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Neben Frau Katharina stand ein schlanker, hochgewachsener Mann. Es war Jürgen Thedingsheim von Randen, Bärbchens Bruder. Er umarmte Eilhard, küßte die jungen Mädchen und erwiderte Bonnius' ehrerbietigen Gruß mit einem unmerklichen Kopfneigen. »Nehmt die Pferde der Fräulein und führt sie in den Stall,« rief er dem Schreiber zu.
Bonnius hatte eine heftige Antwort auf der Zunge, aber Barbara, die neben ihm stand, flüsterte ihm zu: »Um Gotteswillen, thut es mir zuliebe,« und er ergriff schweigend die Zügel.
»Besten Dank, lieber Bonnius!« riefen Frau Katharina 85 und Eilhard wie aus einem Munde, da beide das Bedürfnis fühlten, ein versöhnendes Wort zu sprechen.
»Du kommst gerade zur rechten Zeit zurück, Elert,« sagte Jürgen Thedingsheim, ohne den Zwischenfall weiter zu beachten, »um noch den großen Feldzug gegen den Erzbischof mitzumachen. Da kannst du dich gleich als Kriegsmann bewähren.«
»Meinst du denn, daß wir mit ins Feld ziehen?«
»Natürlich, Elert, unser gnädiger Herr, der Bischof wird sich doch eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen, zu den Rittersporen zu kommen! Und was die vom Orden anbetrifft – ich sage dir, die Kourage sprengt ihnen Brust und Harnisch. Zu Johannis werden wir in Blut waten bis an die Kniee, und in allen Ordensschlössern und Domherrenhäusern werden Witwen klagen und Waisen jammern. Es gibt einen Oberspaß, Elert, wenn die Pfaffen im Harnisch und die Pfaffen in der Kutte sich an die Kehle springen und Hilf Maria! dazu schreien.«
»Aber denke an den Moskowiter, Jürgen.«
Der von Randen zuckte die Achseln. »Fürchtest du dich auch vor ihm?« meinte er. »Ich denke, wir haben Schwerter genug im Lande, um die nach Knoblauch stinkenden Kerle wieder dahin zu jagen, wo sie herkommen.«
»Ihrer sind aber unendlich viele.«
»Der Undeutschen sind auch viele,« erwiderte Thedingsheim verächtlich. »Der Reuße ist hinter Wall und Graben nicht ungefährlich, denn er kann hungern wie eines Bettlers Pferd, aber im offenen Felde hat er deutschen Kriegsleuten noch nie widerstanden. Ich getraue mich wohl mit unserer 86 Stiftsfahne das ganze reußische Heer auseinander zu schmeißen, daß sie das Wiederkommen vergessen.«
»Jürgen,« sagte Frau Katharina, »kehre noch einmal mit mir um, ich möchte dich um etwas bitten.«
»Was ist es?«
»Jürgen, einer von deinen Bauern, sie nennen ihn den schwarzen Tönnies von Unnafer, hat heute nacht einem von den Unsrigen die Tochter geraubt.«
»Sieh' einmal an,« lachte Jürgen, »der kecke Gesell. Weiß er nicht, was seiner harrt, wenn sie ihn fangen?«
»Jürgen,« bat Frau Katharina, »sei gut und sorge, daß er das Mädchen freigibt.«
Jürgen zuckte die Achseln. »Es ist Ranzzeit bei den Wölfen und bei den Undeutschen, Muhme,« erwiderte er, »wer kann sie da finden?«
»Du kannst es, Jürgen. Wenn er weiß, daß du es nicht leidest, wird er sich wohl hüten, das Mädchen zu behalten.«
»Da habt Ihr freilich recht, Muhme. Nun wohl, ich will es dem Schreiber sagen, und der soll das Pärchen auseinanderbringen. Der Kerl soll überdies gequästet werden, weil er es gewagt hat, sich sein Schäfchen gerade aus Kelles zu holen. Als ob es nicht auch sonstwo schmucke Bauerndirnen gäbe.«
»Abgemacht, Jürgen?«
»Abgemacht, Muhme.«
Der von Randen küßte seiner Tante die Hand und beide begaben sich in das Haus.
Der erstere suchte zunächst die Großmutter auf, um ihr 87 seine Aufwartung zu machen. Nachdem er Frau Maria begrüßt hatte, nahm er neben ihr Platz und sagte: »Nun, da Elert wieder zurück ist, solltet Ihr auch ans Werk gehen, Ahne.«
»Du meinst in bezug auf Bärbchen?«
»Ja.«
»Nun, das ist ja nicht so eilig. Laß ihn doch erst wieder warm werden daheim.«
»Nun, ich meine ja auch nicht, daß wir Sonnabend die Köste halten sollen, wohl aber denke ich an nach Weihnachten. Wir sollten das Ding nicht länger hinausschieben, als gerade nötig ist. Ein Kriegsmann ist immer froh, wenn die Wacht vorüber ist und er die Parole weiter geben kann.«
»Ich denke, daß diese Wacht dich nicht allzusehr in Anspruch nimmt, Jürgen.«
»Ja und nein, Ahne. Ich weiß sehr wohl, daß Ihr und die Frau Muhme gut acht gebt, aber der Hofmeister mag aufpassen, wie er will, es wird doch einmal das Korn in falsche Säcke geschüttet., Frauenehre ist von Glas, Ahne, die zerbricht leicht und läßt sich nicht wieder zusammenbringen.«
»Ich wüßte nicht, Jürgen, von welcher Seite her Bärbchens Ehre hier Gefahr drohen könnte.«
»Hier nicht, Ahne,« erwiderte Jürgen, »denn von den Junkern wird keiner meiner Schwester zu nahe zu treten wagen, aber wer kann wissen, was in der Stadt vorgeht, wo die liederlichen Dompfaffen und landfremden Ordensherren überall aus- und eingehen. Wir leben in einer wüsten Zeit, Ahne, und Bärbchen war immer unbesonnen und eigenwillig.« 88
»Du thust ihr unrecht, Jürgen, sie ist gutherzig, oft zu gutherzig, aber ihre Ehre ist in guten Händen.«
»Das hoffe ich,« meinte der Junker, »wenn ich auch dabei an andere Hände denke, als die ihrigen. Was aber ihre vermeintliche Gutherzigkeit anbetrifft, so habe ich mein Lebtag davon nichts bemerken können, denn sie war immer eine Widerbellerin, die that, was ihr gut schien, und das, was ihr gut schien, war allezeit das Thörichte und Schlechte. Ich werde jedenfalls von Herzen froh sein, wenn sie erst Elerts Frau ist. Er mag dann zusehen, wie weit er mit seinem gutherzigen Weibe kommt.«
»Ihr habt euch – Gott sei es geklagt – nie leiden mögen, Jürgen.«
»Das ist wahr, Ahne. Sie schrie schon als Kind, sobald sie mich sah, und sie fürchtet mich jetzt, wie den Gottseibeiuns, obgleich ich doch gar nicht so furchtbar bin.«
Jürgen Thedingsheim schwieg und trommelte mit seinen harten weißen Nägeln auf dem Tisch. Das Licht der Kerzen beleuchtete hell sein schönes Gesicht von vollendeter Regelmäßigkeit und die reiche, geschmackvolle Kleidung, die seinen tadellosen Körperbau noch mehr zur Geltung brachte. Die Großmutter sah ihm gerade in die hellblauen kalten Augen, und sie dachte, daß ihr Bärbchens Empfindung nicht ganz unbegreiflich sei. Es gab nicht viele Menschen, denen dieser schöne und kluge junge Mann nicht Furcht oder doch ein der Furcht ähnliches Gefühl einflößte. Vielleicht war es dieses Gefühl, das ihn den Weibern gegenüber so unwiderstehlich machte.
»Also nicht wahr, Ahne,« sagte der von Randen, indem 89 er sich erhob, »ihr schürt da etwas die Kohlen an, Elert wird es ja auch lieb sein, nicht allzu lange vor dem gedeckten Tisch stehen zu müssen.«
»Das ist für mich der wichtigste Grund, Jürgen.«
»Mir auch recht, Ahne,« war die Antwort. »Es ist einerlei, warum das Pferd gesattelt wird, wenn es nur zur rechten Zeit vor der Thüre hält.«
Der Junker empfahl sich. In der Thüre traf er mit Barbara zusammen. Sie wollte mit einem halb scheuen, halb trotzigen Blick an ihm vorüber, er aber stellte sich vor sie hin, ergriff ihren Arm und preßte ihn, daß das Mädchen mit Mühe einen Schrei unterdrückte. »Du hast mir noch nicht einen guten Abend geboten, Barbara,« sagte er.
»Du mir auch nicht,« war die Antwort.
Der Junker blickte der Schwester zornig in die Augen, die seinen Blick jetzt ruhig aushielten. Dann ließ er ihren Arm fahren und ging davon.
»Bärbchen,« sagte die Großmutter, »du solltest Jürgen gegenüber nicht so trotzig sein. Er ist dein einziger Bruder und vertritt Vaterstelle an dir.«
»Ein schöner Vater,« versetzte Bärbchen, indem sie mit der Linken den schmerzenden rechten Arm rieb. »Mir hat diese Vaterschaft noch nie etwas anderes eingetragen, als blaue Flecke am Leibe. Aber wißt Ihr was, Ahne? Morgen kommen die Stahlbiters und die vier Vietinghofs in einer Mummerei zu uns. Unser Jürgen hat es mir gesteckt. Die Junker kommen als Italiener und die Fräulein als Spanierinnen.«
»Gut, Bärbchen,« meinte Frau Maria, »aber laß das 90 jetzt. Setze dich her und sieh mich an. So. Und nun sage mir, hast du Elert lieb?«
Barbara errötete über und über. »Gewiß,« erwiderte sie, »wie soll ich ihn denn nicht lieb haben.«
»Hast du ihn so lieb, daß du einmal seine Frau sein und Freude und Leid mit ihm teilen willst? Sprich, mein Kind, es hört dich niemand, als deine Ahne. Sprich, Bärbchen.«
»Wenn ich nur nicht zu dumm für ihn bin, Ahne.«
Frau Maria lächelte. »Sehr klug bist du freilich nicht,« sagte sie, indem sie den Kopf ihrer Enkelin streichelte, »aber ich meine, Elert wird schon vorlieb nehmen.«
»Darf ich jetzt wieder von der Mummerei sprechen, Ahne?«
Sie durfte es und that es, die Ahne aber dachte: mit dem Heiraten hat es hier wirklich noch gute Weile.
Der von Randen hatte sich unterdessen zu den Herren begeben, die zechend zusammensaßen. Als Jürgen Thedingsheim eintrat, erhoben sie ein großes Geschrei. »Wo warst du so lange? Wo habt Ihr gesteckt?« hieß es, und: »Eine Kause zur Strafe!«
Jürgen Nötken brachte das gewaltige Strafglas, aber Thedingsheim lehnte es ab. »Wenn ich nachholen soll, was ihr in währender Zeit getrunken habt,« sagte er lachend, »so gebt mir die große Kause!«
»Recht so! Ein wahres Wort! Ein ganzer Kerl, der Jürgen!« erklang es jubelnd. Man füllte die große Kause, ein ungeheures Gefäß, und reichte es Thedingsheim, der es mit beiden Händen in Empfang nahm. »Allen wackeren 91 Kriegsleuten,« sagte er, setzte die Kause an und trank sie in einem Zuge leer.
»Das muß man sagen, Jürgen,« rief Peter Thedingsheim, »im Fechten, Trinken und Scharmutzieren kommt dir keiner gleich.«
»Oho,« rief Herr Kruse, »Elert – nein verzeih' – aber du, Jürgen, wirst du dich so ohne weiteres an den zweiten Tisch setzen lassen?«
Jürgen Nötken erhob sich. »Ob ich über die Mauer komme, Ohm,« rief er, »weiß ich nicht, aber versuchen will ich es immerhin.«
»Laß es sein, Jürgen,« meinte der von Randen, »du hast schon getrunken.«
»Her damit, Hans. Ein wackerer Kriegsmann fällt, aber er weicht nicht zurück.«
Damit ergriff Jürgen Nötken die Kause. »Allen Mannen unseres gnädigen Herrn zu Dorpat,« rief er und leerte das Gefäß. »Ich bin, wie du siehst, auch auf der Mauerkrone,« sagte er dann unter allgemeinem Jubel zu Jürgen Thedingsheim.
Dieser zuckte die Achseln. »Nun geht es auf der anderen Seite wieder hinunter,« erwiderte er. »Füllt die Kause.«
»Na,« lachte Herr Kruse, »da soll mir einer sagen, daß unser junges Volk weniger tapfer ist, als wir seinerzeit waren. Was meint Ihr, Herr Mannrichter?«
Der Mannrichter verneigte sich. »Die Junker hauen hübsche Späne,« meinte er.
»Allen adeligen Frauen,« sagte Thedingsheim und leerte die Kause abermals. »So, jetzt sind wir am Feind, Jürgen.« 92
»Allen adeligen Jungfrauen,« rief Jürgen Nötken. Es währte diesmal eine Weile, bis er mit dem Tranke fertig wurde, aber es gelang. »Der Harnisch ist durchhauen,« sagte er.
»Wir sind aber erst in der Stadt,« rief der von Randen. »Nun geht es gegen die Schloßmauer.«
»Jungen, ihr seid prachtvoll,« schrie Peter Thedingsheim. »Sah man je dergleichen.« »Das nenne ich einen guten Kampf kämpfen,« rief der Domherr Stackelberg. »Ich sehe euch noch beide S. F. G. in der eigenen Kammer gefangen nehmen,« jubelte Herr Kruse.
Eilhard hätte dem Wettstreite gerne ein Ende gemacht, denn er sah voraus, daß Jürgen Nötken unterliegen mußte, aber er wußte wohl, daß jetzt an ein Aufhören nicht zu denken war. Die beiden erstiegen noch gemeinsam die Schloßmauer, als es aber galt, von derselben wieder hinunter in den Schloßhof zu kommen, sprang Jürgen Thedingsheim glücklich hinab, Jürgen aber strauchelte und fiel dem zuspringenden Eilhard gerade in die Arme.
Als man ihn zu Bett brachte, fehlte es übrigens keineswegs an Lobsprüchen über eine so tapfere Haltung und auch der von Randen gab anerkennend zu, daß ihm sein Kamerad nur deshalb nicht weiter hätte folgen können, weil er schon vor Beginn des Sturmes ein Räuschlein gehabt.
»Die Herren Junker haben sich beide höchst mannhaft gehalten,« meinte der Domherr. »Kokenhusen ist mit fliegenden Fahnen genommen und was darin ist, gehört nach Kriegsrecht den Siegern.«
»Ich wünschte, Kokenhusen wäre wirklich schon über,« 93 meinte der Mannrichter. »Wenn sich der Herzog von Preußen hineinwirft, oder der Pollacke, kann es noch um die Braut einen blutigen Tanz geben.«
Der von Randen zuckte die Achseln. »Der verlaufene Mönch in Königsberg,« erwiderte er, »wird sich wohl hüten, sich den Orden noch auf seine alten Tage auf den Hals zu ziehen und was den Pollacken betrifft, so wird das deutsche Schwert den Säbel schnell genug wieder in die Scheide bringen.«
»Laßt es gut sein, Herr Bruder,« mahnte der Mannrichter, »die Pollacken sind tapfere Leute und was helfen überdies die stärksten Mauern, wenn der Thorwart dem Feinde das Thor aufschließt. Ich habe sichere Kunde, daß der Landmarschall es mit dem Erzbischof hält.«
»Meint Ihr? Glaubt Ihr wirklich?«
»Ich weiß es. Daß sie den Fürstenberg statt seiner zum Koadjutor gewählt haben, hat den von Münster fuchswild gemacht und er sagt es jedem, der Ohren hat, daß er diesen Schimpf, den man seinem ganzen Geschlechte angethan, rächen wolle. Darum meine ich, daß, da die Windhunde sich beißen, der Hase jedenfalls in den litauischen Wald schlüpfen wird.«
»Laßt ihn davon gehen,« rief der von Randen, »mehr will ja auch der Orden nicht.«
»Ganz recht, aber wer wird uns vor den litauischen Wölfen schützen, deren Schutzverwandter er ist? Und wenn wir gegen die zu Felde liegen, wer wird unterdessen den russischen Bären aus unserem Haferfelde fern halten?«
»Ach was,« rief Jürgen Thedingsheim, »wir werden 94 schon mit beiden fertig. Die Wölfe lassen wir mit Jungfer Hänfin Hochzeit machen und aus des Bären Fell schneiden wir uns Schlittendecken. Ich trink Euch eins, Herr Bruder.«
»Der Bär! Der Bär!« rief Herr Kruse und stützte den Kopf auf beide Arme. »Ich sage euch, der Gedanke an diese Bestie macht mir die Haare grau. Was werden wir thun, wenn der Moskowiter den Kreuzbrief schickt und wir ihn nun neu versiegeln sollen? Und mittlerweile ist des Ordens Tresekammer durch den Krieg geleert!«
»Hätten wir nur einen tüchtigen Kriegsmann von Adel an der Spitze,« meinte der Domherr, »wir wollten uns des Moskowiters schon erwehren, aber von eines Hutmachers Sohn wird niemand ein adelig herzhaft Wesen erwarten.«
»Amen,« sagte der Domprobst. Er war selbst Konkurrent Hermann Weilands um den Bischofssitz von Dorpat gewesen und hieß deshalb beim Volke noch jetzt: der Gernbischof.
»Redet nicht schlecht von unserem gnädigen Herrn,« wehrte Herr Kruse. »Daß es der Adel allein nicht thut, haben wir am Bischof Jodokus von der Recke hinreichend erfahren. Der hat den Apfelbaum so rein abgesucht, daß auch nicht ein Äpfelchen daran geblieben und ißt jetzt unser Obst mit irgend einem westfälischen Fräulein in Verden. Bischof Hermann dagegen hat als Abt von Falkenau der Ritterschaft lange und wacker vorgestanden. Überdies ist er ja immerhin zu Wesel von ehrlichen deutschen Eltern geboren.«
»Herr Bischof Hermann Bei
Gab's Bistum um ein Ei 95
Jodokus von der Reck
Warf's Bistum in den Dreck«
trällerte der Domherr..
»Macht den von der Recke nicht schlechter als er war,« sagte der Mannrichter. Er konnte es nicht ertragen, daß er, selbst ein Evangelischer, einen katholischen Bischof vorstellen und als ein solcher über ein evangelisches Land Herr sein sollte. Das hielt er nicht aus und darum ging er davon.«
»Mit des Bistums Gelde in der Tasche,« grollte Peter Thedingsheim.
Taube zuckte die Achseln. »Was wollt Ihr,« erwiderte er, »er war ein landfremder Mann. Was ging ihn unser Livland an. Das ist ja unser ganzes Unglück,« fuhr Taube fort, »daß unser armes Vaterland wie ein Wald ist, der niemand gehört und in dem jeder Fremde Bäume fällen kann, wie viel er Lust hat. Und was für Holzfäller sind das mitunter! Denkt nur an Friedrich von Ampten, den Bischof von Reval. Der kam ins Land als ein armer Prädikant und frug beim Rate zu Reval an, ob sie nicht ein Pfarramt für ihn hätten. Als ihm nun der Bescheid ward, er sollte erst eine Probepredigt halten, da frug er weiter, wie der Rat sie wolle, ob nach dem alten oder nach dem neuen Glauben. Da ihm nun der Rat zur Antwort gab, sie wollten weder dies noch das, schlug er sich zu den Katholischen auf dem Dom und jetzt reitet dieser Mann mit hundert Pferden durch das Land. Nein, ihr Herren, so lange wir freien, adeligen Livländer der Westfälinger Knechte sind, wird es nicht anders, als daß wir den Hafer bauen 96 und der Fremden Pferde fressen ihn. Wir sollten einen eigenen Fürsten haben von edlem fürstlichen Geblüt, dann sollte es wohl anders bei uns aussehen.«
»Ganz recht, Herr Bruder, aber wer soll es sein?«
»Das weiß ich noch nicht, Herr Kruse,« versetzte der Mannrichter, »aber das weiß ich gewiß, wer immer es sei, ich reite ihm zu.«
»Ich auch! Ich auch!« rief es von allen Seiten und noch mancher Becher ward auf den König von Livland der Zukunft geleert.
Am folgenden Tage ging es in Kelles hoch her, denn kurz vor Tisch ritten die Stahlbiter und die Vietinghofs in einer Mummerei auf den Hof. Sie hatten zwei Trompeter mit, die bliesen, daß die Schindeln von den Dächern fielen. Arnt Vietinghof aber hielt die Ansprache. »Der Ruf von der Schönheit der beiden edelgeborenen Jungfrauen von Kelles,« führte er aus, »sei bis nach Hispania und Italia gedrungen. Da hätte denn die Ritterschaft in beiden Ländern eine Gesandtschaft in das Stift Dorpat abgefertigt, um der Sache auf den Grund zu gehen und später darüber gebührendermaßen zu berichten. Infolgedessen hätten sie die Bitte thun wollen, man möge ihnen die beiden Fräulein zeigen, sobald sie aber das Haus betreten, wären sie alsogleich ganz gewiß gewesen, daß niemand anders gemeint sein konnte, denn die beiden Jungfrauen, so ihnen entgegengetreten, sintemal sie auf der ganzen Reise, so doch durch Teutschland, Hungaren, Pohlland, und vieler anderer Herren Länder geführet, ihresgleichen nie geschaut. Sie wollten deshalb nur etwa ihre Pferde ein wenig verschnaufen lassen und dann 97 alsogleich wieder dahin ziehen, von wannen sie gekommen waren.«
Darauf erwiderte Eilhard: »Die Jungfrauen fühlten sich höchlichst geehrt, daß die Gäste einen so weiten Weg nicht gescheuet und ihretwegen bis in Livland, an das Ende der Welt gezogen. Daß sie aber sogleich ihrer Pferde Köpfe zur Sonne wenden sollten, wäre keineswegs die Meinung, denn es sei des Landes nicht der Brauch, daß ein Gast ungegessen und ungetrunken aus einem livländischen Hofe ritte. Sie bäten vielmehr, die Herrschaften möchten vorlieb nehmen und ihnen die Ehre anthun.«
Das geschah denn, und Nachmittag und Abend wurden lustig vertanzt. Selbst Anna ließ sich schließlich erbitten an dem Tanze teilzunehmen und Barbara schwamm in Seligkeit. Auch Eilhard war heute so munter wie nur einer, denn Barbaras Heiterkeit steckte ihn an und riß ihn mit sich fort.
Am Abend gab es noch einen Hauptspaß, indem man zusammen eine Gans lebendig briet. Dabei ging es so zu: Die Fräulein rupften den Vogel erst bis an Hals und Kopf und machten dann in einiger Entfernung von der Gans, aber rund um sie ein Feuer an. Nun setzte man ein mit salzigem Wasser gefülltes Gefäß dem Tiere vor, das beständig trank, was viel Heiterkeit erregte. Dann nahm man gekochte Äpfel, beträufelte die Gans damit und rückte ihr allmählich das Feuer immer näher. Die Gans schrie und wollte fliegen, konnte aber nicht fort. Da Frau Katharina ihr unterdessen den Kopf und das Herz mit einem nassen Schwamm anfeuchtete, hielt die Gans es eine Weile aus und schrie zum allgemeinen Jubel noch, als man sie anschnitt. 98
Jürgen hatte dem Schauspiel mit ganz demselben Interesse zugesehen, wie die anderen auch. Jetzt fiel es ihm auf, daß Anna aus dem Zimmer verschwunden war. Er suchte sie vergeblich, bis er sie endlich in Thränen gebadet in einer abgelegenen Kammer auffand.
»Was hast du, Anna?« fragte Jürgen, indem er die Schwester an sich zog.
Erst nach geraumer Zeit kam die Antwort: »Ach, Jürgen, es war so schrecklich anzusehen, wie ihr das arme Tier quältet.«
Jürgen schüttelte verwundert den Kopf. »Aber beste Anna« rief er, »gibt es denn ein artigeres, lustigeres Schauspiel? Man kann auf diese Weise eine noch lebendige Gans essen.«
Anna hielt den Kopf eng an des Bruders Brust gedrückt und weinte still vor sich hin. Auch Jürgen rührte sich nicht, um die Schwester nicht zu stören, aber er dachte wieder: »Es ist doch schade, daß die Klöster aufgehoben sind. Das Mädchen ist doch gar zu zart für die Welt, wie sie nun einmal ist. Was sollte wohl aus dieser werden, wenn nicht einmal ein so harmloser Spaß erlaubt sein sollte, wie dieser.«
»Geh nur wieder zurück zu den andern, mein lieber Jürgen,« bat Anna nach einer Weile »und laß mich noch ein wenig hier. Ach, es war so schrecklich.« Und ein Schüttelfrost ließ den zarten Leib der Jungfrau erbeben.
Jürgen wollte noch bei der Schwester bleiben, aber sie drang so lange in ihn, bis er ging und bald hatte er über der schmucken Elsebe Stahlbiter die Schwester vergessen. 99
Als Barbara schließlich in ihre Kammer schlich, und leise auftrat, um die angeblich an Kopfweh leidende Gefährtin nicht zu stören, erwies es sich, daß Anna noch wach war.
»Das war ein herrlicher Tag,« rief Barbara, indem sie sich auf Annas Bett setzte. »Es ist jammerschade, daß du so früh fort mußtest. Ich sage dir Anna – Elert sprang in der Gaillarde so hoch – nun wenn auch nicht so hoch, so doch mindestens so hoch, ganz gewiß. Er ist doch ein lieber guter Junge, der Elert, und wenn er vom Tanzen rote Backen hat, sieht er auch sehr gut aus. Wann gingst du eigentlich fort Anna? Als wir die Gans brieten, warst du doch noch da? Das war einmal lustig.«
»That dir das Tier garnicht leid, Bärbchen?« fragte Anna.
»Natürlich that es mir leid,« war die Antwort, »daß die Muhme es zu früh anschnitt. Es hätte es noch ganz gut eine Weile ausgehalten und wäre dann noch mehr gar gewesen.«
»Gute Nacht, Bärbchen.«
»Gute Nacht, Anna. Hast du Kopfweh?«
»Ja.«
Bärbchen hatte eben das Licht ausgelöscht, als ein Trompetenstoß von der Zugbrücke her bis ins Herrenhaus drang. Auf dem Hofe wurde es lebendig, man hörte rufen und Rosse wiehern. Bärbchen sprang aus dem Bett und eilte ans Fenster, das sie ein wenig öffnete. »Es sind Ordensherren,« sagte sie dann, »ein älterer und ein ganz junger. Sie entschuldigten sich beim Ohm, daß sie so spät gekommen. 100 Sie hätten unterwegs einen näheren Weg nehmen wollen und sich darüber in der Wildnis verirrt. Na, das wird morgen wieder ein lustiger Tag, Anna.«
Und nun wurde es still im Zimmer.
Barbara hatte recht, der folgende Tag wurde ein sehr lustiger. Der eine der beiden Ordensherren, der Komtur von Marienburg, Herr Philipp Schall von Bell, der in Geschäften nach Kelles gekommen war, um mit Herrn Kruse als Stiftsvogt von Dorpat zu verhandeln, war zwar schon ein älterer und überdies ein sehr stolzer und zurückhaltender Herr, sein Begleiter aber, der Ritter Kaspar von Altenbokum war noch ein junges Blut, das erst vor kurzem aus Deutschland eingetroffen war und einen fröhlichen Tanz wohl zu würdigen wußte. Die Jugend tanzte denn auch fleißig und der Tag wurde sehr lustig. Der Tag, aber nicht der Abend.
Die älteren Edelleute hielt, so feindlich sie auch den Ordensrittern gesinnt waren, die Rücksicht auf Herrn Kruse und die altbewährte livländische Gastfreundschaft im Zaume und auch die jungen Leute, zu denen sich noch zwei Rosen gesellt hatten, ließen sich nicht merken, daß ihnen an den Rittern wenig gelegen war, immerhin bemerkten die letzteren nicht ohne Unwillen, daß der junge Fremde ein vorzüglicher Tänzer war. Wenn er in der Rulade seine Tänzerin mit der Linken an den untern Rand des Leibchens faßte und nun mit ihr den großen Sprung machte, so kam er höher als irgend ein anderer und in der Gaillarde waren seine Bewegungen ebenfalls tadellos. Da er nun als Fremder den Mädchen ohnehin interessanter war, als die längst 101 bekannten Vettern, so hafteten ihre Blicke mit Vorliebe auf seinem blonden Lockenkopf oder schauten ihm in die blauen Augen. Trotzdem hielt man während des Tanzes noch an sich, als man aber beim Biere saß, und jeder tüchtig getrunken hatte, fand die Gesinnung auch ihren Ausdruck. Hans von Rosen, dem der Schelm allezeit im Nacken saß und den es nicht wenig verdrossen hatte, daß Gretheken Vietinghof mit dem von Altenbokum so gern zu tanzen schien, blinzelte erst Arnt Vietinghof zu und begann dann dem jungen Ritter von einer Wolfsjagd zu erzählen, die er im vorigen Jahr auf junge Wölfe wollte abgehalten haben. »Wie ich nun,« erzählte er, »um Mitternacht, wo die Alte zu den Jungen geht, diese anheule, bellen mir die vier, Jungen, die hungrig waren wie die Westfälinger, fröhlich entgegen.«
Die übrigen Junker brachen hier in ein lautes Gelächter aus, das den von Altenbokum erst darauf aufmerksam machte, daß ein Witz auf seine Kosten gemacht worden war. Die Zornesader schwoll ihm darüber mächtig an, und er fragte den von Rosen, was er mit seinen Worten hätte sagen wollen. Der Junker versicherte darauf mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt, er glaube allerdings bemerkt zu haben, daß die Herren aus Westfalen, die ja überhaupt sonderlich starke Leute seien, sich einer allezeit regen Esslust erfreuten.
»Verzeiht, edler Herr,« sagte Eilhard, dem der Handel überaus peinlich war, »der von Rosen hat gewiß nichts sagen wollen, was Eurer Ehre zu nahe treten könnte.« Reinhold Stahlbiter aber, der einen bösen Rausch hatte, rief dem 102 Ritter zu: »Wenn Ihr zu Hause genug zu essen hättet, würdet Ihr doch schwerlich nach Livland kommen, sondern lieber in Eurem Westfalen bleiben.«
»Das lügst du in deinen Hals hinein, du Schelm,« schrie der von Altenbokum, indem er so heftig aufsprang, daß der Stuhl weit zurückflog.
»Verfluchter Pfaffe,« brüllte der Junker, »den Schelm sollst du mit deinem Herzblut bezahlen.«
Auf den Lärm stürzten die älteren Herren, die bisher im Nebenzimmer saßen, herbei. »Was geht hier vor, Altenbokum?« rief der Komtur. »Das Schwert in die Scheide! Wißt Ihr nicht, daß ein Ritter der h. Jungfrau sein Schwert nur ziehen darf, um es im Dienste der Christenheit zu gebrauchen? Hat man Euch beleidigt? Antwortet, ich befehle es Euch.«
»Man warf uns vor, daß nur der Hunger uns Westfalen nach Livland treibe. Soll ich mir das gefallen lassen?«
Das ohnehin strenge Antlitz des Komturs nahm den Ausdruck unbeugsamer Härte an. »Ihr wohl,« sagte er, scheinbar ruhig, »aber der Orden wird den Schänder seiner Ehre zu finden wissen. Wer ist der Junker, gestrenger Herr?« wandte er sich dann an den Hausherrn.
»Laßt ihn,« begütigte Herr Kruse, »er hat treuherzig getrunken und einen grausamen Rausch. Aus ihm hat das Bier geredet. Er wird Euch morgen um Verzeihung bitten.«
»Einerlei, wer ist es?«
Die ernste Wendung, welche der Handel nahm, ließ die übrigen schweigen, Jürgen Thedingsheim aber sagte kalt: »Ein Livländer, der sich von einem landfremden Westfälinger 103 nicht ohne weiteres einen Schelm nennen lassen will. Eine solche Vermessenheit hat ja allerdings Strafe verdient.«
»Das kostet mindestens den Kopf,« spottete der Herr von Taube.
Die Augen des Komturs funkelten, aber er behielt seinen Zorn in seiner Gewalt. Dieser Mann, der sein langes Haupthaar und seinen Bart täglich in zierliche Locken kräuseln ließ und dessen Finger mit Ringen geschmückt waren, wie die eines Mädchen, hatte trotzdem etwas Imponierendes. Er galt mit Recht für die beste Lanze des Ordens.
»Gestrenge Herren,« erwiderte er, »ich frage euch auf euer ritterlich Wort, nannte der Ritter jenen Junker einen Schelm, nachdem er den Orden beleidigt hatte oder vorher?«
»Es gibt ja leider Gottes auch noch genug andere Westfälinger im Lande, als diejenigen, welche so glücklich sind ihre Schwerter nur im Kampf für die Jungfrau Maria ziehen zu dürfen,« sagte Jürgen Thedingsheim. »Der Junker wird wohl nach denen geschossen haben.«
»Gestrenger Herr,« erwiderte der Komtur, »niemand wünschte in diesem Augenblick mehr als ich, daß wir auch gegen andere vom Leder ziehen könnten, aber dieser Wunsch hilft leider dem Roß nicht über den Graben. Darum frage ich nochmals: wie heißt der Junker da? Er kann ja zusehen, wie weit er mit Euerer Unterscheidung vor Seiner Fürstlichen Gnaden dem Herrn Herrmeister kommt.«
»Mein Name ist Reinhold von Stahlbiter,« erwiderte der Junker, der nüchtern geworden war, »Euer Herrmeister aber geht mich nichts an, denn ich bin ein Mann des Bischofs von Dorpat.« 104
»Wer bürgt mir dafür, daß der Junker nicht landflüchtig wird?« fragte der Komtur.
»Ich! ich! ich!« hieß es von allen Seiten.
»Wohlan, Altenbokum, dann zu Roß.«
Vergeblich suchten Herr Kruse und Peter Thedingsheim den Handel zu vermitteln oder die Herren wenigstens zu vermögen, erst am folgenden Tage aufzubrechen. Nach einer halben Stunde ritten sie unter der Führung von zwei Kellesschen Reitern hinaus in die finstere Nacht.
»Der Junker soll an mich denken!« schwur der Komtur, sobald sie die Zugbrücke hinter sich hatten. »Bei Gott, es ist die höchste Zeit, daß einmal ein paar beim Kragen gefaßt werden, sonst wird es um unser Regiment bald geschehen sein. Seit die verdammte lutherische Ketzerei im Lande um sich gegriffen hat, sind wir hier nur noch die Geduldeten, wir, ohne die doch alles übereinander fallen würde, wie ein Turm ohne Mantelmauer. Nehmt dem livländischen Gaul den westfälischen Reiter und er wird in derselben Stunde platt auf der Nase liegen. Gebt ihnen, was sie wollen, ihre ›livländische Libertät‹ und sie erwürgen sich, zuchtlos wie sie sind, beim Raufen Mann für Mann, daß der Pollacke und der Moskowiter statt mit dem Säbel und dem Bogen nur mit Spitzhacke und Spaten ins Land zu kommen brauchte, die ganze livländische Herrlichkeit zu Grabe zu bringen.« 105