Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Als der Reiter davonjagte, blickte ihm Rentsch lächelnd nach. »Der schwarze Tönnies hat recht,« dachte er, »man kann sich auf diese wilden Gesellen verlassen. Sie schneiden ohne sich zu besinnen, einem fahrenden Kaufmann den Hals ab, aber sie halten ihr Wort wie junge Edelleute.«

Er wandte sich um und schritt dem Dorfe zu. »Warte nur, du stolzer Junker,« dachte er dann, »du sollst mir jetzt alle die Schmähworte, die du mir, als ich dich warnte, in die Suppe brocktest, aufessen; Löffel hinter Löffel, zugleich mit so viel Schande, daß du aus dem Husten und Prusten nicht herauskommen wirst. Überdies wirst du einsehen, was für einen treuen und unermüdlichen Haushalter du an deinem Hieronymus Rentsch hast.«

Als Rentsch den Krug erreichte, standen die Randenschen 363 Reiter vor der Thüre und erwarteten ihn. »Sollen wir satteln?« fragte der eine.

Rentsch nickte. »Tönnies,« sagte er dann zu dem Troßkerl, »der Rappe hat sich, während ich im Busch war, losgerissen und ist davon gegangen, aber wir haben jetzt keine Zeit hinter ihm her zu sein. Wir brauchen gleich einen Schlitten, bitte daher den Krüger, daß er uns Pferd und Schlitten leiht. Er soll sie wieder haben, ehe die Sonne untergeht. Laß dir auch ein weißes Mannshemd geben und ein paar weiße Laken.«

»Haben wir sie? Seid Ihr auf ihrer Spur?« fragten die Reiter.

Rentsch lächelte. »Der Fuchs ist im Bau,« erwiderte er »und wir sind dabei, ihm die Notgänge zu verlegen.«

Die Reiter stürmten in das Stadol, in kürzester Frist waren alle im Sattel. Ihre Gesichter strahlten vor Freude. Sie rechneten auf ein hohes Fanggeld.

Man schlich mit der größten Vorsicht und stets sichere Deckung suchend an die Scheune heran. Man konnte das alte Gebäude kaum als ein solches erkennen, denn dichter, blendendweißer Schnee bedeckte nicht nur das Dach, sondern hatte auch von drei Seiten her einen hohen Wall um das Haus geschlagen. Das Thor war geschlossen, aber vor demselben lief eine doppelte Spur über die Lichtung in den Wald. »Die eine rührt von Christopher her,« dachte Rentsch, »aber wer hat die zweite in den Schnee getreten? Bonnius wird doch nicht etwa Christopher gefolgt sein?« Er hieß einen der Reiter die verdächtige Spur verfolgen und befahl dann Tönnies sich an die Scheune heranzuschleichen. 364

Tönnies warf seinen Pelz ab, zog sich das mitgebrachte Hemd über die Kleider, verhüllte den Kopf mit dem Laken, daß nur die Augen frei blieben und kroch dann wie eine Schlange durch den Schnee. Er kam nur langsam vorwärts, denn er bewegte sich sehr vorsichtig und blieb oft lange regungslos, aber er gelangte bis an die Scheune und kroch an der Langwand derselben hin. »Sie werden darin sein,« berichtete er, als er wieder zu Rentsch zurückgekehrt war, »obgleich nur drei Pferde da sind, und ich auch nur das Fräulein sehen konnte. Es sitzt mit dem Rücken an die Wand gelehnt und sieht so abgetrieben aus wie die Mähren.«

»Klaus,« sagte Rentsch zu einem der Reiter, »suche dein Pferd auf und reite so schnell du kannst zu dem von Kongota. Sage ihm, wir hätten sie, wollten aber das Nest nicht ausheben, ehe er hier sei.«

Der Reiter entfernte sich, die übrigen hielten unbewegt hinter den sie deckenden Büschen. Es war ganz still im Walde, niemand hätte ahnen können, daß hier Verfolgte bangten, Verfolger lauerten. Kein Windhauch bewegte die Wipfel der Bäume, aber vom eintönig grauen Himmel fielen sparsame, große Regentropfen herab wie Thränen und von Zeit zu Zeit sank hier oder dort der Schnee, der auf einem Zweige lastete, schwer zu Boden. Dann klang es wie ein dumpfes Stöhnen.

Barbara war todmüde und ein Fieberfrost nach dem anderen zog eisig durch ihre jungen Glieder. Sie glaubte, daß es mit ihr zu Ende ging und sie freuete sich dessen. »Ich werde ihm dann nicht mehr im Wege sein,« dachte sie 365 »und er wird leichter entkommen können.« Ihre Gedanken verwirrten sich. Sie war wieder ein Kind und spielte mit Eilhard und Jürgen Nötken im Hofe von Kelles. Da sahen sie den von Randen auf den Hof reiten. Barbara empfand eine entsetzliche Angst vor ihm, lief spornstreichs in den Stall und versteckte sich hinter der großen Haferkiste. Hier war es ganz dunkel, aber man hörte, wie die Pferde das Heu aus den Heukörben zupften und fraßen. Barbara lauschte, aber nichts regte sich. Und doch wußte sie, daß die Verfolger sie suchten. Sie mochten wohl auf Strümpfen durch den Stall schleichen und gleich mußte eine Hand um die Ecke der Kiste greifen und sie packen. Plötzlich schnaubten die Pferde, spitzten die Ohren und blickten ängstlich nach der Wand hinter Barbara. Diese konnte das gut sehen, denn die Haferkiste war weg und die Finsternis hatte trübem Tageslicht Platz gemacht. In einiger Entfernung von sich erblickte sie drei Pferde, von denen eins lag und zwei standen. Wo konnte sie nur sein? Aber horch, da hörte sie ja die Stimme von Bonnius. Sie kam vom Boden des Pferdestalles her. Er schalt dort Christopher. »Wenn Ihr die Pferde noch einmal mit Fuchsfleisch füttert,« sagte er, »und mit Schnee tränkt, so mögt Ihr Euer Bündel packen und davon ziehen. Seht, wie die Gorren aussehen und doch wollen die Junker gleich reiten, um das Fräulein zu fangen. Vergeßt nur, wenn Ihr reitet, den Sack nicht.« Barbara fühlte, wie ihr das Herz im Leibe erstarrte. Also er, um dessentwillen sie alle diese Opfer gebracht hatte, riet jetzt dazu, sie zu töten! Aber es fand sich ein Fürsprecher! Barbara hörte, wie der Stiftsvogt in den Stall trat und 366 hinaufrief: »Daß ihr mir mein herzliebes Bärbchen in Ruhe laßt, ihr wilden Rangen! Hört ihr?« Bei diesen Worten ergriff Barbara eine furchtbare Angst, denn sie konnte ja aus der Baumhöhle, in der sie sich befand, ohne Hilfe nicht heraus. Ging nun Herr Kruse vorüber, ohne sie zu bemerken, so mußte sie rettungslos verschmachten. Sie wollte ihm zurufen, aber ihr Hals war so trocken – es kam nur ein leiser ächzender Laut über ihre Lippen. Ach und wie der Zweig, auf dem sie saß, drückte und wie entsetzlich durstig und hungrig sie war. Wenn Bonnius nur käme! Als er vorhin vorüberflog, krächzte er ihr »Brot! Brot!« zu. Er flog also nach Brot. Aber sie konnte nicht länger warten, sie mußte schlafen gehen. Was die Muhme nur damit wollte, daß sie Barbara und Anna zwang, auf so harten Betten zu schlafen. Es thaten ihnen ja alle Glieder so weh. Das war es, worüber sie so bitterlich weinen mußte.

Es war Barbara, als ob sie erwachte. Sie steckte noch immer in der Baumhöhle. Ein Häher flog heran, setzte sich neben ihr auf einen Zweig und kreischte laut: »Warte, warte!« Dann flog er davon und Barbara sah deutlich das Blau in seinem Flügel. Es war nicht hübsch von dem Vogel, daß er sie so verhöhnte. Wie die Pferde wieder unruhig wurden. Barbara konnte es hinter der Haferkiste deutlich hören. Sie fürchteten sich offenbar vor den Junkern, die leise heranschlichen, um Bärbchen zu fangen. Es waren auch die Junker von Kongota dabei, Barbara erkannte die Stimme des älteren, obgleich er leise sprach. Und der, der da eben sagte: »mögen sie, in solchen Händeln trägt ein jeder sein Leben zu Markt« ist der Vater der Junker. 367

Bruno von Thedingsheim riß das Thor auf und stürmte zugleich mit dem von Rosen, mit seinen Söhnen, mit Rentsch und den übrigen Reitern herein. »Wo ist der Schreiber?« schrie er Barbara zu, die ihn entsetzt anstarrte. Sie wollte aufspringen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Der von Kongota beugte sich zu ihr nieder. Er ergriff ihren Arm und schüttelte sie. »Landstreicherin,« rief er, »wo ist dein Buhle?«

»Edler Junker,« rief der von Rosen, und fiel dem Zornigen in den Arm, »sie ist krank, seht wie entsetzlich sie aussieht.«

Der von Kongota zog den Arm zurück. »Ihr mögt recht haben,« erwiderte er beschämt.

»Barbara,« fragte Walter Thedingsheim, indem er Barbara die Hand hinhielt, »könnt Ihr Euch aufrichten?«

Barbara wies die Hand zurück. Sie überlegte, ob sie in Bonnius' Interesse besser that, sich willig fortführen zu lassen oder ob sie, um ihn zu warnen, laut um Hilfe rufen sollte. Sie verwarf das letztere. War er in der Nähe und hörte er sie rufen, so kam er erst recht herbei. Nein, sie mußte alles aufbieten, damit ihre Fortführung sich möglichst geräuschlos und schnell vollzog. Sie richtete sich auf und erhob sich.

»Wo ist der Schreiber?« fragte der von Kongota wieder.

»Er ist davon,« erwiderte sie. »Sie glaubten, ich sei tot von Kälte und Hunger, ich aber hörte alles. Sie faßten den Rat sich zu trennen. Bonnius wollte nach Pernau, Christopher nach der Dünaburg und von dort zu den Polen.«

»Und wann brachen sie auf?« fragte der von Kongota. 368

»Sobald der Sturm vorüber war.«

»Das ist alles gelogen,« rief der Junker, »aber nun, es ist gut, daß wir wenigstens Euch haben. Bringt den Schlitten herbei.«

Barbara wollte auf die Thüre zuschreiten, aber ihre Kräfte versagten. Sie wankte und wäre zu Boden gestürzt, wenn die beiden jungen Herren sie nicht aufgefangen hätten.

Der von Kongota hätte Barbara, als er sie zuerst erblickte, am liebsten gleich erstochen. Das Mädchen hatte seiner Meinung nach ein todeswürdiges Verbrechen begangen und durch ihre Flucht mit einem schlechten Gesellen ihrem und seinem Geschlecht eine unauslöschliche Beschimpfung zugefügt. Als er sie aber jetzt umsinken sah und in ihr von Kälte, Hunger und Sorge furchtbar entstelltes Gesicht blickte, siegte der Adel seiner Seele ohne weiteres über den Adel seiner Geburt und er war um die Geächtete für den Augenblick ebenso besorgt, wie wenn sie noch die allseitig umworbene Rose von Kelles gewesen wäre. Er und seine Söhne trugen das Mädchen in den Schlitten, betteten es in demselben so gut es ging und deckten es mit einer Pelzdecke zu. Dann folgten sie und der Herr von Rosen dem Schlitten, während Rentsch die Verfolgung des Schreibers und des Reiters in die Hand nahm.

»Großer Gott,« sagte der von Kongota zu dem neben ihm reitenden ältesten Sohne, »wenn mir vor vier Wochen jemand gesagt hätte, daß wir des seligen Johann von Thedingsheim Tochter in Manneskleidern gefangen einbringen würden wie eine Landstreicherin, die einem trunkenen Junker die Kette vom Halse stahl und mit ihr davon ging!« 369

»Vater,« sagte Walter Thedingsheim, »wäre es nicht besser gewesen, wir hätten sie nicht gefangen?«

Der von Kongota wurde wieder zornig. »Wäre es dir denn recht,« fuhr er auf, »wenn eine von Thedingsheim einmal irgendwo auf der Landstraße aufgegriffen würde? Hast du denn gar kein Ehrgefühl, Junge? Fühlst du denn nicht, wie die Dirne uns, unser Geschlecht, den ganzen Adel, das gesamte Land beschimpft hat?«

Der Sohn schwieg. Er fühlte, daß jetzt noch jede Fürsprache Öl ins Feuer gewesen wäre.

»Nein,« nahm der von Kongota nach einer Weile wieder das Wort, »sterben muß sie, aber bis dahin wollen wir sie halten, wie es einem Fräulein aus unserem Geschlecht zukommt.«

Auf dem Gute fand Barbara alle Pflege. Die Frau von Rosen sah zwar in ihrer Flucht, wie alle anderen, ein mit dem Tode bedrohtes und todeswürdiges Verbrechen, aber sie nahm sich des kranken Mädchens mildthätig und barmherzig an. Man brachte Barbara zu Bett und that alles, was die Erfahrung an die Hand gab, um ihr wieder zu Kräften zu verhelfen.

Der Reiter, der dem von Randen die Kunde von der Gefangennahme seiner Schwester bringen sollte, fand den Junker in einem Kruge, in dem derselbe von der vergeblichen Hetzjagd ausruhte. Als der Junker den Reiter eintreten sah, sprang er auf. »Habt Ihr sie?« rief er.

»Wir haben das gnädige Fräulein,« war die Antwort.

Ein schwerer Seufzer drang durch das Zimmer. Er wurde von dem Stiftsvogt ausgestoßen, der im Hintergrunde an einem Tische saß. 370

Der von Randen war totenblaß geworden. »Und der Schreiber?« fragte er.

»Er und der Reiter sind verschwunden, als ob die Erde sie verschlungen hätte.«

Der Reiter erzählte nun von der Gefangennahme Barbaras. Nach derselben hatte man die Spur des einen ihrer Genossen bis zum nahen Waldwege, die des andern aber bis zu einem tief in der Wildnis liegenden kleinen See verfolgt. Von da ab war jede Spur verschwunden, doch war Rentsch entschlossen gewesen bis nach Riga zu reiten.

Als der Reiter des von Kongota erwähnte, stampfte der von Randen zornig auf den Fußboden und biß sich auf die Unterlippe. Jetzt sagte er: »Es ist gut so. Geht und laßt Euch etwas zu essen geben. Vor zwei Stunden können wir nicht reiten.«

»Daß mich aller Welt Plage bestehe!« hieß es dann, sobald der Reiter das Zimmer verlassen hatte, »Rentsch soll zur Hölle fahren. Warum hat er die Dirne nicht selbst gefangen und zu mir gebracht! Ich müßte den von Kongota schlecht kennen, wenn er nicht durch des Mädchens Thränen in kurzer Zeit so weich wird wie eine Zipollenjungfer, deren Lieblingshuhn geschlachtet werden soll.«

»Jürgen,« meinte der Stiftsvogt, »du solltest deine Hände von diesem Handel lassen. Das, was das Mädchen that, ist gegen den Pernauer Schluß und das Geschlecht mag sie richten, aber dir stände es übel an, wolltest du mit eigner Hand den Stab brechen über deine leibliche Schwester.«

Der von Randen zuckte die Achseln. »Ihr verfahrt als ein rechter Christ, edler Herr,« erwiderte er »und haltet der, 371 die Euch und Euren Sohn auf die rechte Wange schlug, auch die linke hin. Das ist sehr fromm, ich aber, ich halte es mit dem: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹. Meine Ehre hat sie beschimpft, ich will mich auch an ihr rächen.«

Der Stiftsvogt hielt die scharfe Abweisung der Aufregung zu gut, in der sich der Junker befand und schwieg. »Leb wohl,« sagte er nach einer Weile, indem er sich erhob, »die Jagd ist zu Ende und der Strecke will ich diesmal fern bleiben.«

»Reitet Ihr zu Elert?« fragte der von Randen.

»Ja,« war die Antwort. »Ich will ihn mitnehmen nach Dorpat.«

Die beiden schüttelten sich die Hand. Nach einer Viertelstunde saß der von Kelles im Sattel und ritt langsam dem Gute zu, auf dem sein Sohn krank darniederlag. Er dachte daran, wie alles so ganz anders gekommen war, als er gehofft hatte. Was war aus dem traulichen Familienkreise geworden, in den Elert aus Deutschland zurückkehrte! Was aus Herrn Kruses Hoffnung, einmal Eilhard und Barbaras Nachkommen im Besitz des Gesamthandrechts den fünf großen Familien gleichgestellt zu sehen!

Herr Kruse schüttelte traurig den Kopf.

Als er den Hof erreichte, auf dem Eilhard eine Unterkunft gefunden hatte – er gehörte auch einem Rosen –, eilte Jürgen Nötken herbei. »Hat man sie?« fragte er.

Der Stiftsvogt nickte. »Bärbchen,« sagte er, »ihn nicht.«

»Gottes Tod!« stieß Jürgen hervor.

»Wie geht es Elert?« 372

»Die Kopfpein plagt ihn bei Tag und bei Nacht. Daß mich aller Welt Plage bestehe – Bärbchen haben sie!«

»Versteht er es, wenn man zu ihm redet?«

»Ja, alles. Und der verdammte, höllische Schurke hat sie im Stich gelassen und hat Fersengeld gegeben?«

»Komm Jürgen, ich will euch erzählen, was ich weiß.«

Als sie die Kammer betraten, in der Eilhard darniederlag, richtete sich dieser im Bett auf und blickte den Vater aus großen, starren Augen an. »Habt ihr ihn?« fragte er.

»Nein Elert, ihn nicht. Er und Christopher sind davon, als ob die Erde sie verschlungen hätte.«

»Und sie?« kam es heiser über Eilhards Lippen. Seine Augen ruhten in höchster Spannung auf dem Munde des Vaters.

Der Stiftsvogt nickte. »Sie ist gefangen.«

Eilhard schnellte aus dem Bett und griff nach seinen Kleidern. Der Vater ergriff seinen Arm und hielt ihn zurück.

»Wohin? Was willst du?« rief er.

»Zu ihr, zu Jürgen,« war die Antwort. »Ich kenne ihn, er wird sie säcken lassen.«

»Bleib nur, Elert, so schnell geht das nicht, der von Kongota hat sie in Gewahrsam. Auf mein adlig Wort! Du kennst den ritterlichen Herrn, er wird nicht dulden, daß man sie kurzer Hand bei Seite bringt. Man wird mit ihr den Weg des Rechtes gehen. Die Familie wird über sie zu Gericht sitzen und mit ihr verfahren nach Urteil und Recht. Lege dich wieder hin, Elert, so. Du kannst da ja jetzt nichts thun, weder mit Hü! noch mit Hott!« 373

Der Kranke wandte sein Gesicht der Wand zu und der von Kelles erzählte, was er von Barbaras Gefangennahme wußte. »Ich habe es mir wohl gedacht, daß sie nicht entkommen würde,« schloß er, »denn der ganze Adel war auf den Beinen. Hätten sie damals, als es galt den Tatern die Zähne zu weisen, so schnell satteln lassen wie jetzt, wo es sich um ein flüchtig Mägdlein handelte, so stünden unsere Dörfer noch unverletzt.«

»Oheim,« sagte Jürgen, »was werden sie mit ihr machen?«

Herr Kruse zuckte die Achseln. »Sie hat gehandelt wider den Pernauer Beschluß,« erwiderte er und blickte ängstlich auf Elert, aber dieser bewegte sich nicht.

Herr Kruse stand auf und ging mit über die Brust gekreuzten Armen im Zimmer auf und nieder. »Wir haben keinen Grund ihre Eideshelfer zu sein,« sagte er nach einer Weile. »Sie hat alle unsere elterliche Liebe und Sorge damit vergolten, daß sie mit unserem Diener davonging und während sie schon mit dem schurkischen Knecht heimlichen Umgang pflog, hat sie mit dir noch schön gethan.«

Elert stöhnte.

»Noch als wir aufbrachen, hat sie mir einen Judaskuß gegeben,« fuhr Herr Kruse fort »und dir, Elert, versprochen, daß sie dein Weib werden wolle, wenn wir zurückkämen. Und das, während die Pferde schon unterwegs waren, die sie davon tragen sollten!«

»Gottes Tod! Ja, sie hat an uns gehandelt wie ein Schelm,« rief Jürgen. »Wenn sie den Elert nicht wollte, waren da nicht genug Stattliche vom Adel, so daß sie nicht 374 nötig hatte am Schloß vorüberzueilen und im Kruge einzukehren?«

So redeten die beiden, aber in des Stiftsvogts Herzen war das Mitleid übergroß mit dem einstigen Liebling, der ein so schmähliches Ende finden sollte.

Eilhard sprach kein Wort, aber in seinem Herzen ging es um so lauter zu in Angriff und Verteidigung. Das Unrecht, das ihm zugefügt war, war ganz unerhört, seine Liebe war verhöhnt worden, wo er Freundschaft bot, erhielt er Feindschaft zurück. Und doch – und doch. Jetzt, wo sie von allen verlassen, wo sie gefangen war und einem elenden Tode entgegenging, jetzt war sie ihm teurer als je vorher. Er kannte den von Randen, Barbara war verloren, wenn sie nicht noch einmal die Flucht ergreifen konnte. Eilhard hörte wieder den grausigen Fluch der tollen Käthe, er wußte, daß Jürgen Thedingsheim im Banne desselben stand. Der Junker machte gewiß keinen Versuch ihn abzulenken, ihn zu schanden zu machen. Er nahm ihn hin, wie ein furchtbares, aber unabwendbares Geschick, dem er trotzig und ungebrochen entgegenging. Er war den Wölfen verfallen, seiner Väter Schloß dem Feuer – wohl, aber die Schwester auch den Fischen. Sie sollte ihnen nicht entgehen.

Nein, es gab für Bärbchen keine andere Rettung, als die Flucht. Aber wer sollte ihr dazu verhelfen. Er? Eilhard? Er, den sie beschimpft, den sie verhöhnt hatte? Nein, nimmermehr. Aber wer sonst? Und dann – was sollte mit ihr geschehen, wenn sie entkam? Sollte er ihr behilflich sein, ihren Bonnius wieder aufzusuchen? 375

So sann Eilhard, während sein Vater und Jürgen neben seinem Bett leise mit einander sprachen. »Auf dem Landtage,« sagte der erstere, »haben sie doch endlich Vernunft angenommen und beschlossen das Geld mit aller thunlichen Eile aufzubringen. Christopher Lustfer soll nach der Moskau um einen zarischen Geleitsbrief, sobald er zurück ist, soll die Gesandtschaft in die Sättel.«

»Wen haben sie gewählt?«

»Des Meisters Vetter Goddert Fürstenberg, Klaus Frank, den Sekretarius Simon Grasmann und Melchior Grothus als Tolk von wegen des Ordens. Im Namen und von wegen unseres gnädigen Herrn sollen Johann Taube, Blasius Becke und Friedrich Groß reiten.«

»Wird man das Geld aufbringen, Oheim?«

»Sei ohne Sorge, Jürgen. Jetzt, wo ihnen ihrer Häuser Dächer geleuchtet, haben sie des Reußen Schrift wohl lesen können.«

Am anderen Morgen erklärte Eilhard wider alles Erwarten, reiten zu können, und da er, trotz allen Abredens dabei blieb, brach man auf. Von Barbara war mit keinem Wort mehr die Rede.

Als Eilhard in Dorpat die Mutter wiedersah, drückte sie ihm kräftig die Hand. »Du wirst gerächt werden,« sagte sie. Er blickte sie aus seinen großen Augen ernsthaft an, sprach aber kein Wort, sondern beugte sich nur auf ihre Hand herab und küßte sie. Dann ging er.

Die Mutter blickte ihm lange nach. Wie wunderbar unzugänglich konnte er doch sein! Selbst für sie.

Am Nachmittag bat Eilhard Anna für einen Augenblick 376 auf sein Zimmer zu kommen. Sie blickte ihn gespannt an und folgte ihm willig. Draußen ging der erste warme Regen nieder, der Frühling setzte eben den Fuß ins Land.

»Anna,« sagte Eilhard, sobald er die Thüre hinter sich zugezogen hatte, »willst du ruhig zusehen, wie sie Barbara erwürgen?«

»Um Gotteswillen Elert,« rief Anna, »meinst du, daß sie das thun werden?«

»Ganz gewiß, Anna. Sie hat es auch nicht anders verdient, aber es darf trotzdem nicht geschehen. Nicht wahr, es darf nicht sein?«

»Was sollen wir thun, Elert?«

»Wir müssen ihr zur Flucht verhelfen. Wie das geschehen soll, weiß ich noch nicht, aber es muß geschehen. Vater wird uns um der Mutter willen nicht helfen, aber ich rechne auf die Ahne, auf Walter Thedingsheim, auf Westermann, auf dich. Wir müssen sie retten, und sollte ich Leib und Leben darüber lassen.«

»Elert,« rief Anna, »das wolltest du thun? Du, den sie verschmähte, verriet, verhöhnte?«

»Das ist das schlimmste nicht,« erwiderte Eilhard, »das böseste ist, daß sie mir die Mutter so traurig verwandelte. Erkennst du sie wieder, Anna, mit dem Gesicht so hart und streng wie das einer Steinfigur am Dom, mit dem kalten Blick, ohne Teilnahme und Mitleid? Aber trotz alledem Anna, trotzdem, daß sie die Mutter verstörte, mich verriet, sich und ihr Geschlecht beschimpfte, sie soll nicht sterben wie eine Dirne. Gott wird sie richten, die Menschen aber sollen es nicht.« 377

»Anna,« fuhr Eilhard fort, als das junge Mädchen schwieg, »ich habe sie geliebt von dem Tage an, wo ich zuerst dem Kinde das Goldhaar über die Stirn fallen sah, und ich werde sie lieb haben, so lange ich atme. Nein, ihre lieben blauen Augen soll einmal eine Menschenhand zudrücken, die Hand sei, wessen sie wolle.«

Anna blickte ihn noch immer unverwandt an. Um des Mädchens willen, das ihn nie geliebt, das ihn verschmäht und verspottet hatte, wollte er keine Gefahr scheuen und alles daran wagen es zu retten! Wie leicht war es dagegen, wenn sie ihr Leben um deswillen aufs Spiel setzte, der sie ja zwar auch nicht liebte, wie der Mann das Weib, der ihr aber immer ein liebevoller Bruder und Freund gewesen war!

»Elert,« sagte sie, »es ist mir, als ob ich den Weg sähe, den wir zu gehen haben. Ich las einmal von einem engelländischen Grafen, den hatte der König von Engelland gefangen und hielt ihn in einem Turm in harter Haft. Sein Weib aber sann bei Tag und bei Nacht, wie sie ihn freimachen könnte. Zuletzt ging sie zum Könige und sprach, sie wisse wohl, daß der Graf sterben müsse, aber sie bäte, man möchte sie noch einmal zu ihm lassen. Als nun der König ihrer Bitte nachgab, that sie ein Schermesser in ihre Tasche. Damit schnitt sie ihrem Manne Haar und Bart ab und tauschte mit ihm die Kleider. In ihren Gewändern ist er dann entronnen.«

Eilhard erhob beide Arme. »Gott segne dich, Anna,« rief er, »den Gedanken gab er dir ein. Aber nein, Anna, es geht doch nicht. Jener König von Engelland hatte 378 Mitleid mit dem tapferen Weibe und ließ es ungekränkt von dannen gehen, der von Randen aber würde dich erwürgen statt Barbaras.«

»Das sollte mich nicht abhalten,« erwiderte Anna, »aber ich meine, in Randen würde man mich überhaupt nicht zu ihr lassen. Soll unser Anschlag gelingen, so muß es geschehen, so lange sie noch in Kongota ist.«

»Anna,« rief Eilhard, indem er das Mädchen umarmte, »wir werden sie retten.«

»Und was dann?«

»Dann wird der Pastor Westermann schon Rat schaffen. Bei ihm müssen wir sie verbergen, er wird uns auch sagen, was dann geschehen soll. Er hat mir von einer Schwester erzählt, eines Pfarrers in Finnland Weib. Vielleicht kann Barbara dorthin. Und nun Anna, tausend Dank und abertausend. Ich kenne dich, so zart du bist, wenn es gilt, bist du hart wie Stahl.«

Er umarmte das Mädchen und küßte es auf die Stirn. Dann stieß er beide Fensterflügel auf und beide lehnten sich neben einander hinaus und atmeten die feuchte, warme Luft in tiefen Zügen.

»Wie das Fräulein und unser Junker sich gleichen,« sagte ein Stallknecht, der am Brunnen Wasser in den Eimer laufen ließ, zu der neben ihm stehenden Magd.

»Ja, aber beide sind so blaß wie der Tod,« gab die Dirne zur Antwort, spie sich auf die Handflächen und ergriff die Eimer, um sie in die Küche zu tragen. –

Noch am Abend dieses Tages suchte Eilhard den Pfarrer auf und weihte ihn, nachdem er sich von ihm hatte 379 Verschwiegenheit geloben lassen, in seine Pläne ein. Westermann wollte anfangs nichts davon wissen, aber er widerstand schließlich dieser Bitte aus diesem Munde nicht. »Gerechter Gott,« rief er, »sündige ich wider deine Gebote, indem ich diesem Jüngling zu willen handele, verzeihe es mir um deines lieben Sohnes wegen. Daraus, daß du diesem Junker einen solchen Edelmut, der doch wieder alle natürliche Art unseres sündhaften und verderbten Geschlechtes ist, ins Herz gelegt hast, meine ich zu erkennen, daß du dem armen, verleiteten und verführten Mädchen noch eine Gnadenfrist zugedacht hast, ob sie nicht ihre Sündhaftigkeit erkennen, an dich glauben und sich bessern wolle.«

Am folgenden Tage rief eine geheime Botschaft Walter Thedingsheim herbei. Auch er wollte anfangs nichts von dem Plane wissen. »Es ist unmöglich,« rief er, »mein Vater haftet dem von Randen mit seiner Ehre dafür, daß das unglückliche Mädchen nicht entkommt.« Als aber Eilhard ihm von Annas hochherziger Absicht erzählte, wurde er erst schwankend und gab dann nach. »Was sie will, kann nicht schlecht sein« rief er. Man kam übrigens dahin überein, seinen Anteil an der Flucht nach Kräften zu beschränken. »Mein Vater würde es mir nie verzeihen,« sagte der Junker, »wenn er erführe, daß ich meine Hände auch dabei hatte. Aber wie gesagt, um des Fräuleins von Nötken willen will ich thun, was geschehen muß.« 380



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