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Wenn doch die Deutschen, die Gedrucktes kaufen, ein Gefühl für Sauberkeit hätten, wenn sie Ehrgefühl hätten oder Keuschheit, sich nicht von jedem ansprechen zu lassen! Da sind zum Beispiel die Herausgeber einiger Zeitschriften, die darauf angewiesen sind, sich eine gewisse Abonnentenzahl zu erhalten. Sie sagen auf ihre Weise, was ist. Sie vergemütlichen das, was geschieht oder beinahe geschehen wäre fürs deutsche Gemüt, so daß sie immer auf der Höhe der Zeit sind, die Ereignisse erfolgreich abschwächen und in Jahresabonnements umsetzen. Im Grunde sagen sie nicht was ist, sondern was gefahrlos ist zu sagen. Es war für den Kenner höchst reizvoll zu beobachten, wie sich diese Anpassungsfrohen verhielten in einer Zeit, in der nur die geduldet wurden, die das System der Lüge nicht gefährdeten und die geistige Korruption als vaterländische Notwendigkeit anerkannten. Man blättere nur einmal in Kriegsheften gewisser Zeitschriften und entscheide sich dann, ob man beginnen will, anständig zu werden und die Konsequenz zu ziehen, die nur sein kann: Ausschaltung der Menschen, die die Lüge auf irgendeine Weise gestützt haben und sei es nur dadurch, daß sie, statt durch Schweigen zu obstruieren, einen Wahrheitsersatz verbreitet haben, der die Gehirne statt der Wahrheit füllte. Ausschaltung derer, die mit den kriegsverlängernden Mächten paktiert haben, Entschädigung annahmen oder sonst in irgendeiner Weise käuflich waren. Reinigung des öffentlichen Lebens. Nur Männer mit unbefleckten Händen an alle sichtbaren Stellen!
Es ist klar, daß jemand, der im Dienst der Schuldigen gestanden hat und geholfen hat, den Völkerhaß zu schüren, so lange er militärische Notwendigkeit war, jetzt so tun muß, als könne die Schuld geleugnet werden und als ob ein gewisser Völker- und Rassenhaß von Nutzen sei. Diese zweckmäßige Richtung nennt sich »deutscher Pazifismus« und bietet die Möglichkeit, sich über Menschheitsdinge zu unterhalten, ohne die teutonische Gesinnung zu ändern, also ohne Treitschke und Genossen über Bord zu werfen. Mit deutschem Pazifismus, mit einem nur etwas gedämpften »wir sind wir« und »Gott strafe Frankreich« findet man im deutschen Spießertum noch Verständnis; der Bürger ist ja schon dankbar, wenn ihm versichert wird, er könne weiterschlafen. Die großen Gedanken, mit denen die Welt neu aufgebaut werden soll, sind ja in der Tat für Leser deutscher Familienblätter zu unverständlich. Die Leser würden, wenn sie davon erführen, glauben, sie seien verrückt, so furchtbar ist die plötzliche Erkenntnis, daß das, was sich wie Licht gebärdete, das gedruckte Wort, von dem Generalkommando und seinen unverdächtigen Zuhältern dazu benutzt worden ist, ein ganzes Volk in Dunkelheit zu halten. Es ist in deutscher Sprache so gelogen worden, daß man zweifelt, ob sie sich überhaupt noch dazu eigne, die ungeschminkte Wahrheit zu sagen.
Das ungefähr ist der Grund, weshalb deutsche Pazifisten auftreten. Sie müssen so tun, als ob das, was sie aus Klugheit oder Furcht schreiben, einer ernsthaften Gesinnung entsprungen sei, und behaupten, sie seien Pazifisten, wenn es ihnen gelingt, mit solchen ins Gespräch zu kommen, die sich schon Pazifisten nannten, als das gefährlich war. Bei dem in Deutschland herrschenden mangelnden Geschmack und Ehrgefühl in politischen Dingen kann es ihnen dann gelingen, die Aufmerksamkeit von ihrer eigenen Vergangenheit abzulenken.
Gefährlich sind solche Betriebsame vor allem dadurch, daß sie ernten, was sie nicht säten, und das politische Leben korrumpierten, weil jedermann sieht, mit Vorsicht kommt man bei uns ebensoweit, wie mit Mut und Opfersinn. Gefährlich sind sie auch deshalb, weil ihnen die Unkompromittierten unbequem sind, die, wenn Reinlichkeit Platz greift, ihnen vorgezogen werden.
Herr Dr. Hermann Popert, mit dem ich vor Jahren eine Zeitschrift begründete, und neben dem ich mich als Herausgeber nennen ließ, hat den Wunsch, jetzt als Pazifist zu gelten und fürchtet, ich, der wirklich Pazifist war, könnte ihm unbequem werden. Er dichtet mir deshalb die Gesinnung an, die denen angedichtet wird, die man heutzutage »auf der Flucht« zu erschießen beliebt und droht, mich, wenn ich mich nicht zurückhalte, durch Hinweis auf das, was ich wegen meiner pazifistischen Gesinnung in »Großer Zeit« auf mich nehmen mußte, unschädlich zu machen. Da er nicht behaupten kann, Pazifist von meiner Art zu sein und sich Fried, Stöcker, v. Gerlach, Nicolai wohl auch verbitten würden, wenn er neben uns Platz nähme, behauptet er, wir gingen zu weit und nennt sich deutscher Pazifist. Er druckt Worte der Entschuldigung für die deutsche Kriegsführung, behauptet, Deutschland habe den Krieg nicht begonnen, rechtfertigt den Einfall in Belgien, nennt die Zerstörung von Löwen, die Füsilierung von Belgiern kaltblütig »ganz natürliche und anerkannte Folgen des Franktireurkrieges«, spricht mit Gemütsruhe über die Hinrichtung der Miß Cavell, als ob es sich hier um nichts weiter als um die »Ausübung klaren deutschen Rechtes« handle, und rechtfertigt die Versenkung der Lusitania und den U-Boot-Krieg. Er schreibt so, als sei er wirklich der Meinung, er dürfe nach allem, was hinter uns liegt, über diese Dinge nüchtern, als Jurist, sprechen und hindert dadurch den Wechsel der Gesinnung, auf den die Menschheit wartet. Wie schrecklich! Die, die jede Unmenschlichkeit der deutschen Militärbestie beschönigt und dem Spießer in harmloser Form präsentiert haben, die das Herz und Gefühl der Menschen immer wieder verschütteten, dürfen jetzt noch so tun, als ob sie aus Achtung vor dem Recht gehandelt hätten!
Dieser Krieg aber war für die geistige Menschheit ein Scheidewasser. Wie sich jemand unter dem Druck der Lüge und Gewalt verhalten hat, das stempelt ihn für immer. Dr. Hermann Popert hat bekennen müssen, daß er mit dem merkwürdigen Politiker »Fidelis« identisch ist, der sich in den letzten Kriegsjahren die Aufgabe gestellt hatte, die jeweilige Regierung, die Gewalt hatte, zu verherrlichen und dem Volke einzureden, daß die Sache des Friedens bei uns in keinen besseren Händen sein könne. Und deshalb, weil Popert der unheilvollen Aufgabe diente, die Aufmerksamkeit von der Schuld der deutschen Regierung abzulenken und das aller Welt deutliche Friedenshindernis, die deutsche Regierung, zu stützen, deshalb, weil er geholfen hat, den Krieg zu verlängern und die menschliche Empörung zu hindern, auf die die friedenshungrige Menschheit wartete, deshalb hat er ein Recht verwirkt, sich Pazifist zu nennen. Erst ein ehrliches, erschütterndes Bekenntnis; erravi, peccavi und eine ehrfürchtige Verbeugung vor allen aufrechten Bekennern vom Schlage der Liebknecht, Eisner, vor der Wahrheitsliebe eines Fried könnte Menschen seiner kriegerischen Vergangenheit das Vertrauen der Geistigen wiedergeben. Er aber glaubt auf andere Weise über seine Kriegstätigkeit hinwegzukommen: indem er Pazifisten zu einer Unterhaltung einlädt wie seinesgleichen. So etwas darf nicht dulden, wer, wie so viele Pazifisten, für seine Überzeugung schwere Leiden auf sich nehmen mußte, während Herr Popert und seinesgleichen das alte System stützten und nichts taten, die Riegel der Kerker früher zu sprengen als die Matrosen des 9. November. Und deshalb müssen wir die Hefte durchblättern, in denen Herr Fidelis politisch belehrt und prophezeit, was inzwischen so ganz anders gekommen ist. Ein Durcharbeiten dieser Hefte ist nicht nötig; flüchtiges Blättern genügt, um den Geist dieser Politik zu erkennen und sich zu überzeugen, daß man weder den Versuch, sich mit Fried über Elsaß öffentlich zu unterhalten, noch die mindestens komische Abfertigung Kurt Eisners als eines »guten Literaten, aber politischen Phantasten« ernst zu nehmen braucht. Das Bild ist ganz deutlich:
Die Bethmann und Genossen brauchten neben vielem, was im Schatten des Krieges gedieh, eine Feder von der Dienstbeflissenheit und Ergebenheit, von der Treue eines Fidelis, um die Aufmerksamkeit von sich und ihren Verbrechen abzulenken. Fidelis betrachtete es daher als seine Aufgabe, einen mutigen Kampf gegen die Alldeutschen zu führen und die regierenden Männer gegen die Übertreibungen der Alldeutschen in Schutz zu nehmen. Die politisch wohl besonders mit Weisheit gesegneten Leser seiner Aufsätze merkten nicht, daß dieses Manöver der Regierung ermöglichen sollte, so alldeutsch wie möglich zu sein; denn die albernen Übertreibungen der alldeutschen Presse waren ebenso wie des »Berliner politischen Mitarbeiters« »Fidelis« treffliche Aufzählungen dieser Torheiten, eine von ihr gewünschte Arbeit. Verglichen mit Reventlow waren die Bethmann, Kühlmann, Hertling ja die reinen Pazifisten – in den Augen der Deutschen; im Ausland, auf das es ankam, glaubte kein Mensch an die ehrliche Gesinnung dieser Leute. Wären Herrn Bethmann die alldeutschen Blätter wirklich unbequem gewesen, so hätte er sie nur zu behandeln brauchen, wie er die pazifistischen Zeitungen behandeln ließ, und er brauchte der Regierung dazu nicht den politischen Scharfblick eines Fidelis zu sichern. Aber es wiederholte sich immer dasselbe Spiel: Zum Beispiel das alle Friedenskeime vernichtende Verbrechen des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Bethmann begeht es. Fidelis rechtfertigt es und beschwichtigt alle Zweifler in einem langen, äußerst naiven Aufsatz: »Warum wir vertrauen.« Er glaubt alles, was »unser sicherer und gewissenhafter Kanzler« und die Marinesachverständigen(!)sagen und stellt es so dar, als ob es zu jener Zeit nur darauf ankäme, Bethmann in Schutz zu nehmen gegen diejenigen, die ihm vorwarfen, er beginne diesen Krieg zu spät. In diesem Artikel werden Bethmann und der Kaiser mit den Phrasen ihres sogenannten Friedensangebotes typisch gezeigt als die größten Friedensbringer der Welt, im Gegensatz zu den Alldeutschen und den »Kriegshetzern George, Briand«. So etwas ist in der Wirkung nichts anderes, als Leser planmäßig und raffiniert irreführen, die Aufmerksamkeit von den Verbrechen der Regierung ablenken, die Kritik töten und gar den Völkerhaß schüren. Wer auch ans Ruder kam: Michaelis, Hertling, Prinz Max und wie die längst Vergessenen heißen, die sich über Zusatzstimmen im Wahlrecht unterhielten; jedesmal stellte sich Fidelis hin und erklärte der staunenden Menge: »Seht diesen famosen Mann, es gibt keinen geeigneteren, das ist der Führer, hört seine friedlichen Reden eines Friedensengels; er bringt die Ethik in die Politik. Wie viel gemäßigter ist er doch als die Alldeutschen; wenn jetzt die Feinde immer noch nicht wollen – dann werden unsere Waffen es ihnen zeigen!« Daneben verzapft er so viel Völkerverständigung, wie die Regierung erlauben mußte, damit die Zeitschrift, in der diese Aufklärung betrieben wurde, als pazifistisch gelten konnte. Wie minimal Poperts Pazifismus damals war, geht allein aus der Tatsache hervor, daß er meine Beteiligung an der Gründung der »Zentralstelle Völkerrecht« als Gefährdung unserer Zeitschrift ansah und mich veranlaßte, meine Eigenschaft als Herausgeber aufzugeben. Der innere Grund war natürlich der, daß er wußte, ich konnte sein Paktieren mit der Regierung nicht billigen und war für keine Abhängigkeit zu haben.
Fidelis rechtfertigte die Haltung der Regierungssozialisten, indem er ihre heuchlerischen Sätze bringt: »Die Kreditverweigerung würde den Krieg nicht beenden«. »Selbstverständlich dürfen wir Elsaß nicht herausgeben« (November 1918). Der Zweck seiner ganzen Tätigkeit war also der: Die Leser sollten nicht erkennen, daß die Vorbedingung für den Frieden die Beseitigung aller Vertreter des schuldigen Systems war. Dazu beschäftigte er die Leser mit dem ganz überflüssigen Kampf gegen die Alldeutschen, dem die Regierung aus ihren Hauptquartieren schmunzelnd zusah. Der untertänige boche war mit sich beschäftigt, er erfuhr nichts über die Stimmung des Auslandes, er brauchte nur aufgezogen zu werden, um auf den »Unverstand unserer Feinde« zu schimpfen und unsere Regierenden in Ruhe zu lassen.
Einige Proben dafür, welch sicherer Prophet Fidelis war, und wie dieser Pazifist den Weg zum Frieden versperrte:
Im Januar 1918 schreibt er von »unsinnigen Kriegserwartungen der Entente«; unsere Zustände aber seien gesund, unsere Politik könne keinen Mißerfolg haben. Im Februar 1918 ist ihm das Wichtigste, für den »Volksbund für Freiheit und Vaterland« zu werben. Wo ist er jetzt? Fidelis schrieb noch im Februar 1918: »Als Bethmann seine große Rede gehalten hat, hat er einen Markstein in der Weltgeschichte gesetzt«, er, »der Bahnbrecher der ethischen Politik.« Wo ist das alles jetzt? Den Ostfrieden, der uns das Mißtrauen aller Völker eintrug, findet er in Ordnung. Von Solf sagt er, seine Grundanschauungen bewegten sich in den Bahnen der ethischen Politik. Am 2. Mai 1918 zeichnet er ein Bild der Kolonialpolitik, wie es Solf hat, »der berufenste Sachverständige, den Deutschland hat«. Es war merkwürdig, daß gerade bei uns die Berufensten immer die höchsten Ämter bekleideten, und ein Aufsatz über den »Aufstieg der Begabten« in derselben Nummer der Zeitschrift war demnach eigentlich überflüssig. »Der Friede wird da sein, sobald in England ein Umschwung kommt. Unsere Waffen können das beschleunigen.« Ist auch das Pazifismus? Am 31. Mai rechnet Fidelis dem beglückten Volke vor, wie Gewaltiges an Erdöl sich Herr Kühlmann in Bukarest sicherte, und sagt, man müsse nun begreifen, weshalb der Kanzler – sein Name ist inzwischen verschollen – Herrn Kühlmann am Bahnhof empfing. Juni 1918 eine Drohung über den Kanal: »England soll spüren, wie Deutschland sich seiner Feinde erwehrt.« Wie denn? Den braven Grafen Hertling – er ist wohl inzwischen gestorben? – bringt er schon durch eine Überschrift in den Verdacht, er habe ein »Außenprogramm«. Noch am 8. Oktober 1918 vergöttert er die Generäle: »Ganz besonders wollen wir daran denken, daß die Rückzüge, die Hindenburg in diesen Tagen befohlen hat, sich stets als seine militärischen Meisterwerke herausgestellt haben.« Am 16. September 1916 schrieb die Schriftleitung des »Vortrupp«: »Hindenburg Chef des Generalstabes – ein freudiges Aufatmen geht durch das ganze deutsche Volk. Endlich! Das war so, ist so und bleibt so.« Ist das wirklich so geblieben? Am 5. Oktober 1918 war wieder einmal der einzig Richtige zur Macht gekommen: »Wir sind auf dem rechten Wege. Prinz Max von Baden. Wir haben jetzt einen Führer.« »Versäumen wir nicht, dabei des Mannes zu gedenken, der der Bahnbrecher der ethischen Politik im Reiche geworden ist: der fünfte Kanzler, Bethmann Hollweg.«
Es ist genug. Schon zuviel. Aber es mußte einmal an einem Beispiel gezeigt werden, mit welcher Kühnheit sich Menschen, die mindestens nichts für die Beseitigung der Friedenshindernisse getan haben, sich neben die aufrechten Kämpfer hinstellen und erwarten, daß sie anerkannt werden. Und noch immer fehlt in unseren »gebildeten Schichten« der Wille zu reinlicher Unterscheidung des Echten vom Unechten, der Halbheit und des Opportunismus von dem Ganzen. Wenn unsere Vereinsmeier doch endlich merkten, daß alles Winseln um Gnade bei der Entente nicht soviel wiegt, wie ein energisches Abrücken von allen Schuldigen und Kompromittierten. Wenn unsere Meinungsmacher endlich nicht mehr mit der Vergeßlichkeit rechnen können, sondern wissen, daß nur unbestechliche Gesinnung ihnen Kredit sichert, dann ist das neue Volk da, das nicht mehr eingekreist zu werden braucht.
Eisner sagte kurz vor seinem Tode: »Zwischen Gedanken und Tat darf kein Widerspruch und kein Zeitraum bestehen.«