Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Der Schneesturm fuhr heulend durch das Land und schüttete erdrückende Schneemassen über Wald und Feld aus. Zitternd drückte sich das Wild in seinem nächtlichen Versteck eng aneinander, die Raubtiere blieben in ihren Höhlen, die Vögel im Astwinkel schmiegten sich enger an den schützenden Stamm. Himmel und Erde und was zwischen ihnen liegt, war eine Masse von wirr durcheinander wirbelnden Flocken, die der Wind vor sich her trieb, und die er nur zu Boden sinken ließ, um sie wieder aufzuheben und weiter mit sich fortzureißen. Die unter der Schneelast ohnehin fast erliegenden Bäume konnten den Angriffen des Sturms nicht widerstehen und stürzten stöhnend, ächzend, splitternd und krachend nieder in das Unterholz. Mit ungeheuerer Wucht warf sich der Sturmwind auf das Werk der Menschenhand, das ihm hier Widerstand leistete und bei jedem dieser Angriffe erbebte die Scheune und schien zusammenstürzen zu wollen. Dann schnaubten die Pferde ängstlich und die todmüden Schläfer fuhren erschreckt auf und lauschten dem Heulen des Sturmes und dem Rauschen des Waldes. Sobald aber die heftigsten Stöße vorüber waren, sanken die Lider wieder über die Augen herab und die Flüchtlinge versanken wieder in Schlaf bis neue Angriffe sie abermals weckten. Nach und nach erfüllte ein feiner Schneestaub, der durch die Spalten und Ritzen zwischen den Balken drang, den ganzen Raum und überzog die Wände und den Boden mit einer 348 dünnen Schicht von blendendem Weiß. Mit dem Schneestaub drang gegen Morgen eine eisige Kälte ein, gegen die keine Bedeckung schützte, die stärker war als jede Ermüdung und die die Schläfer mit rauher Hand von ihrer armseligen Lagerstatt auftrieb. »Bonnius,« rief Christopher, indem er sich erhob, »wir müssen aufstehen und umhergehen, oder der Morgen findet uns so steif wie gefrorene Hechte.«

Die Worte weckten auch Barbara. »Franz,« sagte sie, »ich habe es zu heiß, nimm hier diese Decke.« Sie gab sich alle Mühe ruhig zu sprechen, aber der Frost schüttelte ihre Glieder so, daß man den Worten das Beben der Lippen anhörte, über die sie kamen.

»Armes Bärbchen,« erwiderte Bonnius, indem er ihre eiskalte Hand ergriff und innig drückte, »ich wünschte, du hättest mich nie gesehen.«

Barbara sprang auf und schlang beide Arme um seinen Hals. »Wie,« rief sie, »also du kannst auch vor dem Feinde das Schwert sinken lassen? Mut, Franz, Mut. Ein Mann ist stärker als der Sturm. Aber selbst wenn er uns die Thorflügel niederwarf und die Kälte durch das Fallgatter drang und uns ins Herz traf – sie sollen die Freude nicht haben, uns mit den Wimpern zucken zu sehen. Wir wollen mit offenen Augen fallen, Franz. Wider den Knochenmann hilft keine Wehr und Rüstung – und wenn er aufspielt müssen wir tanzen. Wir wollen aber nicht feige zagen, Franz, sondern frisch antreten und uns hinter die anderen stellen, ohne zu klagen. Du warst mein, ich war dein. Schönere Rosen, als die wir pflückten, blühen in keinem Garten. Ohne dich wäre ich arm – und wenn die 349 Burgen und Höfe aller Thedingsheim mein wären, mit dir bin ich reich in dieser elenden Scheune.«

Bonnius schloß die Geliebte ans Herz. »Verzeih,« sagte er.

»Gnädiges Fräulein,« meinte Christopher, »es ist gut, daß Ihr so denkt, wie Ihr sagt, denn wenn mich nicht alles täuscht, wird das Dach über uns zusammenbrechen, noch ehe wir drei Vaterunser sprechen können.«

Alle drei lauschten. Es war so dunkel, daß sie sich kaum sehen konnten, aber es war ihnen, als ob die Wände schwankten. Bonnius und Barbara schmiegten sich eng aneinander und waren auf alles gefaßt, aber die befürchtete Katastrophe trat nicht ein.

»Daß mich aller Welt Plage bestehe,« meinte Christopher nach einer Weile, »aber ich glaubte uns so sicher unter diesen Balken begraben wie die Maus unter dem Backstein.«

Die Flüchtlinge gingen jetzt eine Weile mit tastendem Fuß auf und ab. Allmählich dämmerte ein trüber Tag herauf, aber der Schneesturm ließ nur wenig nach. An ein Feuer durfte man nicht denken, weil der erste emporsprühende Funke das Dach in Brand gesteckt haben würde, so wurde denn nur etwas von dem mitgenommenen harten Brot genossen. »Ich wünschte, ich hätte eine Kanne Bier hier, Bonnius,« sagte Christopher. »Was meint Ihr? So eine recht große Kanne, aus der der Schaum hervorsteht wie ein runder Hut und quillt über und gleitet langsam an der Kanne herunter auf den Tisch? Wie? Das wäre etwas für uns? Und dann käme der Wirt und langte zwischen unseren Schultern durch und legte einen Teller mit einem Käse neben die Kanne. Wie? Was meint Ihr? Und wir ließen uns ein Stück 350 Schinken braten mit einem Handvoll Zwiebeln darauf. Und dann säßen wir da mit dem Rücken am warmen Ofen und blinzelten in die Flamme. Wie?«

Christopher erhielt keine Antwort. Er ging zu den Pferden, die die Köpfe hängen ließen und schlug ihnen der Reihe nach auf die Schenkel. »Alles Luder ist weg,« rief er, »nichts als Leder und Knochen. Der Herrgott von Bentheim weiß allein, was daraus werden soll.«

»Christopher,« sagte Bonnius, »was thun wir? Bei diesem Wetter können wir nicht fort, und da wir die Mähren nicht mit Versprechungen füttern können, Hafer aber nicht mehr haben, so werden wir sie, wenn sie sich niederlegten, morgen an den Schwänzen aufheben müssen wie die Kühe im Frühjahr.«

»Ihr habt so recht, wie wenn ein Kaiserlicher Notar Euere Worte aufgeschrieben hätte,« erwiderte der Reiter. »Außerdem haben die Junker Zeit gewonnen, uns den Weg zu verlegen. Ich meine auch, daß wir mit den Gäulen nicht mehr weiter können.«

»Was aber ohne sie anfangen, Christopher? Zu Fuß kommen wir bei diesem Schnee erst recht nicht fort.«

Der Reiter schüttelte den Kopf. »Das ist ein böser Handel,« sagte er. »Es riecht leider stark nach Hanf.«

»Christopher« begann Bonnius nach einer Weile wieder, »wenn der Bär nicht über den Zaun kann, muß der Fuchs unter demselben durchkriechen. Wenn wir nicht auf der Gorre und im Harnisch davon können, müssen wir unser Glück im Bauernkittel versuchen.«

»Was meint Ihr?« 351

»Ich meine, daß diese Scheune hier zu einem Gut gehören muß oder zu einem Dorf. Da müssen wir hin und für Geld oder durch Gewalt zu drei Bauernpelzen und einem oder zwei Schlitten kommen. Dann fahren wir als Undeutsche mitten durch die Junker hindurch.«

»Bonnius,« versetzte Christopher bedenklich, »wir ziehen uns damit auch die Bauern auf den Hals.«

»Das ist wahr, aber ich weiß keinen anderen Rat. In diesem Schnee sind unsere schweren Tiere nicht zu gebrauchen, die kleinen Bauernpferdchen aber kommen überall fort.«

Christopher sann eine Weile nach. »Euer Anschlag ist vielleicht doch nicht ganz uneben,« meinte er dann. »Wenn der Sturm sich gelegt hat, wollen wir sehen, was sich thun läßt. Jedenfalls werden wir Kundschaft einziehen, vielleicht auch zu Pferd und Schlitten kommen können.«

Der Schneesturm hielt den ganzen Tag über an und die Kleider der Flüchtlinge, die sie seit dem Beginn ihrer Flucht nicht hatten ablegen können, boten nur zu geringen Schutz gegen die Kälte. Die beiden Liebenden hatten sich dicht aneinander gedrängt an einer Stelle niedergelassen, wo die Wand am festesten gefugt war. Christopher aber streckte sich zwischen den Pferden aus und schien fast den ganzen Tag über zu schlafen. Auch die ersteren befanden sich meist in einem Zustande von Halbschlaf, der aber nicht verhinderte, daß die Kälte sie peinigte.

Am Abend machte das Dämmerlicht, das am Tage in der Scheune geherrscht hatte, zum zweitenmal der Dunkelheit Platz. Barbara hatte den Tag über sich hartnäckig geweigert, etwas von dem geringen Brotvorrat zu genießen. Sie 352 behauptete, nicht essen zu können, der Grund ihrer Enthaltsamkeit aber war eigentlich, daß sie sich doch für verloren hielt und die Speise für Bonnius aufbewahrt wissen wollte. Sie fühlte nur zu sehr, wie ihre Kraft sie im Stich ließ, und sie glaubte, noch im Laufe der Nacht den Folgen der Überanstrengung und der Kälte zu erliegen. »Franz,« sagte sie leise, »wenn ich sterbe, so halte dich nicht damit auf mich zu bestatten, sondern denke nur an deine Flucht. Auch darfst du, wenn etwa dein Gewissen an dein Herz klopfen wollte, ihm nicht aufthun. Ich bin in diesen Tagen, in denen ich zu dir gehörte, so glücklich gewesen, wie ich es sonst nie geworden wäre.«

Bonnius wollte aufspringen, aber sie hielt ihn mit beiden Händen fest. »Bleib sitzen,« flüsterte sie »und sage mir, daß du mich lieb hast. Sonst kannst und sollst du nichts für mich thun. Ich brauche auch weiter nichts. Es ist ja hart, daß ich von dir muß und unsere Wanderschaft hat doch kaum begonnen, aber ich sehe schon die Türme und Mauerzinnen von unseres Heilands Burg und Stadt über dem Walde aufragen. Der Thorwärter wird mich einlassen, Franz, ich weiß es. Bei unserem Heiland gibt es keine Edelleute und keine ›schlechten Gesellen‹, wie sollte er mir da zürnen, daß, als die Liebe in meinem Herzen aufging und in Ähren schoß, ich nicht nach deinem Stammbaum fragte. Wäre ich aber nicht heimlicherweise zu dir gekommen, sie hätten mich nicht zu dir gelassen, ja sie hätten dich erwürgt. Nein, Franz, sie werden mir da oben das Pförtchen aufthun und werden irgendwo und wäre es an der Mauer und unter dem Dach im Giebel ein Stübchen für mich haben, wo ich 353 warten kann, bis auch du kommst und ich deine Sporen auf meiner Treppe klirren höre.«

»Bärbchen,« rief Bonnius, »rede nicht so, du wirst nicht sterben, wir werden glücklich entkommen. Siehe, der Sturm läßt nach. Sobald es hell wird, werden Christopher und ich aufbrechen. Wir werden dann will's Gott einen Bauern finden, der uns zu einem Schlitten verhilft, zu einem Pferdchen und zu undeutscher Kleidung. Dann werden wir glücklich nach Riga entkommen und von dort über die See nach Deutschland. Sind wir aber erst dort, so sind wir gerettet und ich will dich halten und ehren, wie nur je ein deutscher Mann sein herzallerliebstes Gemahl hielt und ehrte.«

So redete er in sie hinein und herzte und küßte sie, bis Stille und Dunkelheit, Kälte und Ermüdung auch ihn wieder versinken ließen erst in den Halbschlaf des Tages, dann in tiefen, festen Schlaf. Ohne es zu wissen, gab er die sitzende Stellung auf, streckte die Glieder aus und legte den Kopf auf der Geliebten Schoß. Sie aber blieb wach und ihre erstarrten Hände fuhren immer wieder über sein Haar. Sie tastete über ihn hin und zog seinen Pelzrock fester zusammen.

O du mein herzallerliebster Schatz!
Ein Blümlein that verderben.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Mag wol mit Freuden sterben

klang es in ihr wieder.

Sobald der Morgen graute, rüsteten Bonnius und Christopher sich zum Aufbruch. Der Sturm hatte aufgehört, 354 es war ganz windstill und warm. Die Männer öffneten das Thor, holten etwas Reisig herbei und bald brannte ein kleines Feuer unter dem mitgebrachten Kesselchen. In diesen that man Schnee und in das Wasser, als es kochte, das harte Brot. Diese Brotsuppe übte eine ungemein belebende Wirkung selbst auf Barbara.

Den Pferden wurde Stroh vorgeworfen, das man aus dem Dach riß und die hungrigen Tiere fraßen es begierig.

Die Männer brachen jetzt auf. Es war verabredet worden, daß Barbara das Thor, welches sie hinter sich schlossen, unter keinen Umständen öffnen sollte, aber es befand sich eine ziemlich breite Spalte in demselben und durch diese konnte sie Bonnius nachsehen, bis er im Dickicht verschwand. Ob sie ihn je wiedersehen würde? Sie kehrte traurig auf ihren Platz zurück.

O du mein herzallerliebster Schatz,
Nun geht es an ein Scheiden,
Wer einen lieben Buhlen hat,
Viel Kummer muß er leiden.

Die beiden Männer wateten unterdessen mühsam und keuchend durch den tiefen Schnee. Als sie auf eine Lichtung kamen, blieb Christopher stehen. »Bonnius,« sagte er, »ich weiß jetzt, wo wir sind. Die Scheune hier gehört einem von der Ropp, zu dessen Dorf kann man auch bei diesem Schnee in drei Stunden kommen. Auf der anderen Seite, vier Stunden von hier liegt ein Rosensches Dorf. Nun habe ich gestern, um das gnädige Fräulein nicht zu erschrecken, nicht davon reden mögen, aber wenn wir in diesen Schuhen fortkommen wollen, so müssen wir den rechten von rechts 355 nehmen und den linken von links. Ich meine das so. Bekommen wir von demselben Bauern Schlitten und Pferd und wieder von demselben die undeutschen Gewänder, so weiß er Bescheid, als ob er mit uns zu Rate gesessen hätte und da er sich wohl wird denken können, daß, wer hinter uns her ist, für solche Kunde offene Hände hat, so wird er uns verraten. Nehmen wir aber hier das eine und da das andere, so weiß Meister Matz nicht, ob dieses Schwert in diese Scheide gehört oder nicht. Darum ist mein Rat dieser: Ihr geht westwärts, bis Ihr auf eine Waldwiese kommt, die lang und schmal ist und aussieht wie ein Fluß. An der geht Ihr fort, bis Ihr an einen Teich gelangt. In den fällt eine Bäche. An der Bäche geht Ihr aufwärts bis Ihr an das Dorf kommt. Da sucht Ihr so oder so zu einem oder zwei Schlitten und Pferden zu kommen. Unterdessen gehe ich wider die Sonne und komme, wenn alles gut geht, mit dem Zeug zurück. Bis morgen in der Frühe wartet Hinz auf Kunz und Kunz auf Hinz. Wer dann verdarb, bleibt verdorben. Der andere aber reitet mit dem Fräulein nach ihrem Willen.«

»Ihr habt recht,« sagte Bonnius, »ich sehe ein daß es so am besten ist. Komme ich nicht zurück, Christopher, so wird Euch das Fräulein sagen, wo Ihr in Riga Unterschlupf findet. Und nun lebt wohl, Christopher. Ihr seid mir ein treuer Kriegsgeselle gewesen und seid es noch. Habt Dank.«

Bonnius reichte Christopher die Rechte hin. Dieser ergriff sie und drückte sie. »Ihr habt immer gewußt, woran wir miteinander waren,« erwiderte er. Damit schieden sie. 356

Christopher wand sich ohne alles Besinnen durch das dichte Unterholz und erreichte schon nach ein paar hundert Schritten einen Waldweg, auf dem er rüstig fortstampfte. »Wer nicht hören will, kann's sein lassen,« murmelte er. »Ich brauche ihm doch wahrhaftig nicht erst die Ohrklappen der Mütze wegzureißen.«

Nach einer Stunde etwa erreichte Christopher den Rand des Waldes. Hier lag ein großes Dorf. Sobald Christopher die Pforte, welche die Dorfstraße nach dem Walde hin abschloß, erreicht hatte, stieß er auf zwei Bauern, die hier die Wache hielten. »Sind Reiter im Kruge?« fragte er. »Ja.« »Seit wann?« »Seit drei Tagen.« »Ist der Schreiber von Randen an ihrer Spitze?« »Ja.« »Gut. Einer von euch muß sogleich zu ihm und ihm sagen: ›Der Reiter aus dem Walde sei da und wolle ihn sprechen.‹ Es darf das aber niemand anders hören als er. Habt ihr verstanden.«

Christopher ließ je einen Gulden in die Hände der Bauern gleiten und diese küßten vergnügt den Ärmel seiner Pelzjacke. Der eine eilte sodann davon. »Sagt dem Schreiber, daß er mich im Walde treffen wird,« rief Christopher dem anderen zu und begab sich wieder in den Wald.

Nach kurzer Zeit kam ein Schlitten in schnellem Trabe aus dem Dorf und hielt, sobald die Bäume ihn den Blicken der Dorfinsassen entzogen hatten. Christopher trat aus dem Busch und Rentsch sprang aus dem Schlitten. »Wo sind sie, Christopher?« rief er. »Ihr seid ein Teufelskerl.«

»Erst das Gold und dann die Kundschaft,« erwiderte der 357 Reiter gleichmütig. »Ihr habt es nicht so eilig, die Hasen liegen fest im Lager und werden Euch nicht entgehen.«

Rentsch nickte. »Aber sie leben,« sagte er »und ahnen nichts von Euerem Verrat?«

»Von welchem Verrat redet Ihr?« erwiderte Christopher unwillig. »Hier wird kein Verrat geübt. Ich habe mit dem Schreiber den Pakt geschlossen, daß es wider alle die von Thedingsheim geht. Er hat aber, ohne es mir zu sagen, eine von Thedingsheim mit sich genommen. Da fiel der Pakt hin und streckte alle viere von sich. Das habe ich ihm gesagt, wie es einem ehrlichen Reiter ziemte. Daß er mich nicht verstanden hat, ist nicht meine Schuld.«

Rentsch hörte dem Schreiber lächelnd zu. »Ihr habt ganz recht,« sagte er, »und ich habe dem Kinde einen falschen Namen gegeben. Und nun ans Geschäft. Hier ist zuerst das Geld.«

Christopher ergriff den Beutel, den ihm der Schreiber hinhielt, wickelte das Band, mit dem er zugebunden war, auf und schüttete den Inhalt auf die Schlittendecke. Seine Augen funkelten, als sie auf den blanken Goldstücken ruhten, aber er ließ sonst keine Aufregung merken, sondern zählte das Geld, that es wieder in den Beutel, band dann diesen zu und steckte ihn in die Tasche.

»Jetzt kommt das zweite,« fuhr Rentsch fort, »der Paßbrief,« und reichte das Papier dem Reiter. Dieser faltete es auseinander und las es aufmerksam durch. Es war ein von dem Kanzler des Stiftes unterzeichneter Paßbrief, den Jürgen Thedingsheim von Randen für seinen Diener Peter Götz von Lauterberg ausgestellt und mit seinem von seinen 358 Vätern ererbten Siegel unterzeichnet hatte. Alle, die es anging, wurden darin gebeten, genanntem Peter Götz, der in Geschäften seines Herrn nach Holstein ging, sowohl bei der Hinfahrt wie bei der Wiederkehr freundwillig zu begegnen, auch ihm vorkommenden Falles alle ziemliche Hilfe keineswegs vorzuenthalten.

Der Reiter steckte auch den Paßbrief zu sich. »Und wo ist der wirkliche Peter Götz?« fragte er.

»Er hat seit zwei Jahren sechs Fuß Erde über sich,« war die Antwort. »Er machte hinter Konrad von Üxküll in der Gegend von Pinneberg eine Streife mit und wurde dabei durch die Brust geschossen. Als sie ihn einscharrten, nahm ihm einer der Reiter den Brief ab und brachte ihn, als er im vorigen Sommer ins Land kam, meinem Junker mit.«

Der Reiter lachte. »Und in dessen Lade fandet Ihr ihn und machtet den Kringel hinter die Fünf?«

Rentsch nickte. Dann griff er in einen Sack, der im Schlitten lag und entnahm aus demselben einen falschen Bart, den nun beide an Christopher befestigten.

»Sonnt ist alles in Ordnung,« sagte dieser jetzt, »aber wie steht es mit dem von Randen und seinen Dienern?«

»Mein Junker ist Euch weit aus dem Wege,« war die Antwort. »Er und die Kruses von Kelles pirschen auf jener Seite der Heerstraße. Die Randenschen Diener aber sind mit Ausnahme der vier, die im Kruge da ihre Morgensuppe löffeln, bei ihrem Junker.«

»Will der von Randen den Tanz auf Strümpfen abmachen, oder sollen dabei Posaunen und Drometen blasen?«

»Sie läuten mit allen Glocken, Christopher, und haben 359 Briefe ausgehen lassen an das ganze Land, worin sie jedermann, Herren und Knechte, Edle und Unedle bitten, auf das Fräulein und den Schreiber zu fahnden. Aber nun habt Ihr alles und wißt Ihr alles. Jetzt ist die Rede an Euch. Wo stecken sie?«

»Ihr werdet sie in der Heuscheune finden, zu der dieser Weg führt. Ihr müßt aber einen Schlitten mitnehmen, denn das arme junge Mensch, das Fräulein, kann schwerlich noch in den Sattel. Wollt Ihr selbst das Nest ausheben und allein?«

»Nein, der von Kongota soll dabei sein. Er und seine Junker liegen bei dem von Rosen. Aber sagt, was thaten sie, als Ihr fortgingt?«

»Sie schliefen. Aber nun lebt wohl.«

Christopher setzte sich in den Schlitten und ergriff die Fahrleinen. »Lebt wohl,« sagte Rentsch »und denkt an Euren Eid.«

»Seid ohne Sorge« versetzte Christopher, »ich spiele gerade so um meinen Hals wie Ihr.«

Damit trieb der Reiter das Pferd an und fuhr davon. Er verfolgte eine kurze Strecke den Weg, lenkte aber dann in einen anderen ein, auf dem er nach einer Stunde schneller Fahrt einen einsamen Waldkrug erreichte. Hinter dem Hause bellte ein Hund, sonst ließ sich nichts hören noch sehen. Der Reiter fuhr sein Pferd in das Stadol, bedeckte es und ging dann in die Krugsstube. Das Geräusch seiner Tritte rief den Krüger herbei, der den Gast aus dem einen Auge – das andere war erblindet, durchdringend anblickte. »Was wünscht der gnädige Herr?« fragte er, indem er hinter die Lette trat. 360

»Gebt mir ein Glas Branntwein,« befahl der Gast.

»Gottes Tod,« schwur der Krüger, indem er mit der Faust auf den Schenktisch schlug, »Ihr seid es, Hans Krummhals! Ich glaube, außer mir würde Euch kein Mensch erkennen, als etwa der Scharfrichter von Riga, wenn er auf Euerem Rücken den Galgen sähe, den er mit eigener Hand hineingebrannt hat.«

Der Reiter lachte. »Es ist nur gut, daß nicht alle Euer Luchsauge haben, Hans Mettmann,« erwiderte er. »Sind wir allein?«

»Ja, aber die Jagd ist in vollem Gange. Überall ist die Losung ausgegeben, auf Euch zu achten. Darum wollen wir auch nicht hier stehen bleiben. Kommt.«

Der Reiter trat auch hinter die Lette. Der Krüger drückte und schob an der Wand, sie that sich zur Seite und ein kleiner dunkler Raum ward sichtbar. Der Reiter trat hinein und der Krüger zog die Wand wieder zu, so daß nur ein schmaler Spalt offen blieb. »So,« sagte er, »das mache ich zu, sobald der Hund anschlägt und nun erzähle. Hat Rentsch die beiden?«

»Nur das Fräulein, Hans. Dem Bonnius hülfe ich gern durch, denn ich stieß, während wir in der Wildnis irrten, auf einen Bären, und ich wäre nicht hier, wenn der Schreiber ihm nicht zu Leibe gegangen wäre und ihn mit eigener höchster Gefahr kalt gemacht hätte.«

Der Krüger schüttelte unwillig den Kopf. »Und was sagte Rentsch dazu?«

»Nichts, denn er glaubte nicht anders, als daß er beide Vögel im Nest finden würde und hat mir das Geld richtig 361 ausgezahlt, wie wenn er das Bier im Keller hätte. Er wird sich mit dem Fräulein genug sein lassen müssen.«

»Und wo ist der Schreiber?«

»Ich habe ihn in den April geschickt und er sucht am Binsenteich nach einer Bäche und einem Dorf daran, die nicht da sind. Sobald es dunkel wird, mußt du ihn holen. Wir erzählen ihm dann, die Reiter hätten mich auch gefangen, ich wäre ihnen aber mit deiner Hilfe entwischt. Es wird dein Schaden nicht sein, Hans, denn der Schreiber führt eine gespickte Geldkatze und eine schwere goldene Kette bei sich und auch nicht der meinige, denn er hat in Riga Helfershelfer, die mir auch durchhelfen werden.«

»Willst du denn wirklich aus dem Lande, Krummhals?«

»Ja, Hans, das heißt natürlich nicht für immer, sondern nur auf ein Jährchen oder zwei. Es wird hier jetzt für mich Horn gebrannt. Aber wir bleiben natürlich bei dir, bis die Sonne auf freies Wasser scheint.«

»Und was soll mit dem Pferde geschehen?«

»Rentsch will sagen, es sei ihm durchgegangen, während er Bonnius und dem Fräulein nachschlich. Du mußt es morgen durch einen Undeutschen zurückbringen und sagen lassen, er hätte es im Walde gefunden. Rentsch weiß nicht anders, als daß ich mit einem falschen Paßbrief des von Randen, als dessen Diener, davon zu kommen suche. Aber jetzt gib mir etwas zu essen, und eine Kanne Bier, denn ich bin hungrig wie eine Laus auf eines toten Mannes Kopf. Es macht müde, Hans, so lange Zeit mit einer Schlinge um den Hals durch die Welt zu laufen. Sehr müde. Ich werde froh sein, wieder einmal ein paar 362 Wochen schlafen zu können, wie der Bär im Winterlager.«

Der Krüger brachte Speise und Trank, und beide berieten, während der Reiter Hunger und Durst stillte, wie alles am sichersten einzurichten sei. Unter dem Gelaß, in dem der Reiter saß, befand sich noch ein anderes viel größeres. In diesem hatten schon oft Flüchtlinge aller Art ein sicheres Versteck für Monate gefunden.



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