Theodor Hermann Pantenius
Die von Kelles
Theodor Hermann Pantenius

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Der Sommer dieses Jahres war unerhört trocken und heiß und wer im Lager von Kirrempä nicht hinausmußte, der hielt sich, so lange die Sonne am Himmel stand, still in seinem Zelt oder in seiner Laubhütte. Auch Eilhard hatte den Tag über das Zelt nicht verlassen, während Jürgen schon am Nachmittag fort mußte, denn die von Dorpat hielten heute die Wache und Jürgen war zu derselben 432 herangezogen. Der Stiftsvogt aber war in Dorpat, wo der Landtag darüber beriet, wie dem Lande zu helfen wäre.

Das Lager hatte eine sehr günstige Lage, denn von der einen Seite lehnte es sich an einen tiefen Bach mit moorigem Ufer, von rechts und links dehnten sich unzugängliche Moräste aus und an der vierten Seite deckte das Schloß den Zugang über eine lange Wegbrücke, die von den Kanonen bestrichen werden konnte. Überdies hatte man noch eine Wagenburg rings um die Zelte aufgeschlagen. So fühlte man sich denn im Lager ganz sicher.

Vor dem Kruseschen Zelt hatte man eine einfache Holzbank errichtet und auf dieser nahm Eilhard jetzt Platz. Die Sonne ging eben unter und im Lager wurde es lebendig. Auf den freien Plätzen zwischen den Zeltgassen loderten überall Feuer auf, an denen die Reiter zusammensaßen, die einen würfelnd, die andern beim Brettspiel, die dritten zechend und singend. Hin und wieder hörte man in größerer oder geringerer Entfernung ein Pferd wiehern, Hunde bellten und von der Stätte her, wo die Sudler ihr Quartier hatten, ertönte das Brüllen der Rinder, die da zusammengetrieben waren, um geschlachtet zu werden.

Die zuletzt genannten Töne riefen in Eilhard ein wehmütiges Erinnern an Kelles wach. Wie war es schön gewesen, wenn die von Kelles sonst an solchen Abenden unter der Linde saßen, während das Vieh zum Thor hineindrängte und wie hatte Barbara sich freuen können, wenn sie endlich ihren rot und weiß gescheckten Liebling gewahr wurde.

Nun waren die blauen Augen, die in solchen Augenblicken so fröhlich blitzten, für immer geschlossen. 433

Wer damals geahnt hätte, daß einmal alles so kommen würde! Wenn Barbara ihn geliebt hätte, wie glücklich hätten sie sein können! Seltsam, sie, der jeder Schlag seines Herzens gehörte, mochte ihn nicht leiden, während ihr Bruder und Todfeind, den er nie besonders mochte, mit unbegreiflicher Liebe an ihm hing und alles aufbot, um wieder eine Annäherung anzubahnen.

In der nächsten Lagergasse saß ein junger Reiter, dem war so recht fröhlich ums Herz, darum sang er ein traurig Lied. Er sang aber also:

O, du mein herzallerliebster Schatz!
Ein Brünnlein hör' ich springen.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Mit Freuden mag er singen.

O, du mein herzallerliebster Schatz!
Ein Blümlein seh ich sprießen.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Der mag sein wohl genießen.

O, du mein herzallerliebster Schatz,
Nun geht es an ein Scheiden!
Wer einen lieben Buhlen hat,
Viel Kummer muß er leiden.

O, du mein herzallerliebster Schatz,
Sie haben dich erschlagen!
Wer einen lieben Buhlen hat,
Der muß wohl ewig klagen.

O, du mein herzallerliebster Schatz!
Ein Glöcklein, das that klingen. 434
Wer einen lieben Buhlen hat,
Das Herz muß ihm zerspringen.

O, du mein herzallerliebster Schatz!
Ein Blümlein that verderben.
Wer einen lieben Buhlen hat,
Mit Freuden mag er sterben.

Der Reiter hatte eine hübsche Stimme und die Wort klangen deutlich zu Eilhard herüber. Eilhard sprang auf. Das Mädchen hatte gut trauern, der, den sie erschlagen, hatte mit dem Gedanken an sie zum letztenmal die Augen geschlossen.

Eilhard ging die Zeltgasse hinab dem Fluß zu. Als er an das Ufer trat und auf das schwarze Wasser blickte, erinnerte es ihn an den Schloßteich von Randen. Er kehrte schnell um und ging die Straße wieder hinauf. Ob der von Randen den Leichnam der Schwester wohl wieder hatte aus dem Wasser ziehen und christlich begraben lassen? Oder ob es gekommen war, wie die tolle Käthe prophezeit hatte? Eilhard verdoppelte seine Schritte. Er mußte an etwas anderes denken, die peinigenden Bilder los werden, die seine Phantasie erfüllten. Er verließ den Teil des Lagers, in dem die von Dorpat hausten und betrat die Abteilung des Ordens. Von einem der Lagerfeuer erklang es hier:

Wir haben keine Sorgen
Wohl um das röm'sche Reich.
Es sterb' heut oder morgen,
Das gilt uns alles gleich. 435

Und ging es auch in Stücke,
Wenn nur das Heu gerät,
Draus drehen wir ein Stricke,
Der es zusammen näht.

Lautes Gelächter begleitete den Refrain. »Großer Gott, dachte Eilhard, »was ist denen an Livland gelegen.«

Er ging weiter. Die Sonne war untergegangen, aber in der herrlichen Juninacht war es immer noch hell genug, um alle Gruppen unterscheiden zu können. Um eines der Feuer saß ein Kreis von Reitern, die ließen ein großes Horn unter sich umgehen und jeder mußte ein Lied singen. Der, der jetzt an der Reihe war, ein großer, blonder Mann, legte das Barett ab, fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn und hob also an: »Von einem Hauptmann und einem festen Hause.« In der Weise: »Die Landsknecht waren nicht zu faul.«

Es hielt ein Hauptmann wohlgemut
Auf einem großen Pferden:
Komm heran, komm heran du Reuße gut
Das Haus soll dir nicht werden.

Lieber Hauptmann, gib das Haus mir auf
Darauf muß ich feste bestehen,
Viel ungarisch Gulden zahl' ich drauf,
Kann sein nicht ledig gehen.

Lieber Großfürst, ich hab geschwor'n einen Eid
Ich kann das Haus nicht aufgeben
Thät ich es doch, es wäre mir leid
Sie brächten mich um mein Leben. 436

Lieber Hauptmann, viel Zobel, Gold und Tand
Die sollen dir wohl taugen
Halt du nur immer hin deine Hand
Wenn du siehst meine klaren Augen.

Lieber Bischof, Eure Hochwürdige Gnad!
Der Reuße, der thut nicht weichen,
Dagegen er uns gelobet hat Gold,
Häuser und dergleichen.

Lieber Hauptmann, ich bin ein alter Mann,
Ich kann nicht reiten und streiten,
Drum sollst du reichen Lohn noch han,
Kannst du mir Ruh bereiten.

Lieber Stiftsvogt, der Reuße hat großen Mut,
Er trachtet uns nach dem Leben,
Doch stecke ich schnell auf den Hut,
Will er Zobel und Häuser uns geben.

Lieber Hauptmann, ich habe reiche Hab,
Die will ich nicht lassen verderben,
Drum zieh nur schnell vom Hause ab,
Woll'n Zobel und Häuser erwerben.

Es hielt ein Hauptmann wohlgemut
Auf einem großen Pferden:
Komm heran, komm heran du Reuße gut,
Das Haus soll dir doch werden.

Der Herrmeister kam wohl auf das Haus,
Er nahm den Schelm beim Kragen,
Er führt ihn aus dem Thor hinaus,
Eine Ketten mußt er tragen. 437

Lieber Bischof, Euer Hochwürdige Gnad!
Lieber Stiftsvogt, helft mir zum Leben
Ein jeder ja geraten mir hat,
Das Hans sollt ich aufgeben.

Zwei Reiter ritten hinaus zum Thor,
Die hörten nicht auf sein Klagen,
Die beiden hatten Wolle im Ohr
Und zogen darüber die Kragen.

Lieber Hauptmann, halt nun hin dein Bein
Und thu' auf die Bank dich strecken,
Es kommt in den spanischen Stiefel hinein,
Den Leib, den wollen wir recken.

Lieber Henker, wie ist so hart deine Hand
Daß thut mich baß verdrießen!
Dem Bischof, dem Stiftsvogt ewige Schand
Und ein ewig klagend Gewissen.

Gar mancher wohl schon zu scheitern ging,
Der Pfaff und Junker vertraute,
Mit dem Feinde Sprach zu halten anfing,
Auf Gott allem nicht baute.

Und wer verkündet diese Mär?
Wer hat dies Lied gesungen?
Es kam wohl frisch aus Deutschland her,
Manch Lied ist ihm gelungen.

Eilhard hatte dem Liede mit steigender Erbitterung zugehört und er war eben im Begriff sich auf den Sänger zu stürzen, als in der Ferne ein Schuß fiel und gleich darauf das »Her! Her!« der Landsknechte von einer Lagergasse 438 zur anderen erscholl. Der Junker blieb erschreckt stehen, die Reiter sprangen auf, alle lauschten. »Her. Her!« hörte man jetzt deutlich, »zu den Waffen, ihr frommen Reiter! Die vom Orden sind mit den Stiftischen über einen Haufen. Her! Her!« Die Reiter stürzten in die Zelte, um ihre Waffen zu holen, Eilhard aber lief, so schnell er konnte, dem Schauplatz des Tumultes zu. Dieser lag außerhalb der Wagenburg, dort, wo eine Wegbrücke in der Richtung nach Neuhausen in der Arbeit war. In dem Durchgang zwischen den Wagen, der hier aus dem Lager führte, drängten sich fragend, drohend, fluchend stiftische Edelleute und ihre Diener, Reiter und Hofleute des Ordens, und Ordensherren zu Fuß und zu Pferde wirr durcheinander und eilten auf der Brücke hin dem Menschenknäuel zu, in dessen Mitte Schwerter blitzten und Schüsse fielen. »Da ist auch einer von des verdammten Pfaffen Verrätern,« hörte Eilhard neben sich ausrufen und sah sich gleich darauf von zwei Reitern des Ordens mit wilder Wut angegriffen. Zugleich klirrten ringsumher Schwerter gegeneinander, ein Faustrohr wurde dicht neben Eilhard abgeschossen, ein schwerer Stein sauste hart an seinem Ohr vorüber. Es gelang ihm, dem einen der Angreifer durch den Arm zu stoßen, daß der Arm herabsank und das Schwert zu Boden fiel, aber der andere hätte ihm unterdessen den Kopf gespalten, wenn ihm nicht das Schwert des von Randen, der plötzlich neben Eilhard trat, die Achselader durchhauen hätte.

»Haben sie dich gewundet?« fragte Jürgen Thedingsheim besorgt.

»Nein,« erwiderte Eilhard. 439

»Her! Her!« erklang es rings um die beiden. »Schlag zu, Elert,« rief der von Randen, »ich will für Deckung sorgen. Die Schurken sehen, daß sie zwanzig gegen zwei sind, daher die Kourage, aber noch ist meine Stunde nicht gekommen und es soll noch mancher von den Kerlen ins Gras beißen, ehe sie uns unterkriegen.«

»Krüdner, hierher, Dücker, hierher! her zu uns, Plettenberg! Wir wollen den Pfaffen die Kutten klopfen, daß die Motten nicht aus noch ein wissen. Rücken gegen Rücken, Kinder, so – Bremen hierher – Wir wollen einen Igel bilden, an dessen Stacheln sich die Kerle die Mäuler wund beißen sollen.«

»Recht so, Klaus, der soll das Aufstehen vergessen. Daß dich aller Welt Plage bestehe! wo traf es Heinrich? Tritt zurück und laß Elert Dücker neben mich treten. Ist das Bein hin? Gebückt, Elert! So – da – da – Mit euch wollen wir schon fertig werden. Heda, ihr da – seid ihr nicht des von Kursel Diener? Gebt Raum, der Mann ist stiftisch. Haltet eng zusammen, denn da kommt des Ordens Schaffner, und der Tanz könnte jetzt heiß werden.«

Der von Hövelen, des Ordens Schaffner, erschien jetzt in der That mit einer geschlossenen Schar von mehr als fünfzig Reitern auf dem Kampfplatz. Als er auf die Junker traf, hielt er. »Edle Herren,« rief er, »was geht hier vor? Warum wird gekämpft?«

»Das müßt Ihr Eure Reiter fragen,« erwiderte Jürgen Thedingsheim. »Wir wurden von ihnen ohne allen Grund schelmischerweise angegriffen.« 440

»Das lügt der Junker in seinen Hals hinein,« schrie einer der Reiter, »die Junker haben zuerst vom Leder gezogen.«

»Gerechter Gott,« rief der von Hövelen, »sind wir auf einem Wackenfest, daß ihr miteinander zum Zeitvertreib rauft! In jedem Augenblick kann der Reuße uns über den Hals kommen.«

Alle Gebietiger des Ordens waren nach und nach auf dem Schauplatze des Tumultes erschienen, und es gelang ihnen endlich, die Kämpfenden auseinander zu bringen. Als man endlich nach der Ursache des Kampfes forschte, stellte sich heraus, daß der Komtur von Marienburg bei einem Umritt die äußerste Wache schlafend gefunden hatte. Als er nun den Trunkenen mit sich nehmen wollte, widersetzten sich die übrigen Stiftischen, es kam darüber zu harten Worten, und endlich ging von einer der beiden Seiten her – von welcher ließ sich nicht mehr ermitteln – ein Faustrohr los. Damit war das Signal zum Kampf gegeben.

Dieser wurde jetzt eingestellt, aber die Erbitterung war auf beiden Seiten groß. Die vom Orden bezichtigten die Stiftischen offen des Verrats, die von Dorpat erblickten in allem diesen nur eine rohe, durch nichts hervorgerufene Vergewaltigung. In zwei geschlossenen Haufen zog man endlich ins Lager.

»Horch?« sagte der von Randen, als es wie ferner Donner über die Wälder rollte, »die Reußen vor Neuhausen schießen wieder.«

»Sie sollen sich an dieser Nuß die Zähne zerbrechen,« erwiderte Elert Dücker. »Jürgen Üxküll von Padenorm 441 versteht das Handwerk, und die achtzig Deutschen, die er mit sich führt, sind auserlesene Leute. Der Herrmeister hat gut gethan, daß er nicht einen seiner Herren Gebietiger als Hauptmann an des Lustfer Statt auf das Haus gethan, sondern einen vom Adel. Das soll der Reuße wohl merken.«

Man trennte sich und suchte die Zelte auf. Jürgen Thedingsheim ging schweigend neben Eilhard her. »Elert,« sagte er, als sie das Krusesche Zelt erreicht hatten, »den Baum, der einmal umgehauen wurde, macht niemand wieder grün und die Toten keiner lebendig. Wir sollten wieder Freunde sein, Elert. Die, um die du trauerst, hatte es nicht besser verdient, aber selbst, wenn es anders gewesen wäre, hin ist hin und mit verbranntem Heu kannst du die Ochsen nicht füttern. Schlag ein, Elert. Wir wollen wieder sein, was wir waren, treue Kriegsgesellen, bis – bis die Wölfe zu ihrem Recht kommen.«

Es war schon ganz hell geworden und die Sonne mußte bald aufgehen. Die Augen des von Randen blickten in diesem Augenblick mit einem ihnen sonst völlig fremden Ausdruck von Weichheit, und sie sahen Eilhard an wie einst die Barbaras in jener anderen Sommernacht vor dem Aufbruch zum Ritt ans Meer. Er schauderte.

»Jürgen,« erwiderte er, »verlange nicht, was unmöglich ist. Sie mochte es nicht besser verdient haben, und du mochtest nur thun, was zu thun du schuldig warst – mag sein – aber ich kann dein Geselle nicht bleiben, kann mit dir nicht essen und trinken. Zwischen mir und dir steht sie.«

Der von Randen richtete sich hoch auf. Der Morgenwind, der eben daher kam, ließ seine üppigen braunen Locken 442 wehen, sein Blick war wieder so kalt, fest und kühn wie sonst.

»Es mag sein, wie du sagst,« erwiderte er, »und die nichtsnutzige Belferkatze, die mir, so lange sie lebte, so viel Herzeleid und Verdruß schuf, mag auch jetzt noch, wo sie tot ist, schaffen, daß du nicht mit mir essen und trinken kannst. Aber mit mir kämpfen kannst du, Elert. Vergiß das, wenn du in Gefahr bist, nicht. Wenn Randen und du zugleich nach mir rufen, ich eile zu dir. Lebe wohl.«

Der Junker wandte sich und ging mit festen Schritten davon. Von der anderen Seite führte man Jürgen Nötken herbei mit einem gewaltigen Notverband um den Kopf.

»Es hat nichts zu bedeuten, Elert,« tröstete Jürgen, »eine Schramme, die mir eine von des Ordens Katzen riß. Wir hätten ihnen hübsch die Schellen angehängt, wenn die Herren nicht dazwischen getreten wären. Wahrhaftig, sie waren eben im Begriff Fersengeld zu geben.«

»Wie kamt ihr aneinander, Jürgen.«

»Sie setzten an uns ohne jede Ursache. Jodokus von Elen hatte die Wache. Nun – es ist wahr, er hatte einen guten Rausch und der Sandmann mag ihm wohl zugewinkt haben, aber ich bitte dich, was that das? Der Reuße kann doch nicht durch die Wildnis. Wie ihn nun aber der von Marienburg findet, wollen sie den Junker, der doch ein Mann des Bischofs ist, mit sich nehmen. Daran war nun natürlich nicht zu denken, und wir hätten sie heimgeleuchtet, daß es nur eine Art hat, wenn man uns nur freie Bahn gelassen hätte.«

»Aber Jürgen, was sollte aus dem Reußen werden, 443 wenn wir hier vor dem Feind mit dem Orden über einen Haufen lagen?«

»Ach was, Reuße hin, Reuße her, es ist die höchste Zeit, daß wir denen vom Orden auf die ungewaschenen Mäuler schlagen. Schelten sie uns doch offen und vor jedermann Verräter.«

Der herbeigerufene Barbier trat ein und Jürgens Verband wurde erneuert. Dann mußte er sich hinlegen und sich ganz still verhalten.

An demselben Morgen traf der Stiftsvogt wieder im Lager ein. Er war sehr niedergeschlagen und traurig. »Unser gnädiger Herr,« sagte er, »behält, fürchte ich, recht. Jeder denkt nur an sich, alle aber bauen ihre Hoffnung auf fremden Grund, der eine auf polnischen, der andere auf dänischen, der dritte auf schwedischen. Wie nun so jeder seine ausländische Ware zu Markt brachte, da sprang unser Bürgermeister Tönnies Tyle auf, bat und schrie, daß man doch nicht möge zu fremden Göttern um Hilfe bitten, die würden uns wohl im Stich lassen, sondern es sollte ein jeder von uns frisch anfassen und als ein ehrlicher Mann und guter Patriot alles herbeibringen, was er mit Weib und Kind an Kleinodien, Geschmeide und Barschaft in Vorrat hätte, damit wir dem Feinde alle zusammen den Kopf bieten könnten. Der Landtag aber hatte taube Ohren und hörte nichts, als was der Christopher Münchhausen, der Stiftsvogt der Wiek vorbrachte. Ich aber bin der Meinung, daß die von Münchhausen alle beide, der Bischof und der Stiftsvogt als livländische Judasse nur darauf sinnen, wie sie wohl die Stifte Ösel und Kurland nebst Reval, 444 Harrien und Wierland dem Könige von Dänemark könnten in die Hände spielen.«

»Und was wurde beschlossen, Vater?«

»Man will den König von Dänemark beschicken. Der soll uns nun den Pelz waschen, den Balg aber nicht naß machen. Seit der Reuße in der Narwa ist, ist unsere ganze Kourage in den Brunnen gefallen und jedermann singt: Kyrie eleison!«

»Großer Gott, wie hat das aber auch geschehen können, Vater? Die feste Stadt mit dem starken Hause daran! Und wo blieb denn der Orden und wo blieben die von Harrien und Wierland?«

»Ja, frage den Reußen, Elert, wie das hat geschehen können, warum die von Narwa den Großfürsten allezeit zu beschicken hatten, und weshalb die Freundschaft mit dem Paul Powik so dick war. Ich denke mir, die Pfeffersäcke werden gedacht haben, wenn wir großfürstlich sind und die von Reval sind livländisch, wird der seefahrende Mann, der nicht von der Hanse ist, an Reval vorüberfahren, und wir können darüber so gute Nahrung haben, daß wir künftig von silbernen Tellern essen mögen. Darüber haben sie sich denn nicht gescheut, aus Christenleuten zu Heiden, von Freien zu dienstbaren Knechten, von tüchtigem und ehrbarem Regiment zu Bestien zu werden. Was kann man denn aber auch anders von Kaufleuten erwarten, Elert, wenn selbst Leute von adliger Geburt, ja vom allerältesten deutschen Adel nur darauf sinnen, wie sie ihr armes Vaterland mögen an die Nachbaren verschachern und verkaufen! Wir aber, Elert, wir wollen die Hände frei halten von dem 445 Judaslohn, und soll es nicht anders sein und es ist Gottes Wille, so wollen wir fröhlich sterben und in den Tod gehen für unser allerliebstes Vaterland.«

»Amen, Vater,« sagte Elert ernst. Er dachte daran, daß die öffentliche Meinung eben diesen Mann als Verräter brandmarkte und ein Gefühl tiefer Bitterkeit überkam ihn. Das also war der Lohn, den selbstlose Vaterlandsliebe in diesem Lande fand.

»Elert,« sagte Herr Kruse nach einer Weile, indem er ein Papier aus seinem Mantelsack nahm, »da, lies!«

Es war ein Fehdebrief, in dem Bonnius auch den beiden Kruses, Vater und Sohn absagte.

»Der freche Schurke!« rief Eilhard empört.

»So sind die Zeiten,« erwiderte der Stiftsvogt, »die Diener sagen ihren Herren Fehde an. Aber ich hoffe, daß dieser Schelm mit den Eicheln um die Wette tanzen soll, noch ehe der Frost das Laub von den Bäumen streift.«

Sieben feste Lager hatte der Feind, der 60 000 Mann stark war, um Neuhausen errichtet und bei Tag wie bei Nacht donnerten seine Kanonen. Längst war das Hackelwerk zerstört, aber das Schloß stand noch aufrecht, und fest wie seine Mauern war das Herz Jürgen Üxkülls von Padenorm.

Der Herrmeister zögerte noch immer die Entscheidungsschlacht zu schlagen. Die Übermacht des Feindes war allzu groß und dann, was sollte geschehen, wenn das letzte livländische Heer die Wahlstatt bedeckte?

In einer Nacht machte der von Meschede mit 800 Pferden einen Angriff auf eines der russischen Lager. Eilhard 446 und mancher andere Junker hatten sich freiwillig angeschlossen und das Wagnis gelang. Das Lager wurde mit stürmender Hand genommen und in Brand gesteckt. Eilhard geriet bei diesem Sturm unter einen Haufen Strelitzen, die ihn von allen Seiten umgaben. Schon hielt er sich für verloren, als plötzlich wiederum der von Randen an seiner Seite auftauchte und ihn heraushieb. Sobald sie wieder bei den Ihrigen waren, nickte er Eilhard zu und ritt davon.

Es war am letzten Tage des Juni, als ein Eilbote des Bischofs den Stiftsvogt in aller Frühe nach Dorpat rief. Er folgte dem Gebot nur höchst widerwillig. »Ich bin noch nie so ungern geritten,« sagte er zu den jungen Leuten, »denn es ist die höchste Zeit, daß wir an den Reußen setzen, aber ich bin morgen jedenfalls zurück und bis dahin wird nichts geschehen.«

So sprach er, er war aber kaum aus dem Lager, als die Botschaft von Mund zu Mund flog, daß das Heer am folgenden Tage vorrücken würde und die Entscheidungsschlacht geschlagen werden sollte. In einem Augenblick erwachte gleichsam das Lager aus träger Ruhe. Überall wurden die Rüstungen geputzt, die Gewehre hergerichtet, überall ein Rufen und Antworten, ein Laufen und Rennen. Man sah manch ernstes Gesicht und aus mehr als einem Auge blickte eine kaum verhaltene Angst, aber aus anderen sprühte auch wieder kecke Wagelust und altdeutsche Freude am Kampf.

»Elert,« rief Jürgen Nötken, »Elert, daß mich aller Welt Plage bestehe, wir werden endlich mit ganzer Macht an die Kerle gehen. Sie sollen sehen, wie deutsche Schwerthiebe thun. Gottes Tod, Elert, es ist ja schön, wenn uns eine 447 schmucke Dirne ein Stündchen zugesagt hat und man steht vor dem Zeiger und sieht den Weiser vorrücken und alles in einem reckt sich und streckt sich und du hältst beide Arme über den Kopf und dehnst dich und es ist dir als ob du Bäume ausreißen könntest mit der Wurzel, aber so ein Tag vor der Schlacht ist, hol' mich der Teufel, doch wahrhaftig noch schöner. Wie es einem da so durch die Glieder rieselt und uns so ganz leise schüttelt und man hat dann doch auch wieder eine Lust draufzugehen und dreinzuhauen, immer vorwärts, mitten durch – bei allen Heiligen, es ist eine Lust sondergleichen auf Erden und im Himmel. Nicht wahr, Elert?«

»Nein, Jürgen, aber es wäre schön, wenn eine reußische Kugel mich ins Herz träfe und alles hätte ein Ende.«

Jürgen blickte den Pflegebruder mitleidig an. »Armer Elert!« sagte er, beugte sich wieder herab auf sein Schwert und putzte es noch energischer als bisher. »Wie die Liebe mit den Leuten ihr Spiel treibt!« dachte er. »Wenn er nur meine Schwester liebte, wie sie ihn – wie glücklich könnten die beiden sein. So aber stürbe jedes von ihnen lieber heute als morgen.«

Im Remter des Schlosses waren gegen Abend die Gebietiger des Ordens versammelt. Der Schlachtplan sollte noch einmal durchberaten und endgültig festgestellt werden. Als Jobst Wallrabe betonte, daß man den größten Mangel an Fußknechten habe, rief der Herrmeister: »Es ist wie Ihr sagt, aber wir dürfen nicht länger verziehen. Wir haben lange genug gewartet, wie der Kranke auf das Sakrament, erst auf die Herren aus dem Erzstift, dann auf die Knechte 448 derer von Riga, aber sie sind immer ausgeblieben. Wollten wir noch länger harren, der Pfaffe fände uns tot.«

»Sollen wir nicht wenigstens noch einen Tag warten, Fürstliche Gnaden?« meinte der Komtur von Fellin, »bis der Stiftsvogt zurückgekehrt ist?«

»Nein,« rief Fürstenberg, »wir wollen draufgehen ohne den Pfaffen und ohne den Meßner. Die aus dem Stift werden uns ohne diesen Leithammel besser folgen als mit ihm. Ich traue ihm nicht über den Weg. Wir müssen – Was gibt es da?«

Die Thür hatte sich geöffnet und ein über und über mit Staub bedeckter Ordensritter war eingetreten. »Was wollt Ihr? Was habt Ihr? Was bringt Ihr?« rief Fürstenberg.

»Fürstliche Gnaden,« erwiderte der Ritter tonlos, »Neuhausen ist über.«

»Das lügt Ihr,« schrie der Herrmeister. »Der von Üxküll ist treu wie Gold!« »Wie kam es?« »Hielten sie Sprache?« »Drangen die Reußen mit Sturm ein?« hieß es von allen Seiten.

»Der von Üxküll ist treu wie Gold, Fürstliche Gnaden,« erwiderte der Ritter, »aber die mit ihm waren sind Schelme und Verräter. Wie der Reuße im Hackelwerk war, zogen die Dorpater Kaufgesellen mit ins Schloß. Die haben nun mit den Moskowitern heimlicherweise verhandelt und haben endlich die Knechte willig gemacht, daß sie einwilligten in den Verrat. Als nun der Apfel reif war, fiel er vom Baume. Da liefen die Schelme zusammen und verlangten, der Hauptmann solle den Hut aufstecken und Sprache halten 449 mit dem Feinde oder sie würden ihn über die Mauer hängen und das Thor aufthun. Der von Üxküll bat und flehte, sie möchten sich ein Herz fassen, Eure Fürstliche Gnaden würden jedenfalls dieser Tage heranrücken und das Haus entsetzen, das hat aber alles nichts helfen wollen. Da hat der arme Mann darin gewilligt, Sprache gehalten und darauf mit den getreuen Knechten seinen Abzug genommen. Nun ist er unterwegs hierher.«

Fürstenberg war totenbleich geworden. »Gerechter Gott,« rief er, »du suchst uns heim nach unserer Missethat. Nun ist das festeste Schloß des Stiftes in des Moskowiters Hand.«

»Die Verräter! Die elenden Schurken! So sind sie, die von Dorpat!« hieß es in der Versammlung.

Draußen im Lager aber war die Erbitterung noch größer, als der Fall von Neuhausen und seine Ursachen bekannt wurden. Die Lage der Herren aus dem Stift wurde die allerpeinlichste.

Als der Stiftsvogt am folgenden Tage ans Dorpat zurückkehrte, wurde das Lager abgebrochen und das Schloß von Kirrempä stand in Flammen. Der Herrmeister hatte es in Brand stecken lassen und zog mit dem Heere weiter ins Land auf Ülzen und Walk. 450



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