Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Seit die von Kongota die ihrer Obhut anvertraute Gefangene nach Randen gebracht hatten, war die Zugbrücke, die zur Burg führte, aufgezogen wie zu Kriegszeiten, aber sie mußte oft niedergelassen werden, denn von allen Seiten kamen jetzt die Thedingsheim herbei, um Gericht zu halten über die ›Rose von Kelles‹. Die meisten der lebensfrohen, ritterlichen Herren kamen widerwillig genug, aber sie glaubten es sich schuldig zu sein, nicht zu fehlen, wo eine 395 unerhörte Beleidigung ihres Geschlechts auf exemplarische Weise gesühnt werden sollte.

In der großen Halle des Schlosses, an deren Wänden manch alte Rüstung, manch riesiges Schwert, an die sich ehrenreiche Erinnerungen knüpften, neben den Familienbildern angebracht waren, nahmen die Herren zu der für das Hegen des Gerichtes bestimmten Stunde Platz, in dunkler Kleidung, mit ernsten oder finstern Gesichtern. Heinrich von Thedingsheim auf Bersohn, der Bannherr des Erzstiftes, sollte den Vorsitz führen, der von Kongota vorbringen, was sich etwa zu gunsten des Mädchens sagen ließ, der von Randen, als der zunächst Geschädigte die Anklage erheben.

Nun führten die beiden ältesten Herren die Angeklagte herein und hießen sie auf einem Stuhl in der Mitte des Zimmers Platz nehmen. Barbara hielt sich aufrecht und blickte furchtlos um sich.

Der von Randen erhob sich. »Achtbare, ehrenhafte, ehrbare Herren, edle und liebwerte Vetter und Schwäger!« begann er. »Ihr alle wißt, welch ein betrübter, jämmerlicher und schmählicher Handel euch hierher geführt hat. Es ist euch auch allen bekannt, wie unser Geschlecht, nachdem es vor vielen hundert Jahren aus Deutschland – wo es schon der ältesten und vornehmsten eines gewesen und für ein solches immer gehalten worden ist – in Livland gekommen, sich im Lande allezeit tapfer, ehrlich und mannhaft gehalten und immer gethan, was zu thun es schuldig gewesen, hinwiederum stets mit allen Ehren, dazu auch reichen Gütern, auch Gerechtsamen und Privilegien von seinen Herren reichlich begabt und im ganzen Lande immerdar und von allen 396 Herren und Rittern, Edelleuten und Bürgern für das erste und vornehmste gehalten und geachtet worden ist. Des zum Zeichen und um nicht nur die von Thedingsheim und den ganzen Adel in Livland, sondern das allgemeine Land zu ehren, hat denn auch des deutschen Kaisers Majestät denen von Thedingsheim allein das Recht verliehen, daß sie von des Landes Gerichten allezeit an des Reiches Kammergericht sollen appellieren können, welches Privilegium für gewöhnlich doch nur Fürsten und Herren vom allerältesten römischen oder trojanischen Adel ist verliehen worden. Dahingegen haben nun die von Thedingsheim wiederum all ihr Sinnen darnach gerichtet, und in allen Stücken dahin getrachtet, daß sie, auf die alle Augen von vornehm und gering, von edel und unedel stets gerichtet waren, als auf einen Spiegel, sich immer möchten erfinden lassen als die Muster von Frömmigkeit, Ehrbarkeit, Tapferkeit, Keuschheit, welches Vorhaben ihnen mit Gottes Hilfe auch immerdar und in alle Wege gelungen. Darüber hat nun der Teufel, Satanas oder Beelzebub einen nicht geringen Ärger und Verdruß verspürt, und hat nicht nachgelassen, ob er durch seine Praktiken und Konsilia nicht auch eine von Thedingsheim sollte zu Fall bringen und in seine Bande verstricken können, hat auch, Gott sei es geklagt, sein Auge auf meines Vaters selig einzige Tochter geworfen, denn er hat bald erkannt daß, ob sie gleich von Gott und ihren Eltern mit einem anschlägigen Kopf, einem feinen Antlitz und einem guten Geschick begabt worden, sie doch von zarter Jugend an aufsässig, aufstützig, ausfahrsch und widerbellig gewesen. Woran auch die reichliche Vermahnung, die ihr Frau Katharina von 397 Thedingsheim, Herrn Kruse von Kelles, Stiftsvogts von Dorpat ehelich Gemahl, in deren Hause sie aufgewachsen, sowie auch ich, ihr leiblicher Bruder, oft und sobald es nötig und erforderlich gewesen, haben zu teil werden lassen, wegen ihres finnischen Kopfes nichts haben ändern können. Auch hat sie, wie sie zu Jahren kam, immer ein kalbisch Wesen behalten und am liebsten mit Mägden und Stalldirnen Umgang gepflogen, auch sich gern mit ihres Oheims Dienern, Stallknechten und Troßbuben unterhalten. Nun kam aus des Teufels Anstiften vor etlichen Jahren ein neuer Schreiber nach Kelles, der hieß Bonnius von Braunschweig. Dieser Schlinkeschlank hat sich auf den Junker hinausgespielt, und die Herrschaft hat ihm das, wie er denn stattlichen Leibes war, auch die Worte ihm gut vom Munde fielen, nachgesehen und ein Auge zugedrückt. Da hat er angefangen mit Affen und Schönthun, zuerst bei den Stalldirnen, darnach bei des Hofmeisters Weibe und endlich hat er in seinem unermeßlichen Hochmut sich erfrecht, seine Augen zu meiner Schwester zu erheben. Nun hätte diese, als meines Vaters Tochter und meine Schwester, und weil sie überdies schön von Angesicht war, unter den Jungen vom Adel, die hinter ihr hergewesen wie die Bienen hinter dem Honig, sich leicht den Allervornehmsten und Reichsten auswählen können, wie denn auch ihr Vetter, der junge Herr von Kelles, ein feiner und edler Junker, nicht nachgelassen hat, bittlich in sie zu dringen, ob sie sich nicht seiner Liebesbrunst erbarmen und sein Weib werden wolle, auch haben Herr Kruse und ich bereits vorläufig wegen der Mitgift Rücksprache mit einander genommen und selbige auf 10 000 Mark rigisch 398 festgesetzt, allein diese Belferkatze wirft unterdes ihr Auge auf den Schreiber, und es nimmt seinen Anfang mit Liebäugeln und Händedrücken, worüber sie denn bald genug zum Hälsen und Herzen mögen gekommen sein. Wie nun der Saft im Baum war und die Knospen sich aufschließen sollten, hat sie erst das Maul hängen lassen, darnach aber flugs gefährliche Konsilia geschmiedet, wie sie mit dem Heidhasen wollte zu Busch gehen und Fuchs und Wolf als Hochzeitsverwandte zu Gaste laden.

»Nun ist es euch nicht unbekannt, wie der einheimischen Bürger und der ausländischen Diener Frechheit im Lande so zugenommen, daß schließlich keine ehrbare Jungfrau vom Adel davor sicher gewesen, daß einer von ihnen sich zu ihr gesellt als ihresgleichen und ihr genaht mit Händchendrücken, Affen und Küssen, wogegen, weil es wider Gottes lauteres Gebot, dazu auch gegen jede menschliche Ordnung und alle Ehrbarkeit, Anstand und gute Sitte gewesen – da doch Gott in seinem hochheiligen Wort geordnet, daß ein Adel soll sein, als eine christliche Obrigkeit, das gemeine, schlechte Volk zu regieren und im Zaume zu halten – so hat der Adel auf dem Tage zu Pernau eine Beredung gemacht, daß dieses alles künftig gänzlich und für immer abgeschafft sein und in Wegfall kommen sollte. So aber dergleichen wider Erwarten abermals sich ereignen und vorkommen würde, und es sollte gar geschehen, daß eine Jungfrau von Adel sich so ganz vergäße und wegwürfe, daß sie von einem schlechten Gesellen an ihrer Ehre geschwächt und zu Fall gebracht würde, so sollen sie beiderseits geschmächtigt werden.

»Zu der Zeit nun, da um der reußischen Händel willen 399 der gesamte Adel nach Wolmar entboten worden war zum Landtag, und auch der Junker von Kelles mit seinem Sohn und Neffen und auch ich eilends dahin ritten, ist in Dorpat die Pestbeule aufgebrochen und der innere Gestank greulich zu Tage getreten. Denn sobald der letzte Roßschweif von uns zum Thore hinausgewesen, haben die beiden und ein fremder Knecht, den der Schreiber durch vieles Geld, das er dem von Kelles entwendet, willig gemacht, mit ihnen davon zu gehen, die Pferde aus dem Stall gezogen und sich flugs in die Wildnis gemacht.«

»Das ist erlogen, ganz und gar erlogen!« rief Barbara.

»Schweigt,« rief der von Bersohn streng. »Ihr werdet später Zeit genug haben, zu reden. Sorgt nur dafür, daß Euch, wenn die Schleuse aufgethan wird, das Wasser nicht ausgeht. Fahrt fort, edler Herr.«

Der von Randen verbeugte sich. »Wie also der Schelm sich davon machte,« fuhr er fort, »hat diese meine Schwester sich nicht geschämt und nicht entblödet und ist wider alle Zucht und Ehrbarkeit in Mannskleidung als eine Junge hinter dem Buben hergeritten. Darnach haben sie daran gesetzt und versucht, ob sie wohl durch die Wildnis nach Riga und von dort aus dem Lande kommen möchten. Da es nun aber in der Zeit einen großen Schnee geschneit hat, so daß man selbst auf der Landstraße kaum hat reiten können, geschweige denn im Busch und Bruch, dazu auch eine stattliche Kälte eingefallen und ihnen die Gäule buchtlahm wurden, haben sie in einer leeren Heuscheune, die unweit Wolmar an einer Lucht gestanden, Unterstand gesucht. Wie nun das Wetter angehalten mit Stühmen und Schneien 400 und das Hängebeest gemerkt, daß sie sich bei Hans Krabb zu Gast geladen, hat er gemeint, es sei besser ohne Kirschen bleiben als die Beine brechen, ist also vom Baume gestiegen und hat mit samt seinem Gesellen den Wind zwischen die Schenkel genommen, ob sie dem Galgen diesmal noch für eine Weile entlaufen möchten. Was ihnen leider auch wider alles Hoffen und Vermuten bisher wunderbarlich geglückt und gelungen. Die Waldfee aber haben sie in besagter Scheune zurückgelassen und als der von Kongota sie gefunden, hat sie dagelegen wie des erstochenen Landsknechtes Dirne und hat nichts im Leibe gehabt als geschmolzenen Schnee. Darnach hat der von Kongota sich ihrer ganz mildthätig angenommen, sie erwärmt und bekleidet, getränkt und gespeist und sie darnach in Kongota in Gewahrsam gehalten, aber wie es ihr gebührte, ungestockt und ungeblockt.

»Achtbare, ehrenfeste, ehrbare Herren, edle und liebwerte Vetter und Schwäger! Nachdem ich euch also diesen ganz jämmerlichen und betrübten Handel vorgetragen, auch gezeigt, welcher Gestalt und wie er sich begeben hat, auch welche Schande er über unser ganzes Geschlecht gebracht, fordere und verlange ich, daß ihr über diese meiner Schwester Unthaten und andere zu Gericht sitzt, das Urteil findet und das Recht sprecht, damit ihr werde, was ihr rechtens gebührt nach der Pernauer Beredung, ich aber und unser ganzes Geschlecht von jeder Nachrede frei und ledig würden.«

Die Rede des von Randen hatte sichtlich einen tiefen Eindruck gemacht. Jetzt wandten sich alle gespannt dem von Kongota zu. »Achtbare, ehrenfeste, ehrbare Herren. edle und liebwerte Vetter und Schwäger.« begann er »es 401 ist euch nicht unbekannt, vielmehr jedem unter euch bewußt, daß ich es nicht aus freien Stücken nach meinem Willen thue, wenn ich, was ich kann, auf ihre Seite deute, schmücke und klar mache, denn an sich und nach der Natur möchte ich auch lieber die Klage erheben, als solche unmenschliche Unzucht, Bosheit und Schlechtigkeit in Schutz zu nehmen und zu verteidigen scheinen. Dessen ungeachtet geschieht es und ist der Brauch nicht allein in der Christenheit, sondern auch bei Gog und Magog, worunter gewißlich niemand anders als der Reuße und Türke zu verstehen, daß man dem Angeklagten einen Fürsprecher auswählt und ernennt, damit er vorbringt, was zu des armen Mannes gunsten irgend vorgebracht werden kann und mag, wie denn auch unser Herr und Heiland spricht: ›wer sich unschuldig fühlt, werfe den ersten Stein auf sie‹. Darum ist zuerst vorzubringen, wie der Angeklagten, da sie noch ein kleines Kindlein war, Vater und Mutter mit Tode abgegangen. Ob nun auch Frau Katharina von Thedingsheim, des von Kelles frommes Ehegemahl, nichts versäumt und sich des Kindes in allen Stücken angenommen und es erzogen, als eine rechte Mutter, so durfte solches doch mit nichten verschwiegen werden. Zum anderen ist vorzubringen, daß in dieser bösen heillosen Zeit auch viele andere Leute, ja sogar solche vom Adel, Gottesfurcht, christliche Liebe, Zucht, Recht und alle Ehrbarkeit vergaßen, wodurch denn sonderlich die Jugend leichtlich verführt und zu schandbaren Lastern angeleitet werden kann. Zum dritten ist vorzubringen, daß es wohl sein kann, daß der vermeintliche Schreiber niemand anders gewesen als der Gottseibeiuns, wie er denn erstens auf eine ganz 402 wunderbare und unbegreifliche Weise verschwunden und verloren gegangen, obgleich doch die Reiter ihm dicht auf den Hacken gewesen und sich auch nicht hat aufspüren noch fangen lassen, und zweitens der undeutsche Junge des von Kelles, der ihn zuletzt in Kelles bedient hat, bezeugt und aussagt, daß er in des vermeintlichen Schreibers Stube etlichemal einen starken Schwefelgeruch will wahrgenommen haben. Drittens aber und endlich ist es nicht zu begreifen noch zu verstehen, daß ohne des Leibhaftigen höllische Praktiken, es hätte geschehen können, daß eine von Thedingsheim sich sollte so vergessen und in eine Buhlschaft mit einem schlechten Gesellen und ihres Oheims Knecht sich sollte eingelassen haben.«

Der von Kongota schwieg, setzte sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Alle blickten jetzt auf Barbara.

Sie erhob sich. »Edle Herren,« sagte sie, »wenn der von Randen gesagt hat, Bonnius hätte den Stalldirnen und des Hofmeisters Weibe nachgestellt, so ist das gänzlich erlogen und wenn er hier wäre, so sollte er das dem Junker bald beweisen. Daß er dem von Kelles soll Geld entwendet haben, ist auch gänzlich erlogen, denn er hat im Gegenteil das Geld, welches die Rosse wert waren, die wir leihweise und notgedrungen mit uns nahmen, in guten Horngulden in des Junkers Lade gethan, wie ich selbst gesehen habe. Dann sagt der von Randen, Bonnius hätte mich in der Scheune im Stich gelassen und sich heimlicherweise davon gemacht. Das ist erst recht gänzlich und völlig erlogen, denn er und Christopher sind fortgegangen, um zu sehen, ob sie nicht zu einem Schlitten und zu undeutscher Kleidung kommen möchten, 403 da wir des großen Schnees wegen und weil die Pferde uns in der Wildnis lahm und schwach geworden waren als Reiter nicht mehr haben fortkommen können. Wenn nun der von Kongota als mein Fürsprecher gemeint hat, es könne wohl sein, daß Bonnius der Teufel selber sei, der mit mir sein Spiel treibe, so hat er gehandelt wie ein Mann der einem anderen, der ins Wasser fiel und untersank, will zu Hilfe kommen, fährt flugs mit dem Bootshaken ins Wasser und reißt ihm ein Auge aus, denn das ist wiederum gänzlich erlogen, sintemal Bonnius von so ehrlichen rechtschaffenen Leuten – ob sie gleich nicht von Adel waren – ehelich gezeugt und geboren ist, wie nur der von Kongota und der von Randen selber.«

»Schweig, Dirne,« schrie der von Randen.

Barbara blickte ihn furchtlos an. »Ich hätte wohl gewünscht,« fuhr sie fort, »daß ein anderer hier wäre seine Sache zu führen, aber da keiner da ist, muß ich für ihn reden, so gut ich kann, denn wo Leute fehlen, muß man wohl Stühle auf die Bänke setzen. Also ist Bonnius von guten deutschen Eltern zu Braunschweig in Niedersachsen ehelich geboren, hat sich auch immer fromm und rechtschaffen gehalten, wie denn der von Randen ihm das von den Stalldirnen und des Hofmeisters Weibe wider alles Recht und gegen sein eigen besser Wissen verleumderischerweise nachgeredet hat, wohl deshalb, weil er meint, daß niemand ein Mann sein könne ohne solche adelige, feine Sitten, daß er mit einer Mutgeberin oder Meierschen sein Wesen treibt. Bonnius aber –«

»Schweigt von Bonnius,« rief der von Bersohn streng. 404 »Ihr seid nicht hier, um dem Schelm, über den schon noch zu seiner Zeit das Schwert gewetzt werden soll, eine Fürsprecherin zu sein, sondern um vorzubringen, was Ihr zu Eurer eigenen Verteidigung sagen zu können vermeint.«

»Daß er ein Schelm sei, ist wieder erlogen,« rief Barbara, »denn ob er auch nicht von Adel ist, so hat ihn doch Gott von Natur also geadelt, daß er von Gemüt, dazu auch nach seines Leibes Gestalt wohl adeliger ist als einer von euch.«

Mehrere von den Herren sprangen auf. »Das ist zu toll! Schlagt sie auf das Maul! Sollen wir das anhören?« klang es durcheinander.

»Laßt sie, edle Herren,« rief der von Behrsohn mit lauter Stimme, »sie mag uns selber sagen, was für ein Kuckucksei uns der Verderber in unser Nest gelegt hat.«

»Wenn der von Randen gesagt hat,« fuhr Barbara unbeirrt fort, »daß ein jeder Junker gern mit mir würde Köste gehalten haben und ich doch lieber mit dem Schreiber davonritt bei Nacht und Nebel, so muß er doch wohl adliger von Gemüt und schöner an Gestalt und Antlitz gewesen sein, als alle die Junker, denn es ist euch doch wohl bewußt, daß ich nicht dumm, auch nicht taub und blind auf die Welt gekommen bin, noch jemals war oder jetzt bin. Wäre nun einer der obbesagten Junker ihm gleichgekommen, meint ihr denn, ich würde nicht auch lieber auf der Gildstube mich haben zu Bett tanzen lassen, als daß ich es ansah, wie mein herzallerliebster Schatz hat durch die Wälder irren müssen, wie ein Landstreicher und sich um meinetwillen 405 von euch hat hetzen lassen müssen wie ein solcher? Was aber die Pernauer Beredung anbetrifft, so ist die null und nichtig, denn es gibt auch noch andere Leute im Lande als die von Adel und die Städte haben nimmermehr in sie gewilligt. Wie sie denn auch wider alle göttliche Ordnung läuft, denn in der heiligen Schrift ist nirgend die Rede von edel und unedel, sondern allein von gläubig und ungläubig. Auch habe ich wohl gefunden, daß darin viel geredet ist wie Christen sich sollen verhalten mit freien und nichtfreien, aber daß darin gesagt wäre, eine vom Adel dürfe nur wieder einen vom Adel freien nach der Ahnenprobe, das habe ich nicht gefunden. Darum möchte diese Beredung eher vom Teufel sein. Solchermaßen hat niemand ein Recht, Bonnius für einen Schelm ausblasen zu lassen, weil er in Züchten um ein adlig Fräulein geworben, ob er gleich nicht vom Adel. Nun könnte einer ihm vorwerfen, daß er wider Gottes Willen und gegen menschliche Zucht und Ordnung gehandelt habe, indem er mich nicht von meinen Eltern oder da diese nicht mehr vorhanden von meinem Bruder, als meinem Vormund frei und offen zum Weibe begehrt hat, sich vielmehr heimlicherweise und nächtlicher Weile mit mir auf und davongemacht hat. Darauf erwidere ich: Das ist wahr und das hat er oft und täglich selbst mit vielem Seufzen und Anken aus einem wahrhaft betrübten Herzen beklagt und beweint, aber ich frage euch, ob er wohl hätte hintreten können vor meinen Bruder, und was geschehen wäre, wenn er es gethan hätte? Er sollte wohl bald sein Grab in einem Graben gefunden haben, denn der von Randen ist der Meinung, daß, wenn er bei einer Dirne schläft, und hält sie, so lange 406 es ihm gefällt wie eine Freifrau, nachher aber, wenn er sein Gelüst gekühlt hat, jagt er sie fort – daß er dann sein adelig Wappenschild erhält, wie es war, wenn aber seine Schwester eines rechtschaffenen ehrlichen Mannes Weib will werden, der nicht vom Adel ist, so ist sie eine Metze und schändet ihr Geschlecht und beschimpft es. Weil nun dem so ist, so sollte man auch diesen Vorwurf gegen Bonnius gänzlich fallen lassen und unter die Bank stecken, auch ihn nicht mehr verfolgen mit Kläffen und Nachreden. So viel von ihm, meinem herzallerliebsten Schatz und christlichen Ehegemahl, denn das ist er, ob wir auch bei währender Flucht uns nicht haben kopulieren und geistlich zusammenthun lassen können. Was aber mich betrifft, so weiß ich wohl, daß ich mir damit, daß ich euch die adligen Schwären aufstach und meinem Bruder auf den steifen Hals trat, böse Liebe verdient habe, versehe mich auch keiner anderen, will aber, wenn es sein muß, fröhlich dahinfahren und zweifle nicht daran, daß mir Gott um seines lieben Sohnes willen alle meine vielen Sünden gern vergeben, mein herzallerliebstes Ehegemahl aber aus euren grimmigen Fängen erretten und eure bösen Anschläge zunicht machen wird. Darum will ich euch auch, was ihr mir thut, gern vergeben, denn ihr wißt es nicht anders, liegt auch alle im selben Spital krank. Solltet ihr euch aber doch noch an ihm vergreifen, so will ich euch vor Gottes Manngericht fordern und nicht eher nachlassen mit Bitten und Flehen, bis mit euch verfahren nach euren bösen und gottlosen Thaten. Doch das nur, wenn ihr seiner nicht verschont. Mit mir aber handelt nach eurem Gefallen.« 407

Barbara schwieg und nahm wieder Platz. Jetzt sprang der von Randen auf. »Der Fuchs ist von selber aus der Hecke getreten,« rief er, »da braucht es kein Schreien und Klappern mehr. Ihr wißt nun alle, was für eine Stute diese fromme Nonne ist. Wenn sie aber auf die heilige Schrift trotzt, wie der Bock auf die Hörner und predigt auf gut münzerisch, daß vor Gott kein Adel sei und fragt mit den tollen Bauern: ›Als Adam pflügte und Eva spann, wo war denn da ein Edelmann?‹ so ist darauf kurz zu entgegnen, daß unser Herr und Heiland selber ein Edelmann war, vom allerältesten jüdischen Adel, und daß in der heiligen Schrift sein Stammbaum ist enthalten von der Schwert- und von der Spielseite, und wenn dieser Stammbaum auch anders ist, als in deutschen Landen üblich, so ist zu bedenken, daß auch bei den Engländern und Welschen eine solche gute Ordnung, daß man auch nach der Mutter – Mutter – Mutter – Mutter forscht und fragt, mit nichten im Brauch ist. Darum ist alles was sie vorgebracht hat, in den Wind geredet und ganz hinfällig. So bitte ich euch nun, edle Herren, daß ihr mir von dieser Schwester helft und sorgt, daß nicht einer Bademagd Sohn ›Oheim‹ zu mir sprechen kann. Weil nun in diesem Lande hergebracht ist, daß man ein Weib, das sich vergangen hat über die Seite bringt ins Wasser, so gehe ich euch mit der dringlichen Bitte dahin an, ihr wollet urteilen und zu recht finden, daß man diese Barbara von Thedingsheim, Johann Thedingsheims von Randen und Christinchen Schwarzhofs eheliche Tochter, weil sie mit ihres Oheims Diener, einem schlechten Gesellen Buhlschaft getrieben und dadurch ihr 408 Geschlecht auf das äußerste beschimpft, in einen Sack stecken und im Wasser zu Tode bringen soll.«

»Edler Herr« wandte sich der von Bersohn an den von Kongota, »habt Ihr noch etwas zu sagen?«

»Ich meine,« versetzte der von Kongota, »daß es gut wäre, wenn Ihr sie abtreten hießet, damit wir ihr das Urteil finden nach dem Recht.«

Barbara wurde nun hinausgeleitet. Als sie das Zimmer verlassen hatte, fragte der von Bersohn ob Barbara schuldig wäre wider die Pernauer Beredung gehandelt zu haben. Die Frage wurde bejaht. Der von Bersohn fragte darauf weiter, ob die Herren der Meinung wären, daß sie damit Leib und Leben verwirkt und den Sack verdient habe. »Edle Herren,« rief der von Kongota, indem große Thränen ihm in den Bart rollten, »ich weiß wohl, daß das unselige Mädchen es nicht anders verdient hat, als ihm werden soll, aber ich frage doch um der Liebe willen, mit der der Heiland unsere Sünden trägt, ob es nicht möglich ist und angeht, daß wir sie in einem sicheren Verließ gefangen halten bis an ihren Tod?«

»Nimmermehr, edle Herren,« rief der von Randen. »Wo ist in diesen Tagen, in denen der Reuße vor der Thür steht und kann uns jederzeit überziehen, ein Verließ, das so sicher wäre, daß sie nicht entfliehen und mit dem losen Buben umherirren könnte uns allen zum höchsten Schimpf? Darum in den Sack mit der Dirne und ins Wasser mit dem Sack. Nur die toten Katzen gehen sicher nicht mehr ins Feld.«

Es fanden sich noch mehrere, die für ein lebenslängliches 409 Gefängnis eintraten. Kaspar Thedingsheim, der von Kawelecht, einer aus dem Hause Weißensee, aber sie alle verstummten, als der von Randen kurz und hart erklärte, daß er darin nun und nimmermehr willigen werde. »Ginge es noch nach dem alten,« rief er »und es gäbe ein Kloster, darin man die Dirne stecken könnte, es läge anders. So aber werde ich nicht dulden, daß man meine Schande aus der Burg führt. Trifft sie nicht euer Urteil, so trifft sie mein Dolch.«

»Stehn die Dinge so,« rief jetzt der von Bersohn, »dann wollen wir auch nicht länger Wasser in die Düna tragen.«

Die Beratung währte nur kurze Zeit. Dann wurde Barbara wieder in den Saal geführt. Sie stand aufrecht da und blickte stolz auf ihre Richter. Alle erhoben sich.

»Barbara Thedingsheim,« begann der von Bersohn und seine Stimme zitterte, »Ihr seid angeklagt, daß Ihr Euch mit Eures Oheims Diener vergangen und mit ihm flüchtig aus des von Kruse Hause gewichen seid, der Meinung und Absicht, daß Ihr mit ihm in Deutschland entweichen wolltet. Des seid Ihr unbedroht und ungefoltert geständig. Weil Ihr aber nun dadurch gehandelt habt wider die Pernauer Beredung, auch durch diese Eure Flucht mit einem schlechten Gesellen Euer ganzes Geschlecht auf das äußerste beschimpft und Euch vergangen habt wider alle göttliche und menschliche Ordnung, haben wir über Euch zu Gericht gesessen, als die dazu von Gott verordneten Richter und haben Euch, wenn auch mit großer Betrübnis und herzlichem Jammer, schuldig befunden und verurteilt, daß man Euch soll in 410 einen Sack thun und ertränken, Euch zur Strafe, anderen Jungfrauen vom Adel aber zum Spiegel. Weil wir aber über Euch gerichtet, nicht als grausame Tyrannen, sondern als Ehrliche, Fromme vom Adel, so soll Euch nicht verwehrt sein, daß der Diener Gottes Euch vorher mit ihm versöhne. Darnach aber soll mit Euch verfahren werden nach dem Recht.«

Während der Rede des von Bersohn war den Männern manche Thräne in den Bart gerollt und man hörte hier und da ein leises Schluchzen. Barbara aber blieb aufrecht.

»Edle Herren,« sagte sie, »ihr habt geurteilt wie ihr es verstandet, wenn ihr aber meint, daß ich euer Urteil annehme, so will ich euch wohl zurechtweisen. Mein Vater war ein Mann des Bischofs, von dem allein kann ich Recht nehmen. Morden könnt ihr mich, denn ich bin ein wehrloses Weib und ihr seid viele Männer, nimmermehr aber mir das Urteil finden nach dem Recht. Darum protestiere ich vor Gott und Menschen wider euer Gericht und rufe euch alle, insbesondere aber diesen meinen leiblichen Bruder Jürgen, der von je an mir gehandelt wie ein schlimmer Feind, vor des höchsten Gottes Gericht. Von dem werdet ihr wohl Recht nehmen müssen, und er wird euch nicht richten nach dem Pernauer Beschluß, sondern nach euren bösen hochmütigen und verstockten Herzen.«

»Bringt Eure Klage an, thörichtes Mädchen,« erwiderte der von Bersohn ernst, »wir scheuen sie nicht und werden Euch willig Rede stehen. Jetzt aber denkt mehr daran, wie Ihr Euch selbst mit Gott versöhnt, als wie Ihr andere anklagen wollt.« 411

Auf einen Wink des von Randen traten zwei ältere undeutsche Weiber ein und führten Barbara, die ihnen ohne weiteres folgte, fort. Die Thedingsheim ihrerseits drängten eilig herab auf den Hof und riefen nach den Hengsten. Es war, als ob sie nicht schnell genug fortkommen konnten. Dann donnerten die Hufe ihrer Rosse über die Zugbrücke und sie ritten schweigend auseinander nach allen vier Winden.

Über dem Schloß aber, aus dem sie alle stammten, kreisten die Schwärme der aufgescheuchten Dohlen mit unheilverkündendem Geschrei und stießen nieder auf den kleinen Zug, der sich jetzt über den Hof hin zu dem schlanken, hohen Turm bewegte, der wie ein Felsenvorgebirge in die breiteste Stelle des hier teichartig erweiterten äußeren Schloßgrabens vorragte. Es war ein böser Bau, an dem niemand gern bei Nacht Wache hielt, denn der Turm hieß nicht umsonst »der Hungerturm«. Ein Ahnherr der beiden Geschwister, die jetzt auf ihn zuschritten, hatte hier einst nach dem großen Bauernaufstande die Rädelsführer durch den Hunger vom Leben zum Tode gebracht.

Rentsch schritt voran, Barbara und der von Randen folgten, die beiden Weiber schlossen den Zug. Der Schlüssel rasselte im Schloß, die Thür drehte sich kreischend in ihren Angeln und alle stiegen die engen steinernen Stufen hinan, bis sie in ein ödes, kahles Gemach kamen. Es enthielt kein Bett, nur einen Stuhl.

»Lebewohl Bärbe,« sagte der von Randen, »du hättest es anders haben können, aber du hast es von jeher nicht anders gewollt, es war dir lieber, wenn ich dein Feind als wenn ich dein Freund war.« 412

»Ja, tausendmal lieber.«

»Gut. Und du willst von dem Pfaffen wirklich nichts wissen? Überlege es dir wohl. Glaube nicht, daß dir noch Gnade werden kann. Wenn der Mond in dein Fenster sieht, wirst du sterben.«

»Schicke ihn zu deinen Dirnen, Jürgen, mit denen er ja Umgang pflegen soll. Ihm habe ich nichts zu sagen und er mir nichts.«

Der von Randen blickte seine Schwester starr an. Beide waren entsetzlich bleich. Auch die beiden Weiber waren es, die an der Wand lehnten.

»Lebewohl Bärbe!«

»Lebewohl Jürgen. Auf Wiedersehen vor Gottes Gericht.«

Der von Randen wandte sich um. Die schwere Eisenthür schlug zu und Rentsch schloß sie ab. Der von Randen blickte den alten Thieß, der die Wache hielt, eine Weile an, dann wandte er sich schnell um, als ob jemand hinter ihm stünde. Er kehrte sich wieder der Treppe zu und stieg langsam die Treppe hinab.

Der Tag war schwül und heiß gewesen und er ging ebenso zur Rast. Schwarze Gewitterwolken hingen schwer und fast unbeweglich am Himmel, heiß und drückend lag die Luft auf dem schwarzen Wasser des Schloßgrabens. Nichts regte sich im Schloß, denn den Reitern lag das Trauerspiel, dessen Zeugen sie waren, noch schwerer in den Gliedern als die Schwüle des Wetters und sie saßen, sofern sie nicht Wache standen, leise flüsternd auf ihren Stuben bei einander. Als die Dunkelheit seit einer Stunde 413 hereingebrochen war, flogen die wilden Enten, die im Schilf am Ufer ihr Wesen trieben, plötzlich auf und eilten mit pfeifendem Flügelschlag davon. Am Hungerturm hatte sich das auf den See gehende Fenster geöffnet und ein weißer Ballen war schwer ins Wasser gefallen, das an dem Hungerturm emporbrandete.

Als das geschah, stand ein Mann auf der dem Turm gegenüberliegenden Mauer, beugte sich weit über die Brüstung und schaute hinab in die Flut. Der Mond trat für einen Augenblick aus den Wolken und bei seinem Schein sah der von Randen das Bild der tollen Käthe vor sich im schwarzen Wasser. Das weiße Laken umhüllte wie gewöhnlich ihre Glieder und sie winkte ihm mit ihren hageren Armen.

Wieder wandte der Junker sich schnell um, als ob er jemand ergreifen wollte, der hinter ihm stand.

Eine Wolke verhüllte den Mond. Der Junker biß die Zähne aufeinander und schritt langsam aber mit festen Schritten den Mauerpfad entlang. 414



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