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Schreiben an Marine-Assistenzarzt Engelhardt vom 4. Mai 1917
Lieber Engelhardt!
Denken Sie nur: gerade in diesen Tagen der Bestellung komme und komme ich nicht dazu, Ihren mir so wertvollen Brief vom 20.4. zu beantworten. Ich habe Ihnen soviel dazu zu sagen, weil ich ja über den Krieg so denke wie nur sehr wenige Deutsche. Sie müßten mal mit mir nur acht Tage hier sein. Sie gehören gewiß nicht zu denen, die sich gleich entrüstet abwenden oder gar die 3 000 M verdienen wollen, die das Oberkommando aus den Militärtränen- und Elendstopf jedem verspricht, der einen Andersdenkenden verpetzt.
Sie sehen schon aus dem beiliegenden Entwurf einer Antwort auf Freilandbrief 26, daß ich von militärischer Entscheidung nichts weiß und sie für unerheblich halte, und daß ich – na, lieber nicht, ich will ja gar nicht, daß Sie beunruhigt werden. Nur das eine: da alle Voraussetzungen, unter denen die Opfer gebracht werden, unzutreffend sind, da die Entscheidung um die Zukunft der menschlichen Gesellschaft ganz woanders gefällt wird als auf den »Schlacht«feldern, schmerzt es mich, daß Sie noch die Gebärde von 1914 kennen: dabei sein zu wollen.
Die schwere Täuschung, der Sie unterliegen, wenn Sie im Rahmen der falschen Voraussetzungen dem Leben an der Front gute Seiten abgewinnen, werden Sie sehen, wenn Sie den Zusammenhang hören.
Das Erwachen wird für viele schrecklich sein. Aber es gibt kein Entrinnen mehr: wegen mangelnder Einsicht und Tatkraft des deutschen Volkes wird das deutsche Reich mitbestraft.
Wie Sie aus den Zeitungen sehen, steht es gut im Osten, Westen, Süden und die U-Boote leisten Taten, die (uns!) nie vergessen werden.
Blättern Sie mal in Iphigenie und lesen Sie das Gebet eines U-Boot-Kommandanten für die Versenkung einer Lusitania:
»Du hast Wolken ...«
Die Abstinenz ist ja so etwas Gleichgültiges, wenn sie nicht mal das Bewußtsein der Freiheit bringt. Die deutsche abstinente Jugend versagt genauso wie die trinkende.
Es ist zum Speien! Wenn deutsche Jugend erwacht, wird sie hakenkreuzlerisch, alldeutsch, antisemitisch! Die deutsche Bourgeoisie ist der Auswurf der Menschheit! Sie muß vernichtet werden!
Ich empfehle jetzt zu lesen: Herwegh, Börne, Wilson (»Nur Literatur«, »Die neue Freiheit«).
(...)
Daß der »Vortrupp« Regierungsblatt wurde, wird Sie überrascht haben. Popert ist tatsächlich der Meinung, auch für den Frieden damit das Beste zu tun. Unseliges Geschick, so zur Durchhalterei beizutragen, soviel den Frieden hinausschieben zu helfen!
Soviel für heute. Hier ist' s jetzt herrlich ... An Anregung fehlt es nicht. 6 000 Bände Bücher umgeben mich, viele afrikanische Erinnerungen und eine reinigende, lebende Natur, von der wir, Frau und Kinder, ein untrennbares Stück sind. Aber auch die Gemeinheit der Menschen ist hier und umlauert uns. Daß die Sonne eine solche Welt erträgt! Lange genug hat sie sich' s auch diesmal überlegt, ob sie unseren Teil des Planeten nochmal wärmen soll. Auch sie verlangt, ... daß erst die Schuldigen gestraft werden. Wer es ist? Ich weiß es. Für heute genug.
Mit herzlichen Grüßen und Wünschen
Ihr Hans Paasche