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Rotes Kreuz ist nicht Blaues Kreuz!

»Rotes Kreuz ist nicht Blaues Kreuz!« Diese Belehrung bekam ich, während ich von Leipzig nach Frankfurt a. M. fuhr. In den Zug stiegen eine Anzahl wohlbeleibter Männer ein, in dunkelgrauen Anzügen mit weißen rotbekreuzten Aufschlägen. Diese Männer erregten meine Teilnahme, weil sie fürchterlich zu rauchen anfingen und sich mein Neger Lukanga grade mit dieser Sitte der hiesigen Eingeborenen zu befassen hat. Als ich beobachtete, wie sie das mit den »Rauchrollen« anstellten, mußte ich andere höchst befremdende Wahrnehmungen machen. Aus Rucksäcken und Handtaschen wurden Weinflaschen hervorgezogen, die mit echten deutschen Worten von Mund zu Mund gereicht wurden. Jetzt konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mir diese Menschen mit geringerem Wohlwollen anzusehen, als ich es gewöhnlich Mitreisenden entgegenbringe. Und ich stellte fest, daß auf diese Männer jede Verhöhnung paßte, die der »Simplicissimus« seit Jahren über ungebändigte Sachsen ausstreut. Sie »bändigten Eel-Sardinen«, wie sie es nannten, das heißt, sie stachen mit Taschenmessern in Büchsen, die tropfend herumgereicht wurden und wischten mit dem Handrücken die Schnauzbärte.

Auch Soleier wurden zwischen Zigarre und Bierflasche verarbeitet. Nie ist mir eine menschliche Mundart so häßlich erschienen, wie die Sprache dieser Männer, die sich gehen ließen. Jetzt wurde Flaschenbier angefahren. Ein Geheul erhob sich. »Bis Frankfurt muß der Zug leergesoffen sein!« Die Papierverschlüsse der Flaschen wurden an die Fenster geklebt und neben den grünbebänderten Medaillen am Rock befestigt. Einer goß unter dem Beifall der Artgenossen eine halbe Flasche Wein ohne Absetzen hinunter. Ich fragte einen Mann, was das rote Kreuz auf den Kragenaufschlägen bedeutete: »Das sind alles Führer vom Roten Kreuz; die fahren zum Verbandstag der Führer und Ärzte nach Heidelberg.« – »Richtig,« sagte ich, »das Rote Kreuz hat ja doch mit Gesundheit zu tun; aber weshalb trinken denn diese Männer so furchtbar?« – »Rotes Kreuz ist nicht Blaues Kreuz!« war die schlagfertige Antwort. Und nun erfuhr ich gleich noch etwas, was ebenfalls der »Simplicissimus« als sächsisch kennzeichnet: »Ich gehöre auch dazu, fahre aber nicht nach Heidelberg, sondern benutze die Militärfahrkarte nur dazu, meinen Gleenen nach Frankfurt zu bringen.« – Das war ehrlich.

Ich ging in den Speisewagen, weil ich vermutete, daß dort noch mehr los sein werde und hatte mich nicht getäuscht: dort saßen sieben starke Männer bei der »siebenten Runde« Flaschenbier, und es gab gerade echt deutschen Gesprächsstoff: die eine Biersorte war »aasgesoffen«, und ein Diener, der von vorne kam und einen Kasten Bier anbrachte, wurde von einem starken Mann aufgehalten, damit die Flaschenaufschriften gelesen werden konnten. Das Eingeborenengetränk hieß »Fürstenbergbräu«. – »Trinkt Willem ooch,« wurde festgestellt und weiter, daß es nicht schmecke.

Mittlerweile war die Unterhaltung auf Fortissimo gestiegen. Man brüllte nur noch. Da, im Wohlgefühl, fing einer an laut zu singen.

»Meine Herren, benehmen Sie sich doch anständig, wenn Sie in Uniform sind,« wagte ein Herr zu sagen, der an einem Ecktisch kräftig dunklem Bier zusprach, und wie die andern mehrere Orden trug. Ich schrieb eifrig mit, was ich hörte.

»Was??? Benehmen wir uns nicht anständig? Wer will denn da Moral predigen? Wir wissen allein, was Moral ist! Wir waren eher hier als der! Wir trinken unser Bier, da können wir uns unterhalten, Hauptsache ist, wir zahlen. Wir sind doch keine Süffel! Wir sind eben keine Tranfunzen; gemietliche Thiringer sind wir! Wir nehmen heute die Gelegenheit wahr. Wir dürfen hier doch Bierulk machen, wir haben mehr verzehrt als der. Süffel hat er uns genannt? Soviel wir trinken, trinken wir eben.«

Diese Leute wußten das alles nicht besser, konnten sich nicht anders benehmen und haben sich als Biertrinker ja durchaus anständig benommen. Ich entrüste mich nicht darüber. Ich stelle nur fest, daß sie Merkmale völliger Unkenntnis der Alkoholfrage zur Schau trugen. Solange das im Roten Kreuz so bleibt, kann nicht oft genug betont werden:

Rotes Kreuz ist nicht Blaues Kreuz!


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