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Die Kenntnisse der natürlichen Lebensweise

Gut Waldfrieden, Ende April 1914

Mir hat der Neger Lukanga die Kenntnis des Vegetarismus vermittelt. Als er sich die deutschen Sitten ansah, fand er es gar nicht so selbstverständlich, daß man Tiere tötet, in Stücke schneidet und aufißt. Da wurde ich aufmerksam und sagte mir, vielleicht empfinden die Vegetarier die Einwände, die gegen den Vegetarismus gesagt werden, gerade so als etwas Törichtes, wie ich, als Kenner der Alkoholfrage, die Einwände der Alkoholtrinker gegen die Abstinenz töricht finde. Und so beschäftigte ich mich mit der Frage.

Und bald sah ich eine große Einheit, eine Übereinstimmung alles dessen, was ich bisher erlebt hatte. Und alle Erinnerungen paßten zu der Erkenntnis. Ich nenne einige:

Als ich mich in Afrika wochenlang in der Wildnis nur von Fleisch und von Eiern wilder Vögel genährt hatte, war ich sehr schwach und krank gewesen.

Als ich mit meiner Frau nach den Nilquellen wanderte, beobachtete ich bei ihr, die noch nie Alkohol getrunken und sich so kindlichen Geschmack bewahrt hatte, eine stürmische Vorliebe für alle Früchte der Neger. Zuckerrohr, Knollen, Nüsse, Negerkorn, allerlei Kerne: alles naschte sie roh und teilte es mit den Wilden. Und wenn Europäer davon hörten, warnten sie. So wie der Onkel Sanitätsrat, der das Gläschen Rotwein gestattet, vor dem Sport warnt.

Die Physiologen, dem Volke leider meist so wenig nützlich wie ihr Name fremd klingt, scheinen ihren Hörern zu verschweigen, daß es nicht nur Fleischesser und Pflanzenesser, sondern daß es auch Fruchtesser gibt. Dadurch hindern sie die Erkenntnis der Wahrheit. Es gibt Gebisse und Verdauungseinrichtungen, die verschieden sind für die drei Arten der Nahrung. Ein Gebiß aber für die Kost, die aus Fleischstücken und Pflanzen in Kochtöpfen gemischt wird, kennt die Natur nicht.

Wie leicht pflücke ich die Mandarine vom Baum, breche sie mit den Fingern auf und führe mir zu, was davon eßbar ist. Und wie ich den Kern mit Lippen, Zähnen und Zunge herausfinde, weiß ich, daß niemand sich ein geeigneteres Werkzeug dafür ersinnen könnte. Was ich hier mit der Frucht mache, kann ein Pferd nicht, es ist Grasfresser, ein Hund mit seiner Taschentuchzunge auch nicht, er ist Fleischfresser. Aber Gorgo, ein Polyphem, kann es, und Kasuku, mein grauer Papagei vom Kiwusee, kann's auch. Sie sind Fruchtesser.

Und wie genau führen Zunge und Lippen eine Nuß, einen Pflaumenkern zwischen die kräftigen Eckzähne und werfen hinaus, was nicht eßbar ist. Das soll ein Zufall sein?

Versucht einmal, ein Kaninchen zu greifen und es wie eine Mandarine zu genießen! Speiübel wird euch dabei.

Und ist es nicht auch ein Fingerzeig, daß rohes Fleisch uns nach gar nichts schmeckt, daß gekochtes nur schmeckt, wenn man Pflanzen hinzutut, daß es dann zwischen den Zähnen hängen bleibt, und daß uns Menschen Aas widerlich ist; während Fleischfresser es gerade lieben? Das Fleisch der Fische gar bedroht unsern Gaumen noch auf der Schüssel mit spitzen Nadeln.

Nun erst die ethische Seite, die wirtschaftliche, die gesundheitliche!

Wer ein Wanderer ist, weiß, wie leicht sich Geschirr reinigen läßt, an dem keine »Leichenteile und Leichensäfte« kleben, weiß, wie sauber das Haus und das Leben bei natürlicher Lebensweise werden.

Er braucht nicht erst in Schlachthäuser zu gehen, um mit Apollonius auszurufen:

»Ich aber will leben wie Pythagoras!«


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