, daß es wegen des Glaubenszinses beim Alten bleiben solle. Da haben die Gesandten erwidert, sie hätten darauf keine instructiones, wollten es aber ad referrendum nehmen und sind wieder in Livland gezogen. Nun hat es mit diesem Zins solche Bewandtnis gehabt. In alter Zeit ist zwischen Neuhausen und der Pleskau eine Wildnis gewesen, darin haben die livländischen Bauern viele hundert Honigbäume gehabt. Die sind ihnen oft von den Reußen gestohlen und ausgeworfen worden. Darüber haben die Bauern mit denen zu Pleskau gehandelt, daß sie möchten zufrieden bleiben, sie wollten ihnen alle Jahre dafür zehn Lißpfund Honig geben. Welches so gehalten wurde, bis die Reußen mit der Zeit in die Wildnis drangen und dort Klöster und Dörfer einrichteten. Da haben denn auch die Bauern, wie die alten unter ihnen, die zum Teil über hundert Jahr alt gewesen, uns eben jetzt erst versicherten, seit hundert Jahren nichts mehr gegeben. Der Punkt vom Zins des rechten Glaubens aber war in den Dörptschen Friedebriefen geblieben, weil sie nicht anders zu erlangen waren, die Reußen auch versicherten, daß er nichts zu bedeuten habe, und dem Lande aus ihm keine Beschwerung erwachsen würde. Besagten Glaubenszinses ist auch nachher in keinem Friedebriefe wieder Erwähnung geschehen und ist nie das mindeste gezahlt worden.

»Wie nun die Gesandten mit solcher ganz unerhörten und schrecklichen Forderung wieder ins Land gekommen sind, hat der Herrmeister einen Landtag nach Wolmar ausgeschrieben und ist beschlossen worden durch Jakob Steinweg und Franz Nyenstädt ein freies Geleit für neue Gesandten in Moskau 56 zu erbitten. Den neuen Gesandten aber ward aufgetragen, daß sie wider den sogenannten Glaubenszins als eine unbillige, unmenschliche und unerhörte Forderung protestieren und ganz und gar nicht in ihn willigen sollten. Die Gesandten aber waren: Johann von Brockhorst, Otto Grothuß, Benedikt Forstenow für S. F. G. den Herrn Herrmeister, Woldemar Wrangel, Dietrich Kafer und Blasius Becke für unsern gnädigen Herrn den Bischof von Dorpat und Melchior Grothuß als Tolk. Die machten sich zu Oculi anno 54 auf und zogen davon. Wie sie nun in Reußland kamen, merkten sie bald, was der Großfürst im Sinne hatte, denn es kamen ihnen viele tausend Schlitten mit allerlei Getreide, Proviant, Kraut und Lot und Geschütze entgegen, dazu waren alle Posthöfe, alle vier oder fünf Meilen mit neuen doppelten Herbergen und großen Stallungen, da man fünfzig oder hundert Pferde stellen konnte, von neuem gebaut, auch alle Brücken von Pleskau bis zur Moskau neun gemacht.

»Wie es nun ans Traktieren ging, ist der Großfürst mit Schnarchen und Pochen in sie gedrungen und hat sie gefragt, ob sie glaubten, sie hätten es mit Kindern zu thun. Die Livländer hätten ihm in ihren Kreuzbriefen selbst den Glaubenszins versiegelt, darum sollten sie ihm jährlich eine Mark von jedem Einwohner, er sei jung oder alt, vornehm oder gering, entrichten und überdies noch von allen Einwohnern, so in der Zeit, wo der Zins nicht entrichtet, verstorben, selbigen Zins nachträglich zahlen. Den Gesandten wurden da die Augen über die Maßen breit, aber da der Krieg vor der Thüre stand und sie doch wußten, daß wir hier in Livland ganz und gar nicht zum Kriege gerüstet waren, des 57 Ordens Tresekammer leer stand, Kraut und Lot auch Proviant nicht vorhanden und alle Herren der Knechte ledig waren, auch überdies der Moskowiter nach seiner listigen Art mit allem Dräuen in sie drang, haben ihm die Gesandten über ihren Befehl den Zins versiegelt, doch auf Ratifikation der Herren im Lande. Da hat der Großfürst gesagt, so die Herren ihm den Zins binnen Jahresfrist nicht bewilligten, so wollte er seine eigenen Gesandten in Livland mit der Versiegelung schicken, damit der Herrmeister und der Bischof von Dorpat der Gesandten Siegel abschneiden und die ihrigen an den Brief hängen möchten.

»Wie nun die Gesandten zu Dorpat anlangten und ihre Relation ablegten, haben sie geringen Dank verdient. Die Herren haben auch in diese Versiegelung ganz und gar nicht willigen wollen und Seine Fürstliche Gnaden der Herr Herrmeister hat auch im Sommer, da ein russischer Bote gen Wenden gekommen, protestiert und erklärt, daß die Gesandten über Befehl gehandelt.

»Nun ist es seitdem davon still gewesen, es liegt aber am Tage, daß der Moskowiter den Handel nicht zu Grabe getragen hat und daß die Versiegelung bald ins Land fliegen wird. Was dann geschehen soll, weiß Gott allein, denn die Hunde, die den Hof bewahren sollen, denken an nichts, als wie einer den andern totbeißen möchte und wenn der Komtur von Dünaburg wirklich nach Deutschland gezogen, um Reiter und Knechte zu werben, so kann der Moskowiter, während wir vor Kokenhusen liegen, unterdes unsere Frauen im Reigen führen. Die hier in Riga haben es freilich nicht eilig, aber wir im Dörptschen wissen nur zu gut, daß, wenn 58 sie hier vom Raufen handeln, wir darüber die Haare lassen müssen. Na, Gott bessere es! Heute abend läßt sich da doch nicht mehr Rat schaffen, darum geht zu Bett, Jungen. Gott sei Dank, daß du wieder da bist, Elert. Ich habe seitdem wieder einen viel freudigeren Mut und eine gewissere Zuversicht. Hat der Herrgott über unserem lieben Vaterlande sein reines lauteres Evangelium aufgehen lassen, so wird er auch nicht zulassen, daß der moskowitische Erbfeind das arme Land ganz zerstört und zu nichte macht. Gute Nacht, Elert, gute Nacht, Jürgen. Gute Nacht du auch, Hans.«

Die Landtagsverhandlungen nahmen einen traurigen Verlauf, denn jeder Part blieb bei seinem Teil, die Stände hielten am Landtagsschluß von Wolmar fest, der Erzbischof aber protestierte. Als Herr Kruse und die Seinigen nordwärts ritten, wußten sie, daß der innere Krieg unvermeidlich war.

Die von Kelles ritten zunächst auf Wolmar und nächtigten auf den Schlössern und Höfen derer von Rosen, deren Güter sich hier in großer Zahl an einander drängten. Überall waren die Gäste hochwillkommen und es kostete ihnen am Morgen nicht geringe Mühe sich freizumachen, um ihren Weg fortsetzen zu können. Von Wolmar aus ging es über Ermis und Helmet nach Ringen zu den Tödwens. Man blieb auch hier nur die Nacht über – denn die Sehnsucht nach den Lieben, die zur Zeit in Dorpat weilten, drängte allzusehr – und ritt, nachdem die jungen Leute Frau von Tödwen und Brigitta durch den Bericht über das Aufsehen, welches der letzteren Kleid überall im Lande erregte und 59 durch eigene Bewunderung desselben aufs höchste erfreut hatten, weiter. Schon am achten Tage nach dem Aufbruch aus Riga waren die Herren in Dorpat und hielten vor dem Kruseschen Hause auf der Breiten Straße, unweit des Reußischen Thores.

Eilhard schwang sich allen zuvor vom Roß und flog durch die geöffnete Hausthüre auf die Mutter zu. Frau Katharina Thedingsheim, Herrn Kruses Ehefrau, war noch ganz so schön, wie als ihr Sohn sie verließ, ja die Geburt von Anneken schien sie nur noch verjüngt zu haben. Auch ihre Mutter, Frau Maria Üxküll, Dietrich Thedingsheims von Randen Witwe schien kaum älter geworden zu sein. In heißer Liebe umschlangen die beiden Frauen ihren Liebling und ihre Thränen fielen reichlich auf sein Haupthaar, während er ihre Hände küßte. Die kleinen Mädchen Maiken (Mariechen) und Christinchen standen unterdessen zur Seite und blickten halb neugierig halb scheu auf den so viel älteren Bruder, bis er Zeit fand, sich auch ihnen zuzuwenden.

Bärbchen Thedingsheim war dem Onkel entgegengeeilt, Anna Nötken aber stand bei Seite und ihre großen braunen Augen blickten gespannt auf Eilhard. Die Kälte draußen und die Aufregung des Augenblickes hatten seine Wangen rot gefärbt und ließen ihn gesund und blühend aussehen. »Gott sei Dank, seine Kopfpein muß ihn nicht allzusehr gequält haben,« dachte Anna.

»Na, Jürgen, wieviel Räusche hast du gehabt, seit wir dich zum letztenmal sahen?« spottete Bärbchen, Jürgen aber antwortete nicht, sondern schritt auf die Schwester zu. Wie er sie so dastehen sah, die feine zierliche Gestalt 60 vornübergebeugt, die Augen unverwandt auf Eilhard geheftet, überkam ihn wieder jenes ängstliche, schmerzliche Gefühl wie in Riga im Kloster und es erwachte in ihm aufs neue der Wunsch, sie dort gesichert vor den Gefahren der Welt, im Schutze des Klosterfriedens zu wissen.

Die Schwester erblickte jetzt Jürgen und eilte auf ihn zu. Jürgen umarmte sie und drückte sie an sich. Es war ihm, er wußte selbst nicht warum, als ob sie von Gefahren bedroht wäre, vor denen seine starken Arme sie nicht schützen könnten, die er nur teilen könne mit seinem Herzen.

Auch Eilhard wandte sich jetzt Anna zu und wie sie sich zu einander neigten und sich küßten, fiel allen die Ähnlichkeit auf, die zwischen ihnen bestand. Das war dasselbe lange, schmale, blasse Gesicht mit der feinen, geraden Nase, das waren dieselben schwarzen Haare, die über der Nasenwurzel zusammenlaufenden Brauen und braunen Augen, das war dieselbe schlanke Gestalt. Wo kamen diese beiden her, hier mitten unter den robusten, hohen Gestalten der blonden livländischen Edelleute, die sie als ihre nächsten Verwandten umgaben?

»Die beiden sehen doch wirklich aus wie leibliche Geschwister,« sagte Frau Maria.

»Das sind wir ja auch, Ahne,« rief Eilhard fröhlich. »In unseren Herzen sind wir ja immer rechte Geschwister gewesen. Nicht wahr, Anna?«

»Gewiß,« versetzte Anna, aber das scharfe Auge ihres Bruders gewahrte, daß sie fast noch blasser wurde, als sie ohnehin war, und er seufzte.

»Wo ist denn Bärbchen?« fragte Eilhard. 61

Alsogleich trat Barbara vor, schlug die Augen züchtig zu Boden und machte eine tiefe Verbeugung. »Ich bin allhier,« sprach sie.

Der Vetter wollte ihre Hand ergreifen und sie an sich ziehen, um sie zum Willkomm zu küssen, sie verschwand aber blitzschnell hinter Herrn Kruses Rücken und lachte: »Kriegst du mich, so hast du mich!« Eilhard eilte auf sie zu – da flog sie schon die Treppe hinan, daß der Junker Mühe hatte dem Wildfang zu folgen.

Herr Kruse nickte der Gattin und der Schwiegermutter zufrieden zu. »Was sich liebt, das neckt sich,« sagte er.

Eilhard holte das Bäschen am Ende des Korridors, der durch das Hans lief, ein. Sie schützte ihr Gesicht mit dem rechten Arm und hielt Eilhard mit dem linken von sich. Über ihren Arm hin, unter ihm weg blitzten ihm ihre blauen Augen entgegen und ihr kirschroter, schwellender Mund lächelte. »Wenn du mich küßt, Elert, bin ich deine Feindin, so lange ich lebe,« rief sie. »Immerzu«, lachte Eilhard, »meinen Kuß muß ich haben, Bärbchen, und wenn es um Leib und Leben ginge.«

Da warf das Mädchen ihm plötzlich beide Arme um den Hals und ihr Mund hing an seinem. Nur für einen Augenblick, aber es war dem sonst so ernsten, schwermütigen Eilhard, als ob es auf der Welt nichts Köstlicheres geben könne, als von Bärbchen Thedingsheims warmen Armen umschlossen und von ihrem roten Mund geküßt zu werden. Bärbchen aber dachte an nichts als an Schwank und Scherz, stieß den Vetter zurück und eilte laut lachend davon.

Am Ausgang der Treppe fand Eilhard die Mutter. Sie 62 ergriff seine Hand und führte ihn in die Kinderstube, wo die alte Kindermuhme mit dem kleinen Kinde und der Amme hauste. Sie nahm das Kindchen vom Schoße der Alten und legte es Eilhard auf die Arme. »Ich befehle es, außer in den Schutz Gottes, in den deinen, Elert,« sprach sie. »Wenn wir nicht mehr sind, dann sei du ihm Vater und Mutter.«

Eilhard beugte sich auf das kleine Mädchen herab und küßte es. »Gewiß, Mutter,« sprach er.

Die alte Kinderfrau und die Amme küßten ihm die Hand und den Saum des Kleides, Maiken und Christinchen steckten neugierig die Köpfe durch die Thürspalte.

»Kommt nur herein,« rief Eilhard und hielt ihnen das Schwesterchen hin, das mit den Ärmchen in die Luft griff. Ihm war unbeschreiblich wohl.

»Wie schön, daß die drei an dir ihr Leben lang einen Beschützer haben werden,« sagte die Mutter. »Ach Elert, mir hat oft das Herz brechen wollen vor Sehnsucht nach dir, während du fort warst. Wenn ich wach wurde in der Nacht und mir dachte, daß du jetzt auch mit deiner Kopfpein wachtest und hattest niemand, der nach dir sah – es war schrecklich, Elert, und der Vater hatte gut schelten. Du und er, ihr mögt sagen, was ihr wollt, ich weiß doch, es ist dir nicht unlieb, wenn ich, während du die Pein hast, ganz still in deiner Nähe sitze.«

»Ihr sollt zum Essen kommen,« rief Bärbchen von der Thüre her.

»Nun, was gibt es Neues?« fragte Herr Kruse, als alle bei der Abendsuppe zusammensaßen.

»Ach Eilhard, in der Stadt hat es, während du weg 63 warst, einen argen Handel gegeben,« berichtete Frau Katharina. »Du weißt ja, wie die Frauen und Töchter der Ratsverwandten dahinter her sind, daß die der Handwerker sich nicht etwa kleiden wie sie. Nun hat des Kürschners Veit Berlinchen Tochter schon lange Ärgernis erregt, daß sie sich über Gebühr schmücken sollte. Wie wir nun Sonntag vor vierzehn Tagen aus dem Gottesdienst kommen und alles drängt sich eben aus der Kirchenthüre, steht auch die Jungfer vor der Kirche, versieht sich keines Argen und schwätzt mit einer Freundin. Da springen des Rates Knechte auf sie zu und reißen dem ehrlichen Mädchen vor aller Welt den Schmuck vom Leibe. Du kannst dir denken, wie es darüber in der kleinen Gildstube brennt.«

»Es ist ja auch ganz abscheulich,« rief Bärbchen mit flammenden Augen. »Was sind denn die Kaufleute, die mit Leder handeln besser als die Schuster, die aus dem Leder Schuhe machen! Das arme Mädchen aber soll Tag und Nacht auf ihrer Kammer sitzen und sich die Augen aus dem Kopfe weinen, ob der Schmach.«

»Nun, nun,« mahnte die Großmutter, »unschuldig ist sie nicht. Wozu hat sie nicht in dem Stande, in dem sie Gott hat geboren werden lassen, bleiben wollen. Wer hieß sie sich einen Schmuck anthun, der ihr nicht gebührte!«

»Aber Ahne,« rief Bärbchen empört, »wie könnt Ihr solcher Grausamkeit das Wort reden!«

»Ich rede ihr gar nicht das Wort,« versetzte die alte Frau freundlich, »und ich meine auch, daß der Rat die Sache hätte feiner anfassen sollen, aber ich tadele trotzdem des Mädchens Hoffart.« 64

»Aber es ist ein von langer Hand abgekarteter Streich gewesen,« rief Bärbchen, »denn Franz Nyenstädts Frau hat mir schon acht Tage vorher gesagt, daß sie es nicht mehr ansehen könnten, wie der Handwerker Töchter es ihnen gleichthäten und daß der Rat nun endlich ein Einsehen haben und ein Ende machen würde. Des ganzen Handels Ursache aber ist die, daß des Kürschners Tochter so viel schöner ist als der Krämer Töchter und Weiber alle zusammen. Und deshalb ist es doppelt abscheulich, daß sie ihr so mitgespielt haben.«

Eilhards Auge ruhten mit Entzücken auf dem lebhaften Gesicht des schönen Mädchens, dem der Zorn die Wangen rot gefärbt hatte. Ein Löckchen ihres goldblonden Haares hatte sich gelöst, fiel ihr über die Stirn herab und begleitete nun jedes Kopfschütteln mit einem lustigen Sprung.

»Was hast du dich nur so zu ereifern, Bärbchen,« meinte der Junker. »Was geht es uns an, ob die Pelzhändler und die Kürschner sich raufen oder nicht.«

»Mich geht alles an, was einem andern Menschen an Unrecht zugefügt wird, er sei nun ein Bettler oder einer vom Adel,« erwiderte Bärbchen hitzig, »und wenn es dich nichts angeht, so thust du mir leid.«

»Da hast du es, Elert,« meinte Herr Kruse. »Nimm dir die Lektion zu Herzen. Bärbchen hat übrigens ganz recht. Wehe uns, wenn uns unsere Landsleute und Mitchristen nichts mehr angehen sollten, weil sie kein adlig Wappenschild führen. Anderseits muß ich aber auch der Ahne recht geben, denn wenn eine Ordnung gemacht ist, wegen der Kleider, so soll man sich auch darnach richten. 65 Daß sie aber von Rats wegen so plump drein gefahren sind, wie grobe Klötze, das danke ihnen dieser und jener. Du lieber Gott, ist denn aus diesem armen Lande alle christliche Liebe und Demut gewichen, daß jedermanns Hand sein muß gegen jeden, ein Herr wider den anderen, ein Stand wider den anderen, ein Glaube wider den anderen? Wie soll ein Haus bestehen, in dem discordia, die Zwietracht den Morgen- und Abendsegen spricht? Wir sollen wohl zusehen, daß darüber nicht die Tage kommen, wo der Feind uns alle vor sich hertreibt mit gebundenen Händen und fragt viel darnach, ob seine Peitsche eines Edelmanns Rücken trifft oder eines Undeutschen. Na, Gott bessere es!«

Als die Abendandacht vorüber war und die Familienglieder sich auf ihre Zimmer zurückgezogen hatten, setzte sich das Ehepaar noch zu einander.

»Gott sei Dank, daß wir unseren lieben Jungen wieder im Lande haben,« sagte Herr Kruse. »Er soll mir ein tüchtiger Landwirt werden und Bärbchen wird sich ja auch machen.«

»Bärbchen ist eine leichte Fliege« wandte Frau Katharina ein.

»Na, sie ist ein junges Ding und Jugend hat keine Tugend,« versetzte Herr Kruse, »aber sie hat das Herz auf dem rechten Fleck, und wenn sie erst die Füße unter dem eigenen Tisch hat, wird es ihr auch nicht gleich sein, was darauf kommt. Nun denke ich mir die Sache so. Als wir auf Lüdecke Hahns Hochzeit beide einen guten Rausch hatten, da hat mir Jürgen, wie du weißt, zugesagt, daß er der Schwester, sobald der Handel mit Elert richtig gemacht ist, 66 10 000 Mark rigisch auskehren wolle. Damit läßt sich schon was anfangen. Da kaufen wir für die beiden Duckershof, und sie hausen da, bis der Herrgott uns abruft und sie nach Kelles ziehen.«

»Du solltest mit den 10 000 Mark nimmermehr zufrieden sein, Eilhard,« versetzte Frau Katharina. »Jürgen kann ganz gut 15 000 zahlen. Bärbchen ist seine einzige Schwester und eines Thedingsheim von Randen Tochter. Sei nicht wieder zu gut und zu vornehm.«

Herr Kruse zuckte die Achseln. »Laß es gut sein, Katzchen,« erwiderte er. »Du weißt, daß ich Jürgen Thedingsheim nicht leiden mag, denn er ist selbstsüchtig und hoffärtig, aber in Geldsachen hat er eine offene Hand, das muß ihm sein Feind lassen und wenn er mir sagt, er könne nicht mehr zahlen, so will ich nichts dagegen reden. Außerdem werden ja die beiden auch so einmal ihr reichlich Auskommen haben, Katzchen. Will es dann Gott und setze ich es durch bei unseren Herren, was ich hoffe, daß wir nämlich auch das Recht der gesamten Hand bekommen, und kein Gut, das einmal einem Kruse gehörte, kann wieder aus der Familie, so sollen Elerts und Bärbchens Kinder und Nachkommen es einmal wohl aufnehmen können mit den Thedingsheim, Tiesenhausen, Üxküll, Rosen und Ungern. Wenn nur der Landesacker so üppig im Halm stände, wie unser Familienfeld, so wollte ich Gott alle Tage danken.«

Und nun wandte sich das Gespräch den allgemeinen Verhältnissen des Landes zu. 67



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