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Als Eilhard zu Hause den Vater aufsuchte, trat ihm dieser mit einer willkommenen Botschaft entgegen. »Elert,« rief er, »Gott sei Dank, der Herrmeister kommt nach Kirrempä und unser gnädiger Herr will zu ihm stoßen mit allem, was den Fuß in den Steigbügel setzen kann.«
»Das ist willkommene Kunde, Vater,« erwiderte Eilhard ernst. »Gott gäbe nur, daß auch wirklich alle uns zuziehen, die ihre Lehnspflicht unter unsere Fahne ruft. Es fehlt nicht an solchen, die so lange der Kampf mit den Kausen geführt wurde, zu den Sporen noch die Peitsche nahmen, denen jetzt aber, wo es gegen den Moskowiter geht, auch noch der Schritt eine zu schnelle Gangart ist. Andere wieder meinen, das Spiel wäre doch verloren; sind kleinmütig und verzagt und meinen ohne die von Dänemark oder Schweden würden wir doch das Feld nicht halten können. Die Dritten endlich können in der That nicht reiten, denn die Tatern haben ihnen alles, was sie hatten, derart zerstört, daß sie nicht einmal eine alte Stute, geschweige denn einen Hengst übrig behielten.«
»Du hast nur zu recht,« erwiderte der Stiftsvogt, »aber ich meine, daß wir trotzdem mit dem Reußen wohl wollen fertig werden. Neuhausen ist ein festes Haus, an dieser Nuß soll der Moskowiter lange zu knacken haben. Unterdessen können bei Kirrempä alle nach und nach zum Herrmeister stoßen und, sobald es uns gut deucht, gegen die 415 Reußen vorbrechen. Dann soll der Großfürst wohl Friede machen und froh sein, wenn er das Geld noch bekommt, daß die Gesandten mit sich genommen haben.«
Bereits am folgenden Tage begann der stiftische Adel sich in Dorpat zu sammeln und nach und nach fand sich etwa die Hälfte der Dienstpflichtigen zusammen. Als der Bischof aufbrach, folgten ihm 270 Pferde.
Es war ein heißer Tag und da es seit lange nicht geregnet hatte, hüllte eine Wolke von Staub den reisigen Zug ein. »Edler Herr,« sagte der Bischof zu dem neben ihm reitenden Stiftsvogt, »meint Ihr auch jetzt noch, daß wir vor dem Moskowiter werden das Feld halten können? Seht Euch um. Wenn schon bei uns, wo doch der Feind schon das Holz ans Thor gebracht hat, womit er es aufbrennen will, kaum die Hälfte des reisigen Volkes auf die Mauern geeilt ist, was soll erst da werden, wo die Leute so sicher wohnen wie in Priester Johanns Land? Ich fürchte, sie lassen uns den Hefen allein aussaufen.«
»Hochwürdige Gnaden,« erwiderte der Stiftsvogt, »wie könnt Ihr noch meinen, daß man uns jetzt, wo doch Seine Fürstliche Gnaden selber das Feld hält, wird im Sumpf stecken lassen. In Allentaken liegt der Komtur von Fellin mit denen von Jerwen und Wierland 800 Pferde stark und zieht uns gewiß jetzt schon zu. Der Bischof von Ösel hat in der Wiek auch schon satteln lassen und bringt, schlecht gerechnet, 200 Pferde. Aus dem Erzstift kommen ebenso mindestens 500 Pferde. Hierzu des Herrmeisters 1000 Pferde an Hofleuten und 500 Pferde an Soldreitern, sowie 100 Pferde aus dem Stifte Kurland, macht in Summa 416 3100 Pferde, ohne unsere 270 und ohne die Fähnlein von Riga und Reval und des Ordens Bauernschützen. Dazu sind Kriegsknechte und Reiter aus Deutschland im Anzuge. Das ist eine große Macht, Hochwürdige Gnaden, und mit einem solchen Geschwader läßt sich der Reuße wohl aus dem Lande treiben.«
»Lieber Herr,« erwiderte der Bischof, »kämen die alle wirklich zusammen, so wollte auch ich einen frohen Mut fassen, aber da es nicht zu einer gemeinen Kindelbier geht, sondern das Kindlein soll getauft werden mit Herzblut, wird jeder zweite Mann ausbleiben. Wie ich des Ordens Gebietiger kenne, werden die erst sich entschuldigen, daß sie in solchen gefährlichen Zeiten ihre Häuser nicht können leer stehen lassen, nachher aber, wenn der Feind auch bei ihnen vorhanden ist, werden sie meinen und sagen, sie dürften um des Landes willen sich nicht in den Schlössern einschließen lassen und fangen, sie werden deshalb frisch mit dem Feinde Sprache halten und dieselben Häuser verlaufen. Was aber die vom Adel angeht, so sollt Ihr sehen, sie bleiben, wo sie sind und wenn die Herrschaften mahnen, so heißt es, sie könnten und wollten ihre Weiber und unmündigen Kindlein dem Moskowiter nicht zur Beute werden lassen.«
»Hochwürdige Gnaden,« rief der Stiftsvogt, »Ihr sollt noch selber bekennen, daß Ihr Gespenster gesehen habt.«
So sprach der Stiftsvogt, aber auch ihm entsank der Mut, als er in Kirrempä nur 200 Reiter bei dem Herrmeister vorfand. Nach und nach fanden sich freilich auch noch andere ein. Heinrich von Meschede führte 300 Soldreiter herbei, der Komtur von Marienburg Herr Philipp 417 Schall von Bell kam mit seinen Hofleuten, die Gebietiger des Ordens in Semgallen und Kurland und der Dompropst des Stiftes Kurland kamen mit 700 Pferden und 1500 Bauerschützen. Aber wie viele andere kamen nicht. Aus blieben die Ritterschaften von Jerwen und Wierland nebst den Gebietigern aus Estland, weil sie angeblich selbst ein russisches Heer abweisen mußten; die Wiek blieb aus, denn die Schweden sollten auf Ösel landen wollen; aus blieb endlich das ganze Erzstift.
Während so fast die Hälfte der Verteidiger des Landes der Grenze fern blieb, zog ein gewaltiges russisches Heer heran und nahm, wie man erfuhr, seinen Weg auf Neuhausen. Dort gebot als ein Hauptmann des Bischofs von Dorpat Christopher Lustfer, ein Mann, der des Russischen mächtig und mit den Russen von mancher Reise her wohlbekannt war. Gerade dieser Umstand ließ ihn besonders geeignet erscheinen, gegen die Russen die Grenze zu hüten, schon weil er leichter in der Lage war sichere Kundschaft einzuziehen. Lustfer rechtfertigte denn auch die auf ihn gesetzten Hoffnungen, seine Kundschafter schlichen weit hinein ins russische Land und er hatte immer etwas Neues zu berichten.
Im Schloß von Kirrempä hatte eine lange Beratung darüber stattgefunden, ob zwei feindliche Heere gegen Livland heranzogen oder nur eins. Die Entscheidung dieser Frage war von der größten Wichtigkeit, denn handelte es sich in der Tat nur um eins, so mußten die Streitkräfte, die zur Zeit in Allentaken standen, um nötigenfalls Narwa zu entsetzen, durchaus herbeigezogen werden. Es wurde deshalb beschlossen, der Bischof von Dorpat solle sofort 418 einen Junker zu Lustfer schicken und ihn nochmals um seine Meinung befragen. Der Herrmeister hielt daran fest, man habe nur ein Heer sich gegenüber, der Bischof, die Stiftsräte und die Kurländischen Herren aber waren der Meinung, es sei auch auf Narwa abgesehen.
»Wen schicken wir hin?« fragte der Bischof, als er mit dem Stiftsvogt den Remter verließ.
»Laßt meinen Sohn reiten, Hochwürdige Gnaden,« versetzte Herr Kruse. »Er wird sich des Auftrages wohl entledigen.«
Eilhard wurde gerufen und nach einer halben Stunde saßen er, Jürgen Nötken, zwei Diener und ein undeutscher Führer im Sattel. Als sie durch das Lager ritten, kamen sie an dem Zelt Jürgen Thedingsheims vorüber. Der von Randen stand vor dem Eingang und sah die Reiter herankommen. Er und Eilhard waren sich bisher aus dem Wege gegangen und sie tauschten auch jetzt nur einen kurzen Gruß aus; Jürgen Nötken aber ritt auf einen Wink an Thedingsheim heran. »Wohin reitet ihr?« fragte dieser. »Nach Neuhausen,« war die Antwort.
»Dann seht euch wohl vor, Jürgen, daß ihr ungefährdet hin und wieder her kommt.«
»Wie meinst du das? der Reuße ist doch noch nicht vorhanden.«
»Aber der Orden.«
»Und du meinst, die könnten uns nachstellen?«
Der von Randen nickte. »Ich traue ihnen nicht über den Weg. Wir von Dorpat sind ihnen ein Greuel. Gib acht auf Elert.« 419
Jürgen Nötken zuckte die Achsel. »Wir lieben sie auch nicht,« meinte er, gab dem Pferde die Sporen und eilte Eilhard einzuholen.
Zwischen Kirrempä und Neuhausen lag damals eine kaum zu durchschreitende Wildnis und nur ein schmaler sandiger Waldweg führte an zahlreichen kleinen Seeen hin, über manchen Bach mit moorigen Ufern und durch sonst ungangbare Sümpfe von einem Ort zum anderen. Nun war man zwar eben dabei, von Kirrempä aus mit Hilfe von Faschinen Dammwege, sogenannte Brücken durch den Wald zu führen, aber diese steckten noch in den Anfängen.
Die Junker ritten scharf zu und erreichten glücklich Neuhausen. Es war das ein überaus festes Schloß, eine der festesten Burgen des Landes. Unter dem Schutz dieser Feste war hier auch ein Hackelwerk entstanden als Anhaltepunkt für den Handel nach Rußland. Dorpater Bürger saßen hier oder hatten wenigstens ihre Kaufgesellen am Platz. Auch dieses Hackelwerk war so befestigt, daß es den Angriff einer feindlichen Streifschar wohl aushalten konnte. Einer Belagerung war es freilich nicht gewachsen. Am Thore des Hackelwerkes hielt ein Kaufgeselle Herrn Johann Engelstetts Wache, den Jürgen kannte. »Gott helf!« sagte dieser scherzend, »werdet Ihr auch dem Reußen die Zähne zeigen können?«
Der Kaufgesell lachte, daß sein weißes Gebiß nur so glänzte. »Die Zähne wollen wir ihm schon zeigen, Junker,« erwiderte er, »aber das Beißen werden die Herren vom Orden besorgen müssen. Wir haben keine Lust um der 420 Pfaffen willen unsere Zähne an russischen Panzern zu versuchen und sie darüber zu lassen.«
»Oho,« meinte Jürgen, »Ihr steht hier für das allgemeine Land.«
»Land hin, Land her,« war die Antwort. »Wollen die Mönche unsere Herrschaft sein, so sollen sie uns auch beschützen. Können sie das nicht, so müssen wir sehen, wie wir unseren Flachs sonst bergen und bewahren.«
Die Junker ritten die Straße hinauf in das Schloß, wo der Hauptmann sie herzlich willkommen hieß. Auf Eilhards Frage erwiderte er, er habe die sicherste Kundschaft, daß zwei große russische Heere in Anmarsch wären, das eine auf Neuhausen, das andere auf Narwa.
»Seine Andacht sollte die Herren aus Estland nur ja nicht abrufen,« meinte Lustfer, »sonst wird Narwa daran glauben müssen. Auf Narwa ziehen fünf russische Haufen, die soll Paul Powik von Iwangorod anführen, als der größte Feldhauptmann, und zu uns kommen auch fünf Haufen, die führt als der vornehmste Hauptmann der Knäs Peter Schuiski. Es werden an die 60 000 Mann sein, sind mit Vitalien, Kraut und Lot reichlich versehen und führen auch eine starke Arkelei mit sich mit deutschen Büchsmeistern und Feuerwerkern.«
»Ihr übertreibt,« meinte Eilhard.
»Ganz und gar nicht. Es verhält sich alles so, wie ich sage.«
»Großer Gott,« rief Eilhard, »wie sollen wir da das Feld halten können?«
Lustfer zuckte die Achseln. »Das ist Sache des Ordens,« erwiderte er. 421
»Edler Herr,« rief Eilhard, »das ist nicht Sache des Ordens, sondern Sache des allgemeinen Landes. Des Reußen Brandmeister werden wenig darnach fragen, ob der Hof, an dessen Dächer sie die Fackeln halten, einem von des Ordens Hofleuten oder einem Mann des Bischofs gehört.«
»Wer weiß,« meinte Lustfer, indem er zu Boden blickte.
»Wie meint Ihr das, edler Herr?« fragte Eilhard befremdet.
Lustfer erhob die Augen und blickte Eilhard durchdringend an. »Es könnte geschehen,« sagte er langsam, »daß der Großfürst meint, er könne das Stift gewinnen und behalten. Sein eigen Land aber läßt niemand verheeren und zerstören. Seit die Tatern von Kasan den Reußen Pflichtverwandte geworden sind, kann kein Moskowiter an sie und sie leben ganz ruhiglich auf ihre taterische Manier, nach dem Alten.«
»Da sei Gott für,« rief Eilhard entrüstet, »daß der Bluthund jemals unser Herr sein sollte. Da wollen wir lieber von Land und Leute weichen und Leib und Leben lassen, ehe wir darin willigten.«
»Das meine ich ja auch,« sagte Lustfer, »aber es könnte trotzdem sein, daß der Großfürst solche Würmer im Kopfe hat und ihrethalben glimpflich mit uns führe.«
Das Gespräch wandte sich nun anderen Fragen zu. Es erwies sich, daß das Schloß vortrefflich verproviantiert war und nach Lustfers Angabe war auch die Besatzung ausreichend zahlreich und vom besten Geiste beseelt.
Als die jungen Herren am folgenden Morgen wieder in 422 den Wald trabten, bog sich Jürgen zu Eilhard hinüber. »Elert,« sagte er, »es gefiel mir da oben garnicht. Wer weiß, ob der Lustfer auch der rechte Mann ist für diesen Platz.«
»Es geht mir wie dir,« erwiderte Eilhard. »Es hatte den Anschein, als ob es ihm nicht allzu sehr wider die Haare gehen würde, wenn der Moskowiter das Stift als sein eigen Land anfassen und behandeln würde.«
In den Büschen am Wege rauschte es und ein Bauer trat auf den Weg. »Seid Ihr die Diener des Lustfer, die ich hier finden sollte?« fragte er, indem seine Augen auf den Farben des Bischofs ruhten, welche die Junker führten.
»Ja,« erwiderte Eilhard schnell. »Bringt Ihr Nachricht?«
Der Bauer trat dicht an Eilhard heran, steckte ihm die Hälfte eines zerbrochenen Hornguldens zu und flüsterte: »Sagt Eurem Herrn, das Korn würde Freitag ins Schloß gebracht werden.«
Im nächsten Augenblick war Eilhard aus dem Sattel.
»Nicht von der Stelle,« rief er, indem er den Erschrockenen an die Kehle packte, »faß an, Jürgen! Klaus! Kaspar! einen Strick her!«
Der Bauer war schnell gebunden. »Lieber Herr,« flehte der Mann, »laßt mich, um Gotteswillen, ich habe Euren Herrn immer ehrlich bedient, und der Reuße wird Freitag so gewiß an beiden Orten vorhanden sein, wie die Sonne am Himmel steht.«
»Du lügst. Du bist gar nicht da gewesen.«
»So wahr Gott lebt, der reußische Hauptmann hat mir selbst gesagt, daß am Freitag beides da sein würde, die 423 Reiter im Wäldchen an der Viehweide und die Hackenschützen am Bach. Wie sollte ich denn sonst auch zu dem Geldstück gekommen sein!«
Eilhard nahm Jürgen bei Seite. »Großer Gott,« rief er, »welch ein teuflisch Bubenstück ist hier im Werke. Schnell zu Roß, Jürgen, und ins Lager mit dem Bauern, damit man ihn peinlich vernimmt.«
Der Bauer wurde nun auf das Pferd des Führers gebunden und dieser lief, indem er sich an dem Steigbügel eines Dieners hielt, neben her. So eilte man, so schnell es ging, vorwärts.
An diesem Tage hatten die Reiter des Ordens die Wache, und der Komtur von Marienburg war eben im Begriff, an dieser Stelle die Ablösung selbst zu überwachen, als die beiden Junker mit ihrem Gefangenen eintrafen. »Wen bringt ihr da, edle Junker?« rief der Komtur. Die Junker nahmen ihn bei Seite und erzählten ihm mit fliegendem Atem, was ihnen begegnet war. Es fiel ihnen auf, daß Herr Philipp sie mit einem ganz eigentümlichen Gesichtsausdruck anblickte, doch verschwand dieser, als der Komtur ihnen beiden die Hand drückte und ihnen herzlich für ihr umsichtiges Verhalten dankte. »Ist es euch recht, so bringe ich den Mann sofort auf das Schloß,« sagte er. Auf seinen Wink nahmen zwei Diener den Bauern zwischen sich, der Komtur ritt an die Spitze, grüßte noch einmal und eilte dann schnell davon.
»Elert,« sagte Jürgen jetzt, »wäre es nicht besser gewesen, wenn wir den Schelm selbst ins Schloß gebracht und deinem Vater übergeben hätten?« 424
»Es ist einerlei,« meinte Eilhard, »der Handel geht den Herrmeister gerade so an wie unseren gnädigen Herrn.«
Die Junker eilten nun auch ins Lager und suchten den Stiftsvogt auf. »Wo ist der Mann?« rief dieser, sobald Eilhard seinen Bericht geschlossen hatte.
»Wir fanden bei der Wache Herrn Philipp Schall von Bell und lieferten ihm den Bauern aus.«
Der Stiftsvogt runzelte die Stirn. »Das hättet ihr nicht thun sollen,« rief er. »Lustfer ist ein Mann des Bischofs, darum muß auch bei diesem die Anklage erhoben werden. Aber nun, was geschehen, ist geschehen. Kommt mit aufs Schloß.«
Als die Herren dem Bischof Bericht erstatteten, bemerkten alle drei, daß er sehr bleich wurde. »Heilige Jungfrau,« rief er, »wie konnte es geschehen, daß ihr, unsere Diener, euren Gefangenen an die vom Orden ausliefertet?«
Eilhard entschuldigte sich damit, daß die Ordensreiter die Wache hatten, aber der Bischof wollte davon nichts wissen. »Ihr habt wider allen Kriegsbrauch gehandelt,« rief er, »und habt mir einen bösen Dienst erwiesen. Die vom Orden werden den Mann peinigen, bis er die Engel im Himmel singen hört und aussagt, was sie haben wollen.«
»Hochwürdige Gnaden,« meinte der Stiftsvogt, »verzeiht der Junker Thun um ihrer Jugend willen. Was aber die Sache selbst betrifft, so könnte es sein, daß meines Sohnes schnelle That das beste war, was auch ein in solchen Händeln Erfahrnerer hätte ausdenken können. Sinnt Lustfer wirklich auf Verrat und es wird an den Tag gebracht und nachgewiesen, so kann nun auch meines gnädigen Herren 425 Feind nicht lästern, Eure Hochwürdige Gnaden hätten um sein Vorhaben gewußt und es geschehen lassen.«
»Das ist wahr,« erwiderte der Bischof, »aber ich glaube nimmermehr, daß Lustfer solch ein Schelmenstück im Schilde führt und sehe es ungern, daß ihm, der mir doch allzeit ein treuer Diener gewesen ist, nun der ganze Orden auf dem Halse liegt. Eilt Ihr, edler Herr, jedenfalls sofort zu Seiner Fürstlichen Gnaden und verlangt von meinetwegen, daß mit dem Manne nichts vorgenommen würde, es sei denn in Eurer Gegenwart und nach Eurem Willen.«
Der Stiftsvogt eilte zum Herrmeister, bei dem er außer dem Komtur von Marienburg noch den von Doblen, Herrn Thies von der Recke und die Vögte von Bauske und Selburg, Jobst Wallrabe und Wilhelm Schilling fand. Die Herren befanden sich in der höchsten Aufregung. »Das ist ja ein feines Ei,« rief Fürstenberg, »das wir da in Eures Herren Nest gefunden haben, edler Herr. Kommt Ihr, uns zu sagen, wer es hineingelegt hat?«
»Fürstliche Gnaden,« erwiderte der Stiftsvogt, »verhält es sich, wie es den Anschein hat, so soll dem Gauch, der es legte, jedenfalls der Kopf abgerissen werden.«
»Und wer ist dieser Gauch?« fragte der von Wallrabe. »Ich meine, Ihr, der Ihr im selben Hofe nistet, solltet darüber wohl Auskunft geben können.«
»Fürstliche Gnaden,« rief der von Recke, »ich meine, wir sollten vor allen Dingen den Stiftsvogt selber am Kopf nehmen, denn es ist nicht anzunehmen, daß ohne sein Wissen des Bischofs Hauptmann es gewagt haben würde, einen solchen Anschlag zu machen.« 426
»Ihr von Dorpat wohnt alle miteinander nahe an der reußischen Grenze,« meinte der von Schilling, »aber wir wollen schon dafür sorgen, daß ihr nicht hinüber könnt, nicht bei Tage und nicht bei Nacht.«
»Fürstliche Gnaden,« rief der Stiftsvogt, der kreidebleich geworden war, »ich rufe Euch und den Komtur von Marienburg zum Zeugen an, mit welch losen, bübischen und schändlichen Reden die Herren mich, der ich doch in meines gnädigen Herren Dienst hier stehe, meinen gnädigen Herrn selbst und die gesamten Stände von Dorpat, edel und unedel, angegriffen und verdächtigt haben, während sie doch selbst viel eher lose Schelme und Verräter sein mögen als wir.«
»Edler Herr,« erwiderte der Komtur von Marienburg, »Ihr dürft Euch nicht wundern, wenn bei uns der Rhein brennt, denn es ist Eures Herren Hauptmann, der auf Verrat sinnt und es ist Eures Herren Schloß, das er dem Moskowiter in die Hände spielen will.«
»Ich weiß das sehr wohl,« war die Antwort, »allein es war auch mein Sohn in meines Herren Dienst, der nicht nur den Bauer beim Schopf nahm, sondern ihn auch freiwillig, ungedrängt und ungezwungen, in Eure Hände gab. Wollten wir Verrat üben, er hätte den Schelm wohl laufen lassen.«
»Der edle Herr hat recht,« meinte der Herrmeister »und niemand darf und soll ihn einen Verräter schelten. Jetzt aber wollen wir zunächst den Schelm peinlich vernehmen lassen. Kommt dabei zu Tage, daß es ist, wie er sagt, so soll der von der Recke noch heute hin und den Hauptmann fangen.« 427
»Fürstliche Gnaden,« sagte der Stiftsvogt, »das kann nicht geschehen. Christopher Lustfer ist des Bischofs Mann und Neuhausen des Bischofs Schloß, nur wir dürfen den Hauptmann fangen und halten.«
Die Herren vom Orden schrieen wild durcheinander.
»Unter diesen Stockmeistern sollten die Gefangenen sich bald davon machen!« »Der Bock als Gärtner im Garten!« »Oho, die Katze soll in des Pfaffen Milchkeller Buße thun!« »In dieser Falle sollte der Ratz das Leben auch nicht lassen« hieß es.
Der Stiftsvogt blickte mit funkelnden Augen von einem der Herren zum anderen. »Es ist, wie ich sage,« rief er mit lauter Stimme, »niemand soll Lustfer fangen als wir und niemand soll auch den Bauern peinigen als wir, denn auch er ist unser. Ich heische ihn von Euch, in meines Herren Namen.«
Es gab einen argen Tumult. Endlich einigte man sich dahin, daß zunächst der Bauer in des Stiftsvogts Gegenwart, aber von des Ordens Folterknechten sollte peinlich befragt werden. Das geschah, und aus den Aussagen des Bauern schien sich das Folgende zu ergeben. Ein russisches Reitergeschwader sollte die Viehherde von Neuhausen von der Weide wegtreiben. Lustfer wollte dann mit allen Wehrhaften in Schloß und Hackelwerk den Reitern nachsetzen, und unterdessen sollte russisches Fußvolk, das sich in der Nähe versteckt hielt, das Schloß überfallen und besetzen. So war es zwischen dem Befehlshaber des russischen Vortrabes und Lustfer ausgemacht worden. Da nun der Bauer an der betreffenden Stelle vier Reiter treffen sollte, zweifelte er 428 nicht daran, daß Eilhard und die Seinigen die Reiter wären und versäumte es, sich erst noch die andere Hälfte des Guldens vorweisen zu lassen.
Auf Grund dieser Aussagen wollte der Herrmeister Lustfer gefangen nehmen, allein der Bischof und seine Räte erklärten, das sei Sache des Stiftes. Man geriet wieder heftig aneinander und es fielen von beiden Seiten die schärfsten Worte, schließlich aber kam man dahin überein, daß der Stiftsvogt zwar Lustfer gefangen nehmen, daß er ihn dann aber an den Orden ausliefern sollte.
»Es ist gar kein Zweifel,« sagte der von der Recke, sobald die Stiftsräte und der Bischof sich entfernt hatten, »daß der Hauptmann nur das Pferd satteln mußte, das sein Herr reiten wollte.«
»Der Pfaffe sinnt seit lange auf Verrat,« stimmte Philipp Schall von Bell zu, »achtet nur darauf, wie er durch die Stirn gluhpt. So blickt keiner, der ein gutes Gewissen hat.«
»Ich habe es lange gemerkt, daß in seinem Kopf die reußischen Tauben ab und zu fliegen,« bestätigte Jobst Wallrabe, »und ich hege die gewisse Zuversicht, daß Herr Holzschuher und Herr Kruse die Schnur zur Klappe in der Hand halten. Wenn der Barbier den gefangenen Vogel erst wird singen machen, werden wir ein merkwürdiges Lied vernehmen.«
Mit dieser Anspielung auf den Henker und die Folterbank schloß die Sitzung.
Die Verhaftung Lustfers mußte schnell vor sich gehen, wenn man den Verräter noch ungewarnt finden wollte, der 429 Stiftsvogt nahm daher nur eine beschränkte Anzahl der zuverläßigsten Junker mit, unter ihnen natürlich Jürgen Thedingsheim. Als man unterwegs war, überreichte dieser Herrn Kruse ein Schriftstück, das wenige Stunden vorher auf noch unaufgeklärte Weise in des von Randen Zelt geschmuggelt worden war. Es war ein richtiger Fehdebrief, in dem Franz Bonnius von Braunschweig für sich und seine Helfershelfer denen von Randen, Kongota, Kawelecht, Bersohn, Erla, sowie allen, die sonst noch Thedingsheim hießen, sie seien welchen Alters immer, Fehde ansagte, weil und sintemal sie sein ehelich Gemahl Frau Barbara Thedingsheim, Herrn Johann Thedingsheim von Randen eheliche Tochter, wider alles göttliche und menschliche Recht, als rechte sodomitische Mörder und Seelenräuber gesäckt und solchergestalt jämmerlich vom Leben zum Tode gebracht.
»Was sagst du dazu?« fragte Herr Kruse.
»Ich habe natürlich gleich angeordnet, daß mein Hundejunge gewappnet und auf eine Gorre gesetzt würde,« versetzte der von Randen. »Er mag dann mit der Hetzpeitsche einen Gang mit dem Landstreicher machen. Wer zuerst »wai« schreit, gilt als vom Pferde gestochen und bekommt die Gnadenschlinge.«
»Ihr solltet den Handel nicht zu leicht nehmen,« meinte Herr Kruse. »Es schweift viel müßiges, zuchtloses Volk im Lande umher, das nur auf einen Hauptmann wartet, der die Fahne aufsteckt, um unter ihr zu rauben und zu morden.«
Der von Randen zuckte die Achseln. »Ich wünschte, ich hätte es nur mit diesen Hornissen zu thun, die eine Hand im Panzerhandschuh leicht zerdrückt,« erwiderte er. »Ungleich 430 schlimmer ist es, daß Elert, dessen Ehre ich doch ebenso gerächt habe, wie die meinige, mich meidet wie einen Aussätzigen.«
»Gib ihm Zeit,« erwiderte Herr Kruse. »Der Handel hat ihm eine tiefe Wunde geschlagen. Du fügtest sie ihm zu, indem du für ihn auslagst, aber sie brennt deshalb nicht weniger. Gib ihr Zeit zu verheilen. Er reitet heute in der That im Vortrab, um nicht mit dir denselben Staub zu schlucken, aber ich meine, ihr sollt schon wieder zusammenkommen.«
Als am folgenden Tage Christopher Lustfer als Gefangener eingebracht wurde, geriet das ganze Lager in Aufruhr.
»Gottes Tod! Das alte Stück,« sagte einer von des Herrmeisters Reitern, indem er dem Zug nachsah, zu einem seiner Kameraden, »die kleinen Diebe fängt man, die großen läßt man laufen.«
»Meiner Six,« war die Antwort, »man sollte die aus dem Stift alle miteinander in Eisen legen, denn da spielt der eine wie der andere mit falschen Würfeln, der Abt so gut wie die Mönche.«
»Ihr habt ganz recht,« meinte der dritte, indem er sich die Enden seines langen Schnurrbartes um die Finger wickelte. »Beim Herrgöttle von Biberach, wo hat man das gesehen, daß der Fuchs den Wolf gefangen einbringt und bleibt selber frei und ledig, wie jener Stiftsvogt.«
»So ist es,« bestätigte der erste, »der Stiftsvogt ist ohne Zweifel der, welcher die Mine legte, jetzt aber, wo das Stücklein vorzeitig auskam, fängt man den armen Schelm, 431 der das Feuer an die Zündschnur legen sollte. Bei allen vierzehn Nothelfern, sah man je einen größeren Schurken.«
»Der ist es nicht allein,« nahm der zweite wieder das Wort, »diese Bullen haben alle Hörner, und sie werden zustoßen, wenn man sie ihnen nicht absägt. Ich sage euch, man sollte alles, was des Bischofs Farben trägt, in den Block legen, dann sollte der Reuße wohl den Krebsgang gehen.«
»Das mag schon so sein,« rief der Dritte, »aber, daß mich das Mäuslein beiß, vor allem müßte man doch den Hauptmann, diesen Stiftsvogt beim Kragen nehmen. Das weiß ich, liegen wir einmal mit den Stiftischen über einen Haufen, so soll mein Dolch in des Stiftsvogtes verräterisch Herz. Für jetzt aber wollen wir einen Trunk thun auf den Untergang aller treulosen Schelme.«