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Die Fragwürdigkeit militärischer Erfolge

Aussage vom 7. November 1917 in der Untersuchungshaft

Ich litt sehr schwer unter dem, was ich vom Kriege vernahm. Ich hörte und sprach nie einen Menschen, der die Sache mutig ansah; denn mit den Utopisten, die an den U-Boot-Krieg die Erwartung knüpften, daß England in absehbarer Zeit auf den Knien liegen werde, konnte ich aus Selbstgefühl nicht sprechen. Die Beweise für die Schuld einer deutschen Gruppe von Verantwortlichen und Unverantwortlichen mehrten sich mir. Ich sah, daß militärische Erfolge wertlos sind und den Krieg nur verlängern können. Ich bin schon über die Tatsache, daß Amerika zum Kriege mit uns gezwungen wurde und der nur uns selbst schädigende U-Boot-Krieg begonnen wurde, außer mir gewesen. In Frankfurt hatte ich im Dezember 1916 auf die Treiber hingewiesen, die einen Bruch mit Amerika wollten. Es war in der öffentlichen Versammlung der »Zentralstelle Völkerrecht«. Als die unsinnigen Prophezeiungen des Tauchbootkrieges kamen, mußte ich, der ich die Folgen genau voraussah, mir sagen, daß einer irrsinnig sei, die andern Menschen oder ich. Wer nicht glaubte, daß England im August 1917 auf den Knien liege, wurde wie ein Verräter behandelt, und was der Eintritt Amerikas in den Krieg bedeutete, das sah niemand. Ich hatte sehr merkwürdige Erklärungen für die Schritte der Regierung. Im Januar noch hatte ich das Diner zum Empfang des aus Amerika zurückkehrenden Botschafters Gerard im Hotel Adlon in Berlin mitgemacht und hatte dem Präsidenten der Deutsch-Amerikanischen Handelsgesellschaft, dem mir bekannten Herrn Wolf auf seine Bitte einen Brief an den Präsidenten Wilson mitgegeben. (Herr Wolf sammelte Kundgebungen »bekannter« Männer Deutschlands über die Aussichten und war so liebenswürdig, mich dazu zu rechnen.) Ich erfuhr, daß die Nachricht von Fliegerangriffen auf Nürnberg, womit der Reichskanzler den Reichstag am 4. August 1914 für den Krieg gewonnen hatte, eine Erfindung gewesen ist; die Schrift des Fürsten Lichnowsky sagte mir, daß die von mir so erstrebte Verständigung mit England vor dem Kriege tatsächlich erreicht war und daß Deutschland ohne Blutvergießen einen ungeahnten Weltbesitz hätte haben können. Die Verständigung wurde aber aus persönlichen Gründen hintertrieben. Ich hatte außerdem das Märchen vom Handelsneid und von der Einkreisung durchschaut (vgl. die bei mir beschlagnahmte Schrift: »Um des teuren deutschen Blutes und Vaterlandes willen. Von einem preußischen Edelmann«). Das alles wußte ich, und die anderen wollten es nicht wissen. Sie umjubelten die unmöglichsten Illusionen, wie den Erfolg des Tauchkrieges und den Sonderfrieden mit Rußland.

Wie das Blatt »Ist in Deutschland eine Revolution möglich?« zeigt, kam ich schon auf den Standpunkt, den Untergang des deutschen Volkes mit Gelassenheit anzusehen und mich, so wie andere Leute, über den Fortgang des Krieges, von dem jeder Tag ein Nagel zum Sarge Deutschlands ist, zu freuen. Ich bestellte mir eine Karte mit den Flaggen der Mittelmächte und dem Aufdruck: »Herzliche Grüße zu den neuerdings versenkten ... Tonnen«. Diese boshafte Aufschrift wird vom Publikum durchaus als vaterländisch empfunden. Ich wollte mich zwingen, mich über diese verderblichen Dinge nicht aufzuregen. Wer außerdem, wie ich, Schilderungen vom Kriege in den »Weißen Blättern« gelesen hat, wird mich noch besser verstehen. So etwas macht schlaflose Nächte, oder man hat nicht das Recht, sich Mensch zu nennen. So sind denn meine Niederschriften zu verstehen als die Rückwirkung dieser ganzen qualvollen inneren Erlebnisse. Oft habe ich mir, wenn ich gar nicht an den Krieg denken wollte, gesagt: Man kann doch nicht untätig bleiben, während das da weiter tobt und Deutschland zerschlagen wird und andere zerschlägt. Ich muß irgend etwas tun und helfen. Immer wieder habe ich die Feder angesetzt und mich gefragt, ob ich irgend etwas schreiben könnte, was helfe; aber was die Zeitschriften brachten, war trostlos, und ich sah, daß man jetzt doch nichts Rechtes sagen kann. Da ist nun im Tagebuch, in Briefen und Notizen manches zu Papier gekommen und einiges Weniges hinausgegangen.

Zu der Frage, ob ich, als ich den Brief in die Schweiz absandte, mir nicht gesagt hätte, daß ich Deutschland damit schaden könne, habe ich noch zu sagen: Wenn ich bedaure, den Brief gesandt zu haben, so bezieht sich das nur darauf, daß es sich nicht um einen echten Brief handelte. Selbstverständlich glaube ich dem deutschen Vaterland zu nützen, wenn ich dem Ausland einen Beweis mehr zeige, daß nur eine Gruppe von Menschen bei uns das vertritt, was zu den Verbrechen von 1914 geführt hat, wenn ich die Völker versöhnlich stimme, sodaß sie sagen: »Man kann also doch mit dem deutschen Volk Frieden machen.« Das ist nämlich die Frage, um die es sich nach meiner Kenntnis für die Menschheit jetzt handelt: »Ist nur eine Gruppe von Menschen in Deutschland an der Katastrophe schuld, oder muß das ganze Volk unschädlich gemacht werden?« Sobald das Volk sagt: wir billigen das Vorgehen der Schuldigen nicht und geben Garantien, hat Deutschland den Frieden, den es wünschen muß und kann. Ohnedem nicht mehr. Militärische Erfolge und ein militärischer Endsieg ändern daran nichts; ein deutsches Volk, das das nicht eingesehen hat, was der große Lohn dieses Krieges für die Menschheit ist, wird auch auf friedlichem Wege unschädlich gemacht und kann nicht weiter bestehen.


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