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Aus dem Tagebuch einer afrikanischen Hochzeitsreise

I.

Als wir uns dem Dorfe Mutahangarwas näherten, fielen uns die großen, sorgfältig gebauten Hütten auf. Wir wurden zu einem Rasthause geleitet, bei dem uns der Sultan gleich aufsuchte. Er sagte, er habe vom Residenten einen Brief bekommen und schon auf uns gewartet. Ich erkannte den Sultan von einem Bilde, das am Geburtstage des Kaisers aufgenommen worden war und die Negersultane Bukobas zeigte, wie sie von den Deutschen in Uniform mit Tressen und Orden in der Trinksitte der europäischen Wilden unterwiesen werden. Jeder hatte auf dem Bilde ein Glas Whisky vor sich. Der Tisch, an dem auch die weißen Frauen saßen, war mit Flaschen bedeckt.

 

Wir besuchten am nächsten Morgen das Haus der Sultansmutter, eine riesige, mit feinem Grase gedichtete Hütte. Auch der Boden war mit sauberem, trockenem Grase belegt. Das Innere sah geradezu märchenhaft aus. Im Hintergrunde hingen kunstvolle, schneeweiße Milchgefäße in langen Geflechten. Am Eingang standen wir in einer großen Säulenhalle. Die neuen, schwarzen Holzstützen ragten hoch in das glänzende, berußte Dach hinein. Die Beleuchtung brachte es mit sich, daß die Rohrstengel, die radial das Dach bildeten und durch waagerechte Läufe unterbrochen wurden, wunderlich strahlten. In der Mitte der Hütte war zu ebener Erde eine große, runde Herdstelle aus weißem Ton, worauf ein rotes Feuer glühte. Als dieses Feuer nun angefacht wurde, sahen wir erst eine und dann daneben drei Frauen sitzen, mit Kleidern aus Fell mit weißen Mustern. Sie sahen zu Boden. Die Mutter des Sultans saß hinter einem geflochtenen Schild, hinter einer Schutzwand. Ellen wurde von den Frauen sehr angestaunt; sie trug ihren großen Hut und Reithosen. Der Sultan erzählte seiner Mutter von den Gesängen, die wir aufgenommen hatten, und bat, wir sollten sie hier noch mal spielen lassen. Da es stark regnete, blieben wir gern noch länger und erfreuten uns selbst an den wiederholten Gesängen der Kinder. Vor der offenen Tür standen nackte kleine Mädchen und hörten zu. Sie schützten sich gegen den strömenden Regen, indem sie große, grüne Bananenblätter über sich hielten. Sie tragen dazu kurze, schwarze Schürzchen aus Bast und Perlenketten um die Hüften. Auf dem Kopf sind Muster einrasiert. Es war ein reizendes Bild.

 

Der Sultan Ruhikira von Katojo ist ein alter Mann. Er ließ sich entschuldigen, daß er den Weg zu mir nicht machen könne. Er schickte ein Rind, für das ich nur 10 Rp. zahlen sollte. Das war sehr freundlich. Meine Träger sagten, als sie hörten, daß der Alte nicht kommen könne: »Amechoka wasungu« – »Er ist der Europäer müde«! Und wir hatten Lust, es ihm zur Ehre anzurechnen, daß er sich vor dem unehrlichen und kindischen Radau ekelte, mit dem die Neger hier den hochgestellten Europäer empfangen zu müssen glauben. Wobei es übrigens nicht sicher ist, wer von beiden Parteien den andern mehr verachtet.

(...)

Der Katikiro aus Kaziba, ein Hondu, stellt sich vor. Er heißt Msanja. In seinem Gefolge sind mehrere gutgewachsene Neger. Er redet mich freundlich an, fragt nach dem Wichtigsten, nach Gesundheit und Nahrung und gibt mir Auskunft über Land und Leute. Schnell ordnet auch er sich mit seinen Begleitern in unseren Trupp ein, und noch mehr nackte Füße stapfen auf dem Wege nach Mtagata. Während wir gehen oder stehen bleiben, um zu betrachten, zu messen oder aufzuschreiben, sehen uns die einsamen Menschenkinder bewundernd an. Der Kompaß, die Kartenskizze und die Tätigkeit des Schreibens beschäftigt sie. Sie scheinen in ihrer Unschuld zu wähnen, daß solch Kulturbesitz nur Gutem, nur einer besseren Zukunft dienen müsse, und ich schäme mich geradezu, wie ich denke, wie schlecht wir mit all diesen Dingen die Erde verwalten, welche Tränen und Blutströme, welche Schmerzen wir verschulden.

(...)

Ein kleiner Buschbock sprang aus dem dornigen Dickicht ab, als ich gerade dabei war, einen merkwürdig geformten Lianenstamm absägen zu lassen. Ich folgte der zierlichen Spur, die aus dem Wald hinausführte, konnte den Bock aber nicht mehr sehen. Nicht weit stand an einem niedrigen Gestrüpp ein ganzes Rudel Pferdeantilopen. Alle Tiere waren durch den flüchtenden Bock aufmerksam geworden und äugten zu mir herüber. Ich ging in den Wald zurück und weiter zu Tal und kreuzte einen sehr merkwürdigen Schlupfwinkel des Wildes an einer Stelle, wo mehrere Schluchten zusammenliefen. Unter den niedrigen Büschen war der Boden von Fährten ganz zerstampft, das Wild hatte sich hier richtige Ställe eingerichtet. Ich fand in dichtem Gehölz die Stellen, an denen sich die Nashörner zur Mittagsruhe niederlassen. Auf einer nahen Höhe ästen zwei Warzenschweine und weiter unten am sonnigen Abhänge ruhte eine ganze Herde Elenantilopen. Von der Kuppe des Hügels sah ich zurück, da standen noch immer die Pferdeantilopen und sahen mir nach, der ich die Ruhe dieser Einsamkeit störte.

(...)

Eine wunderbare Wahrnehmung veranlaßte mich, das Boot im Strome zu verankern und eine photographische Aufnahme zu machen. Aus dem Wasser ragten mehrere starke Schilfstrunke. Die waren ganz bedeckt mit Sinfu-Ameisen, und wie ein Schal, der über die Strünke und das Wasser geworfen worden war, bedeckte ein ganzes Volk Ameisen die Wasserfläche unterhalb der Schilfstrunke. So hielt sich das Ameisenvolk mühsam in der Strömung an dem Halt, den es gefunden hatte, fest. Die Arbeiter bedeckten die Wasserfläche gleichmäßig, hielten sich mit den Beinen und den Zangen verschlungen und bildeten schwimmende Bänder, auf denen die Krieger und starken Träger trockenen Fußes verkehrten und die schneeweißen Larven trugen. Das Volk war hierher getrieben worden, nachdem das Hochwasser in seinen Bau gedrungen war. Die Ameisen, die hier als Volk zusammenhielten, in der wahrsten Bedeutung des Wortes, zeigten höchsten sozialen Sinn. Da war keiner auf eigene Rettung bedacht, jeder einzelne handelte als Glied des Ganzen.

 

Aber der Führer will bei uns bleiben und tut recht daran; denn bald ist an der harten, an verwittertem Boden armen Lava kein Fußpfad mehr zu erkennen. Die Pflanzen werden spärlicher. Die Steigung wird steiler. Wir müssen im Zickzack hinaufgehen. Eine Linie über uns: das muß der Kraterrand sein. Steil, hoch. Der Führer ist vorausgeeilt. Er ruft. Das spornt den unermüdlichen, reiselustigen Koch zum schnellen Lauf an. Er läuft und bleibt oben mit einem Mal halten. An seiner Überraschung konnten wir erraten, was sich uns zeigen werde. Der Blick in die große Arena kam trotz aller Erwartung zu schnell. Die Plastik eines gähnenden Schlundes. In ihm etwa hundert Meter unter uns ein erstarrter Teich, aus dem zwei kreisrunde Löcher ausgestanzt sind. Aus dem nächstliegenden steigt blauer Dampf hervor. Aus konzentrischen Rissen in der erstarrten Fläche züngelt weißer Dampf. Der Kraterrand selbst sieht neugierig in den Krater. Rings um die grausame Öffnung fällt es so steil, steinig und feindlich ab. Während wir mit unseren Augen schaudernd in die Runde sehen, sickern über den zackigen Rand weiße Dämpfe hinab. Sie tanzen, schweben in dem Riesenzirkus und fließen auseinander. Es ist, als ob selbst ihnen der Raum zu groß sei. Sie decken drüben die nördliche Kraterwand, mischen sich mit dem Hauch der Tiefe, decken die Schlünde und nehmen uns endlich das ganze Bild, so daß wir für Minuten auf eine nähere Wirklichkeit, auf uns selbst beschränkt werden, wie um nachdenken zu müssen, was wir gesehen, und zu merken, was wir übersehen hatten.

Wir freuten uns über die Neger, die alle freiwillig und aus Neugierde mit hinaufgestiegen waren. Mit blutenden Füßen waren sie hier oben angekommen; jetzt saßen sie auf den Steinen, für unseren Maßstab der Vorsicht allzunahe dem Kraterrande und schrieben und zeichneten sogar. Der Wäscher Massudi, ein Suaheli, zeichnete den Krater, ohne hinzusehen. Saidi und Clementi hatten Grün gepflückt, das sie nach Hause mitnehmen wollten, und alle sprachen vom »Kilima ya moto«, dem Feuerberge.

(...)

Als wir uns einem Marktplatz nähern, der auf einem weithin sichtbaren Hügel liegt, ohne daß irgend eine Hütte in der Nähe wäre, laufen die Neger, Männer und Frauen, die zu Hunderten dort angesammelt sind, ängstlich auseinander. Es ist, als ob sie noch glaubten, es käme jemand, der auf dem Markt Sklaven einfangen wolle. Der Eindruck der Verhältnisse in diesem ganzen Gebiete ist schrecklich und doch anziehend.

 

Als wir den letzten Sattel vor dem Sitz des Königs überschritten, kamen uns zur Begrüßung drei große, schlanke junge Männer entgegen in einem wunderlichen Schmuck ihrer nackten, bronzefarbenen Glieder. Zwischen den glänzenden Schultern hing ein Ordensband aus flatternden Haaren herab, ein kecker Schmuck. Von den Hüften herab spielten Fransen und Gehänge aus Otternfell. Die Köpfe hatten über feinen Gesichtszügen eine wunderliche Haarfrisur. Die Jünglinge stellten sich in ihrer seltsamen Kleidung grüßend vor uns hin, als wollten sie sagen: »Da sind wir.« Als die sonderlichen Gestalten aus einer anderen Zeit vor uns gingen, war uns ganz feierlich zumute und wir drückten uns erregt die Hände. Wir erlebten einen Blick in uralte Zeiten und glaubten mit Odysseus an den Hof des Alkinoos zu kommen, als uns diese Herolde begegneten und uns an die letzten rührenden Erscheinungen homerischer Zustände erinnerten, die in unsere alles gleichmachende Zeit hereinragen. Die Jünglinge hielten mit einer Hand den Lendenschurz fest, der lose über ihren Hüften hing. So geleiteten sie uns zu einer Gruppe von Hütten, die auf einem Hügel lagen. Unser Zelt stand schon auf einem Platze vor dem Zaun des Königsgehöftes. Nicht weit davon hatte ein Missionar, Pater Schuhmacher, sein Zelt aufgeschlagen und sagte, daß er sich freue, den Abend mit uns bei einer Flasche Wein zu verbringen. Wir baten ihn, bei uns zu essen. »Dann bringe ich die Flasche mit.« »Tun Sie das bitte,« sagte Ellen und fügte gleich hinzu: »Das heißt, wir helfen Ihnen nicht beim Austrinken; wir sind Abstinente.« »Na, dann brauche ich ja auch nichts zu trinken,« sagte er erheitert. Der freundliche Mann aß also bei uns zu Abend und schilderte uns die Batussi: daß sie sich bis in die Nacht hinein Märchen erzählen und Rätsel aufgeben, deren Inhalt dunkel sei, daß sie behaupten, nur zu essen, und daß noch kein Tussi Christ sei. Ich ließ dem König sagen, daß ich mich freuen würde, wenn er mich um vier Uhr besuchen würde. Eine Viertelstunde vor.»dieser Zeit wurde laut getrommelt, dann strömte das Volk vor den Graszäunen der Residenz zusammen und nach einiger Zeit kam ein langer Zug Menschen an. Zu unserer Freude hatte der König seine einheimische Kleidung an und setzte sich mit seinen nackten Schenkeln auf einen Stuhl vor unserem Zelte. Er sprach Kisuaheli. Wir kannten seine Gestalt schon aus Abbildungen und zeigten ihm auch das Buch des Herzogs Adolf Friedrich von Mecklenburg hoch. Er bat, wir sollten doch dem Herzog schreiben, er möchte ihm ein solches Buch schicken. Das taten wir auch. Eine große Volksmenge umdrängte das Zelt. Wir ließen den Phonographen spielen und beobachteten dabei die Gesichter der Batussi, die, auf ihre langen Stöcke gestützt, zuhörten.

Ich freute mich, daß ich den Besuch des Königs als etwas Großes erlebte und nicht durch das Bewußtsein unbedingter Überlegenheit jedes Weißen und ähnlicher Vorurteile beeinflußt war. Mzinga war der Fürst und ich ein Vertreter abendländischer Bildung. Über Homer und die Ägypter ging von mir eine Verbindung zu der seltsamen Gestalt, die neben mir saß. Die homerische Welt stand lebendiger vor meinen Augen. Ich sah die Jünglinge zum Wettkampfe antreten und wie Odysseus, dem die Phäaken ihre Spiele vorführten, zuletzt selbst der Versuchung erlag, seine Kraft und Geschicklichkeit zu zeigen, so forderte ich die schlanksten Batussi zum Wettkampf heraus. Ich warf den Rock ab und kam als zweiter durch das Ziel. Nur ein Küstenneger lief besser als ich, ein fürchterlich ehrgeiziger Mensch. Ich glaube, der hätte mich umgebracht, wenn er nicht gesiegt hätte. Die Batussi aber hatte ich geschlagen. Anders im Springen. Mit 1,80 Meter blieb ich weit hinter den langbeinigen Springern zurück. Sie sprangen über 2 Meter hoch, und Ellen konnte sich unter den Schilfhalm stellen, der als Hindernis diente. Es war ein genußreicher Tag.

II.

Wir entdeckten in uns eine Fähigkeit, mit der Wildnis allein zu sein und uns häuslich einzurichten, wo immer unser Zelt, unsere Hütte stand.

Bei früheren Reisen in der Steppe gab ich alle Anordnungen für den Haushalt selbst. Jetzt überließ ich das Ellen; denn ich merkte, daß sie sich freute, wenn sie Aufgaben hatte, die ihr ganz gehörten. Die Küche, die Ordnung des Zeltes und der Koffer und die Beaufsichtigung der Wäsche mußte ich ihr überlassen, und sie gab den Dienern die Befehle in Kisuaheli.

Ich konnte dann das Lager schnell verlassen, um die Gegend kennen zu lernen, photographische Aufnahmen zu machen, zu sammeln, Wild zu erlegen und den Weg für den nächsten Tag auszukundschaften. Wenn ich dann wiederkam, fand ich einen fertig eingerichteten Steppenhaushalt vor.

Ellen hatte sich inzwischen schon in den Lehnstuhl gesetzt, hatte Bücher vorgenommen und sich mit Negern und Negerinnen unterhalten, die zum Lager kamen, um Nahrungsmittel zum Kauf oder Tausch anzubieten oder die weiße Frau zu sehen.

Wenn ich kam, hatte der Koch das Essen fertig, der Wäscher brachte mir Wasser, Handtuch und Seife, ich reinigte mich und wir setzten uns zu Tisch. Wir hatten dann beide schon so viel zu erzählen.

Ärger über die Diener und Träger ließ ich nicht aufkommen, weil ich wußte, welche Kraftvergeudung das ist, und daß solche Sorgen später ganz klein erscheinen, ja, daß man nur Reue empfindet, wenn man auf die Neger böse war, anstatt sich über die Fülle des Guten zu freuen, das sie einem bieten. Je länger ich aber hier lebe, desto mehr sehe ich, daß wir vorsichtig sein müssen mit dem, war wir den Negern bringen. Wir halten vieles für gut, was in Wirklichkeit schädlich wirkt.

So zweifle ich auch schon, ob wir Europäer den Eingeborenen mit den Reismühlen etwas Gutes bringen?

Der Reis, der aus dem Schälwerk kommt, sieht sauberer aus, das ist richtig; es ist aber kein Vorteil. Denn die beliebte weiße Farbe des Reiskornes entsteht dadurch, daß die bunten, äußeren Schichten abgeschliffen werden. Der Eingeborene bekommt also Reis, der diese Schicht nicht mehr trägt. Wir wissen heute, daß das ein Fehler ist; denn die bunten Häutchen, die die Reismühle beseitigt, enthalten wertvolle Nahrungsstoffe, die der Mensch notwendig braucht. Wo die Eingeborenen längere Zeit geschälten Reis essen, bekommen sie Beriberi, eine Krankheit, die verschwindet, wenn dem Kranken das, was die Mühlen vom Reiskorn herunterschälen, als Heilmittel gegeben wird. Es ist also eine Sünde, den Eingeborenen zum Vorteil einer Industrie die Bearbeitung des Kornes abzugewöhnen, damit sie das Korn nach der Fabrik bringen. Wenn sich die Folgen solchen Vorgehens zeigen werden, dann kommen sehr gelehrte Herren der Wissenschaft, sprechen von Entartungserscheinungen der Eingeborenen, impfen und suchen nach Medizin.

Man rühmt aber, es werde Arbeit gespart, wenn nicht mehr in Tausenden von Negerhütten täglich Frauen an den Holzmörsern stehen und das Korn mit schweren Stampfern enthülsen. Auch das ist ein Irrtum. Es ist kein Zweifel, daß diese tägliche Arbeit ein unersetzlicher Vorzug ist. Die Negerin, die das Korn stampft, hat eine gesunde Körperübung regelmäßig zu verrichten und wird sie nie vergessen, weil der Magen mahnt und ohnedem kein Essen zubereitet werden kann. Aber noch etwas ist wichtig: das Reiskorn, das erst an dem Tage, an dem es gekocht werden soll, von seiner Hülse befreit wird, ist für die Ernährung des Menschen wertvoller als das tote, seiner schützenden Hülle seit Tagen, Wochen und Monaten beraubte, ausgetrocknete Korn.

Die Reismühlen bedeuten also eine große Gefahr für die Gesundheit der Eingeborenen, und ein weitschauendes Kolonialvolk wird den Eingeborenen die althergebrachte und erprobte häusliche Bearbeitung des Kornes lassen.

Es ist falsch zu sagen, Maschinenreis sei reinlicher. Es gibt nichts Reinlicheres als das Mittagessen, das eine Negerin zubereitet hat. Im Ernten, Reinigen und Aufbewahren des Kornes sind die Neger Meister, solange man ihnen das nicht abgewöhnt und ihnen Zeit dazu läßt. Und wenn der Reis in Säcken, die die Neger selbst geflochten haben, daliegt, dann ruht jedes einzelne Korn in seiner Schutzhülle, bis der Stampfer die Schale sprengt.

Man muß öfter in den Vormittagsstunden in den Dörfern der Neger umhergewandert sein, um den Wert zu erkennen, der in der täglichen Zubereitung der Nahrung liegt. Wasser holen, den Körper, den eigenen und den der Rinder pflegen, die Hütte und den Platz um die Hütte reinigen und das Korn zum Essen zubereiten, das sind die gesunden Verrichtungen für die Frauen. Die Kinder helfen oder sehen zu, und auch wenn die Frauen nicht noch auf das Feld hinaus müßten und das Land bearbeiten, hätten sie genug Arbeit.

Nun kommt der betriebsame Europäer. Er stellt Maschinen auf, und damit die Arbeit haben, befiehlt er und verbietet. So werden menschliche Arbeitskräfte frei. Jetzt eröffnet sich ihm ein neuer Geschäftszweig: der Handel mit Menschenkräften. An der Küste sind Pflanzungen, die brauchen Arbeiter. Für jeden, den er anwirbt, bekommt er eine bestimmte Summe. Die Neger wollen nicht? Sie wollen lieber in der Heimat bleiben? Da gibt es erlaubte Mittel: Bedürfnisse anerziehen, die Begehrlichkeit wecken. Alkohol, Zigaretten, Schundartikel, bunte Kleider. Auch das Handwerk wird totgemacht. Statt der Töpferei gibt's eiserne Töpfe aus europäischer Industrie zu kaufen. Man sorgt dafür, daß die Eingeborenen die Kunst des Webens verlernen. Statt der wunderschönen Muster, die der Neger herstellt, werden bedruckte Baumwollstoffe getragen mit den Bildern eines europäischen Fürstenpaares, einem Siegesdenkmal oder einer Lokomotive. Dem Leben des Negers ist das Eigene, das Kräftige, das Schöne und die Ruhe geraubt. Er wird betriebsam, er braucht Taschenuhren. Immer mehr wird er Abnehmer der Industrie. Der Import steigt. Die Neger wollen mehr Geld verdienen, um mehr davon genießen zu können, und lassen sich für Plantagenarbeit anwerben. Aber nicht alle, die mit der neuen Eisenbahn zur Küste hinunterfahren, kommen wieder. Viele vertrugen den Wechsel des Klimas nicht, waren auch nicht gut genug ausgerüstet und starben, und die zurückkamen, waren verdorben; trunksüchtig, genußsüchtig, geschlechtskrank. Das Familienleben ist zerstört. Die Kinderzahl geht zurück. Die Zahl der Verbrecher steigt. Unzählige Männer arbeiten im Strafdienst an der Kette. Vielleicht bringt ein letzter verzweifelter Aufstand gegen die Gewalt des Europäers die Kraft des Volkes noch einmal zusammen. Dann gibt's Tote, Helden, Freiheitskämpfer, die für ihr Vaterland sterben, »Aufständische« genannt und erhängt werden; brennende Hütten, elternlose Kinder und auf seiten der Europäer siegreiche Soldaten. Es ist ein grauenhaftes Elend. Der Schuldige ist nicht zu finden. Er sitzt in Amt und Würden, ist geachtet und geehrt, führt in dem »Mutterlande« (ein schöner Mutterbegriff) das große Wort und entrüstet sich gar über die Eingeborenen, die nicht so wollen, wie ihre Wohltäter. Oder ist vielleicht der eigentlich Schuldige ein Gelehrter, der mächtigen Völkern schädliche Begriffe von Arbeit, Pflicht und Recht beigebracht hat; ein Berühmter, ein Toter, dessen Werke wir noch nicht töteten?

Das war bisher die europäische Kolonialpolitik.

Wie schwer ist es doch, mit Pulver und Dampfkraft schuldlos zu bleiben!

Werden wir es je können?


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