Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Fünftes Kapitel.

Noch regte sich keine Feder im Walde. Die Dunkelheit lag schwarz und schwer über ihm und nur hoch oben am Himmel glänzten die Sterne über Finsternis und Wildnis.

»Seid vorsichtig Junker,« sagte der Wildnisbereiter, »hier liegt überall noch tiefer Schnee. Sorgt, daß Euer Fuß, wenn er einsinkt, nicht zwischen Wurzelwerk gerät.«

»Sind wir bald am Ziel?« fragte Eilhard.

»Gleich Junker. Wenn Ihr scharf auslugt, müßt Ihr die Kiefer schon sehen. Blickt etwas rechts schräg zu den Sternen hinauf. Seht Ihr sie sich vom Unterholz abheben? Noch könnt Ihr fest auftreten. Nur vorwärts. Ei, ich hoffe, der Ast traf Euch nicht? Noch etwas vorwärts. Und nun heißt es, still stehen.«

Kein Hauch störte die Stille der Nacht, es war Eilhard, als ob hier nichts lebte, als sein klopfendes Herz. Er fühlte nach den Bolzen in seiner Tasche, sie lagen bequem zur Hand. Er ließ die Armbrust herabgleiten, stützte sich auf sie und wartete geduldig.

Die Wipfel der Bäume rauschten jetzt ganz leise und hörten wieder auf. Nach einiger Zeit rauschten sie wieder, nun schon längere Zeit. Es war Eilhard, als ob die paar Sterne, die zwischen den Baumwipfeln zu ihm herabschienen, etwas weniger leuchteten und funkelten als vorher.

Durch die Baumwipfel ging ein kräftiges Rauschen und 68 man sah die Spitzen der Bäume sich ein ganz klein wenig neigen. In weiter Ferne heulte ein Wolf, in der entgegengesetzten Richtung schrie eine Eule. Irgendwo fiel etwas Schweres dumpf zu Boden, hin und wieder knackte ein Zweig und im Heidekraut raschelte es. »Klipp, klipp, klipp,« klang es plötzlich, dann ein Ton, als ob eine Flasche entkorkt würde, endlich ein Schleifen.

Eilhard spannte die Armbrust und ließ den Bolzen in den Lauf gleiten.

Alles ist wieder still, aber hoch oben auf dem dürren Ast der Kiefer scheint sich etwas zu bewegen.

»Klipp! klipp! klipp!«

Eilhard eilt mit langen Schritten vor. Als die Töne oben verstummen, bleibt er regungslos stehen. Der verwünschte Schnee! Was für einen Heidenlärm die Schritte im schweigenden Walde machen!

»Klipp! klipp! klipp!« Wieder drei Schritte vor. Der Schnee kreischt förmlich. Eilhard legt an. Er hat genügendes Büchsenlicht, aber er ist noch zu weit von seinem Ziele entfernt. Der abscheuliche Schnee! Aber vorwärts. »Klipp! klipp – –« da war der Lärm selbst für einen balzenden Auerhahn zu arg und der Vogel strich ab, ohne daß Eilhard daran denken konnte zu schießen.

»Junker,« sagte der Wildnisbereiter, »ich habe es mir wohl gedacht. Noch ist zu viel Schnee im Walde. Wer sie jetzt anspringen will, muß es mit bloßen Füßen thun. In Stiefeln geht es nicht.«

»Da muß ich freilich die Hände davon lassen,« erwiderte Eilhard ärgerlich und schlug den Rückweg ein. 69

Im Walde wurde es allmählich lebendig, als sie vor dem Häuschen des Försters anlangten, riefen schon die Singdrosseln ihr: David! David! über die Baumwipfel hin.

»Ist schon jemand von den Herrschaften zurück?« fragte der Wildnisbereiter sein Weib, das vor der Thüre stand.

Sie verneinte.

Eilhard, der keine Lust hatte, sich in die dunstige Stube zu begeben, ging fröstelnd vor dem Hause auf und nieder. Endlich kam Jürgen, kam der Pastor, der eine wie der andere mit leeren Händen. »Gottes Tod,« rief der letztere, »wer kann bei solchem Schnee anspringen! Oben hart, unten weich! Jeder Schritt ist ein Posaunenstoß. Aber da schlag doch Gott den Teufel tot – da kommt der Bonnius und hat einen – und schleppt ihn hinter sich her! Himmeldonnerwettersakrament!«

»Pastor,« sagte Jürgen, »flucht doch nicht so unmenschlich. Schickt sich das für einen Pastor?«

»Was Pastor! Wenn ich auf der Auerhahnbalz bin, so bin ich bei Jesu Marter und Tod! kein Pastor sondern ein fröhlicher Weidmann. Aber beim h. Hubertus, wenn wir den Bonnius auf eine Heide führten, über der nur Kiebitze fliegen, er brächte uns einen Auerhahn mit.«

Und die hohlen Hände vor den Mund haltend, jauchzte der Pastor in den Wald hinein, daß die Drosseln erschreckt still hielten und ein Fuchs, der in der Nähe seiner Jagd nachging, die Maus, die er schon festhielt, wieder fahren ließ.

Bonnius war unterdessen herangekommen. Die Anstrengung hatte seine Wangen rot gefärbt, die Augen 70 leuchteten vor Frohsinn, er sah frischer und hübscher aus als je. »Bautz,« sagte er lachend, »da liegt der Hase im Lager, Pastor!«

»Wie, um alles in der Welt, habt Ihr das angefangen?« fragte Eilhard.

»Nun, ich habe mir eben die Stiefel ausgezogen und bin barfuß angesprungen!« erwiderte Bonnius.

»Fürchtetet Ihr denn nicht, Euch die Füße zu erfrieren, während Ihr still stehen mußtet?«

»Nein, Junker. Bin ich der einzige, der mit vollem Fuder nach Hause fährt?«

»Ja, Bonnius,« versetzte Jürgen, »aber ich will Hans heißen, wenn ich es nicht das nächstemal mache wie Ihr.«

»Macht das, wie Ihr wollt, Junker,« meinte der Pastor, »aber jetzt zur Flasche. Heda, mein Pai – Kindchen,« wandte er sich dann zur Wirtin, »bring mal die blecherne Kuh heraus. Sie will gemelkt sein.«

Man that einen tüchtigen Trunk und stieg dann zu Pferde.

»Es ist doch schön bei Euch, Junker, in Eurem Livland,« sagte Bonnius, der neben Eilhard ritt. »Ein solcher Wald und das reiche, lustige Leben und – und vieles sonst. So lustig lebt sich's in Deutschland nicht.«

»Man nennt unser Livland nicht umsonst Blievland,« versetzte Eilhard nicht ohne Stolz. »Es haben nicht viele Deutsche, die erst einmal hier waren, wieder aus dem Lande ziehen wollen und Euch wird es auch so gehen. Aber solche Streiche wie vorhin müßt Ihr freilich nicht oft machen, sonst könnte es bald kommen, daß Ihr Euer Haus sechs Fuß unter der livländischen Erde aufschlagen müßt.« 71

Bonnius zuckte die Achseln. »Ich kann's nicht anders, Junker,« erwiderte er. »Wie ich sah, daß ich nur so an den Vogel konnte, mußten Stiefel und Strümpfe hinunter und wenn ich gewußt hätte, daß ich geradeswegs in den Tod sprang. Wenn ich etwas so recht will, da kommt es über mich, daß ich meiner selbst nicht Herr bin und stürme vor, es falle wer fällt, ich oder ein anderer.«

»Ihr hättet ein Kriegsmann werden sollen.«

»Ich wäre gern einer geworden, Junker, das könnt Ihr mir glauben, aber meine Mutter selig war eine feine, zarte Frau, die hat mich, als sie zu sterben kam und lag auf dem Bett und ihr Gesicht war so weiß wie das Kissen, einen Eid schwören lassen, daß ich dem Kalbfell nicht folgen würde. Na es muß doch nicht Gottes Wille gewesen sein, aber schade ist es und beklagen werde ich es, so lange ich lebe, daß ich nie eine andere Leiter hinansteigen soll, als die auf den Heuboden führt.«

»Nun, ich denke, Ihr könnt auch so zufrieden sein, Bonnius. Nicht jeder von Eurem Stande kann in Euren Jahren so vieler Leute Herr sein wie Ihr.«

»Gewiß Junker und ich füge hinzu, nicht jeder hat seinerseits so gütige Herren wie ich, aber es bleibt doch, daß es mir oft ist, als wollte mir das heiße Blut die Adern sprengen und als müßte ich etwas Ungeheures thun, so oder so.«

Eilhard blickte den jungen Mann verwundert an.

»Aus Euch redet der Auerhahn von vorhin,« sagte er lächelnd. »Man sah es Euch an, daß er Euch tüchtig zu schaffen gemacht hatte.« 72

Bonnius biß sich auf die Lippen. »Kennt Ihr es nicht, Junker,« fragte er, »daß es überall in Euch hämmert und pocht und Ihr müßt vorwärts und haben, was Ihr wollt und wenn es um Leib und Leben von Euch und anderen ginge?«

»Nein, Bonnius, und ich meine, Ihr solltet unsern Herrn und Heiland bitten, daß Ihr es auch verlernt.«

»Ihr habt ganz recht, Junker. Gott wehre allezeit dem bösen Feind und halte uns alle Anfechtung fern.«

Sie ritten eine Weile schweigend neben einander her und hörten dem Pastor zu, der hinter ihnen mit lauter Stimme das Lied vom armen Schwartenhals sang:

Ich nahm mein Schwert wohl in die Hand
Und gürt es an die Seiten
Ich Armer mußt zu Fuße gahn
Weil ich nicht hat zu reiten.

Ich hob mich auf und ging davon
Und macht mich auf die Straßen
Mir kam ein reicher Kaufmannssohn
Sein Tasch' mußt er mir lassen.

»Der litt auch an Überfluß von Blut,« sagte Eilhard lachend.

Sie waren am Kreuzweg angelangt und der Pastor ritt rechts ab, dem Pastorate zu: »Sein Tasch mußt er mir lassen!« sang er im Refrain.

Der Weg verließ nun den Wald und führte am Rande eines Baches entlang, an dessen Ufern hochstämmige Erlen über das niedrige Gebüsch emporragten. Aus diesem 73 Gebüsch trat jetzt eine Frau hervor und stellte sich den Reitern in den Weg. Es war ein hochgewachsenes Mädchen, aber die Gestalt war eingesunken, es waren noch junge, edle Züge, aber das Antlitz war von tiefen Falten durchfurcht, es waren ein paar große dunkle Augen, aber sie blickten scheu und unruhig um sich. Auf dem schwarzen Haar ruhte ein Kranz von Fichtenzweigen und um die gekrümmten Schultern war ein weißes Laken geschlagen, das im Morgenwinde flatterte, wie ein loses Segel. Das merkwürdigste aber war, daß eine Anzahl Dohlen um das Mädchen herflatterten, sich für einen Augenblick auf einem Zweige niederließen und dann ihre unglückliche Herrin wieder umkreisten.

»Haltet, Junker,« rief das Mädchen, »haltet, steigt ab und fallt in die Kniee. Wißt ihr nicht wer ich bin? Ich bin die Frau von Thedingsheim auf Randen. Herunter von den Gorren und mich geküßt. Wißt ihr nicht, was sich für junge Herren von Adel ziemt, wenn sie eines Edelmanns Frau begegnen? Wenn Jürgen erfährt, daß ihr auf den Hengsten bliebt, so läßt er euch quästen bis euch das Eingeweide zum Leibe heraushängt! Her zu mir! Huch! Wie das brennt, solch ein Kuß! Wer gibt ihn mir zuerst? Ihr da, Ihr fremder Junker! Ihr gefallt mir, Ihr seid mein Mann!«

Damit schritt sie auf Bonnius zu, dessen Roß sich unter ihm bäumte. Aber der Reiter brachte es zur Ruhe und zwang es stehen zu bleiben. »Geh' nach Hause, armes Ding,« sagte er mitleidig.

Das Mädchen blieb stehen. »Armes Ding!« rief es weinerlich, »armes Ding! Als der Flieder blühte und die 74 Nachtigall schlug, da war ich ›mein Herzensschatz!‹ Jetzt, wo es kalt aus dem Walde weht, bin ich ein armes Ding. Ich bin ja auch ein armes Ding, ein ganz armes, frierendes, hungerndes Ding, das nichts hat als – als – als ein bißchen Flüche, viele viele Flüche, mehr Flüche als Bäume im Walde und Sterne am Himmel stehen. Darum bin ich also doch die reiche Frau von Randen,« kreischte die Irrsinnige nun, »und ich gebe ihm meine Flüche mit, alle meine Flüche mit, einen ganzen Wald voll Flüche mit, einen Himmel voll Flüche mit. Und wenn er stolz einherschreitet, soll mein Fluch hinter ihm gehen, und wenn er zu Roß sitzt, soll mein Fluch hinter ihm aufsitzen, und wenn er sich in sein warmes Bett legt, soll mein Fluch sich neben ihn legen. Verflucht soll er sein, er und was zu ihm gehört, sein Fleisch soll der Wolf fressen und seiner Schwester Fleisch der Fisch und seines Hauses Fleisch das Feuer.«

»Schweig, Hexe!« schrie Eilhard außer sich und riß seinen Dolch aus der Scheide, aber Bonnius ergriff seinen Arm. »Laßt sie, Junker,« rief er, »sie ist besessen.«

Das Mädchen blickte den Junker starr an. Dann sprang sie ins Gebüsch und eilte, gefolgt von dem Schwarme der kreischenden Dohlen, davon wie gejagt.

»Es ist die Tochter des früheren Müllers in der Klappermühle,« erklärte Bonnius.

»Um Gotteswillen!« rief Eilhard, »es ist doch nicht Käthchen Melzer?«

Bonnius nickte.

»Ich hätte sie nie erkannt,« rief Eilhard erschüttert. »Und der Vater? Ist er tot?« 75

»Das ist eine traurige Geschichte, Junker,« versetzte Bonnius. »Als ich hierherkam, war sie schon, was sie ist, und der Vater, der die Schande nicht hatte überleben wollen, lag bereits hinter der Kirchhofsmauer unter anderen unehrlichen Toten. Die tolle Käthe aber lebt bei dem neuen Müller Klaus Huppetanz und ihre einzigen Freunde sind die Dohlen, die sie aufzieht und die ihr überall hin folgen.«

»Und der von Randen? Thut er nichts für sie?«

Bonnius zuckte die Achseln. »Der hätte viel zu thun,« erwiderte er bitter, »wenn er für alle sorgen wollte, die sein Fuß in den Sumpf trat, daß sie nicht wieder auftauchten.«

»Arme Käthe,« rief Eilhard erschüttert. »Wie war sie schön und wie unermüdlich tanzte sie! Und sie hielt sich so vornehm wie eine vom Adel.«

»Das war es vielleicht,« meinte Jürgen. »Gleich gesellt sich gern zu gleich. Ihre Mutter soll eines Komturs von Reval und einer vom Adel Tochter gewesen sein und die Eltern der Pflegemutter manchen Horngulden mit in die Wiege gelegt haben.«

»Du hast recht, Jürgen, ich entsinne mich, so sagten die Leute. Lorenz Forchheimer, der Schmied, hat mir einmal davon erzählt, als er mir die Armbrust zurecht machte. Wie schrecklich ihr Fluch klang!«

»Da geht die Muhme mit dem Pastor Westermann!« rief Jürgen.

Sie trieben die Pferde an und hatten bald das Paar erreicht, das auf dem Wege ins benachbarte Dorf war. »Wir wollen ein wenig nach unseres Herrgotts Lieblingen, 76 den Kindern, den Armen und den Kranken sehen,« sagte der Pastor.

»Wenn Ihr erlaubt, schließe ich mich Euch an,« rief Eilhard, sprang vom Pferde und bat Bonnius, das Tier mit auf den Hof zu nehmen.

»Ihr kommt von der Auerhahnbalz, Junker?« fragte der Pastor.

»Ja,« erwiderte Eilhard, »aber nur Bonnius hat einen Hahn geschossen.«

»Das ist ein tüchtiger junger Mann,« versetzte der Pastor, »aber leider nur allzu hitzigen Gemütes. Wenn er einen Topf heißen Wassers haben will, läßt er das Brauhaus dazu heizen.«

»Ihr habt recht,« erwiderte Frau Katharina, »aber ich habe sein feuriges Wesen nicht ungern.«

»Ich auch nicht,« erwiderte der Pastor, »wollen wir aber Gott bitten, daß ihm nichts in die Nähe kommt, was nicht Feuer fangen soll. Sonst habe ich an solch einem frischen jungen Blut auch meine Freude. Ich wünschte, der Herr, dem ich diene, hätte etliche von solcher Art in seinem Dienst.«

»Nun, daran fehlt es ja wohl nicht, Herr Pastor.«

»Doch, gnädige Frau. Seht, was bei uns aufwächst, das ist so beschaffen: So lange es klein ist, sieht es aus, als ob es wunder was werden wollte, wenn es aber zu Jahren kommt, ist's allemal wie die Alten auch und hat nichts im Sinn als trinken und tanzen, ringfahren und fechten. Das ist gerade wie der Roggen aus allzu fettem Boden. Im Frühling sieht er aus wie eine Bürste, kommt er aber zu seiner Zeit, gibt's eitel Lagerkorn. Wie soll ein 77 livländisch Kind aber auch anders sein, denn es ist nichts anderes als ein selbstgezogen Rind, weil wir im Lande aller rechten Schulen ledig sind und von einer hohen Schule ist schon gar nicht zu reden. Da wächst denn die liebe Jugend auf und wenn sie raten und thaten soll, sieht jedermann, daß sie weder zum Glucken noch zum Eierlegen taugt.«

»Ihr habt gewiß recht,« meinte Eilhard, »aber die hohe Schule wird ja schon längst geplant und wenn wir erst mit dem Moskowiter fertig sind, wollen wir diesen Acker frisch unter den Pflug nehmen.«

Der Pastor zuckte die Achseln. »Lieber Junker,« erwiderte er, »ich meine, man sollte das Korn in die Scheune schaffen, ehe die Schloßen fallen, aber nicht nachher. Der Moskowiter ist gewiß aller Christen feind, aber Satanas ist ihnen noch viel mehr feind, darum erachte ich, daß es billig wäre, ehe man einen Thaler gibt wider den Reußen zu streiten, lieber hundert Thaler herzugeben, ob man auch nur einen Knaben erziehen könnte, daß er ein rechter Christenmann würde. Lieber Junker, das Gras will dürr werden und die Blume fällt dahin. Wenn wir nicht kaufen werden, dieweil der Markt vor der Thüre ist, wird uns der Keller leer stehen bleiben.«

»Laßt es nur gut sein, Pastor,« versetzte Eilhard. »Sobald wir den Moskowiter zur Ruhe gebracht haben, wollen wir auch die hohe Schule fertig bringen.«

»Nun, Gott gebe es,« war die Antwort. »Bis dahin aber will ich Gott täglich danken, daß Ihr hier in Kelles Euch wenigstens der undeutschen Armut mit freundlichem Gemüt annehmt und schaffet, daß wenigstens hier die liebe 78 Jugend nicht aufwächst wie eitel Holzblöcke und weiß von Gottes Wort nichts, denn allein, daß sie der Obrigkeit gehorsam sein soll. Du lieber Gott, es zerreißt einem das Herz, wenn man es ansieht, wie die Bauernkinder allerorten aufwachsen als ein wildes, zuchtloses Volk, das von Gottes Wort nichts weiß, und unser Herr und Heiland ist doch auch für sie gestorben und in den Tod gegangen. Wahrlich, von der Gerechtigkeit, die besteht in Hühnern und Eiern, weiß jeder in Livland zu sagen, aber wenn von der Gerechtigkeit gepredigt wird, die da ist den Nächsten lieben als sich selbst, an Gott glauben, sich selbst verleugnen, da haben alle taube Ohren. Aber ich will lieber von den Gerechten reden als von den Ungerechten, und so danke ich Euch denn nochmals recht von Herzen, daß Ihr Euch so ehrlich müht um der armen Bauern Seelenheil und Seligkeit.«

»Pastor,« sagte Eilhard, »ich möchte Euch gern etwas fragen, was mir oft durch den Sinn geht.«

»Fraget, lieber Junker.«

»Pastor, wenn es nun so wäre, wie Ihr wollt und in allen Dörfern wären Schulen und alle Undeutschen gingen hinein – würde da nicht der Haber den Gaul so wild machen, daß er den Reiter über den Hals würfe? Die Undeutschen haben doch gar steife Nacken, sind ein trotziges und mutwilliges Volk und ihrer sind viele, unserer aber nur wenige.«

»Liebster Elert,« erwiderte Frau Katharina, noch ehe der Pastor antworten konnte, »und wenn dem so wäre, so dürfte uns das nicht abhalten, unsern Untersassen das Evangelium zu bringen, denn wie sollten wir uns einst an dem großen 79 und schrecklichen Tage, da Gott kommen wird uns zu richten, verantworten, wenn wir gehandelt hätten wie eine Obrigkeit für Füchse oder Hasen, aber nicht für Menschen?«

»Amen, gnädige Frau,« rief der Pastor. »Was aber Eure Besorgnis angeht, lieber Junker,« fuhr er fort, »so meine ich, daß es damit gute Wege hat, denn unser deutsches Volk hat eine solche Mannhaftigkeit, daß wohl fünfzig Undeutsche vor einem deutschen Geharnischten das Hasenpanier ergreifen möchten. Auch würde die Obrigkeit ja ob der Schulen ihr Schwert nicht an die Wand hängen, sondern es gegen Aufrührer und Rottenführer brauchen, wo es not thut, wie bisher. Schließlich läßt sich ja auch nicht windigen ohne Wind, auch wenn uns selbiger Zahnschmerzen macht. Eins aber, lieber Junker, ist klar am Tage, entweder wir lehren auch die undeutsche Armut, daß sie das Evangelium, dazu die anderen Bücher der h. Schrift und die Hauptstücke vom Katechismus lesen kann oder wir hätten den papistischen Greuel nicht aus dem Lande zu fegen gebraucht, denn an Kirchengehen, Niederknieen und Lippenbewegen war derzeit auch kein Mangel.«

Sie hatten unterdessen das Dorf erreicht und die zahlreich herbeieilenden Bäuerinnen und Kinder unterbrachen das Gespräch. Die Vornehmeren oder Vertrauteren küßten den Herrschaften die Hand, die übrigen drückten ihre Lippen nur auf den Saum ihres Gewandes. Frau Katharina hatte viel zu fragen, denn sie wußte in den Familienverhältnissen der Leute gut Bescheid und was in den Dörfern mühselig war und beladen kam zu ihr.

Da drängte plötzlich ein hochgewachsenes Weib den 80 Haufen auseinander, warf sich vor der Herrin nieder und umklammerte ihre Kniee. »Helft mir,« rief sie, »helft mir um aller Heiligen Willen. Sie haben mir das Einzige genommen, was ich Arme hatte auf Erden, das Licht meiner Augen, das Herz in meiner Brust, meine Tochter.«

»Wer? Wer hat sie Euch geraubt?«

»Der schwarze Tönnies von Unnafer unter Randen. Heute nacht stand das Mädchen auf und ging hinaus das Vieh zu beschicken. Da höre ich sie plötzlich auf dem Hofe schreien. ›Jan,‹ rufe ich, ›ein Wolf‹ und springe aus dem Bett und stürze hinaus. Da sehe ich noch, wie er mein Seelchen niederdrückt auf den Hals des Falben und davonjagt, daß die Steine fliegen wie Splitter beim Holzschlagen. Und nun ist meine Seele fort und mein Augenlicht und der Wilde wird sie schlagen, wie des Herrn Büttel, bis sie thut, was er will.«

Die Frau heulte laut auf und auch die anderen Frauen schrien wirr durcheinander. »Habt Ihr es denn schon im Hofe gemeldet?« fragte Frau Katharina.

Es währte eine Weile bis sie Antwort erhielt. Die Männer waren alle fort und verfolgten die Spur des Jungfrauenräubers, darum war bisher die Meldung des Geschehenen unterlassen.

Die drei suchten die unglückliche Mutter so gut sie es vermochten, zu trösten und setzten dann ihren Weg fort. »Sie werden ihn nicht finden,« sagte der Pastor traurig. »Fehlt es doch – Gott sei es geklagt – nicht an Herren im Lande, denen es gerade recht ist, wenn ihre Leute zusammenleben ungetraut wie das liebe Vieh. Fahren sie 81 dann dahin in ihren Sünden, so kommt der Herr und nimmt den Kindern das Erbe, denn ihre Eltern waren ja nicht ein christlich Ehepaar.«

Sie erreichten nun den Bauernhof, in dessen Stube der Schulmeister, ein alter Reiter des Herrn Kruse, der auf der Jagd beide Beine gebrochen hatte und nun auf Stelzen einherging, seines Amtes wartete. Der Pastor katechisierte die kleinen Blondköpfe, und er wußte sie so zutraulich zu machen, daß sie ihm ohne alle Blödigkeit antworteten. Eilhard, der an der Thüre lehnte, betrachtete mit inniger Teilnahme das Bild. Der Pastor war nicht schön. Er hatte eine faltige Stirn, kleine Augen und eine ganz merkwürdig große und weiche, lappige Nase, die aussah wie ein Rüssel. Dazu war er klein und wohlbeleibt. Aber wer dachte an sein Äußeres, der ihn so schalten und walten sah unter den fremden Kindern.

Was gingen ihn, den Pfarrer in Dorpat, die Dorfkinder von Kelles an und doch kam er hierher, so oft seine Zeit es ihm erlaubte, um den Kruses bei ihren edlen Bemühungen zu helfen, so viel er konnte. Eilhard wußte, daß der Pastor für diese Arbeit keinerlei Entgelt nahm.

Der Junker fühlte sich von einer seltsamen Rührung ergriffen. »Der Fremde soll mich nicht beschämen« dachte er. »Ich will den Eltern helfen, so viel ich immer kann, daß auch diesen Armen die Wege geebnet werden, die zum Himmel emporführen.«

Die Katechisation war zu Ende, es folgten ein paar Krankenbesuche, dann begab man sich zurück auf den Hof.

Ein fester Palissadenzaun – das Staket – schloß das 82 Herrenhaus und die zu ihm gehörenden Baulichkeiten ein und ein tiefer Wassergraben lief um ihn hin. Jetzt war die Zugbrücke niedergelassen und das Thor stand weit auf, denn es war ja tiefer Frieden im Lande.

Auf dem weiten Hof standen Herr Kruse und seine Gäste. der Domprobst Peter Thedingsheim, der Domherr Johann Stackelberg, der Mannrichter Johann Taube – und bewunderten ein schönes junges Roß, das Herr Kruse von einem russischen Roßkamme erworben hatte. Es war eine prächtige, tatarische Stute, weiß mit schwarzen Flecken übersät, die Weichteile zart rosa überflogen.

»Elert,« rief Herr Kruse lachend dem Sohne zu, »die hier soll einmal dein Bräutchen nach Dorpat zur Köste tragen!«

Am Abend wurde stark gezecht, denn Herr Kruse ging ebenso ungern ohne Räuschchen zu Bett wie andere gute Gesellen auch, Eilhard aber, der das Trinken nie hatte vertragen können, ritt mit den jungen Mädchen und Bonnius spazieren. Es war ein herrlicher Frühlingsabend. Auf den Ecken des Daches kappten und pfiffen die Staare, über den Feldern jubilierten die Lerchen, vom Waldrande her riefen die Drosseln. Als die vier zurückkehrten, begannen die Strahlen des Mondes, der schon lange am Himmel stand, eben wirksam zu werden.

Eilhard ritt mit Bärbchen voraus. Anna und Bonnius waren etwas zurückgeblieben, aber man hörte den letzteren in seiner lebhaften Weise erzählen, ohne doch mehr als einzelne Worte verstehen zu können.

Es drängte Eilhard dem lieben Mädchen neben ihm von 83 dem zu erzählen, wessen sein Herz voll war. Er berichtete von dem unvergeßlichen Eindruck, den er heute im Dorf empfangen hatte, rühmte Westermann und sprach mit Stolz von der Mutter, dem Vater. »Aber ich will einmal ihrer würdig werden,« rief er »und auch meinen Untersassen eine rechte Obrigkeit werden, die für sie sorgt wie ein Vater für seine Kinder. Nicht wahr Bärbchen?«

Barbara, die bisher schweigend neben ihm herritt, wandte ihm den Kopf zu. »Ja, Elert,« erwiderte sie, »aber wie ist es eigentlich in der Gaillarde, ist die letzte Kadenz rechts oder links?«

Eilhard fühlte, wie er vor Unwillen errötete, aber er beherrschte sich. »Ich meine, wir sprechen nicht von der Gaillarde,« sagte er.

»Nein Elert, du sprachst von den Bauern, aber wie ist es mit der Kadenz?«

»Ja, welche Gaillarde meinst du denn?« fragte Eilhard mißmutig, ›die Langeweile die mich quält‹?«

»Nein, ich meine: ›Ich möchte lieber allein schlafen‹.« Ich glaube, die letzte Kadenz ist hier rechts.«

Eilhard zuckte die Achseln, Bärbchen aber wandte sich um und rief nach Bonnius, der sofort an ihrer Seite war.

»Die Bewegungen sind folgende,« belehrte er auf Bärbchens Frage: »Ruade rechts, Entretaille, Ruade links, Grue, Ruade rechts, Entretaille, Ruade links, Entretaille mit Grue rechts, Ruade rechts, Entretaille zur Grue links. Großer Sprung. Kadenz rechts.«

»Also doch,« frohlockte Bärbchen.

»Was meinst du dazu, Anna?« fragte Eilhard. 84

»Ich weiß in diesen Dingen wenig Bescheid,« erwiderte die Angeredete.

»Anna tanzt nicht mehr,« rief Bärbchen lustig, »weil Reinhold Taube sie beim letzten Wackenfest in der Volte so geschwenkt hat, daß man ihr bloßes Knie hat sehen können. Das kommt ja nun alle Tage vor, aber die Junker haben sie damit so geneckt, daß sie nun nicht mehr tanzen will. Das ist doch albern von Anna.«

»Guten Abend!« rief Frau Katharina, die den jungen Leuten bis an die Zugbrücke entgegen gegangen war.



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